Frauen auf dem Weg ins Ordensleben
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-451-82979-6
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Religionswissenschaft Religionswissenschaft Allgemein Religionssoziologie und -psychologie, Spiritualität, Mystik
- Geisteswissenschaften Religionswissenschaft Sonstige Religionen Religiöse Institutionen & Gemeinschaften, Klerus, Mönchstum
- Geisteswissenschaften Religionswissenschaft Religionswissenschaft Allgemein Religiöses Leben und religiöse Praxis
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SELBSTFINDUNG UND SINNFINDUNG
2.1 Selbstfindung – Wer bin ich?
„Wer bist du?“ Stelle ich einem Kind diese Frage, ist die Antwort bei den meisten sicher und schnell gegeben. „Ich bin Sofia, Mark, Elva, Thomas, … Ich bin vier, fünf, sechs Jahre alt … ein Mädchen bzw. ein Junge und meine Eltern und Geschwister sind … und ich spiele gern.“ Das eigene Sein kann in wenigen Sätzen mit wenigen Angaben erklärt werden. Bereits wenige Jahre später beginnt Unsicherheit in der Antwort mitzuschwingen. Wer bist du? „Ich bin Sofia, Mark, Elva, Thomas, … Ich bin 13, 14, 15 Jahre alt … ein Mädchen, vielleicht möchte ich aber lieber ein Junge sein? … ich bin gerne mit Freunden unterwegs, aber eigentlich auch gerne allein … ich werde immer gefragt, was ich einmal sein möchte, werden möchte, weiß die Antwort nicht. Ich bin doch jetzt auch schon jemand, oder? Und eigentlich mag ich es gerne bunt und laut, heute ist mir aber so gar nicht danach…“ Jugendliche leben den Spagat zwischen Kindheit und Erwachsenendasein. Nicht zu wissen, wer man ist und wer man sein möchte, ist Teil davon. Auf dem Weg zum Finden der Erwachsenenidentität liegen viele Stolpersteine. Sich auszuprobieren gehört dazu. Gesellschaftlich wird das Ausprobieren heute mehr toleriert denn je. Haarfarbe, Kleidung, Meinung, Geschlecht, Lebensentwurf, Glaube – kaum noch etwas, was nicht möglich ist. Der äußeren Freiheit sind kaum Grenzen gesetzt. Der gedanklichen auch nicht. Die Freiheit birgt zugleich die Gefahr, dass Verwirrung und Orientierungslosigkeit den Platz von Sicherheit und Geborgenheit einnehmen. Bei den meisten Menschen werden im Laufe des Erwachsenwerdens die Antworten wieder klarer. Es fällt wieder leichter, sich zu definieren. Zu klären, was man sein möchte, wie das eigene Leben gestaltet werden soll. Die Vernunft nimmt den Platz des Wagemuts ein. Wer etwas Glück hat, hat einen Beruf erlernt, der passt. Ist von Menschen umgeben, die ihm guttun und hat einen Platz im Leben gefunden, den es nun einzurichten und zu halten gilt. Wer mit sich und seinem Leben zufrieden ist, hat mehr Antworten als Fragen und kann im besten Sinn Erfüllung finden. Sei es im Gründen einer Familie, in der beruflichen Herausforderung, im Ausüben von Hobbies oder im Pflegen von Freundschaften. Herausfordernd wird es, wenn die Fragen überhandnehmen. Wenn wir nicht wissen, wer wir sind und wo unser Platz ist. Wenn ein Gefühl nach mehr wächst und dieses Gefühl noch nicht näher definiert werden kann. Wie finde ich dann meine Identität? Wie baue ich meine individuelle Persönlichkeit auf? Wer bin ich? „Wer bin ich?“ ist eine der zentralen Fragen, die sich Menschen seit vielen Hunderten von Jahren stellen – so zentral, dass es zahllose Publikationen und Veranstaltungen gibt, die uns der Klärung dieser Frage näherbringen sollen. Wenn immer im Mittelpunkt steht, wie ich aussehe, was ich bin, was ich kann, was ich will, wie ich wirke, wo ich hinwill, was mich erfüllt, was ich leben will – wenn ich mein Leben immer so sehr auf mich zentriere, braucht es hin und wieder auch das Andere, den Blick von innen, von mir weg, nach außen. Das Ich steht in meinem Leben im Mittelpunkt. Wer bin ich als Mensch auf dieser Welt? Ich, eine Person, die einige Jahrzehnte auf unserem blauen Planeten lebt und dem Leben Sinn geben möchte. Ich möchte wissen: Wer bin ich: Anna, Samira, Milena, Emma …? Die Antwort kann ebenso einfach wie schwierig sein: „Sei, was du bist!“ Noch bist du da Wirf deine Angst in die Luft Bald ist deine Zeit um bald wächst der Himmel unter dem Gras fallen deine Träume ins Nirgends Noch duftet die Nelke singt die Drossel noch darfst du lieben Worte verschenken noch bist du da Sei was du bist Gib was du hast. Rose Ausländer, geboren am 11.05.1901 in Czernowitz/Ukraine, gestorben am 03.01.1988 in Düsseldorf Rose Ausländer, eine jüdische Dichterin, schrieb am Ende eines ihrer Gedichte die eindrücklichen Aufrufe: „Sei, was du bist. Gib, was du hast.“ Damit ist eigentlich alles gesagt. „Sei, was du bist.“ Und das intensiv, mit großem, freiem Herzen. Nur bleibt die Frage stehen: Wer bin ich? Wer bin ich wirklich? – Was hilft mir dabei, eine Antwort zu finden? – Eine Möglichkeit ist es, die Menschen in der Bibel kennenzulernen. Da ist Adam, der Ur-Mensch, und Eva, die Ur-Frau. Sie sind vom Atem Gottes angehaucht und leben als geisterfüllte Menschen. Dieses Bild eines Menschen, der von Gott her gewollt ist, den Gott besser kennt, als er sich selber kennt. Dieses Bild ist einerseits bestärkend, andererseits auch herausfordernd. Ich bin von Gott, unserem Schöpfer, in die Welt gesandt, um … ja, warum eigentlich? Diese Frage stellen sich Menschen wohl schon, solange es sie gibt. In Psalm 8 gibt es dazu eine wunderbare Stelle: „Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (Psalm 8,4–6). So bin ich also gekrönt, von Urbeginn an – wenn ich mit dem Psalmisten singen möchte. Die Frage an Gott: „Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst?“ ist ja die „Ur-Frage“ schlechthin: Denkt Gott an uns, an mich? Hat er mich wirklich ganz persönlich in diese Welt gestellt und nimmt sich meiner an? Kümmert er sich um mich? Angesichts so vieler offener Probleme, bei mir persönlich und weltweit, bleibt die Frage für uns oft scheinbar unbeantwortet. Doch wenn ich, wie im Psalm angeregt, über das Weltall nachsinne, dann kommen mir vielleicht neue Gedanken in den Sinn. Wenn ich sehe, dass viele Milliarden von Sternen und Galaxien seit unendlich langer Zeit existieren, dann komme ich mir klein und unbedeutend vor. Und doch gilt: Ich bin „nur wenig geringer gemacht als Gott und mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.“ Diese Zusage an mich kann tröstend und heilend wirken und mithelfen, meinen Selbstwert zu sehen. Zunächst einmal weiß ich selbst sehr wenig von mir, und es ist nur natürlich, dass Unsicherheit, Selbstzweifel und Zukunftsängste mich hin und wieder lähmen möchten. Dann aber sagt mir Gott zu, dass ich einfach SEIN darf. Ich. Unverwechselbar. Einzigartig. Mit niemandem vergleichbar. – Wie entlastend und befreiend kann dies sein, wenn ich diesem Gedanken in der Stille nachgehe, beim Herumspazieren darüber meditiere, mich beim Tagebuchschreiben dazu ausdrücke. „Sei, was du bist.“ Es ist gut, dass du bist. Sei du, niemand anders. Und sei gewiss: Gottes Ja an dich ist stärker als jedes Nein, das du zu hören meinst. „Gib, was du hast.“ Diese zweite Aufforderung im Gedicht von Rose Ausländer führt zum zweiten Pol unseres Daseins: Vom Ich zum Du. „Erst am Du wird der Mensch zum Ich“, sagte der Religionsphilosoph Martin Buber im Jahr 1923. So soll ich also dem Du geben, was ich habe. Und was habe ich? – Da sind wohl nicht meine Ausbildungen, meine Beziehungen und meine Funktionen gemeint. „Gib, was du hast.“ Könnte da nicht mein urpersönliches Sein gemeint sein? Mein Lachen, mein Mitgefühl, meine Liebe? Dieses „Gib, was du hast“ ist zugleich auch eine Absage an alle überfordernden Gedanken. Ich muss nicht mehr sein, als ich bin, und nicht mehr geben, als ich habe. Die Pfadfinderinnen und Pfadfinder haben das Motto: „Jeden Tag eine gute Tat.“ Um wie viel mehr kann ich als Christin jeden Tag geben, was ich habe – ein wenig mehr Licht in diese Welt bringen, mehr Freude, mehr Hoffnung. Dies hat einen unbeschreiblich großen Wert vor Gott. Denn auch für mich gilt, was Gott zum Propheten Samuel sagt: „Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz“ (Samuel 16,7). 2.2 Sinnfindung – Was will ich?
„Was will ich? Was gibt meiner Lebenszeit Sinn?“ Was ich will, ist eng verbunden mit der Frage, wer ich bin. Für viele Menschen mag diese Frage klar sein: „Ich möchte eine Familie gründen“ oder „Ich will als Ärztin anderen Menschen helfen“ oder „Ich will mich für unseren Planeten, für mehr Nachhaltigkeit engagieren“. Was aber bedeutet es für mich, wenn ich diese Fragen für mich nicht klar beantworten kann? Wir können und wollen hier der Sinnfrage in all ihren philosophischen und anderen Facetten nicht auf den Grund gehen. Wir wollen sie ganz praktisch stellen. Für unser Leben. Wenn mein Leben Sinn haben soll, dann ist der erste Schritt, dass ich danach frage. Als Christin kann ich diese Frage auch an Gott richten: „Gott, was ist der Sinn meines Lebens? Was soll ich hier auf der Welt? Wozu hast du mich erschaffen?“ –...