E-Book, Deutsch, 350 Seiten
Fuhlbrügge Frauen brennen besser
2. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7531-7349-8
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Altheim-Krimi
E-Book, Deutsch, 350 Seiten
ISBN: 978-3-7531-7349-8
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Victor Joël beseitigt Leichen. Tagsüber legal in einem Altheimer Krematorium. Nachts für Salvatore, einem Mafia-Paten im Rhein-Main-Gebiet. Meist verbrennt er die gelieferten Toten und füllt die Asche zusammen mit seinem täglichen Pensum in die Urnen. Dafür hat er extra eine Ausbildung zum Bestatter absolviert und sich in die Computeranlage des Krematoriums gehackt. Die Entlohnung seiner Arbeit investiert er in Bitcoins und Briefkastenfirmen. Als Victor einen weiteren Sarg von Tibor, dem hünenhaften Killer Salvatores, erhält, denkt er an einen Routinefall. Doch kurz bevor der Sarg in den Ofen einfährt, klopft es von innen. Eine mörderische Flucht beginnt.
Thomas Fuhlbrügge (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Katholische Religion, Politik & Wirtschaft, Ethik und Philosophie an der Bachgauschule in Babenhausen. Der Autor, Musiker und Liedermacher lebt mit seiner Frau und seinem Sohn im südhessischen Altheim
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Fünf Minuten später knatterte er mit seinem Moped in Richtung des ehemaligen Altheimer Rathauses. Ich hatte genügend Zeit, mich um die Technik und die Öfen zu kümmern. Der erste war bereits bestückt, als nach Mitternacht die abgedunkelten Scheinwerfer das Ankommen von Tibor ankündigten. Ein Knopfdruck, und das Rolltor öffnete sich. Auf der Ladefläche befand sich ein einzelner Sarg. »Na Großer«, begrüßte ich den Todmacher. »Hab dich eine Weile nicht gesehen.« »War kurz im Urlaub. In Rumänien bei meiner Großmutter. Macht die beste Sarmale auf der ganzen Welt.« »Was ist das?« »In Deutschland du sagst Krautwickel. Man nimmt dafür Weinblätter. Gefüllt werden Sarmale mit Hackfleisch und Reis.« Wir hoben einen zierlichen Sarg auf das fahrbare Gestell. »Klingt lecker.« »Ich mache dir einmal welche. Sind Würstchen da?« Ich wies ihn Richtung Teeküche. »Ja und auch der scharfe Senf, den du gerne magst.« »Davon bekam ich Durchfall, letztes Mal. Salvatore möchte haben Urne mit allem drinnen. Ich gleich nehme sie zurück. Habe Zeit mitgebracht.« Er deutete auf den hellen Kiefernsarg und marschierte in den Nebenraum. 161 »Kein Problem. Ich schieb ihn gleich in Nummer zwei. Der erste Ofen ist bestückt und der dritte derzeit defekt.« Tibor zuckte mit den Schultern und zog sich eine Frankfurter aus dem Würstchenwärmer. Ich stand neben ihm. »Sag mal, kannst du mir Munition beschaffen? Ich habe eine alte Pistole bei den Sachen von meinem Großvater gefunden und würde die gerne mal ein bisschen ausprobieren?« »Ich dir organisieren kann alles.« »Ist eine ziemlich alte Knarre. Benötigt Kaliber 7,63.« »Wird schwieriger. Aber verlass dich auf mich. Hand wäscht andere. Du bist mein Freund.« Ich lächelte. Dann ließ ich ihn allein und schob das Gestell um die Ecke. Ein Blick auf die Digitalanzeige. 900 Grad. Perfekte Temperatur. Leicht verdiente Scheine. In zwei Stunden war alles erledigt. Ob ich diesmal beim Schießen einen Gehörschutz aufsetzen sollte? Wir hatten mehrere davon im Abstellraum. Die Schläge letztes Mal waren ohrenbetäubend. Da klopfte es von innen aus dem Sarg. Es war nicht so, dass ich bis ins Mark erschrak. In meiner Zeit mit Mae hatte sie öfters in einem gelegen und sich bemerkbar gemacht, wenn es ihr langweilig wurde. Ich war eher überrascht. Wollte sich Tibor mit mir einen schlechten Scherz er-lauben? Das war nicht seine Art. Ich lugte um die Ecke 162 Richtung Teeküche. Dort saß er und hatte sich doch am Senf vergangen. Sein ausdrucksloses Gesicht kaute genüsslich. Nein, sicher kein Joke. Denn wenn ich bei der Arbeit Musik über meinen MP3-Player hörte, würde ich ein zartes Rumoren nicht wahrnehmen und die Kiste einfahren lassen. Wieder pochte es. Diesmal zaghafter. Ich trat zum Sarg und drehte an den Schraubverschlüssen aus Messing. Sollte ich Tibor rufen? Ich machte mich auf alles gefasst und hob mit einem Ruck den Deckel beiseite. Zunächst sah ich viel Blut auf einem zierlichen Körper. Am Hinterkopf ein Einschussloch. Dazu Gaffa-Tape- Fesseln an Armen und Beinen. Auch um den Mund und die Augen schienen sich mehrere Lagen Klebeband zu befinden. Die Nase war frei. Die Frau trug nur ihre Unterwäsche. Verbrennungsspuren überzogen die tätowierte Haut, wie sie Zigaretten hinterließen. Dazu Striemen einer Auspeitschung. Ein Folteropfer. Vieles ging mir gleichzeitig durch den Kopf: »Hey Tibor. Du hast diesmal nicht gründlich gearbeitet. Beende erst, was du angefangen hast. Dann kannst du weiter-essen.« Oder auch: »Bist du wahnsinnig, mir eine Lebende zu übergeben. In drei Minuten komme ich wieder, dann möchte ich weitermachen. Anschließend schreibst du hundertmal: Ich darf keine Lebenden bringen!« Warum empfand ich in diesem Moment kein Mitleid? Ich schaute genauer hin: 163 Unter dem Blut erkannte ich einen Anker auf dem linken Oberschenkel der Frau. Es war eindeutig Amina. Die Prostituierte, in deren Armen mein Großvater verstorben war. Auch ich hatte sie zuvor besucht. Keine fünfzig Meter von hier entfernt. Wunderbare Nächte. Manchmal, wenn ich es mit Mae trieb, dachte ich an sie. Sie rekelte sich in ihren Fesseln. Ich ließ vor Schreck den Sargdeckel zurückfallen. »Ist alles in Ordnung?« Tibor war aufgestanden. »Klar doch. Kasimir von der Spätschicht hat hier einen Stuhl hingestellt. Über den bin ich gestolpert. Es ist auch Cola im Kühlschrank.« »Dann kann ich später nicht einschlafen. Wegen Koffein. Habt ihr Apfelschorle?« Ich öffnete erneut den Deckel und sah fassungslos in den Sarg. »Klar. In der Kühlschranktür.« Was sollte ich mit Amina machen? Meine Gedanken rasten. Sie schien schwer verwundet. Mit einem solchen Loch im Schädel dürfte sie im Normalfall nicht mehr unter den Lebenden weilen. Ihre gefesselten Hände hoben sich in Richtung des Sargdeckels, der nicht mehr über ihr weilte. Sie schien bei Bewusstsein. Leise, verschluckte Töne kamen unter dem Knebel hervor. »Da ist nur Bier in Tür von Schrank.« 164 »Dann schau im Fach unter der Kaffeemaschine nach. Da müssten noch Flaschen stehen.« Was war zu tun? Amina – die letzte Person, bei der mein Großvater war. Ihm wollte ich eine letzte Freude bereiten. Es wurde die allerletzte in seinem Leben. Zuvor hatte ich sie ausprobiert. Die Stunden mit ihr waren wunderbar. Auch wenn ich sie nach Opas Tod nie wieder besuchte. Manchmal sah ich Amina, wie sie mit ihrem Auto am Treibhaus ankam. Dann war alles wieder deutlich vor mir. Ihre Haut, der Geruch… Jetzt sollte ich sie beseitigen. In mir regten sich Gefühle, die lange verschüttet waren. Ich musste mich entscheiden. Ein Blick zur Seite. Die kleine Kühlkammer war nicht weit entfernt. Aber Tibor konnte es sehen, wenn ich die schwere Stahltür öffnete. »Habs gefunden. Oh, hätte Senf nicht essen sollen. Bin auf Toilette.« Das war meine Chance. Schnell schob ich den Sarg in den Kühlraum. Fast wäre mir dabei ein weiteres Mal der Deckel heruntergefallen. Dort standen sieben Särge für die Nacht. Drei waren noch nicht von der Gerichtsmedizin freigegeben. Herr Schlegelberger war als Nächster an der Reihe. »Bleib ganz ruhig. Ich rette dich«, sagte ich zu Amina. Ob sie mich gehört hatte? Das Gestell mit einem Verstorbenen. Ab zu Ofen zwei. Dieser Sarg war viel schwerer und aus Buche gefertigt. Ich stellte ihn an 165 den richtigen Platz und tippte auf den Armaturen herum. Endlich bewegten sich die Greifer und hoben die Kiste an. Die Luke öffnete sich und der Sarg fuhr ein. Erste Flammen, dann schloss sich die Klappe. Was machte ich nur, wenn später künstliche Hüftgelenke in der Asche waren? Die passten nicht zu der zierlichen jungen Kurtisane. Oder wenn der Killer einen bestimmten Gegenstand suchte, den die Unglückliche verschluckt hatte? Die Spülung aus der Mitarbeitertoilette rauschte. Schon stand Tibor im Gang und kam auf mich zu. »Ihr habt keine Seife mehr in Spender.« »Äh, danke. Fülle ich nachher wieder auf.« »Warum erledigt keine Putzfrau das? Ich nicht mag, wenn jemand machen Job unordentlich?« Das musste der gerade sagen. Der lebende Beweis für seine schlechte Arbeit lag in der Kühlkammer. »Keine Ahnung. Du weißt ja, wie schwer es ist, gutes Personal zu bekommen. Magst du nicht noch ein Würstchen?« »Nein, hatte schon drei. Senf bekommt Magen nicht.« Er ging an mir vorbei und schaute durch die kleine Öffnung in die Brennkammer. Dort loderten die Flammen. »Habe Sarg aus Lieferung von Polen.« Das kleine, nur zum Schein angemeldete Beerdigungsinstitut von Salvatore, bei dem Tibor offiziell beschäftigt war, konnte solche Bestellungen unauffällig erledigen. »Ja, brennt wie Zunder. War das nicht dein Handy?« 166 Der Riese schritt zurück zur Teeküche. »Wahrscheinlich sagt Spiel, dass ich weitere Tiere füttern soll.« »Gleich ist Ofen eins fertig und ich muss den nächsten Sarg vorbereiten. Sonst geht die Temperatur zu rasch runter und die Brennwerte stimmen wieder nicht.« Ich ging unauffällig zur Kühlkammer. Tibor betrat erneut den Sozialraum für die Mitarbeiter. Er öffnete sich eine Apfelschorle und setzte die kleine Flasche an die Lippen. Ich drückte gegen die schwere Tür. Das Metall schwang auf. Ich sah gerade noch, wie Amina, die sich im offenen Sarg aufgerichtet hatte, mit diesem in einem lauten Getöse zur Seite umkippte. ? Sogleich war der Killer in der Türöffnung. Mit gezückter Pistole. »Tibor bleib…«, versuchte ich ihn aufzuhalten. »Warum ist Sarg mit Frau nicht im Ofen?« »Sie war noch nicht tot, als ich den Deckel öffnete«, begann ich. »Was du planst, Victor?« Er schupste mich zur Seite. »Ich schieße jetzt Nutte tot.« »Nein, das kannst du nicht machen.« 167 Amina war schwer gestürzt und hatte sich blutend auf dem weiß gekachelten Boden ausgestreckt. Sie bewegte sich wie ein Krebs, den man auf den Rücken gedreht hatte. »Ich bin Killer, wie du weißt.« »Klar, natürlich. Ich meine nur. Du sollst sie nicht hier töten. Was hat sie Salvatore...