Gardner | Fat City | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten, E-Book Epub

Gardner Fat City

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8412-1285-6
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 208 Seiten, E-Book Epub

ISBN: 978-3-8412-1285-6
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es gibt immer jemanden, der kämpfen will Leonard Gardner hat mit seinem ersten und einzigen Roman gleich einen Klassiker der amerikanischen Literatur geschrieben. FAT CITY ist keine Heldengeschichte, sondern eine Verbeugung vor dem letzten Willen, der erst erwacht, wenn alle Hoffnung unter den Tisch getrunken ist. Eine Liebeserklärung an eine Zeit, in der man von der Hand in den Mund lebte. Gregor Hens gelingt es mit seiner Neuübersetzung meisterhaft, dem Californian-Working-Class-Sound, dem trotzigen Humor und der feinen Melancholie eine deutsche Stimme zu geben. »Gardner erzählt so überzeugend, dass wir uns nur an ihre Hoffnung erinnern, nicht an ihre Niederlagen.« The New York Review of Books »FAT CITY hat mich mehr bewegt als die gesamte Gegenwartsliteratur der letzten Jahre.« Joan Didion

Leonard Gardner ist in Stockton, Kalifornien geboren. Seine Erzählungen erschienen u. a. in The Paris Review, Esquire, Southwest Review. Nach seinem Durchbruch mit FAT CITY 1969 war er langjähriger Drehbuchschreiber in Hollywood. 1972 wurde der Roman mit Jeff Bridges in der Hauptrolle von John Huston verfilmt. Gardner lebt heute in Nordkalifornien. Vor kurzem eröffnete er das Lido-Box-Gym in Stockton.
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1


Er wohnte im Hotel Coma, das seinen Namen vielleicht dem Stadtgründer verdankte, einem kalifornischen Entdecker oder Pionier, oder einem vor langer Zeit verstorbenen italienischen Einwanderer, der schlicht ein Hotel gebaut hatte. Wen auch immer dieser Name ehren mochte, das Hotel war ein armseliges Denkmal, und Billy Tully hatte nicht vor, lange zu bleiben. Noch immer verwahrte er seine frische Wäsche in dem Koffer auf der Kommode, um sie schnell in ein besseres Zimmer tragen zu können. In den anderthalb Jahren, seit ihn seine Frau verlassen hatte, hatte er in fünf verschiedenen Absteigen gewohnt. Nun blickte er von seinem Fenster aus auf die gedrungene Skyline von Stockton – eine Achtzig-tausend-Einwohner-Stadt, umgeben von den Tümpeln, Flüssen und fruchtbaren Feldern des San Joaquin-Deltas. Er sah Bürohäuser, Kirchturmspitzen, Schornsteine, Wassertürme, Gasspeicher und die niedrigen Dächer der Wohnhäuser, die sich zwischen kahlen Bäumen entlang der ebenen Straßen erhoben. Der Bürgersteig unter seinem Fenster war voller Männer, die von Kneipen zu Schnellrestaurants, von Schnaps- und Second-Hand-Läden zu billigen Pensionen schlurrten. Asphaltgraue Tauben pickten im Rinnstein, flogen von Haus zu Haus, stolzierten über Simse und gurrten auf Tullys Fensterbank. Sein Zimmer war hoch und schmal. An der Tapete hinter den Eisenstäben seines Betts hatte fettiges Haar dunkle Spuren hinterlassen. Die Jalousie war zerfleddert, die Glühbirne schummrig, und seine Nachbarn waren offenbar alle lungenkrank.

Billy Tully arbeitete in der Küche eines Burger-Restaurants auf der Main Street. Sein Gesicht hatte eine jugendliche Frische, zu den Mundwinkeln hin zogen sich erste Fältchen, sein Nasenrücken hatte eine Delle. Dünne Narben schraffierten die Schläfen knapp neben den Augenbrauen. Sein dichtes kupferrotes Haar war oben kurz geschnitten und an den Seiten lang nach hinten gekämmt. Er war klein und kompakt, mit mächtigem Brustkorb, weder dick noch dünn noch besonders muskulös. Seine Knochen waren schwer, und er hatte kaum Fett, aber es war der Stiernacken, der seinen bekleideten Körper so kräftig wirken ließ – das Ergebnis jahrelangen Trainings, als er mit dem Kopfgurt Gewichte von zehn oder zwanzig Pfund gehoben hatte, einzig um die Wucht von Schlägen abzufangen.

Seit ihn seine Frau verlassen hatte, hatte Tully nicht mehr im Ring gestanden, aber in der vergangenen Nacht hatte er im Ofis Inn einen Mann niedergeschlagen. Er konnte sich nicht genau erinnern, wie es zu dem Streit gekommen war, und er zerbrach sich auch nicht den Kopf darüber. Allerdings beschäftigte ihn, was er dabei über sich selbst erfahren hatte. Er hatte ein einziges Mal ausgeholt, und der Mann war zu Boden gegangen. Tully schloss daraus, dass er seine Karriere zu früh beendet hatte. Er war erst neunundzwanzig.

Er stieg die Treppe hinunter, auf der trotz des rutschfesten Gummibelags beinahe jede Nacht jemand stürzte, und machte sich auf den Weg zum YMCA, um sich am Sandsack auszuprobieren. Beflügelt vom Gefühl des Neubeginns nach einem verkaterten Morgen, lief er zügig durch die kalten Straßen.

In der Umkleide zog Tully sich aus, das Lärmen vom Schwimmbecken war bis in den Keller zu hören. Er hatte vier Tätowierungen aus seiner Zeit bei der Army, die ihn inzwischen regelrecht anwiderten: segelnd über den Brustwarzen zwei blaue Schwalben, eine grüne, um das linke Handgelenk gewundene Schlange, und auf der Innenseite des rechten Unterarms eine von einem Dolch durchstochene Rose. Mit blassblauer Sporthose und einem grauen T-Shirt schlich er auf weichen Ledersohlen durch den Korridor, wütenden Schlägen entgegen, die auf einen Boxsack trommelten. Als Tully den Raum betrat, blickte ein schlacksiger, schweißnasser Junge kurz auf, schlug ein letztes Mal gegen den Sack und setzte sich auf eine Bank. Ringsum auf dem rissigen Betonboden lagen Hanteln in allen Größen. Es war sonst niemand da. Tully schwang die Arme, lockerte den Nacken, ging in die Hocke und sprang, als er es in seinem Knie laut knacken hörte, erschrocken wieder auf. Die Stille, die von dem Jungen ausging, war beinahe greifbar. Er saß reglos auf der Bank und starrte die Wand an, nachdem er eben noch brutal auf den Sack eingeprügelt hatte. Seine Haltung signalisierte, dass er in Ruhe gelassen werden wollte, was Tully allerdings eher reizte, und so forderte er den Jungen zu einem Kampf auf, obwohl er selbst nur gekommen war, um am Boxsack zu trainieren.

Der Junge stand sofort auf und sah ihn düster an. »Bist du etwa Profi?«

Tully entging nicht, dass er seine Schläfen ansah. »War ich mal. Bin aber ganz raus. Wir gehen’s locker an, okay? Ich kann dir ein paar Sachen zeigen. Ich werd nicht hart schlagen.«

Der Junge sah ihn missmutig an und ging, um Handschuhe zu holen, und Tully wärmte sich weiter auf. Er war beinahe schon außer Atem, als der Junge zurückkehrte. Wortlos zogen sie die Handschuhe an und stiegen in den Ring. Als Tully ihm die Fäuste zum Gruß entgegenstreckte, sprang der Junge nervös zurück. Tully lächelte nachsichtig und ging ihm hinterher. Danach ging alles sehr schnell – furchtbar schnell: Schläge auf die Nase, Hiebe gegen Mund und Augen, der lange Körper, der ihm auswich und kreuz und quer durch den Ring sprang, während es Tully, der immer wieder zurückweichen und in Deckung gehen musste, kaum gelang, sich für den Konter in Stellung zu bringen. Die Wut packte ihn, er stürzte vor und schlug wild um sich, dann knickte er plötzlich ein. Keuchend vor Schmerz hüpfte er durch den Ring.

Und das war es dann. Tully beugte sich vor, das Gesicht zur Grimasse verzogen, massierte seinen gezerrten Wadenmuskel und fragte mit zusammengebissenen Zähnen: »Wie heißt du überhaupt?«

Der Junge blieb hinten im Ring stehen. »Ernie Munger.«

»Und wie viele Kämpfe hast du gemacht?«

»Noch keinen.«

»Du willst mich verarschen. Wie alt bist du?«

»Achtzehn.«

Tully machte einen vorsichtigen Schritt. »Also, Junge, du hast es drauf. Ich habe gegen Fermin Soto gekämpft, ich weiß also, wovon ich rede. Bei mir ist eigentlich niemand durchgekommen. Sie kamen einfach nicht ran. Die haben geschlagen, und ich war nicht da. Du solltest anfangen richtig zu boxen.«

»Ich weiß nicht. Ich komm hier einfach runter, um mich ein bisschen auszutoben. Das hält mich fit.«

»Verschwende nicht deine besten Jahre. Geh mal rüber ins Lido und red mit meinem Manager.«

Unter der Dusche war Tully froh, dass er nicht selbst ins Lido gegangen war. Neben ihm strömte Wasser über Ernie Mungers Kopf. Die Brust des Jungen war flach und unbehaart, er hatte breite Schultern, schmale Hüften, lange, dünne Arme und Beine. Tully musterte sein hübsches, glattes Gesicht, die breite, hohe Stirn und die markante Nase, und er bedauerte, dass er nicht die Gelegenheit gehabt hatte, richtig hineinzuhauen. In der Umkleide wickelte sich Tully ein Handtuch um die Hüfte und zog eine Flasche Thunderbird aus der Sporttasche. Er wusste, wie unangemessen das hier im YMCA war, und stellte sich so hinter die Blechtür seines Spinds, dass Ernie ihn nicht sehen konnte. An der Decke kämpfte ein Ventilator erfolglos gegen den Geruch von Schweiß und Seife und muffiger Sportkleidung an.

Tully humpelte die Treppe hinauf, schimpfte leise über sein Bein und machte sich auf den Rückweg ins Hotel. Es war ein verhangener Tag gewesen, jetzt tauchte hinter der stillgelegten Werft, wo zwei mächtige Kräne schräg in den Himmel ragten, die untergehende Sonne die glatte Wolkendecke in blasses Violett. Durch die Rinnsteine taumelten Laub und Zeitungen. Boote schaukelten in den schwimmenden Schuppen des Jachthafens. Weiter unten am Kanal, fünfzig Meilen vom Meer entfernt, lag ein einsames Frachtschiff neben einem Silo.

Auf der Center Street war kaum jemand unterwegs. Im Harbor Inn war die Hälfte der Barhocker unbesetzt. Tully hielt sich an der Thekenkante fest und setzte sich vorsichtig hin. Ihm gegenüber der Hinweis

BITTE NICHT

AUF DEN BODEN SPUCKEN

STEH AUF UND SPUCK

IN DIE KLOSCHÜSSEL

VIELEN DANK

und er aß einen eingelegten Schweinefuß von einer Serviette und trank ein Glas Port. Als ein Paar, das er vom Sehen kannte, neben ihm Platz nahm, aß er gerade eine Tüte Grieben. Der Mann, ein Schwarzer mit Geheimratsecken und Menjoubart, wirkte träge und niedergeschlagen. Die Frau war weiß, ungefähr in Tullys Alter. An der Stelle der Augenbrauen hatte sie dünne Striche, ihre Nase war gebrochen wie seine eigene.

»Gehen Sie eigentlich nie nach Hause?«, fragte sie ihn.

»Ich bin gerade erst gekommen.«

Sie wandte sich an ihren Begleiter. »Worauf wartet er? Er weiß doch, dass wir hier sind. Kannst du nicht mal dafür sorgen, dass wir bedient werden?«

»Immer mit der Ruhe. Er kommt ja gleich.«

»Du feiges Arschloch, du nimmst wirklich jeden gegen mich in Schutz.« Sie stützte das Kinn in die Hände und starrte ins Leere. »Ich will einen Cream Sherry.« Dann, wieder zu Tully: »Die Sache zwischen Earl und mir ist wirklich etwas Wunderschönes. Ich liebe diesen Mann mehr, als je ein Mann verdient hat, geliebt zu werden. Ich könnte ohne ihn nicht leben. Ohne ihn würd ich’s einfach nicht aushalten. Aber meinen Sie, er würde mal die Stimme erheben, um mir einen Drink zu besorgen? Nee. Er sitzt einfach da und lässt zu, dass wir ignoriert werden.«

»Da kommt er«, sagte Earl.

»Dir...


Hens, Gregor
Gregor Hens, geboren 1965 in Köln, lehrte zwei Jahrzehnte lang an verschiedenen amerikanischen Universitäten, zuletzt an der Ohio State University. Seit 2013 lebt er als freier Autor in Berlin. Er hat zahlreiche Romane übersetzt, unter anderem von Leonard Cohen, Rawi Hage, Marlon Brando und Will Self.

Gardner, Leonard
Leonard Gardner, geboren in Stockton, Kalifornien. Seine Erzählungen erschienen u. a. in The Paris Review, Esquire, Southwest Review. Er lebt in Nordkalifornien. Vor kurzem eröffnete er das Lido-Box-Gym in Stockton.



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