Gamelas | 1968 in der westeuropäischen Literatur | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 301 Seiten

Gamelas 1968 in der westeuropäischen Literatur

Der Generationenkonflikt und die akademischen Unruhen in Prosawerken zwischen 1968 und 1979

E-Book, Deutsch, 301 Seiten

ISBN: 978-3-7720-0136-9
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Diese komparatistische Studie untersucht und vergleicht literarische Darstellungen der 1968er-Studentenbewegung und des Generationenkonfliktes anhand von sechs exemplarischen Prosawerken, die zwischen 1968 und 1979 in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal publiziert wurden: Lenz von Peter Schneider, Heißer Sommer von Uwe Timm, Derrière la vitre von Robert Merle, I giorni del dissenso von Giorgio Cesarano, Condenados a vivir von José María Gironella und Sem Tecto, entre Ruínas von Augusto Abelaira. Nach der zeithistorischen und literaturgeschichtlichen Kontextualisierung dieser Werke wird danach gefragt, wie der Generationenkonflikt, der politische Aktivismus und die sexuelle Revolution thematisch und formensprachlich bearbeitet sind. Das Buch weitet damit die Forschung zur »literarisierten Revolte« (R. Schnell) auf Westeuropa aus.

Dr. Inês Gamelas ist Lehrbeauftragte für Vergleichende Literaturwissenschaft und portugiesische Literatur an der Universität Augsburg
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Einleitung
Die Atmosphäre der Unruhen und der Jugendrevolte, die sich in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre verstärkte und ausbreitete, war ein beispielloses weltweites Phänomen. Junge Menschen aus zahlreichen Ländern rebellierten gegen das Establishment und führten eine Protestkultur an, die die ältere Generation auf den verschiedensten Ebenen in Frage stellte: Familie, tradierte Lebensweisen, gesellschaftliche Vorgaben, sexuelle Normen, Universität, nationale und internationale Politik, Konservatismus, Autoritarismus, alles wurde kritisiert. Der Diskurs des Widerstands internationalisierte sich dank der weltweit durch die Medien verfügbaren Informationen. Er fand in der provokativen Haltung der Jungen den Antrieb, der dazu beitrug, aus dem Jahr 1968 ein mythisches Jahr zu machen. 1968 war in der Tat ein Jahr, in dem die herrschenden Werte auf eine explosive Weise herausgefordert waren und ein Jahr eines einzigartigen Generationenkonfliktes, der historisch zum Symbol der Befreiung der Jugend wurde. Zuerst in den Universitäten und danach auf den Straßen der großen Städte bekundeten die jungen Menschen ihren Willen, die Gesellschaft auf der politischen Ebene zu verändern und mit dem Establishment zu brechen. Diese Spaltung wurde auch im Privatleben deutlich, wo die junge Generation sei es durch die Musik, durch die Kleidung oder sei es durch die sexuelle Befreiung alternative Verhaltensweisen auslebte. Trotz der Unterschiede zwischen den politischen Systemen und Lebenswirklichkeiten der verschiedenen Länder sowie zwischen den Protestzielen, die in jedem Land von den jungen Menschen ausgewählt wurden, um ihre Empörung zu äußern, sticht doch eine gemeinsame Widerstandshaltung der jungen Generation Westeuropas hervor. Diese Neigung zum Widerstand und zum Protest kennzeichnet den Generationenkonflikt jener Epoche. Aus der Sicht der jungen Menschen verkörpern die Eltern die herrschende soziale Ordnung, während die neue Generation vorgibt, der Motor des gesellschaftlichen Wandels zu sein, indem sie sich am Aufbau einer erneuerten und von dem Wertekanon der älteren Generation befreiten Welt beteiligt. Die Literatur blieb nicht unberührt von dieser Welle der Rebellion. Es gibt eine beachtliche Anzahl von Prosawerken in verschiedenen nationalen Literaturen in Westeuropa, die den Generationenkonflikt und die Studentenrevolte in den Vordergrund rücken. In diesen Werken, die ab 1968 und im Laufe der 1970er-Jahre erscheinen, werden die individuellen und die kollektiven Erfahrungen von Jungen und nicht mehr Jungen verarbeitet, die das soziopolitische Umfeld von Krise und Aufruhr am Ende der 1960er-Jahre in allen seinen zahlreichen Facetten erleben. Der diegetische Fokus jedes einzelnen dieser Texte betont den nationalen Raum, in dem sich die mit der Revolte verbundenen Ereignisse abspielen, was aber eine Öffnung zur anderen Seite der Grenzen nicht ausschließt. Gerade weil die 1968er-Bewegung und die Protestkultur am Ende der 1960er-Jahre einen transnationalen Charakter haben, gibt es Berührungspunkte, die sich auf verschiedenen Ebenen durch diese Werke ziehen. In der vorliegenden Arbeit unternehme ich es, die Darstellung der Jugend und die literarische Verarbeitung des Generationenkonfliktes am Ende der 1960er-Jahre in Westeuropa durch eine exemplarische Auswahl von Prosawerken, die zwischen 1968 und 1979 geschrieben und/oder publiziert wurden, zu untersuchen und zu vergleichen. In der Reihe der ausgewählten Prosatexte sind dies Werke aus der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. Es sind fünf Räume mit einem unterschiedlichen soziopolitischen Kontext, in denen aber durchgehend die junge Generation, der die Protagonisten der verschiedenen Texte angehören, die Führungsrolle des Widerstands und des Protestes gegen den Status quo einnimmt. Das Ziel ist die Durchführung einer interdisziplinären und transnationalen Studie, die sich mit der »literarisierte[n; IG] Revolte« (Schnell, 2003: 388) in den ausgewählten Texten beschäftigt, d.h. eine Untersuchung der literarischen Darstellungen der Studentenunruhen und des Generationenbruchs sowie der soziokulturellen und politischen Spaltungen jener Epoche. Der Begriff literarisierte Revolte, der von Ralf Schnell geprägt wurde, erscheint zum ersten Mal im Band Literatur der Bundesrepublik: Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb (1986). Schnell identifiziert eine Reihe von Texten (vor allem Romane und Erzählungen), die die politischen und soziokulturellen Ereignisse der Studentenbewegung von 1968 in der Bundesrepublik zum Thema der Literatur machen (vgl. Schnell, 2003: 388f.). In meiner Arbeit wird dieser Begriff im weiteren Sinne verwendet, da er über die Grenzen der deutschen Literatur hinausgeht und für Prosawerke aus Westeuropa gilt, die ebenfalls die Protestkultur, die Studentenrevolte und den Generationenkonflikt am Ende der 1960er-Jahre fiktionalisieren. Indem das Konzept der literarisierten Revolte erweitert wird, werden die Gemeinsamkeiten und Einzelheiten, wie auch die Unterschiede und Ähnlichkeiten der Darstellung des Generationenkonfliktes und der akademischen Unruhen in den Texten der deutschen, französischen, italienischen, spanischen und portugiesischen Literatur erforscht. Der komparatistische Ansatz fokussiert die literarische Behandlung verschiedener Fragen, die alle Texte durchziehen. Unter diesen Fragen sind besonders relevant: die Zeichen von Bruch und Spaltung, die die Beziehung zwischen den Generationen in den 1960er-Jahren prägen; der politische Aktivismus der jungen Menschen und ihr Wille, die Gesellschaft zu verändern; das Ausleben der sexuellen Revolution; und schließlich die narrativen Optionen bei dem Aufbau der Erzählung, die eher die Fiktionalisierung der turbulenten Zeiten vor und nach 1968 oder eher die Reflexion über diese Zeiten in den Vordergrund stellen. In dieser komparatistischen Gegenüberstellung werden ebenfalls die Erzählstrategien im Hinblick auf die Erzählsituationen, den narrativen Aufbau und den Diskurs betrachtet.   Bevor ich die Auswahlkriterien des literarischen Korpus dieser Arbeit erkläre, werde ich kurz die Gründe nennen, die zum Ausschluss der in den Staaten des Warschauer Paktes veröffentlichten Texte aus dieser Zeit geführt haben. Der erste Grund liegt in meinen Kenntnissen von Fremdsprachen: Da ich die Sprachen dieser Länder nicht beherrsche, wäre es unmöglich gewesen, jene Texte – und die entsprechende Sekundärliteratur – im Original zu lesen. Der zweite Grund liegt in der politischen Lage. Unbestreitbar erlebten auch einige der Staaten des kommunistischen Lagers wie Ungarn, Polen und die Tschechoslowakei im Jahre 1968 einen sogenannten Frühling der Jugendrevolte, mit Zusammenstößen zwischen Studenten und den Ordnungskräften. Dennoch war die Lebenswirklichkeit in diesen Ländern eine andere als in der Mehrzahl der westeuropäischen Länder. Die deutlichen Unterschiede in der Geschichte, Politik und Kultur der Länder des Warschauer Paktes und Westeuropas in den Zeiten des Kalten Krieges würden eine eigene Untersuchung erfordern. Selbst im westeuropäischen Raum gibt es große Variationen in der literarischen Verarbeitung der Studentenrevolte. Als deutlichstes Beispiel dafür sei Großbritannien genannt. Auch in die englische Literatur fanden die Studentenunruhen von 1968 Eingang, vor allem in campus novels wie Changing Places (1975) von David Lodge und The History Man (1975) von Malcom Bradbury. Aber der satirische Blick dieser und anderer englischer Romane auf die akademische Welt und auf die Studentenbewegung (vgl. Moseley, 2007: 110) ist weit entfernt von der vorherrschenden engagierten Orientierung der Erzählprosa Kontinentaleuropas. Aus diesem Grund wird die englische Literatur in dieser Studie nicht berücksichtigt. Für die Auswahl jedes Werkes in das Textkorpus dieser Arbeit gab es diverse Kriterien. Das Hauptkriterium liegt in der Zentralität des Generationenkonfliktes und des von der jungen Generation angeführten akademischen und politischen Aufruhrs in der Diegese jedes Werkes. Außer diesem Kriterium sei bemerkt, dass nur zwischen 1968 und Anfang der 1970er-Jahre verfasste Werke ausgewählt wurden. Daher sind alle behandelten Werke gleich 1968, also noch im Jahr der Studentenrevolte, oder einige Jahre später geschrieben. Diese zeitliche Eingrenzung zielt darauf ab, einen Vergleich der Verarbeitung des Generationenkonfliktes und der Studentenrevolte zu ermöglichen, der die zeitliche Nähe des Verfassens der Texte zu den Ereignissen von 1968 mitberücksichtigt. So fiel die Wahl auf die folgenden Werke: Lenz (1973) von Peter Schneider, Heißer Sommer (1974) von Uwe Timm, Derrière la vitre (1970) [Hinter Glas] von Robert Merle, I giorni del dissenso (1968) [Die Tage des Dissenses] von Giorgio Cesarano, Condenados a vivir (1971) [Zum Leben verurteilt] von José María Gironella und Sem Tecto, entre Ruínas (1979) [Ohne Dach, zwischen Ruinen] von Augusto Abelaira. Gemeinsamkeiten in den Biographien oder in der literarischen Laufbahn der Autoren und ihrer Werke boten sich auch für die Analyse als interessant an, waren aber kein ausschlaggebendes Auswahlkriterium. Nachdem sie Ende der 1960er-Jahre als Studenten aktiv an der Studentenbewegung in Westdeutschland beteiligt waren, veröffentlichten Peter Schneider und Uwe Timm mit Lenz und Heißer Sommer zwei Werke, die die Studentenrevolte literarisch verarbeiten und in denen sich einige autobiographische Spuren ihrer Erlebnisse im Widerstand finden. Giorgio Cesarano und Augusto Abelaira waren am Ende der 1960er-Jahre...


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