E-Book, Deutsch, 191 Seiten
Reihe: Fachbücher für jede:n
Furman Hey, das kannst du!
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8497-8460-7
Verlag: Carl-Auer Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie Fähigkeitsdenken Kindern hilft, Herausforderungen zu meistern
E-Book, Deutsch, 191 Seiten
Reihe: Fachbücher für jede:n
ISBN: 978-3-8497-8460-7
Verlag: Carl-Auer Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Albträume, Eifersucht, Hausaufgaben, Schlafengehen – Kinder stehen täglich vor besonderen Herausforderungen. Viele bewältigen sie alleine, bei manchen brauchen sie die Unterstützung von anderen. Wo es um hartnäckige Probleme oder ernsthafte Schwierigkeiten geht, hilft eine Haltung, die der finnische Psychiater und Psychotherapeut Ben Furman "Fähigkeitsdenken" nennt.
Dieses Buch zeigt, wie Eltern ihr Kind "coachen" können, damit es die neuen Fähigkeiten erlernt, die es braucht, um seine Herausforderungen zu meistern. Es richtet sich neben Eltern an alle Personen, die an der Erziehung beteiligt sind.
In zahlreichen Geschichten und Fallbeispielen vermittelt Ben Furman auf anschauliche Weise die Ideen und Konzepte, die dem Fähigkeitsdenken zugrunde liegen. Eine Sammlung von praktischen Werkzeugen hilft herauszufinden, welche Fähigkeit das Kind aktuell benötigt und wie man es motiviert, sich diese Fähigkeit anzueignen. Einfache Schritt-für-Schritt-Anleitungen erleichtern den Umgang mit den unterschiedlichsten Anlässen – von Angst bis Wutanfall.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
DER STEIN DER WEISEN ZAUBERIN
In diesem Buch möchte ich Sie mit einer Haltung vertraut machen, die ich »Fähigkeitsdenken« nenne, die kreativ ist und Spaß macht. Mit dieser Denk- und Sichtweise können Sie Kindern in ihrer Entwicklung auf die Sprünge helfen und sie dabei unterstützen, Schwierigkeiten durch das Erlernen neuer Fähigkeiten zu überwinden. Die Grundidee des Fähigkeitsdenkens ist leicht zu erfassen. Wenn Sie dieses Buch zu Ende gelesen und den Eindruck gewonnen haben, dass die beschriebene Haltung gut mit Ihren Werten und Ansichten im Einklang steht, wird es Ihnen mühelos gelingen, die Ideen direkt in den Alltag mit Ihrem Kind einfließen zu lassen. Bevor ich im Einzelnen erkläre, was ich unter dem Denken in Fähigkeiten verstehe und wie Sie es in Ihrem Umgang mit Kindern einsetzen können, möchte ich Ihnen ein Märchen erzählen – sozusagen als Einführung in die hier beschriebene Denkweise. Wer nichts für allegorische Geschichten übrig hat, kann die nächsten Seiten einfach überspringen und mit dem zweiten Kapitel beginnen. Es war einmal in einem weit abgelegenen Dorf, in dem seltsame Dinge geschahen: Die Kinder, die dort lebten, wurden von ganz eigenartigen Problemen geplagt. Einige waren plötzlich so schüchtern geworden, dass sie kein Wort mehr hervorbrachten, andere wurden so jähzornig, dass sie unentwegt um sich schlugen und auf andere Menschen eindroschen. Manche hatten Ängste entwickelt, wo es gar nichts zu befürchten gab, und wiederum andere bekamen hartnäckige Angewohnheiten wie Haareausreißen oder Daumenlutschen, die sie trotz aller Bemühungen ihrer Eltern nicht mehr loswurden. Man rief die Dorfältesten zusammen, um die Lage zu besprechen. »Wir müssen herausfinden, was der Grund für dieses Übel ist«, sagte einer der Ältesten. Daraus entspann sich eine lange Unterredung. Schon bald zerbrach sich das ganze Dorf den Kopf darüber, woher die Probleme der Kinder wohl kamen. Zuerst vermuteten sie, dass vergiftetes Wasser schuld sei. Daher begannen sie, ihr Wasser aus dem Nachbardorf herbeizuschaffen. Doch das half nicht. Der nächste Verdacht lautete, es könne daran liegen, dass die Kinder im Säuglingsalter durch irgendetwas traumatisiert worden seien. Infolgedessen begannen die Dorfbewohner, alles daranzusetzen, dass die Kinder auf keinen Fall durch irgendetwas geängstigt wurden. Aber das war unendlich schwierig, denn das Leben zu jener Zeit war schließlich voller Gefahren, und es war schier unmöglich, Kinder vor jeglicher Angst zu bewahren. Irgendein Dahergekommener behauptete, dass den Eltern aus welchem Grunde auch immer die Fähigkeit zur Kindererziehung abhandengekommen und dies die Ursache für die Nöte der Kinder sei. Deswegen wurden die Eltern dazu verpflichtet, sich von den Dorfältesten beibringen zu lassen, wie man Kinder richtig erzieht. Aber auch das stellte sich schnell als Holzweg heraus. Die Ältesten, die die Eltern unterweisen sollten, waren sich so uneins darüber, wie richtige Erziehung zu erfolgen habe, dass ihre Ratschläge die Eltern nur noch mehr verwirrten. Die Dorfbewohner fanden immer wieder neue Erklärungen für die Schwierigkeiten der Kinder, aber das Rätsel blieb ungelöst. Vielen schwante allmählich, dass die ganzen Deutungsversuche die Dinge eigentlich nur noch schlimmer machten. Die Eltern im Dorf fühlten sich schuldig dafür, dass die Kinder es so schwer hatten, und waren ob ihrer Sorgen sehr verzweifelt. Als alle schon geraume Zeit über die Schwierigkeiten der Kinder nachgegrübelt hatten und die Stimmung im Dorf immer schlechter wurde, verkündete einer der Ältesten: »Wir haben unser Bestes getan, um uns aus dieser misslichen Lage zu befreien, aber es ist uns nicht gelungen, einen Ausweg zu finden. Es ist an der Zeit, dass wir in dieser Angelegenheit die weise Zauberin konsultieren und ihren Rat einholen.« Drei der Ältesten machten sich zu Fuß auf den Weg zur weisen Zauberin. Nach einer langen Reise kamen sie zu der Stadt, in der die Zauberin lebte. »Es ist lange her, dass die Leute aus eurem Dorf zuletzt bei mir Rat gesucht haben«, sagte die Zauberin. »Was führt euch heute zu mir?« Die Ältesten schilderten der Zauberin ihre Sorgen und erzählten ihr von all den verschiedenen Vermutungen, mit denen die Dorfbewohner die merkwürdigen Probleme der Kinder zu erklären versuchten. Als sie fertig gesprochen hatten, senkte die Zauberin ihren Blick, schloss die Augen und versank in einem scheinbaren Schlaf. Nach einer Weile öffnete sie die Augen wieder und sprach: Seit’s Menschen gibt auf dieser Welt, hab’n sich Probleme dazugesellt. Wenn wir die Gründe dafür suchen, werd’n wir einander nur verfluchen, wobei jeder den andern für schuldig hält. Schaut ihr nur auf die Probleme, wie ihr sie vertreiben könnt, ist euch kein Erfolg vergönnt. Wollt ihr Kindern wirklich helfen, auf die rechte Spur, nennt doch lieber Fähigkeiten, in der richtigen Mixtur, die sie neu erlernen könn’n! Als die drei Ältesten ins Dorf zurückkehrten, baten sie den Steinmetz, die Verse der Zauberin in einen Stein zu meißeln, der in der Dorfmitte stand. Sie versammelten sich sodann um den Stein, um herauszufinden, was die Zauberin ihnen mit diesem Spruch vermitteln wollte. Nachdem sie eine Weile darüber nachgedacht hatten, riefen sie die Dorfbewohner zusammen und verkündeten ihnen: »Mit diesem Spruch will uns die Zauberin sagen, dass wir aufhören müssen, danach zu suchen, warum unsere Kinder solche Schwierigkeiten haben. Stattdessen sollen wir unser Augenmerk mit aller Kraft darauf richten, welche neuen Fähigkeiten sie lernen müssen, um nicht mehr unangenehm aufzufallen.« Die Menschen im Dorf freuten sich über diese Botschaft. Sie verstanden, dass es an der Zeit war, mit den Schuldzuweisungen sich selbst und anderen gegenüber aufzuhören. Von nun an brauchten sie keine Zeit mehr darauf zu verwenden, über die Ursachen der Probleme zu streiten. Und alle konnten ihre Aufmerksamkeit darauf richten, den Kindern zu helfen, dass sie die Fähigkeiten entwickeln konnten, die sie brauchten, um ihre Herausforderungen zu meistern. Die Dorfbewohner kehrten nach Hause zurück und erzählten ihren Kindern, dass sie von nun an neue Fertigkeiten erlernen würden, um ihre Schwierigkeiten zu überwinden. Die Kinder waren froh, als sie das hörten, denn sie waren es längst leid, sich die endlosen Mutmaßungen ihrer Eltern über die Ursachen der Misere anhören zu müssen. Die Dorfbewohner wurden tätig, und innerhalb kürzester Zeit war für jedes Kind im Dorf eine Fähigkeit gefunden, von deren Beherrschung es profitieren würde. Zunächst lief alles gut, doch schon bald tauchte ein neues Problem am Horizont auf. »Es ist uns gelungen, uns mit unseren Kindern auf die Fähigkeiten zu einigen, die sie erlernen sollen«, beklagten sich die Eltern im Dorf bei den Ältesten. »Aber als es an der Zeit war, dass sie sich daranmachen sollten, dieses Neue auch einzuüben, verloren sie bald das Interesse. Und wir fanden keine Mittel und Wege, sie zu ermuntern, dass sie sich anstrengen, um sich diese Fertigkeiten anzueignen. Wie sollen wir unsere Kinder dazu bringen, dass sie sie auch wirklich lernen?«, fragten sie. Wieder setzten sich die Ältesten zusammen, um über diese vertrackte Frage der Dorfbewohner nachzudenken. Aber so sehr sie sich auch bemühten, sie fanden keine Antwort. Schließlich beschlossen sie, dass die drei Ältesten die weise Zauberin erneut um Rat ersuchen sollten. Als diese dort ankamen, fragte die Zauberin: »Was führt euch diesmal zu mir?« Die Dorfältesten sprachen: »Als wir dich das letzte Mal aufsuchten, gabst du uns den Rat, dass wir unsere vergeblichen Bemühungen, die Probleme unserer Kinder erklären zu wollen, fahren lassen sollen, und uns stattdessen darauf auszurichten, die Fähigkeiten zu finden, die sie erlernen müssen, um den Anforderungen zu genügen. Das haben wir getan, aber jetzt stecken wir fest und stehen vor einer neuen Herausforderung. Wir wissen nicht, wie wir die Kinder dazu bringen können, nun die nötigen Schritte zu unternehmen und sich anzustrengen, um die Fähigkeiten tatsächlich zu erlernen.« Die Zauberin hörte aufmerksam zu. Dann senkte sie ihren Blick, schloss die Augen und schien einzuschlafen. Als sie die Augen wieder öffnete und den Blick hob, sprach sie die folgenden Worte: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Drum merkt euch von nun an und sagt es allen: Um Neues zu lernen – damit das...