Gaiman | Das Graveyard Buch | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

Gaiman Das Graveyard Buch


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-401-80051-6
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

ISBN: 978-3-401-80051-6
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nobody Owens ist ein eher unauffälliger Junge. Nobody lebt auf dem Friedhof, liebevoll erzogen und behütet von den Geistern und Untoten, die dort zu Hause sind. Doch der tödliche Feind, vor dem der kleine Bod einst auf den Friedhof floh, ruht nicht. Er wartet auf den Tag, an dem Bod sein Zuhause verlassen wird, um zurückzukehren in die Welt der Lebenden. Wer wird Nobody dann noch beschützen?
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Kapitel eins

Wie Nobody auf den Friedhof kam


Eine Hand in der Dunkelheit, darin ein Messer. Das Messer hatte einen Griff aus poliertem schwarzem Knochen und eine Klinge, feiner und schärfer als jede Rasierklinge. Das Opfer, in das sie eindrang, spürte den Schnitt gar nicht, jedenfalls nicht sofort. Das Messer hatte schon fast alles erledigt, weswegen es in dieses Haus gekommen war. Klinge und Griff waren feucht davon. Die Haustür, durch die das Messer und der Mann, der es in der Hand hielt, eingedrungen waren, stand noch einen Spaltbreit offen. Nächtliche Nebelschwaden wanden sich ins Innere des Hauses. Der Mann namens Jack blieb einen Augenblick auf dem Treppenabsatz stehen. Mit der linken Hand zog er ein weißes Taschentuch aus seinem schwarzen Mantel und wischte damit das Messer und die behandschuhte Rechte, die das Messer hielt, säuberlich ab. Dann steckte er das Taschentuch wieder ein. Die Jagd war fast vorbei. Die Frau hatte er im Bett liegen lassen, den Mann auf dem Schlafzimmerboden, das ältere Kind in seinem hellen, farbenfrohen Zimmer zwischen Spielzeug und halb fertigen Basteleien. Nun stand noch das Jüngste auf der Liste, fast noch ein Baby, das gerade laufen lernte. Danach wäre die Arbeit getan. Er streckte die Finger. Der Mann namens Jack war schließlich ein Profi, zumindest behauptete er das von sich, und ein Lächeln würde er sich erst gönnen, wenn sein Werk getan war. Seine Haare waren dunkel und seine Augen waren dunkel und er trug schwarze Handschuhe aus feinstem Schafsleder. Das Zimmer des Kleinen befand sich oben unter dem Dach. Jack stieg die Treppe hinauf, seine Schritte geräuschlos auf dem Teppichboden. Oben öffnete er die Tür zur Mansarde und ging hinein. Seine schwarzen Lederschuhe glänzten wie schwarze Spiegel; der Schein des Halbmondes glitzerte darin, so blank geputzt waren sie. Der wirkliche Mond schien durch das Flügelfenster. Nebel dämpfte den Schein, doch der Mann namens Jack brauchte nicht viel Licht. Für ihn reichte es. Er konnte die Silhouette des Kindes im Bettchen ausmachen, Kopf, Rumpf und Gliedmaßen. Das Bettchen hatte hohe Seitengitter, damit das Kind nicht herausklettern konnte. Der Mann namens Jack beugte sich über das Bett, hob die rechte Hand – die mit dem Messer – und er richtete es auf die Brust... und ließ sie wieder sinken. Die Gestalt im Bettchen war ein Plüschbär. Es war kein Kind da. Jacks Augen hatten sich an das fahle Mondlicht gewöhnt, daher hatte er nicht das Bedürfnis, das elektrische Licht einzuschalten. Licht war nicht so wichtig, er hatte andere Fähigkeiten.

Jack hob witternd die Nase. Er achtete nicht auf die Gerüche, die er mit ins Zimmer gebracht hatte, er hielt sich nicht auf mit denen, die hier ohne Bedeutung waren, er konzentrierte sich auf den Geruch, der ihn hierhergeführt hatte. Er roch das Kind, einen milchigen Duft wie Schokoladenkekse, und er roch den stechenden Geruch einer nassen Wegwerfwindel. Er roch auch das Babyshampoo im Haar des Kindes und noch etwas aus Gummi, das es bei sich hatte, ein Spielzeug, dachte er und dann nein, etwas zum Nuckeln. Das Kind war bis vor Kurzem noch hier gewesen, doch jetzt war es nicht mehr hier. Jack folgte seiner Nase, ging die Treppe hinunter durch das hohe, schmale Haus. Er schaute ins Bad, in die Küche, in den Wäschetrockenschrank und gelangte schließlich in die Diele, wo außer den Fahrrädern der Familie, ein paar leeren Einkaufstaschen und einer herumliegenden Windel nur Nebelschwaden zu sehen waren, die sich durch die offene Haustür hereingestohlen hatten. Der Mann namens Jack gab einen Laut von sich, ein Grunzen, das Enttäuschung ausdrückte und auch Befriedigung. Er steckte das Messer wieder in die Scheide in der Innentasche seines Mantels und trat hinaus auf die Straße. Draußen verband sich das Mondlicht mit dem Schein der Straßenlaternen, doch der Nebel hüllte alles ein, dämpfte die Geräusche und machte die Nacht unheimlich. Er schaute hinunter auf die Lichter der geschlossenen Läden, dann die Straße hinauf, wo die letzten Häuser standen, ehe das Dunkel des alten Friedhofs begann.

Der Mann namens Jack sog schnüffelnd die Luft ein. Dann lenkte er seine Schritte ohne Hast den Hügel hinauf.

Seit das Kind laufen konnte, machte es seinen Eltern ebenso viel Freude wie Kummer, denn dieser Junge konnte klettern wie kein zweiter, sich an unmöglichen Orten verstecken und plötzlich wieder auftauchen. In dieser Nacht hatte ihn ein Geräusch aus dem Zimmer unter ihm geweckt, etwas war krachend zu Boden gefallen. Einmal wach, langweilte er sich schon bald und überlegte, wie er aus seinem Bettchen hinauskommen könnte. Es war vergittert so wie der Laufstall unten in der Wohnung, aber er war sicher, dass er trotzdem hinausklettern konnte. Er brauchte nur eine Stufe... Er setzte seinen großen honigfarbenen Plüschbären in eine Ecke des Bettchens, umklammerte die Gitterstäbe mit seinen kleinen Händen, setzte einen Fuß auf den Bauch des Bären, den anderen auf den Kopf, zog sich hoch, bis er stand, und kugelte mehr, als er kletterte, über das Seitengitter aus dem Bettchen. Mit einem dumpfen Laut landete er in dem Haufen aus Spielzeug und Plüschtieren: Ein paar hatte er zu seinem ersten Geburtstag (vor noch nicht einmal einem halben Jahr) bekommen, ein paar hatte er von seiner älteren Schwester geerbt. Er war überrascht, als er auf dem Boden aufschlug, aber er weinte nicht. Wenn man weinte, kamen die Erwachsenen und steckten einen wieder ins Bett. Er krabbelte aus dem Zimmer.

Der Weg die Treppe hinauf war schwierig und gefährlich, das beherrschte er noch nicht so gut. Aber hinunter ging es ziemlich leicht, wie er herausgefunden hatte. Er rutschte auf seinem gut gepolsterten Hosenboden von Stufe zu Stufe hinunter. Er nuckelte an seinem Lulli, sein Schnuller, von dem seine Mutter seit Neuestem behauptete, dass er eigentlich zu groß sei dafür. Bei seiner Reise treppab auf dem Popo hatte sich die Windel gelöst, und als er auf der letzten Stufe angekommen war und sich in der kleinen Diele aufrichtete, fiel sie herunter. Er trat aus der Windel heraus. Er hatte nichts als sein Nachthemdchen an. Die Treppe hinauf zu seinem Zimmer und zu seiner Familie war steil und abschreckend, aber die Tür hinaus auf die Straße stand einladend offen. Zögernd setzte der kleine Junge den Fuß nach draußen. Der Nebel hüllte ihn ein wie ein lang vermisster Freund. Anfangs noch unsicher, dann immer schneller und zuversichtlicher stapfte er den Hügel hinauf.

Weiter oben lichtete sich der Nebel. Das Licht des Halbmonds war nicht so hell wie das Tageslicht, beileibe nicht, aber man konnte den Friedhof doch gut erkennen. Da. Da stand die verlassene Friedhofskapelle mit den verriegelten Türen und dem mit Efeu bewachsenen Turm. Aus der Dachrinne, auf Höhe des Daches, wuchs ein kleiner Baum.

Ringsum Grabsteine, Grüfte und Gedenktafeln. Und hin und wieder lugte ein Kaninchen, eine Wühlmaus oder ein Wiesel aus dem Gebüsch und huschte über den Weg. All das hätte ein nächtlicher Beobachter im Mondlicht erkennen können. Freilich hätte er nicht die blasse, rundliche Frau gesehen, die unweit der Eingangspforte vorbeiging, und wenn er doch genauer hingeschaut hätte, dann hätte er erkannt, dass sie nur aus Mondschein, Nebel und Schatten bestand. Und doch gab es diese blasse rundliche Frau und sie war auf dem Weg zu einer Ansammlung halb zerfallener Grabsteine nahe der Eingangspforte. Die Pforte war verschlossen, im Winter ab vier Uhr nachmittags, im Sommer ab acht Uhr abends. Der Friedhof war auf einer Seite durch ein mit Spitzen bewehrtes Eisengitter geschützt und an den anderen Seiten von einer hohen Ziegelmauer umschlossen. Die Stäbe des Eisengitters waren so eng, dass kein Erwachsener, ja nicht einmal ein zehnjähriges Kind sich hätte durchzwängen können. »Owens!«, rief die blasse Frau mit einer Stimme wie das Säuseln des Windes im hohen Gras. »Owens! Schau doch mal!« Sie bückte sich und betrachtete etwas auf dem Boden. Kurz darauf tauchte eine schattenhafte Gestalt im Mondschein auf, die sich als ein grauhaariger Mann in den Vierzigern herausstellte. Er schaute in dieselbe Richtung wie seine Frau, und als er sah, was sie gerade betrachtete, kratzte er sich am Kopf.

»Gnädige Frau«, begann er, denn er stammte aus einer Zeit, als Höflichkeit noch etwas galt, »ist das wirklich das, wofür ich es halte?« Im selben Augenblick musste das Wesen, das er gerade kritisch beäugte, wohl Mrs Owens erblickt haben, denn es öffnete den Mund, ließ den Schnuller herausfallen und streckte ein kleines Patschhändchen aus, als wollte es unbedingt Mrs Owens blassen Finger packen. »Ich fress einen Besen, wenn das kein Baby ist«, entfuhr es Mr Owens. »Natürlich ist das ein Baby«, sagte seine Frau. »Aber die Frage ist doch, was machen wir mit ihm?« »Das ist in der Tat die Frage, gnädige Frau«, sagte ihr Gatte. »Aber es ist nicht unsere Frage, denn dieses Baby leibt und lebt und hat folglich nichts mit uns und unserer Welt zu tun.« »Schau doch nur, wie es lächelt!«, sagte Mrs Owens. »So ein süßes Lächeln.« Und mit Geisterhand strich sie ihm über das spärliche blonde Haar. Der kleine Junge kicherte vor Freude. Eine kühle Brise ging durch den Friedhof und zerteilte den Nebel hügelab (denn der Friedhof dehnte sich über die ganze Anhöhe und seine schmalen Wege zogen sich den ganzen Hang hinauf und wieder hinunter). Plötzlich rasselte es. Jemand musste am Gitter der Eingangspforte mit dem Vorhängeschloss und der Kette rütteln. »Das ist bestimmt jemand von der Familie des Babys«, sagte Owens....


Neil Gaiman, 1960 in Portland (England) geboren, arbeitete zunächst in London als Journalist und wurde durch seine Comic-Serie „Der Sandmann“ bekannt. Im „Dictionary of Literary Biography“ wird er als einer der wichtigsten lebenden Autoren der Postmoderne aufgeführt – in England und den USA ist Neil Gaiman längst ein Superstar. Seine Romane und Comics sind mit zahlreichen Awards ausgezeichnet worden, u.a. mit dem World Fantasy Award und der Newbery Medal. Er lebt seit einigen Jahren mit seiner Familie in den USA.Foto © Sophia Quach



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