E-Book, Deutsch, Band 4, 464 Seiten
Reihe: Jo Beckett
Gardiner Todesmut
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-06848-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 4, 464 Seiten
Reihe: Jo Beckett
ISBN: 978-3-641-06848-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zu ihrem 21. Geburtstag wünscht sich Autumn Reiniger etwas ganz Besonderes. Ihr Vater, der keine Kosten scheut, um Autumn glücklich zu machen, wird diesem Wunsch gerecht. Sie und ihre Freunde werden in der kalifornischen Wüste an einem spektakulären Reality-Game teilnehmen. Autumn ist außer sich vor Freude. Was sie nicht weiß: Ihr Vater hat einen Ranger engagiert, der für besondere Überraschungen sorgen soll. Doch dieser Ranger hat ganz andere Pläne. Als ein Teilnehmer unter unerklärlichen Umständen zu Tode kommt, bittet man Jo Beckett um Hilfe. Im Camp angekommen, bietet sich ihr ein Bild des Grauens.
Ein neuer Fall für die forensische Psychiaterin Jo Beckett.
Meg Gardiner wuchs mit drei Geschwistern im kalifornischen Santa Barbara auf. Nach dem Abschluss des Jurastudiums praktizierte sie zunächst als Anwältin, bevor sie ihren Beruf aufgab und nach England übersiedelte. Dort begann sie zu schreiben und veröffentlichte im Jahr 2002 ihr Romandebüt. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern nahe London.
Weitere Infos & Material
2
Mittwoch, 10. Oktober
»Soll das ein Witz sein? Wie viel kostet das?«
Der Typ am Schalter blickte nicht einmal auf. »Vierundzwanzig Dollar für die erste Stunde, zwölf fünfzig für jede Stunde danach.«
Evan Delaney konnte es nicht fassen. Fürs Parken? Vielleicht sollte sie lieber den Schlagbaum rammen und aus der Garage fliehen, statt zu blechen. Danach konnte sie, weil das Parken auf den Straßen von San Francisco ein Kampf auf Leben und Tod war, mit dem Mustang einfach den Berg hinunterfahren, sich in die Bucht stürzen und zu ihrem Termin schwimmen.
Das Auto hinter ihr hupte.
»Na schön.« Resigniert gab sie nach. »Soll ich die Brieftasche öffnen, oder wollen Sie es mir gleich aus den Adern saugen?«
Sie konnte nur hoffen, dass sich das Treffen mit Jo Beckett lohnte.
Die Story, die Evan recherchierte, war groß, seltsam und voller Löcher. Der Versuch, sich einen vollen Überblick zu verschaffen, war frustrierend – aber das war für sie als freie Journalistin nichts Neues. Und nicht der Grund, weshalb sie sich mit einer forensischen Psychiaterin unterhalten wollte. Nein, Jo Beckett hatte sie angerufen. Denn Dr. Beckett untersuchte ebenfalls den Tod des Rechtsanwalts Phelps Wylie.
Phelps Wylie hatte Antiquitäten gesammelt und Anzüge bei Hugo Boss gekauft. Er war klein und kahlköpfig, hatte den Mund einer Kröte und wässrige Augen. Wenn sie sein Foto sah, musste Evan immer an einen Frosch denken.
Er war tot in einer verlassenen Goldmine in den Sierras entdeckt worden.
An einem Samstagmorgen im April war Wylie aus San Francisco verschwunden. Erst Monate später wurden seine Überreste dreihundert Kilometer entfernt begraben unter Schutt in der Mine gefunden. Die Leiche war so stark verwest, dass sich die Todesursache nicht mehr feststellen ließ.
Im örtlichen Sheriff’s Office vermutete man, dass er beim Wandern von einer Sturzflut überrascht und in den Tod gerissen worden war. Entweder das, oder er war bei seinem Spaziergang im Hochland alkoholisiert und fiel beim Erkunden der Mine in den Schacht. Möglicherweise hatte er sich auch absichtlich hineingeworfen. Jedenfalls war es ein mitternächtlicher Kopfsprung ins Nirwana, dessen Gründe und Umstände niemand kannte.
Einen derart mysteriösen Todesfall eines Mitglieds der Anwaltskammer hatte es schon seit dem Verschwinden des Strafverteidigers im Mordprozess gegen die Manson Family nicht mehr gegeben. Evan sollte für die Zeitschrift California Lawyer einen großen Beitrag darüber schreiben.
Aber bisher war die Story immer noch Stückwerk. Sie kam sich vor, als würde sie mit einem Stock ein totgefahrenes Tier anstupsen, um es zum Tanzen zu bewegen. Und dann rief aus heiterem Himmel Dr. Jo Beckett an und bat um ein Treffen.
Das war der Grund, warum Evan in der Nähe von Fisherman’s Wharf parkte und zu Fuß zu einem Café marschierte.
Das Java Jones dampfte nur so vor Leben. Die junge Barfrau besaß einen silbernen Nasenring, die nervöse Energie eines Rennpferds und Locken in der Farbe des Kaffees, den sie braute. Auf ihrem Namensschild stand TINA. Auf der Stereoanlage lief Bad Dogs and Bullets.
Evan trat zum Tresen. »Klingt ja wie ein Tingeltangelrequiem.«
»Möchten Sie was Starkes und Großes zu dem Song?«
»Und was Heißes. Muss einem Bär das Fell abziehen und auf einem Pferd eine gute Figur machen können.«
Tina lächelte. »Großer Americano?«
Mit einer Windbö öffnete sich die Tür, und eine Frau rauschte herein: Anfang dreißig, Caffè-Americano-Locken, dezent fit unter leger schicker Kleidung. Sie winkte der Barfrau zu und ließ den Blick durchs Lokal schweifen.
Man konnte sie nicht als elfenhaft bezeichnen, dafür wirkte sie zu nüchtern. Ihr Gesichtsausdruck war liebenswürdig, aber zurückhaltend. Vielleicht analysierte sie ja einfach nur die Kunden.
Das musste die Psychologin sein.
»Jo?«
»Hallo, Evan.« Die Frau streckte die Hand aus. »Danke fürs Kommen.«
Evan wies mit dem Kinn auf die Barfrau. »Seid ihr Schwestern?«
Ein Lächeln spielte um Jos Lippen. »Ja, aber du musst bloß einen Monat lang diesen Kaffee trinken, dann siehst du genauso aus wie wir.«
Sie bestellte einen mehrfachen Espresso; er ließ förmlich die Tasse vibrieren. Evan musterte sie verstohlen. Das war also die Leichendurchleuchterin.
Jo sah aus wie die typische Kalifornierin: Doc Martens und Mickey-Mouse-Uhr, dazu der Hauch eines mehrere Generationen alten ostasiatischen Erbes. Um den Hals trug sie ein koptisches Kreuz. Das Funkeln in ihren Augen wirkte zugleich einnehmend und scharfsinnig.
Evan hätte geschworen, dass neunzig Prozent der Leute auf den Begriff forensische Psychiaterin verschlossen und scheu reagierten, weil sie sich Sorgen machten, ob Jo sie vielleicht auf Ticks und Zwänge taxierte. Ihr ging es schließlich genauso.
Jo begleitete sie zu einem Fenstertisch. »Ich führe eine psychologische Autopsie zu Phelps Wylie durch. Seine Kanzlei hat mich gebeten, seinen Geisteszustand zu untersuchen und seine Todesursache festzustellen.«
»Und wie läuft es?«
»Es ist einfach frustrierend.« Sie ließ sich nieder. »Wylies Leben widerspricht allen Vermutungen der Sheriffs über seinen Tod. Er ist nicht regelmäßig gewandert. War nicht scharf auf die Berge. Gold mochte er zwar, aber nur in Form von Barren, mit denen seine Mandanten gehandelt haben. Auch auf Alkohol hat er gestanden, allerdings in Sektflöten in der Oper.«
»Ein Bear Grylls war er jedenfalls nicht«, warf Evan ein.
»Garantiert nicht. Weißt du, wie eine psychologische Autopsie funktioniert?«
»Man nimmt sich die Psyche eines Opfers vor, um rauszufinden, wie es gestorben ist.«
»Ja, und zwar bei ungeklärten Sterbefällen. Das heißt, wenn Polizei und Gerichtsmedizin nicht feststellen können, ob es sich um eine natürliche Todesursache, Unfall, Suizid oder Mord handelt. Wenn sie in eine Sackgasse geraten, rufen sie mich an, damit ich den Geisteszustand des Opfers bewerte«, erklärte Jo. »Ich bin sozusagen die letzte Zuflucht.«
»Und ich bin deine.«
Etwas Gequältes trat in Jos Miene. »Ja, das trifft die Sache so ziemlich.«
Evan schwieg. Ihre Scheu legte sich, da sie in Jos Gesicht die gleichen bösen Vorahnungen las, die sie selbst empfand. »Diese Untersuchung geht dir irgendwie unter die Haut, oder?«
»Ja, wie eine Zecke. Erzähl mir was über Wylie. Hintergrund, Erkenntnisse, irgendwelche Hinweise auf Persönlichkeit und Beweggründe, alles, was mir hilft, den Ablauf seiner letzten vierundzwanzig Stunden zu rekonstruieren.«
»Hatte er in der Vergangenheit psychische Probleme?«
»Überhaupt nichts.«
»Glaubst du an eine natürliche Todesursache bei ihm?«
»Du meinst, dass er beim Blumenpflücken tot umgefallen und in eine Flutrinne gestürzt ist und dann zufällig von einem Wolkenbruch in die Mine gespült wurde?« Jos Ton war bissig.
Evan verkniff sich ein Grinsen. »Glaubst du, dass Wylie ermordet wurde?«
»Möglicherweise. Und du?«
»Ich würde fast darauf wetten. Der Mann war sozusagen ein junger Raubfisch auf dem Weg zur Spitze der legalen Nahrungskette. Hat sich Feinde gemacht. Und seine Freunde sagen, dass er vor seinem Verschwinden irgendwie nachdenklich und zerstreut war. Einige Male ist auch das Wort nervös gefallen.«
Jo nickte. »Und dann noch das Auto.«
Kurz nach Wylies Verschwinden war sein Mercedes an der mexikanischen Grenze aufgetaucht – ausgeräumt, verlassen, alle Fingerabdrücke weggewischt.
»Die Goldmine befindet sich in einem abgelegenen Teil des Stanislaus National Forest. Vielleicht hat der Autodieb auf einer verlassenen Forststraße den leeren Mercedes entdeckt und hat beschlossen, eine achthundert Kilometer weite Spazierfahrt zu machen. Aber ich hab da meine Zweifel.«
Evan hakte nach. »Wenn du Wylies Geisteszustand feststellen kannst, beweist das dann, wie er gestorben ist?«
»Nicht unbedingt. Ich hab keine Kristallkugel, die Mord oder Unfall anzeigt. Leute, die meinen, ich hätte eine Art Wünschelrute für den Tod, muss ich leider enttäuschen.«
»Immerhin hast du mit deiner psychologischen Autopsie den Fall Tasia McFarland geklärt.«
Jo warf ihr einen scharfen Blick zu. »Am Ende dieses Falls wurde mein Liebster fast erschossen, und die Medien sind über mich hergefallen wie die Heuschrecken. Ich muss dich also warnen: Im Umgang mit der Presse bin ich auf der Hut.«
Evan riss die Augen auf. »Auf der Hut? Du hast dir mit diesem Monster vom Blondinensender eine richtige Straßenschlacht geliefert. Und du hast sie zur Strecke gebracht, live im Fernsehen. Eigentlich müsste ich jetzt Konfetti streuen.«
Jo lachte.
»Und wenn du so misstrauisch gegen die Presse bist, warum hast du mich dann angerufen?«
»Du warst früher selbst Anwältin. Wahrscheinlich hast du einen ganz anderen Zugang zu dem Fall als ich. Außerdem bist du angeblich eine ehrliche Haut.« Ein Schatten huschte über Jos Augen.
Und ich weiß, warum Sie in Schwierigkeiten geraten sind, Ms. Delaney. Wusste Jo tatsächlich, warum ihr dieser Fall so an die Nieren ging? Auch Evans Vater war verschwunden. Sie hatte ihn zwar gefunden, doch danach waren die Fixpunkte ihres Lebens in einem Kessel der Trauer verdampft. Evans ganzer Körper versteifte sich. »Wer hat dir meinen Namen genannt?«
»Es ist doch kein Geheimnis, dass du an dieser Story arbeitest.«
Sie spürte ein Kribbeln an der Schädelbasis. »Trotzdem, wer hat dich an mich...




