Garhammer Lebendige Seelsorge 6/2014
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-429-04764-1
Verlag: Echter
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Taufe als Motor von Identitäts- und Kirchenentwicklung
E-Book, Deutsch, 68 Seiten
ISBN: 978-3-429-04764-1
Verlag: Echter
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Manche und mancher hat eventuell den resignierten Eindruck, dass die gegenwärtigen Umbauten der verfassten Kirche chaotisch und richtungslos verlaufen. Viele Metaphern nehmen den deutlich gefühlten Mangel an Navigationssicherheit auf. "Wir fliegen nur noch auf Sicht", hörte ich neulich. Oder: "Wir bräuchten jetzt Wege. Wegweiser, vor allem selbsternannte, haben wir genug."
Dieses Heft will zur kirchenentwicklerischen Fahrfreude beitragen. Es behauptet, dass sich im gegenwärtigen Umbau von kirchlicher Organisation eine neue Größe meldet, die sowohl Motor- wie Navi-Qualität besitzt: das Sakrament der Taufe.
Die Logik von Taufe kombiniert kreativ genau jene Faktoren, in denen wir eine attraktive und zeitgerechte Kirchengestalt vermuten können: Selbstbestimmung und Partizipation, Gemeindebezug und persönliches Charisma, religiöses Ritual und familiäres Kasual, Mystik und Gesellschaftsgestaltung, Biografie und Eschatologie. Und all dies in denkbar einfachsten Zeichen: Wasser und Geist.Entdecken Sie mit Ihrer Lektüre neu die oft vergessene kirchebildende Kraft der Taufe! Je nach Ihrem Interesse profitieren Sie von milieupastoraler Analyse, exegetischer Information, Berichten über liturgische und katechetische Umsetzungen, weltkirchlichen Bezügen oder einem pastoralplanerischen Gespräch. Gegen den Strich und genau deswegen lesenswert: die ostdeutsche Würdigung der Ungetauften.
Wie auch immer, als Motto kann gelten: Taufe - alles andere ist nur Wasser!
Weitere Infos & Material
Milieusensibel taufen
Impulse für eine differenzierende Praxis der Initiation Wenn die Taufe die Initiation in „die Kirche“ ist, der Begriff „Kirche“ aber gerade kein monolithisches Ganzes, sondern eine vielfältig-verschiedene Größe meint: muss dann nicht auch die Praxis der Taufspendung in hohem Maße und voller Akzeptanz differenzierend sein? Doch, meint das evangelische „Handbuch Taufe“, das ein genau auf die verschiedenen sozialen Milieus abgestimmtes Tauf-Manual vorschlägt – und damit der Einsicht in eine milieusensible Pastoral eine neue Konkretionsstufe verleiht. Heinzpeter Hempelmann Unsere Gesellschaft ist bekanntlich segmentiert und fragmentiert. Heutige Modelle sozialer Ungleichheit arbeiten weniger mit Schicht- als mit Milieumodellen. Diese sind qualitativ angelegt und erfassen neben den üblichen soziodemografischen Informationen auch die mentalen Lagen und werthaften Grundorientierungen. Die enorme Erkenntniserweiterung durch diese Milieumodelle auch für die Pastoralplanung und Pastoraltheologie ist durch die bekannten Sinus-Kirchenstudien seit dem Jahr 2006 immer wieder demonstriert worden (Hempelmann 2012, 2013; Sellmann 2012). Die Rede von der Kirche ist also in doppelter Weise von falscher Abstraktheit: sowohl hinsichtlich derer, die Kirche repräsentieren und Subjekte kirchlichen Handelns sind, aber vorwiegend (mindestens im evangelischen Bereich) postmateriell geprägt sind, und hinsichtlich der Adressaten kirchlichen Handelns, die allen Milieus zugehörig sind. Das Taufhandeln ist ein exemplarisches kirchliches Handlungsfeld, auf dem die möglichen Konflikte manifest werden. SOZIALWISSENSCHAFTEN UND THEOLOGIE
Theologie und Sozialwissenschaften müssen zugleich unterschieden und sorgsam aufeinander bezogen werden. Es finden sich unterschiedliche Gegenstandskonstitutionen, etwa von „Kirche“, die nicht einfach identifiziert werden können. Sozialwissenschaftliche Befunde von Kirche sind nicht eo ipso theologische. Die Einsicht in die Segmentierung von Kirche in Lebenswelten, die kaum Berührung miteinander haben, widerspricht als solche noch nicht der theologischen Überzeugung von der Einheit der Kirche. Spannend wird es dort, wo man beide Perspektiven aufeinander bezieht. Distanz zur Kirche(ngemeinde) bedeutet nicht eo ipso – geistliche – Distanz zur Kirche, will man nicht unter der Hand aus einem sozialwissenschaftlichen ein theologisches Urteil machen. Sozialwissenschaftliche Befunde über Kirche sind zwar nicht theologische, aber theologische Rede über aktuelle Kirche kann nicht verantwortlich geschehen, ohne diese Befunde zu berücksichtigen. Kirche kann, beispielsweise auch für ihr Taufhandeln, nicht an den Barrieren und Brücken, den Go’s und No-Go‘s, den Do’s und Don‘ts, den Orten und Un-Orten vorbeigehen, die für die jeweiligen Lebenswelten spezifisch sind und die sie ja als Milieu-Kirche ebenfalls bestimmen und unterscheiden. Die falsche Abstraktheit in der Rede über Kirche zeigt sich hier in einer weiteren Hinsicht: es gibt bei den verschiedenen Handlungsfeldern, speziell auch bei den Kasualien wie der Taufe, nicht die kirchliche Handlung. Es gibt aus sozialwissenschaftlicher Sicht bestimmte Haltungen und Prägungen, Traditionen und Erwartungen, die im konkreten Vollzug konfligieren, ohne dass dafür unmittelbar theologische Gründe erkennbar sind. WELCHER ZEITPUNKT IST DER RICHTIGE?
Ein schönes Beispiel stellt die Frage dar, ob Taufen am Samstagnachmittag stattfinden sollen und etwa von familiären Zusammenkünften umrahmt werden können. Die Interessen der Tauffamilien sind evident. Das Milieu der bürgerlichen Mitte favorisiert diese zeitliche Ansetzung, weil sie auch die Anreise der Großfamilie von weiter her ermöglicht und Taufe als Teil eines Familienfestes erkennen lässt. Viele Hauptamtliche reagieren avers auf eine solche „familiäre Vereinnahmung“ des heiligen Taufaktes, der die Taufe aus der Sphäre des Sakralen in das Familiale hineinholt und damit Kindertaufe noch ein Stück weit unkalkulierbarer macht. Natürlich spielt neben dem ästhetischen Unbehagen auch ein pragmatischer Grund eine Rolle für die weit verbreitete Abneigung gegen Taufen am Samstagnachmittag. Es kommt ja zu einer zusätzlichen zeitlichen Belastung und Inanspruchnahme. Die Abwehr entsprechender Taufwünsche wird aber nicht alltagsästhetisch-empfindungsmäßig, sondern theologisch begründet: Taufen geschehen in die Gemeinde hinein, und die ist am Samstag-Nachmittag (eher) nicht präsent. Dabei bleibt unberücksichtigt: (a) Kirchliche Ordnungen haben bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Haustaufen nicht nur erlaubt, sondern theologisch begründet; (b) die familiäre Einbettung einer Taufe lässt wenigstens ein Stück weit die zentrale ekklesiologische Bestimmung von Kirche als familia Dei Realität werden. Dem gegenüber ist die Taufe von Kindern aus kirchengemeindenfernen Milieus ein Geschehen, das sozial für die betroffenen Familien im Regelfall für ihre Anbindung keine Bedeutung hat. Es handelt sich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive um einen theologisch verschleierten Fall eines Konfliktes von Milieulogiken und entsprechenden Prägungen bzw. Erwartungen. DIE HERAUSFORDERUNG EINER KONTEXTU-ALISIERUNG DES EVANGELIUMS ALS KIRCH-LICHE AUFGABE IN DEUTSCHLAND
Durch den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte sind Kulturen und Subkulturen ohne Interaktion mit Kirche und Christentum entstanden. Die beiden Kirchen haben im Bereich des hedonistischen, adaptiv-pragmatischen, expeditiven und Performer-Milieus aber teilweise noch Mitgliederzahlen, die prozentual der Verteilung der Milieus in der Bevölkerung entsprechen. Gleichzeitig gilt, dass diese Lebenswelten kaum oder keinen Bezug zum kirchlichen Leben haben, das weithin traditionsorientiert, konservativ oder bürgerlich geprägt ist. So sehr Kirche verwurzelt und daheim ist in den traditions-orientierten Milieus, so sehr sie es – mindestens in Teilen – gelernt hat, sich in der Moderne zu beheimaten, so sehr fremdelt sie vielfach angesichts postmoderner, sehr schnell als unchristlich verworfener Prägungen. Hier wartet eine Kommunikationsaufgabe, die die herkömmliche Missionstheologie unter den Begriff der Kontextualisierung fasst. Das betrifft nicht so sehr den klassischen Gottesdienst, der sich primär als Submilieuveranstaltung darstellt; es betrifft vor allem die kirchlichen Handlungsfelder, die – wie Taufe, Bestattung und ggf. Konfirmation und Kommunion – die große Masse der Kirchenmitglieder betreffen und mit denen Kirche breit und weit in diese Gesellschaft hineinragt. Milieusensibles Taufhandeln zielt darauf ab, mit dieser für die Kirche zentralen und fundamentalen, gleichzeitig die ganze Breite der Kirchenmitglieder erreichenden Interaktion möglichst nahe bei den Menschen zu sein. Die Kommunikation des Evangeliums im „Wortzeichen“ (Brenz) Taufe hat immer konkrete Adressaten. Diese lassen sich mit Hilfe der Lebensweltforschung erstaunlich präzise differenzieren. Aus der sozialwissenschaftlichen Wahrnehmung der Segmentierung unserer Gesellschaft ergibt sich die Frage, welche Konsequenzen ein adressatenbezogenes kirchliches Handeln aus diesen Erkenntnissen moderner Soziologie zieht. Konkret bedeutet es, das Taufhandeln, soweit möglich und sinnvoll, lebensweltlich zu formatieren, speziell die Brücken zu nutzen, die sich aus der Wahrnehmung unterschiedlicher Lebenswelten ergeben, sowie die Barrieren zu bearbeiten, die sich ja ebenso zeigen. GRUNDFRAGEN DES PROJEKTES
Das Netzwerk churchconvention (www.church-convention.de) und das Tangens-Institut für Kulturhermeneutik und Lebensweltforschung (www.eh-tabor.de/tangens-institut) verfolgen im Auftrag und mit Unterstützung der Evangelischen Kirchen in Baden und Württemberg die Frage, inwiefern der Milieusegmentierung Bedeutung für kirchliches Handeln zukommt. Diese Fragestellung gilt deskriptiv und normativ. Zunächst: inwiefern prägt die Zugehörigkeit zu bestimmten Milieus ganz konkret die Abläufe im Taufkasual? Inwiefern lassen sich die beobachteten Phänomene mit Hilfe der Milieuperspektive erklären? Milieusensibles Taufhandeln fängt schon im Vorfeld an: welche Personen sollte man zum Taufgespräch ins Pfarrhaus bitten (weil sie sich womöglich schämen, den Pfarrer zu Hause unter „ärmlichen Verhältnissen“ zu empfangen; PRE; TRA / Abkürzungen siehe Tabelle am Schluss des Beitrags)? Wen sollte man zu Hause besuchen, weil das Wohnzimmer der selbstverständliche Mittelpunkt des familiären Lebens ist (BÜM; PRA)? Mit wem verabredet sich die Pfarrerin am dritten Ort, weil es so etwas wie ein Wohnzimmer in der entsprechenden Lebenswelt nicht gibt und man in Szenekneipen „zuhause“ ist (EPE; HED)? Umgekehrt ist dann die Fragestellung sinnvoll: wenn es Barrieren gibt, die nicht theologischer, sondern (alltags-)ästhetischer Natur sind, wie lassen diese sich umgehen...