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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 17, 192 Seiten

Reihe: Es geschah in Berlin...

Gabriel Beutezug

Kappes 17. Fall. Kriminalroman (Es geschah in Berlin 1942)
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95552-016-8
Verlag: Jaron
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kappes 17. Fall. Kriminalroman (Es geschah in Berlin 1942)

E-Book, Deutsch, Band 17, 192 Seiten

Reihe: Es geschah in Berlin...

ISBN: 978-3-95552-016-8
Verlag: Jaron
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Kommissar Hermann Kappe trifft im Mai 1942 seinen ehemaligen Schulfreund Traugott Lempel wieder und wird in dessen Büro bei Rheinmetall-Borsig Zeuge eines mysteriösen Todesfalls: Ein Mann stürzt plötzlich aus einem Fenster im dritten Stock. War es Suizid, Unfall oder Mord? Kappe nimmt sofort die Ermittlungen auf, wird aber bald von oben zurückgepfiffen. Doch er ahnt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Toten bei Borsig und dem Verschwinden eines jungen Mannes, um den Lempel sich sorgt. So ermittelt er weiter und stößt bald auf Belege für geheimnisvolle Geldtransaktionen seitens hoher NS-Funktionäre. Soll Kappe besser die Finger von allem lassen - oder die Wahrheit herauszufinden versuchen und sich damit selbst in Gefahr bringen? Es geschah in Berlin, der große Kettenroman um Kommissar Hermann Kappe, spiegelt in fiktiven Kriminalfällen das Berlin des 20. Jahrhunderts wider. Petra Gabriel führt den Leser im 17. Band in eine Zeit, in der die nationalsozialistischen Machthaber die Polizei weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht hatten und doch kleine Widerstandsgruppen immer wieder Zeichen setzen konnten gegen die Diktatur.

Petra Gabriel, geboren in Stuttgart, ist gelernte Hotelkauffrau, Dolmetscherin und Journalistin. Sie lebt als freiberufliche Autorin in Laufenburg und Berlin. 2001 wurde ihr erster Roman 'Zeit des Lavendels' veröffentlicht. Neben historischen Romanen schreibt sie Kurzgeschichten und Krimis. 2004 gründete sie das Internetmagazin 3land.info. 2010 erschien ihr Mystery-Roman 'Der Klang des Regenbogens', 2011 ihr sechster historischer Roman 'Die Köchin und der König'.
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KAPITEL EINS
in dem Kappe einen alten Schulkollegen wiedertrifft


JEDEN MOMENT musste er kommen. Traugott Lempel strich zum hundertsten Mal die dünnen Haare nach hinten und fingerte nach seiner Taschenuhr. Doch für seinen kräftigen Zeigefinger war das Uhrentäschchen einfach zu klein. Er hatte, gemessen an seiner hochgewachsenen und hageren Gestalt, breite, zupackende Hände, das Erbteil einer langen Kette von Fischern. Lempel schaute zur Sicherheit noch einmal in den Kalender, auf dessen Ledereinband in Goldprägung die Jahreszahl 1942 prangte. Ein Geschenk der Firmenleitung «für besondere Verdienste». Da stand es, schwarz auf weiß: 18. Mai, 15 Uhr, Kappe. Lempel gab den Kampf mit der Tasche auf, zog an der vergoldeten Kette, die an einem Knopfloch der Weste befestigt war, und die Taschenuhr flutschte heraus. Er klappte den Deckel auf und betrachtete die Zeiger. Es war 15.03 Uhr.

Er kam sich langsam albern vor. Wie ein Schuljunge, der seine erste Verabredung hat und auf das Mädchen wartet, das sich verspätet. Er erinnerte sich gut. Damals hatte er sich ähnlich gefühlt, mit diesem Kloß im Hals und diesem Druck in der Magengegend. Kommt sie, kommt sie nicht? Doch das jetzt war eine andere Art der Verabredung. Er seufzte und steckte das in tickende Rädchen und Goldgehäuse gegossene Symbol der verfließenden Zeit vorsichtig zurück. Es war ein besonders gutes Stück: das Geschenk seiner kürzlich verstorbenen Frau zur silbernen Hochzeit.

Ob Kappe überhaupt kam? Und ob er ihm trauen konnte? Trampe hatte behauptet, dass Kappe kein Hundertprozentiger sei.

Er müsste es wissen. Er kannte Kappe gut und schon lange - nämlich seit der als einfacher Wachtmeister nach Berlin gekommen war. Das musste nun über dreißig Jahre her sein. Also kannte er ihn weit besser als er selbst. Er selber war so etwas wie ein Schulfreund, allerdings zwei Klassenstufen unter Kappe. Damals in Wendisch Rietz. Er hatte ihn bewundert.

Dennoch, da blieb diese Frage. «Kappe ist nicht so einer», hatte Theodor Trampe vorgestern immer wieder betont. Hoffentlich stimmte es.

Per Zufall hatten Trampe und er vor einigen Wochen festgestellt, dass sie beide Kappe kannten. Der Elektriker führte hin und wieder Auftragsarbeiten bei Borsig aus. Und er hatte Kontakte zu den Widerständlern unter den Borsig-Arbeitern. Das wusste Lempel aus sicherer Quelle. Auch wenn er es eigentlich nicht wissen durfte. Nur deswegen hatte er es schließlich gewagt, ihn ein wenig über Kappe auszuhorchen. Was hatten sie gelacht, als sie über dessen Eigenheiten sprachen! Trampes erster Beitrag war: «Er hat noch immer ein rundes Kindergesicht.»

«Und noch immer diese Nase?»

«Ja, sie ist noch immer sein hervorstechendes Merkmal», hatte Trampe geantwortet.

Beide grinsten, wohl wissend, dass damit nicht nur die Größe des bemerkenswerten Kappe’schen Riechorgans gemeint war, sondern auch die Form. Es sah aus wie eine Knüppelkirsche.

Aber kannte Trampe seinen Freund Kappe wirklich gut genug? Wer bei der Mordkommission etwas werden wollte, der tat besser daran, ein strammes Parteimitglied zu sein. Oder zumindest so zu tun.

«Kappe ist nicht in der Partei», hatte Trampe mehrfach im Brustton der Überzeugung behauptet. «Das wüsste ich. Er versucht halt, irgendwie über die Runden zu kommen. Wie wir alle. Du kannst ihn ruhig ansprechen, wenn du ein Problem hast. Worum geht es denn? Soll ich vermitteln?»

Traugott Lempel hatte den Kopf geschüttelt. «Es ist besser, ich mache das selbst.»

«Aha.» Das war neben einem scharfen Blick Trampes einzige Reaktion gewesen.

War Kappe nun also ein Nazi oder nicht? Das war die alles entscheidende Frage. Er hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, wusste nicht einmal, ob sich Kappe überhaupt noch an ihn erinnerte. Damals in Wendisch Rietz wäre er so gerne dabei gewesen, wenn Kappe mit seinem besten Freund Gottfried Lubosch, genannt Liepe, am Scharmützelsee Karl May nachspielte. Doch sie hatten den Jüngeren ungern dabeihaben wollen. Zwei Jahre Altersunterschied waren viel, wenn man erst zehn war.

Manchmal hatte er die beiden heimlich beobachtet, wenn sie sich mit Hilfe von Schlamm und Entenfedern in Winnetou und Old Shatterhand verwandelt hatten. Sie waren Blutsbrüder, hatten alle Abenteuer nachgespielt, die Karl May in seinen über sechzig Büchern beschrieben hatte. Auch jene, die im wilden Kurdistan spielten. Das wusste er genau. Denn ab und zu, wenn sie einen Schurken brauchten, hatten sie ihm großmütig erlaubt mitzumischen.

Seine Aufgabe war es gewesen, sich ohne allzu große Gegenwehr an den Marterpfahl binden und übel beschimpfen zu lassen. Er hatte es hingenommen. Nur, um wenigstens manchmal dabei sein zu dürfen.

Lempel lächelte unwillkürlich, die Falten um seine graublauen Augen vertieften sich. «Hadschihalefomarbenhadschiabulabbasinbhadschidawudalsgossarah», murmelte er vor sich hin. Dann seufzte er zufrieden. Es gab Dinge, die verlernte man nicht. Noch immer konnte er den Namen aussprechen, ohne zwischendurch Luft zu holen. Als Junge hatte er sich feierlich geschworen, sobald wie möglich nach Amerika auszuwandern und Trapper zu werden.

Doch dann hatte das Leben die Regie übernommen. Er saß jetzt hier bei Borsig und bildete aus. Nach Amerika würde er wohl so schnell nicht mehr kommen. Im Januar hatten die Amerikaner den Deutschen den Krieg erklärt. Und selbst Karl May war entzaubert, seitdem Lempel wusste, dass der Führer einen seiner Romane auf dem Nachttisch liegen hatte.

Kann ich ihm trauen? Diese Frage kreiste unablässig in Traugott Lempels Kopf und hinderte ihn daran, sich die richtigen Sätze für den Besuch Kappes zurechtzulegen. Er musste erst einmal auf den Busch klopfen und durfte nicht zu viel preisgeben.

Wieder zog er die Uhr aus der Tasche und drehte am Knopf. Doch, sie war aufgezogen, sie tickte. Der Minutenzeiger hatte sich um gerade mal zwei Striche weiterbewegt. Es waren nicht mehr als 120 Sekunden vergangen seit dem letzten Blick.

Er wagte viel - besonders in seiner Stellung. Lempel steckte die Uhr ein weiteres Mal weg und starrte auf die aufgeschlagene Akte vor sich auf dem Schreibtisch, aber ohne wirklich zu erkennen, was auf den Papieren stand. Die Schrift verfloss zu schwarzen Linien. Ein Mädchenkopf mit dunkelblonden langen Zöpfen und furchtsam aufgerissenen, tränenumflorten blauen Augen schob sich zwischen ihn und den Text. Gudrun Damaschke hieß sie. Sie hatte nicht lockergelassen.

Wie viel sollte er Kappe erzählen? Er durfte das Mädchen keinesfalls in Gefahr bringen. Sie vertraute ihm. Ebenso wie Hans. Sonst hätte der Junge ihm nicht von diesen Unterlagen berichtet. Andererseits war Kappe keiner, der sich mit nichtssagenden Floskeln abspeisen ließ. Zumindest war er das damals nicht gewesen. Und so sehr veränderte sich ein Mensch nicht. Der Kern blieb ein Leben lang gleich, das hatte ihn seine Erfahrung gelehrt. Und wenn es so war, dann war Kappe kein Verräter. Und auch kein Denunziant. Trotzdem, je weniger er wusste, umso besser. Für alle Beteiligten - nicht zuletzt für Kappe selbst.

Oder hielt es Kappe doch mit den Nationalsozialisten, und Trampe wusste es nur nicht? Das war doch immerhin möglich. Schließlich war Trampe Sozialdemokrat. Zumindest war er einer gewesen, bevor die Sozis verboten worden waren. Das zeigte er zwar nicht offen, er wollte schließlich weiterhin Aufträge als Elektriker bekommen. Und Trampe war gut, arbeitete genau, zuverlässig und schnell, wenn es einmal irgendwo klemmte. Er war bei einer kleinen Firma in der Ritterstraße angestellt, doch er hatte bereits mehrere Stellenangebote von Borsig bekommen. Das Reich brauchte Leute wie diesen Theodor Trampe an der Heimatfront, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Die Maschinen mussten auf Hochtouren laufen, besonders in kriegswichtigen Betrieben wie Borsig. Doch Trampe zog es vor, bei seiner Klitsche zu bleiben. Er wusste wohl, warum. Vielleicht gab es ihm bei Borsig inzwischen zu viele stramme Nazis.

Hermann Kappe war nie ein Sozi gewesen, soweit Lempel in Erfahrung hatte bringen können. Das hatte der Freundschaft zwischen dem Kommissar und dem Elektriker aber offenbar keinen Abbruch getan.

Andererseits hatten sich in den letzten Jahren schon ganz andere von Mitläufern zu Überzeugungstätern gewandelt. Einfluss konnte Menschen verändern, verführen, denn das Böse besaß eine große Anziehungskraft. Als Kriminaler war es Kappes Geschäft, andere Leute zum Sprechen zu bringen und die Leichen zu finden, die sie im Keller hatten. Das gab ihm Macht über Leben, über jene, die bei Verhören auf dem Armsünderstühlchen vor ihm saßen. Sie waren ihm ausgeliefert, darauf angewiesen, dass er ihnen glaubte.

Kappe hatte wahrscheinlich längst Familie, Kinder, vielleicht sogar Enkel, die es zu schützen galt. Das war der Anfang. Man begann sich anzupassen, mit jedem Tag etwas mehr, ohne es recht zu merken. Schließlich steckte man zu tief drin, und so überschritt man leicht die Grenze dessen, was noch anständig war. Das ging schleichend. Und am Ende war es nur noch ein ganz kleiner Schritt hinüber auf die andere Seite, eine Sekunde, in der man sich falsch entschied. Er als Ausbilder wusste das. Wie oft musste er sich auf die Lippen beißen, um nichts zu sagen, was der offiziellen Linie widersprochen hätte! Womöglich wäre er noch von einem seiner Schüler dafür denunziert worden.

Kappe ging es vielleicht ähnlich. Die Nazis überwachten Leute wie ihn. Leute, deren Aufgabe es war, die Gesetzlosen zu überführen, mussten sich selbst peinlich genau an die offizielle Linie halten - an die geschriebene und die ungeschriebene. Sonst wurden sie zur Gefahr für...


Petra Gabriel, geboren in Stuttgart, ist gelernte Hotelkauffrau, Dolmetscherin und Journalistin. Sie lebt als freiberufliche Autorin in Laufenburg und Berlin. 2001 wurde ihr erster Roman „Zeit des Lavendels“ veröffentlicht. Neben historischen Romanen schreibt sie Kurzgeschichten und Krimis. 2004 gründete sie das Internetmagazin 3land.info. 2010 erschien ihr Mystery-Roman „Der Klang des Regenbogens“, 2011 ihr sechster historischer Roman „Die Köchin und der König“.



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