E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Fung Krebs – verstehen, bekämpfen, heilen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7453-1523-3
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie Sie die Behandlung unterstützen und die Heilungschancen erhöhen. Mit neuesten Ergebnissen aus der Krebsforschung
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-7453-1523-3
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Jason Fung ist ein weltweit anerkannter Fasten- und Ernährungsexperte sowie Autor mehrerer Bestseller. Nach seinem Medizinstudium gründete er das Intensive Dietary Management Program, das Diabetespatienten einzigartige Behandlungsmöglichkeiten bietet. Darüber hinaus befasst er sich in seiner Forschung mit den Zusammenhängen von Diabetes und Ernährung mit anderen Krankheiten wie Krebs.
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GRABENKRIEG
Ich nahm einmal an einer Krankenhausbesprechung teil, bei der der Leiter eines neuen Programms die Ergebnisse des Vorjahres präsentierte. In der Gemeinde waren für dieses neue Programm über 1 Million Dollar gesammelt worden, und die Hoffnung war groß. Ich gehörte nicht zu den Anwesenden, die von den vermeintlichen Erfolgen beeindruckt waren, aber ich schwieg – weil es mich eigentlich nichts anging und weil mir meine Mutter beigebracht hat, dass es besser ist zu schweigen, wenn man nichts Gutes zu sagen hat. Dennoch war ich der Meinung, dass dieses Programm eine reine Zeit- und Geldverschwendung war.
Die anderen Anwesenden waren jedoch voll des Lobes. »Toll gemacht! Herzlichen Glückwunsch! Hervorragende Arbeit!« Obwohl es offensichtlich war, dass im letzten Jahr erstaunlich wenig geleistet wurde, spielten die anderen Ärzte mit und taten so, als wäre alles in bester Ordnung. Niemand, mich eingeschlossen, erhob sich und rief: »Der Kaiser ist nackt!«
Dieses Problem besteht nicht nur in meinem Krankenhaus, sondern zieht sich durch das gesamte Gesundheitssystem; so funktioniert nun einmal jede Bürokratie. Während es in zwischenmenschlichen Beziehungen oft hilfreich ist, Kritik für sich zu behalten, ist ein solcher Ansatz in Forschung und Lehre kontraproduktiv. Damit wir Probleme lösen können, müssen wir sie zuerst erkennen. Nur dann können wir verstehen, warum unsere aktuellen Lösungen nicht greifen, und können diese im Anschluss verbessern. Schließlich hängen Menschenleben davon ab. Aber in der medizinischen Forschung stoßen Ansichten, die von der etablierten Lehrmeinung abweichen, auf wenig Gegenliebe. Dieses Problem zieht sich durch viele Fachdisziplinen, wozu die Erforschung von Adipositas, Typ-2-Diabetes und, ja, auch Krebs gehört.
Adipositas
Wir erleben gerade die größte Adipositas-Epidemie in der Menschheitsgeschichte. Wenn Sie einen Blick auf jede beliebige Statistik über die weltweite Entwicklung von Adipositas werfen, werden Sie feststellen, dass die Prognose düster ist. Noch im Jahr 1985 gab es keinen einzigen Bundesstaat in den USA, in dem die Adipositas-Prävalenz über 10 Prozent betrug. 2016 berichtete die amerikanische Behörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention, zu Deutsch: Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention), dass in allen Bundesstaaten die Adipositas-Prävalenz auf über 20 Prozent gestiegen war, und nur drei Bundesstaaten lagen unter 25 Prozent.1 Die Adipositas-Prävalenz mit einem BMI über 30kg/m² lag laut Robert-Koch-Institut (RKI) 2014 in Deutschland bei 23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen.2 Schlimm! Wir können dafür nicht die »schlechten Gene« als Grund vorbringen, weil sich dieser Wandel in den letzten 31 Jahren vollzogen hat, also innerhalb einer Generation. Es ist offensichtlich, dass neue Interventionen gefragt sind, und wir brauchen langfristig umsetzbare Lösungen, damit die Menschen abnehmen und ihr neues, gesundes Gewicht halten können.
Wir reden uns seit Jahrzehnten ein, dass es eine Lösung im Kampf gegen Adipositas gibt: Kalorien zählen. Die CDC sagt: »Um abzunehmen, müssen mehr Kalorien verbrannt als zugeführt werden. Weil ein Kilogramm Körperfett circa 7000 Kalorien enthält, muss man seine Kalorienzufuhr um 500 bis 1000 Kalorien pro Tag reduzieren, um einen wöchentlichen Gewichtsverlust von 0,5 bis 1 Kilogramm zu erzielen.« Das ist die übliche Standardempfehlung, die Ärzte, Ernährungsberater, Zeitschriften, Fachbücher und Zeitungen weltweit wiederholen. Genau diese Empfehlung bekam ich damals als Medizinstudent ebenfalls zu hören. Jeder Arzt, der behauptet, dass Abnehmen auch anders geht, wird als Scharlatan abgestempelt. Aber die Besessenheit, mit der sich die Ärzteschaft aufs Kalorienzählen verlegt hat, hat im Kampf gegen die Adipositas-Epidemie bisher nicht viel gebracht. Wenn wir nicht zugeben können, dass unsere Lösungen bei Weitem nicht ausreichen, werden wir der aufbrandenden Adipositas-Welle nicht viel entgegensetzen können.
Nur wenige können zugeben, dass der Ratschlag »Weniger essen, mehr bewegen« nicht greift. Doch der entscheidende erste Schritt, um das Adipositas-Problem zu lösen, besteht darin, unsere Fehler einzugestehen. Der Ratschlag, Kalorien zu zählen, ist weder nützlich noch wirksam. Wir müssen begreifen, dass Adipositas nicht auf ein kalorisches, sondern auf ein hormonelles Ungleichgewicht zurückzuführen ist. Erkennen wir die Wahrheit doch einfach an, damit wir Fortschritte erzielen und wirkungsvollere Interventionen entwickeln können. Nur dann haben wir eine Chance, in dieser Krise der öffentlichen Gesundheit eine Wende einzuleiten. Wie der brillante Ökonom John Maynard Keynes einmal gesagt haben soll: »Die Schwierigkeit besteht weniger darin, neue Ideen zu entwickeln, als den alten zu entkommen.«
Typ-2-Diabetes
Die besorgniserregende Epidemie von Typ-2-Diabetes spiegelt die Entwicklung von Adipositas sehr genau wider. Laut der CDC leidet etwa jeder zehnte US-Bürger an Typ-2-Diabetes, das heißt, dass es in den Vereinigten Staaten über 30 Millionen Betroffene gibt. Schlimmer noch, diese Zahl ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen und es ist keine Änderung in Sicht, wie das Diagramm auf Seite 13 zeigt.
Die Zahlen in Deutschland sehen nicht besser aus: Laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) liegt die Zahl der Menschen mit einem dokumentierten Typ-2-Diabetes im Jahr 2020 bei mindestens 8 Millionen, zu der noch eine Dunkelziffer von rund 2 Millionen Betroffenen gerechnet werden muss.3 Und auch hier steigt die Anzahl der Betroffenen von Jahr zu Jahr an.
Bei Typ-2-Diabetes werden standardmäßig blutzuckersenkende Medikamente wie Insulin verschrieben. Mit der Zeit benötigen die Patienten üblicherweise eine immer höhere Dosis. Wenn man mehr Insulin nehmen muss, ist es ziemlich offensichtlich, dass sich der Typ-2-Diabetes verschlechtert hat. Trotzdem beharrt die medizinische Fachwelt, also Forscher und Ärzte, auf ihrer Position, dass Typ-2-Diabetes eine chronische und progressive Erkrankung ist, gegen die man nichts ausrichten kann.
Doch nichts davon ist wahr. Wenn ein Patient abnimmt, verbessert sich sein Typ-2-Diabetes fast immer ganz von selbst. Wir müssen nicht mehr Medikamente gegen Diabetes verschreiben; wir müssen die Ernährung der Patienten umstellen. Aber bisher wollten wir nicht zugeben, dass unser Behandlungsansatz fehlerhaft ist. Denn dann müssten wir von der liebgewonnenen Überzeugung abrücken, dass unsere Forscher und Ärzte gute Fortschritte im Kampf gegen eine schreckliche Krankheit erzielen. Ein Problem zugeben? Auf keinen Fall. Die Konsequenz? Eine anhaltende Epidemie. So wie bei Adipositas gilt auch hier: Wenn wir uns nicht eingestehen können, dass der vorherrschende Behandlungsansatz viel zu kurz greift und nicht funktioniert, werden wir weiterhin machtlos bleiben und den Betroffenen nicht helfen können.
Anzahl und Anteil der US-Bevölkerung mit diagnostiziertem Diabetes, 1958 bis 2015
Krebs
Dies führt uns schließlich zu Krebs. In Bezug auf diese Krankheit machen wir doch sicher gute Fortschritte, oder? Wie hören fast täglich Berichte, dass unseren Wissenschaftlern ein Durchbruch oder ein neues medizinisches Wunder gelungen ist. Leider offenbart ein nüchterner Blick auf die Daten, dass die Krebsforschung beinahe jedem anderen medizinischen Bereich hinterherhinkt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erregte Krebs nicht viel Aufmerksamkeit. Damals stellten Infektionskrankheiten wie Lungen- oder Darmentzündungen und Tuberkulose für die öffentliche Gesundheit die größte Gefahr dar. Aber die hygienischen Bedingungen verbesserten sich, und 1928 entdeckte der britische Forscher Alexander Fleming das Penicillin, das die Welt veränderte. Die Lebenserwartung der Menschen stieg, und so richtete die Forschung die Aufmerksamkeit auf chronische Leiden wie Herzkrankheiten und Krebs.
In den 1940er-Jahren wies die American Society for the Control of Cancer (die ASCC, Amerikanische Gesellschaft für die Kontrolle von Krebs; aus dieser wurde später die American Cancer Society, die amerikanische Gesellschaft für Krebs, vergleichbar mit der Deutschen Krebsgesellschaft e. V.) darauf hin, dass die rechtzeitige Entdeckung und aggressive Behandlung von Krebs von großer Wichtigkeit war. Die ASCC setzte sich für die routinemäßige Verwendung des Pap-Tests ein, einer gynäkologischen Untersuchung zur Entdeckung von Gebärmutterhalskrebs. Die Ergebnisse zeigten beachtliche Erfolge: Durch die Früherkennung nahm die Anzahl der Todesfälle durch Gebärmutterhalskrebs drastisch und schnell ab. Ein fulminanter Beginn, doch die Anzahl der Todesfälle durch andere Krebsarten nahm weiterhin zu.
US-Präsident Richard Nixon sprach einige Jahrzehnte später ein Machtwort und kündigte in seiner Rede zur Lage der Nation 1971 »eine intensive Kampagne an, um ein Heilmittel für Krebs zu finden«. Er...