Galassi | Die Muse | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Galassi Die Muse

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-10-403349-5
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-10-403349-5
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



?Die Muse? von Jonathan Galassi: Eine Liebeserklärung an alle, die Bücher schreiben, verlegen und vor allem - lesen! New York in den Sechzigern: Geld war nicht nur Papier, Bücher hatten Substanz, Buchhandlungen waren Oasen. Der Verleger Homer Stern residiert in einem schäbigen Büro und sucht unter all den Manuskripten nach Schätzen. Diese missgönnt er vor allem seinem Rivalen Sterling Wainwright, dessen wichtigste Autorin, die Dichterin Ida Perkins, auch er über alle Maßen verehrt. Mit kühnen Versen - und einem exquisiten Lebensstil - hält sie die Leser in Atem: und das kann man nicht kaufen. Besonders einer ist fasziniert von Ida Perkins: Paul Dukach, Lektor bei Homer Stern. Ihr Werk kennt er in- und auswendig, ihr Wesen bleibt ihm jedoch ein Rätsel. Sein eigenes Leben dagegen steht ganz im Schatten der großen Autoren des Verlags: Ihre Eitelkeiten und Zusammenbrüche, ihre amourösen Verstrickungen und literarischen Meisterwerke sind stets von höchster Bedeutung. Als Paul endlich eine in Schönheit gealterte Ida Perkins in ihrem venezianischen Palazzo trifft, vertraut sie ihm ihr größtes Geheimnis an, das die Buchwelt auf den Kopf stellen wird. Mit satirischer Verve und nostalgischem Staunen zeichnet Galassi ein Bild von der heroischen Zeit des Büchermachens - von der Aufregung, ein vielversprechendes Debüt aus dem Stapel zu ziehen, bis zum quirligen Mekka der Frankfurter Buchmesse.

Jonathan Galassi ist Verleger des New Yorker Verlags Farrar, Straus and Giroux. Als Lektor entdeckte er Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides, als Übersetzer übertrug er Eugenio Montale und Giacomo Leopardi. Er veröffentlichte drei Lyrikbände, schreibt für »The New York Review of Books« und lebt in New York City. ?Die Muse? ist sein erster Roman.
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I. Homer und Company


»Verdammte Bauern!«

An diesem uralten russischen Steppenschrei erkannte man Homer Stern, Gründer, Geschäftsführer und Verleger des ebenso schicken wie mittellosen Independent-Verlags Purcell & Stern. Er erhob damit sein Glas auf die Siege oder vielmehr Niederlagen seiner Autoren, beim Abendessen nach jenen unzähligen Preisverleihungen, die das Verlegerjahr ordnen. Homers Trinkspruch auf seine Krieger teilte die Welt säuberlich in und , oder wohl eher und  – ein prägnanter Einblick in seine kämpferische Sicht auf die Welt.

Homer war ein Schürzenjäger, und er machte keinen Hehl daraus. Es gehörte zu seiner umfassenden, in den Augen mancher entwaffnenden, für andere abstoßenden Selbstverherrlichung. Seine Freunde fanden, dass Homers unverhohlene Fixierung auf Frauen exakt zu seinem lauten, nasalen Oberschichtakzent, den lauten, teuren Klamotten – »bei ihm sehen die zur Abwechslung mal gut aus«, urteilte Carrie Donovan in  – und zu seinem Faible für kubanische Zigarren und Mercedes-Cabrios passte. Es hatte Jahre gedauert, ehe sich Homer nach dem Krieg ein deutsches Auto leisten konnte, und seine Vorliebe für Luxus und Protzerei siegte am Ende über jegliche Reste historischer oder religiöser Gewissensbisse. Homer verströmte eine Art anachronistischen, deutsch-jüdischen New Yorker Kavaliersadel, der nur leicht aufgetragen war. Er hatte ihn von seinem Vater geerbt, dem Enkel eines Holzmagnaten, der im Westen ein Vermögen gemacht hatte, als die transkontinentale Eisenbahn Wagenladungen voller Schwellen verschlang. Allerdings war das lange her. Nach drei Generationen Nehmen ohne Geben waren die Truhen des Stern-Clans nicht annähernd mehr so gut gefüllt. Wie bei vielen, die von ererbtem Reichtum lebten, hatte auch Homers Vorstellung von dem, was Geld wert war, nicht mit der Inflation Schritt gehalten. Er war berühmt für sein mickriges Trinkgeld.

Homer kultivierte eine , die ihn wohlhabender aussehen ließ, als er in Wirklichkeit war. Seinem Sohn Plato hatte er einmal erklärt, wenn man reich aussähe, könne man seine Rechnungen einfacher liegen lassen; der Drucker seines Vertrauens, Sonny Lenzner, glaubte eben immer, Homer würde schon bezahlen, wenn es ihm wieder einfiele. Seine Frau Iphigene Abrams, ihres Zeichens Erbin eines angegrauten Newarker Kaufhausvermögens, schrieb später nicht ohne Bewunderung (ihre mit einundzwanzig Jahren geschlossene Ehe war nur fast arrangiert, und sie blieben dreiundsechzig Jahre durch dick und dünn zusammen): »Homer balancierte für sein Leben gern auf einem Seil über dem Abgrund.« In den Siebzigern und Achtzigern veröffentlichte Iphigene eine Reihe neo-proustianischer Erinnerungsromane, die hochgeschätzt wurden, jedenfalls von manchen. Viele spotteten über ihre Blaustrumpfallüren aus der Ära Eduards VII. (wehender Chiffon und Gartenhüte oder Jodhpurs und Gerte), mit denen sie stolz ihren Anachronismus zur Schau trug. Iphigene schien das perfekte Gegenstück zu Homers jüdischem Mafiosigehabe zu sein. Sie waren ein ziemlich eigenes Paar.

Stern gehörte zu den letzten unabhängigen »Gentleman«-Verlegern, jenen Sprösslingen größerer oder kleinerer Magnaten der industriellen Revolution, die den kläglichen Rest ihrer Erbschaft in etwas investieren wollten, das Spaß brachte und vielleicht sogar irgendwie relevant war. Seinem Studium gleich nach dem Krieg (er hatte einige Institutionen mit stetig schwindender Ernsthaftigkeit besucht und es jedes Mal geschafft, kurz vor dem Abschluss rausgeworfen zu werden) folgte ein kurzer Ausflug in die PR-Abteilung der Army, wo er versuchte, einer konfliktmüden Öffentlichkeit mit Jingles und Plakaten Rekruten abzugewinnen. Unterwegs legte er sich eine Vorliebe für wortreich ausgeschmückte Gotteslästerung zu, was zusammen mit dem Jiddischen, das er später aufschnappte, als er und Iphigene sich für ihre jüdischen Wurzeln zu interessieren begannen, ein fabelhaft idiomatisches Gulasch ergab.

Als sich Homer in den düsteren fünfziger Jahren daran machte, mit Heyden Vanderpoel, seinem reichen, aus alteingesessener protestantischer Familie stammenden Tennispartner einen Verlag zu gründen, lud er einen Dritten ein, Frank Purcell – »wie der Komponist«, pflegte dieser zu sagen, damit niemand aus Versehen die letzte Silbe betonte. Frank war ein älterer, einst sehr angesehener Lektor, den man einfach vor die Tür gesetzt hatte, während er in Korea diente. Schließlich aber erhob Vanderpoels Mutter Einwände dagegen, dass ihr Sohn seinen makellosen Namen mit dem eines Juden verbinden wollte, und weil Heyden ohnehin keine Lust auf Büromaloche hatte, blieben Homer und Frank übrig: Stern & Purcell. Oder Purcell & Stern, wie Frank es durchsetzte. Sie legten los und warteten, dass etwas geschah.

Und irgendwann geschah auch etwas. Eine Weile stolperte das junge Unternehmen mit eher zufälligen Bestsellern voran: Ernährungsbibeln, die gesammelten Reden irgendwelcher Gouverneure oder Minister – nicht vergessen, das waren die fünfziger Jahre. Gelegentlich war auch ein anspruchsvoller ausländischer Roman darunter, meist auf Empfehlung von Homers europäischen Scouts, Kameraden aus Armeezeiten, die jetzt, wie man hinter vorgehaltener Hand flüsterte, als CIA-Geheimagenten arbeiteten. Erst Mitte der Sechziger, nachdem Homer als neuen Mitarbeiter den französischen Emigranten Georges Savoy gewinnen konnte, der nicht nur ein Gespür für gute Texte, sondern aus seiner fruchtbaren, wenn auch turbulenten Zeit bei Owl House eine gut bestückte Autorenriege mitbrachte, lief Purcell & Stern zu Hochform auf. Die fast alchimistische Verbindung von Georges’ Kontakten und seinem Feinsinn mit Homers Geschäftstüchtigkeit, mal abgesehen von der Arbeit einer Handvoll junger Angestellter, die für einen miserablen Lohn zwölf bis vierzehn Stunden pro Tag schufteten, allein für das Privileg, mit wahrer Geistesgröße assoziiert zu werden, ließen P&S zu einer ernstzunehmenden Größe in der Verlagswelt werden, einer Art Torpedo der Originalität.

Zu denjenigen, die im Verlag Akzente setzten, gehörte neben der hitzköpfigen und mit allen Tabus brechenden afroamerikanischen Kritikerin und Romanautorin Pepita Erskine auch der pedantische Iain Spofford, Vertreter des Neuen Journalismus und Hauptakteur bei einer Zeitschrift, die sich kurz zuvor als Amerikas neues Kulturwochenmagazin etabliert hatte: der , auch bekannt als . Es gehörten ebenso dazu die Prinzessin des frostigen Sonetts, Elspeth Adams, der elitär-kultivierte Romanautor Winthrop Winslow und der subtil-subversive Literaturkritiker und Akademiker Giovanni Di Lorenzo. Sie alle waren Teil einer etablierten Generation von Literaten, die Homer und Georges begabte jüngere Autoren vorstellten, darunter drei später mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Dichter, die Homer seine drei Asse nannte.

Und es gab Thor Foxx. Thornton Jefferson Foxx, der gar nicht so gute alte Junge aus den Wäldern von Tennessee – Kinnbart wie Colonel Sanders, Flüche wie ein Trucker –, dessen respektlose Art, das prätentiöse Literatentum der New Yorker zu entlarven, ihm in den mit Prätention überschäumenden Straßenschluchten von Gotham sofortigen Ruhm eingebracht hatte. Thor und Pepita waren wie Feuer und Wasser. Nur Homer und Iphigenes irgendwie an Fred und Ginger erinnerndes tänzelndes Gesellschaftsgeschick sorgte dafür, dass die beiden Stars der P&S-Autorenriege gleichzeitig auf den berühmten Townhouse-Partys der Sterns in der East Eighty-third Street auftauchen konnten, ohne sich in die Arme zu laufen.

P&S wurde in Verlegerkreisen überraschend schnell zu einer Legende. Damit begannen auch die Schwierigkeiten zwischen Homer und Sterling Wainwright. Homers Verlag galt als der kleinste, chaotischste und »literarischste« der »größeren« Verlage, während Wainwrights Impetus Editions, trotz seines einflussreichen kulturellen Gewichts (man muss fairerweise anmerken, dass Sterling zehn Jahre Vorsprung hatte) als der größte und anerkannteste der kleinen Verlage galt, was eine komplett andere Ausgangslage war. Homer knauserte ordentlich bei Vorschüssen, aber bei Impetus ging es noch bescheidener zu – sehr, sehr viel bescheidener. Trotzdem gab es viele thematische Überschneidungen. Als der jüdisch-amerikanische Schriftsteller Byron Hummock nach seinem preisgekrönten Kurzgeschichtenband , jung und eingebildet wie er war, Impetus Editions verließ und zu P&S ging, markierte das den Beginn eines Krieges, der nie enden würde.

Wainwright, aus Ohio stammend, war durch und durch ein Repräsentant der weißen protestantischen Oberschicht, dessen Erbschaft (Kugellager) Sterns um ein Zehnfaches übertraf (manche sagen, um viel mehr). Er sah in Homer einen ungehobelten Opportunisten, einen Grobian, der nicht zu seinem Wort stand, was der Standardvorwurf von Leuten war, die im Geplänkel des Geschäftslebens zu unterliegen drohten. Homer wiederum verhöhnte Sterling als verwöhnten Playboy, der seinen belletristischen Neigungen ohne den kleinsten Funken Grips oder Geschäftssinn nachging. Was ein wenig heikel war, wenn man Homers eigene Geschichte bedenkt. Nein, das Problem lag nicht in dem, was Sterling und Homer trennte, eher in ihrer großen Ähnlichkeit. Beide waren wohlhabende, gutaussehende Charmeure mit einem Riecher für erstklassige Autoren. Man hätte meinen können, sie müssten eigentlich beste Freunde...


Wolf, Uljana
Uljana Wolf, geboren 1979 in Berlin, lebt zurzeit als Lyrikerin, Übersetzerin und Dozentin in Berlin und New York. Ihre Gedichte wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Peter-Huchel-Preis 2006, dem Erlangener Preis für Poesie als Übersetzung 2015 und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis 2016.

Galassi, Jonathan
Jonathan Galassi ist Verleger des New Yorker Verlags Farrar, Straus and Giroux. Als Lektor entdeckte er Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides, als Übersetzer übertrug er Eugenio Montale und Giacomo Leopardi. Er veröffentlichte drei Lyrikbände, schreibt für 'The New York Review of Books' und lebt in New York City. ›Die Muse‹ ist sein erster Roman.

Jonathan GalassiJonathan Galassi ist Verleger des New Yorker Verlags Farrar, Straus and Giroux. Als Lektor entdeckte er Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides, als Übersetzer übertrug er Eugenio Montale und Giacomo Leopardi. Er veröffentlichte drei Lyrikbände, schreibt für 'The New York Review of Books' und lebt in New York City. ›Die Muse‹ ist sein erster Roman.
Uljana WolfUljana Wolf, geboren 1979 in Berlin, lebt zurzeit als Lyrikerin, Übersetzerin und Dozentin in Berlin und New York. Ihre Gedichte wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Peter-Huchel-Preis 2006, dem Erlangener Preis für Poesie als Übersetzung 2015 und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis 2016.

Jonathan Galassi ist Verleger des New Yorker Verlags Farrar, Straus and Giroux. Als Lektor entdeckte er Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides, als Übersetzer übertrug er Eugenio Montale und Giacomo Leopardi. Er veröffentlichte drei Lyrikbände, schreibt für »The New York Review of Books« und lebt in New York City. ›Die Muse‹ ist sein erster Roman.
Uljana Wolf, geboren 1979 in Berlin, lebt zurzeit als Lyrikerin, Übersetzerin und Dozentin in Berlin und New York. Ihre Gedichte wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Peter-Huchel-Preis 2006, dem Erlangener Preis für Poesie als Übersetzung 2015 und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis 2016. Zusammen mit der Autorin Kim Hyesoon und dem Übersetzer Sool Park wurde Uljana Wolf für den Lyrikband »Autobiographie des Todes« mit dem Internationalen Literaturpreis 2025 des HKW Berlin ausgezeichnet.



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