E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten
Reihe: Busfahrerin Hendrike Blank
Gabriel Eingesargt in Mitte
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8392-6096-8
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten
Reihe: Busfahrerin Hendrike Blank
ISBN: 978-3-8392-6096-8
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Hendrike Blank, Berlinerin mit Herz und Schnauze, arbeitet als Busfahrerin und Hausentstörerin, obwohl sie nicht an Geister glaubt. Ihre Überzeugung gerät jedoch zunehmend ins Wanken. Gerade ist sie nach ihrer Scheidung wieder etwas zur Ruhe gekommen, als ihr ein Mann mit zweifelhaftem Interesse an ihrem verstorbenen Vater auflauert. Und als sie in Mitte ein Haus von Geistern befreien soll, stolpert sie auch noch über Leichen. Hängen die mysteriösen Vorfälle zusammen? Fieberhaft sucht Hendrike nach einer logischen Erklärung …
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Prolog
Selbst in der Nacht kühlte es kaum ab, obwohl sie das Schlafzimmerfenster gekippt hatte. Die Schwüle drückte wie ein Alb auf ihre Brust und erschwerte ihr das Atmen. Halb in der REM-Phase gefangen, strampelte Hendrike Blank die Bettdecke weg, um dem Nachtmahr zu entkommen. Ein leichter Luftzug streifte ihr dünnes Nachthemd. Sie drehte sich auf den Rücken. Der Albtraum blieb. Ihre Großmutter tritt mit verzerrtem Gesicht auf sie zu. Sie wirkt gebrechlich. Doch sie ist nicht sanft wie zu Lebzeiten, sondern beängstigend. »Du hast die Gene«, krächzt sie mit verzerrtem Gesicht. »Nutze sie, ignoriere die Geister nicht, du Ungläubige!« Und plötzlich ist Hendrike wieder das kleine Mädchen von einst aus dem Dorf in Niedersachsen, das weint, nicht versteht, warum ihre Lieblingsoma sie bedroht. Sie will sie besänftigen, die Großmutter umarmen, wie damals als Kind in ihrer menschlichen Wärme versinken. Plötzlich zückt Amalia Blank etwas Schwarzes, Dunkles. Das Mädchen vermutet eine Waffe und will wegrennen. Doch ihre Beine, schwer wie Blei, verweigern den Dienst … Hendrike schreckte hoch. Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich bewusst wurde, dass sie kein Kind mehr war, sondern eine erwachsene Frau von 46 Jahren, und bis sie wusste, wo sie sich befand. Amalia Blank war ihrer Enkelin nicht zum ersten Mal im Traum erschienen. Doch seit Hendrike sich entschieden hatte, ihr Erbe anzutreten und als Geisterjägerin zu arbeiten, war sie ferngeblieben. Bis jetzt. Im Gegensatz zu ihrer Großmutter zog Hendrike die Bezeichnung »Hausentstörerin« vor. Denn sie glaubte weder an Albe noch an Geister noch an Spiritismus, ganz wie ihr Vater. Trotzdem arbeitete sie ehrenamtlich in diesem Metier, und das lag nicht nur daran, dass ihre Großmutter sie sonst im Schlaf heimsuchte. Geister oder Erscheinungen, die sich ihrem Aufgabenbereich zuordnen ließen, waren ihr bei ihren bisherigen fünf Einsätzen noch nie begegnet. Immer steckten natürliche Ursachen hinter den Phänomenen. Und immer konnte sie deshalb ihre Auftraggeber beruhigt zurücklassen. Das bestätigte Hendrike in ihren Überzeugungen. Die Großmutter, nach der sie mit zweitem Vornamen benannt war, hatte sie zudem gelehrt, dass es als Hilfe oft schon reichte, die Menschen mit ihren Ängsten ernst zu nehmen. Damit konnte sie sich arrangieren. Hendrike lag nun hellwach im Bett und dachte über ihre Familie und ihre sonderliche Großmutter nach. Für Amalia Blank waren Geister so real gewesen wie ihr Wohnzimmertisch, hatten völlig selbstverständlich zum Leben gehört. Von nah und fern waren die Menschen zu ihr gepilgert, um sich beraten zu lassen. Ihr Sohn, Kurt Blank, Hendrikes Vater, hatte sich immer über den unverbrüchlichen Gespensterglauben seiner Mutter lustig gemacht und seine Tochter damit in einen Zwiespalt der Gefühle gestürzt. Hendrike hatte ihre Oma innig geliebt, die Frau mit dem weichen Busen, die immer für sie da gewesen war. Sie liebte aber auch ihren Vater, den Helden ihrer frühen Jahre, den seine Töchter nur den »King« nannten. Weil er sich gegenüber seiner Familie wie ein Alleinherrscher gebärdete und weil er Elvis-Fan war. Doch dann war der Held vom Sockel gestürzt, als er die Oma tätlich angegriffen hatte. Heldenväter taten so etwas nicht. Hendrike war damals fünf Jahre alt gewesen. Amalia Blank hatte ihrer Enkelin die Zweifel nie übel genommen, sondern ihr eingeimpft: Diffuse Ängste ohne klaren Grund, diese beklemmenden Emotionen, die sich nicht vertreiben lassen, können die Wahrnehmung verändern, die Realität verzerren. Hendrike wusste aus eigener Erfahrung, welchen Seelenstress das Gefühl der Machtlosigkeit, des Ausgeliefertseins, auslösen konnte. Wo möglich, stellte sie sich ihren Ängsten, um zu verhindern, dass diese die Kontrolle über sie gewannen. Eigentlich bemühte sie sich darum, sie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Im Zweifel wurden sie verdrängt, was aus Hendrikes Sicht einiges für sich hatte. »Man kann sich auch zu viel mit sich selbst beschäftigen«, hatte ihre verstorbene Mutter stets gesagt. Daran orientierte Hendrike sich bis heute. Sie hatte sowieso keine Zeit, über womöglich unnötige Sorgen nachzudenken. Ihr Alltag war eng getaktet wie bei den meisten berufstätigen alleinerziehenden Müttern. Sie war zufrieden mit ihrer Arbeit als Busfahrerin, auch wenn ihr beruflicher Werdegang anders geplant gewesen war. Sie hatte in den 1990er-Jahren studiert, zunächst Soziologie, dann Politik und Geschichte an der Freien Universität Berlin, doch nach vier Semestern war sie zu den Erziehungswissenschaftlern gewechselt. Erste Einsätze in der Sozialarbeit hatten Hendrike allerdings schnell klargemacht: Die dunklen Seiten der Berliner Jugendszene waren nicht ihr Ding. Aus der Hauptstadt weg irgendwo in die Pampa ziehen wollte sie nicht. Also hatte sie Studium Studium sein lassen und war Busfahrerin bei den Berliner Verkehrsbetrieben geworden, kurz BVG. Hendrike musste seufzen, als sie an den folgenden Arbeitstag dachte. Auch da menschelte es ab und an gewaltig. Zum Glück bot ihr Job eine gewisse Flexibilität. Der Familie wegen fuhr sie im Nebenturnus. Dadurch konnte sie im geteilten Dienst arbeiten und musste nicht wie im Hauptturnus acht Stunden am Stück sitzen. Die erste Hälfte ihrer Arbeitszeit absolvierte sie morgens und die zweite nach einigen Stunden Pause. Außerdem hatte sie die meisten Wochenenden frei und für ihre Töchter Zeit. Busfahren bei der BVG bedeutete allerdings auch Schichtbetrieb, was hieß: kein regelmäßiger Rhythmus, deshalb selten ungestörtes Durchschlafen. Mal Tagdienst, mal Spätdienst oder Übergangsdienst. Oder Frühdienst, der mitunter um 2.30 Uhr losgehen konnte. Die derzeit herrschenden Tropennächte verstärkten Hendrikes Schlafstörungen. Tag für Tag heizte die Sonne die Stadt auf, die Mauern, die Straßen. In der Nacht wurde es selten kühler als 25 Grad. Es hatte seit April nur einige Tropfen geregnet. Die Wiesen Berlins begannen, sich in braune Steppen zu verwandeln, die Blätter der Bäume zeigten erste Anzeichen von Hitzestress … Ja, dachte Hendrike nicht ohne einen Anflug von Stolz, ihr Job war kein Beruf für Weicheier und zarte Seelchen. Und nichts für Leute ohne Affinität zu Motoren und Technik, die sich davor scheuten, sich die Hände schmutzig zu machen. Was ihr am Busfahren aber vor allem gefiel, waren die Menschen, denen sie begegnete. Meistens jedenfalls. Auch die Kollegen, die aus aller Herren Länder stammten, lagen ihr am Herzen, schade war allerdings, dass sich darunter wenige Frauen befanden. Und manchmal schickte das Arbeitsamt Leute zur BVG, die den Job recht widerwillig und nicht wie sie aus Überzeugung machten. Hendrikes Affinität galt allerdings nicht nur Autos, sondern auch noch anderen technischen und elektronischen Spielereien, die für sie eigentlich zu teuer waren. Doch das focht sie nicht an. Immerhin rauchte und trank sie ja nicht, jedenfalls kaum, schon aus beruflichen Gründen. Zudem hatte sie gelernt, mit Widersprüchen zu leben, insbesondere mit den eigenen. Es blieb ihr auch nichts anderes übrig, denn Kopf und Herz waren bei ihr selten einer Meinung. Deswegen tat sie sich auch schwer mit Entscheidungen. Doch wenn sie nicht groß darüber nachdachte, tröstete sie sich, konnte das durchaus auch mal schnell gehen. Sie war eben eine Optimistin mit einem Sinn für Realität, dachte Hendrike und schmunzelte. Sie widersprach energisch allen Behauptungen, insbesondere denen ihrer großen Schwester Emma, eine unbeirrbare Weltverbesserin und deswegen notorisch blank zu sein. Ja, sie habe Empathie und Fantasie, entgegnete sie gerne in solchen Momenten, aber sie war auch pragmatisch und ausschließlich aufgrund widriger Umstände notorisch pleite. Blank lautete nur ihr Name. Wie Emmas ja übrigens auch. Trotz ihrer guten Einkünfte. Emma hörte das nicht gern. Hendrikes Schwester lebte als Single in Hamburg. Toplage. 120 Quadratmeter mit Gartenanteil. Sie hatte Karriere als Wirtschaftsconsultant gemacht und reiste viel durch die Weltgeschichte. Hendrike hatte meist keine Ahnung, wo ihre Schwester gerade steckte. Aber wozu gab es die Instant-Messenger-Dienste. Hendrike und ihre Töchter hingegen bewohnten seit Jahren eine Dreizimmerwohnung in Berlin-Charlottenburg. 72 Quadratmeter, eigentlich viel zu teuer für ihr Einkommen. Immerhin, der Eigentümer war nett und erhöhte die Miete nur selten. Und sie hatte ihr eigenes Reich, weit weg von dem Vater ihrer Kinder. Hendrike musste schnauben. Sie beharrte ja gerne darauf, dass sie sich nicht mehr erklären könne, weshalb sie als Studentin den zehn Jahre älteren Klaus Kunz geheiratet hatte. Sie nannte ihn bis heute nur Kunz. Hendrike fand Kosenamen peinlich. Kunz hatte bei ihr damals in seiner Rolle als Intellektueller aus kleinen Verhältnissen, der unter einer verlorenen großen Liebe leidet, gepunktet. Hendrikes Beschützerinstinkte waren sofort geweckt. Wenn es drauf ankam, stand sie nun mal zuverlässig auf der Seite der Schwachen. Ein »sozialer Tick« sei das, hatte ihr Vater einmal gesagt. Die wenigen gemeinsamen Jahre mit Kunz waren von Trennungen und Wiederversöhnungen geprägt gewesen. Ihre Tochter Mina war dennoch geplant gewesen, Nina wurde neun Monate nach einer leidenschaftlichen Nacht der Versöhnung geboren. Hendrike hatte anfangs gehofft, ihren Mann mit einem Kind zur Übernahme von Verantwortung zu bewegen und dauerhaft auf den rechten Weg zurückzuführen, in diesem Fall den des Gesetzes. Vergeblich. Mina und Nina waren inzwischen 14 und zwölf Jahre alt und pubertierten. Ihr Erzeuger hatte sich nach diversen Betrügereien vor zehn Jahren zum ersten von mehreren Knastaufenthalten...