E-Book, Deutsch
Fuchs Schöneberger Steinigung
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-89656-656-0
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-89656-656-0
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
In Berlin läuft Arztgattin Vicky Meier frühmorgens durch den Park am Schöneberger Rathaus. Dabei entdeckt sie in den Büschen neben niedlichen Kaninchen auch eine Leiche mit grausamen Verletzungen. Der halbnackte Tote ist gesteinigt worden und entpuppt sich als schwuler Ex-Priester, bekannt für seine Hetze gegen geflüchtete Muslime. Der junge Kriminaloberkommissar Max Kühn muss in alle Richtungen ermitteln: unter arabischen Männern im tatortnahen Flüchtlingsheim und bei Antifaschisten, die dem rechtspopulistischen Ex-Priester schon einmal den Tod gewünscht haben. Am anderen Ende des politischen Spektrums haben christliche Fundamentalisten dem Toten das öffentliche Coming-out nie verziehen. Als ein Bezirksverordneter der AfD den Mord auf einer Mahnwachepolitisch instrumentalisiert, eskaliert die angespannte Lage zwischen den Gruppierungen. Danach bleibt in Schöneberg vom Volkspark über den Akazienkiez bis zum Nollendorfplatz kein Stein auf dem anderen. Max und sein Team müssen sich Stück für Stück zwischen Attentaten und Hass-Postings zur Wahrheit vorkämpfen.
Peter Fuchs ist Österreicher und lebt mit seiner Familie in Berlin. Er arbeitete am Theater mit Christoph Schlingensief, entwickelte einen Handytarif für die Zielgruppe LGBTI und interviewte Robert de Niro, Kristen Stewart und Justin Timberlake. Letzteren sogar dreimal. Peter Fuchs läuft und schwimmt. Die Schöneberger Steinigung ist sein erster Kriminalroman.
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Der erste Tag
Die Zeiger der Uhr am Schöneberger Rathaus zeigten sechs Uhr dreißig. Vicky lag im Zeitplan und hatte gute Laune; sie war ein Morgenmensch. Ick bin ein Berliner, dachte sie mit Blick auf den Balkon des Rathauses und schloss ihr Fahrrad an den Pfosten eines Verkehrsschilds. Vicky atmete die angenehm kühle Frühlingsluft dieses Stadtmorgens ein und zurrte den Gummi fest, der ihre langen, blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenhielt. Während sie wartete, dass die Lauf-App auf dem Smartphone startet, zwinkerte sie den nackten Männerstatuen auf dem Rathausturm zu. Morgen, Jungs! Dann trabte sie los. Sie sprang die Stufen zum Park hinunter und umrundete den Brunnen. Auf einer Säule in der Mitte hob ein goldener Hirsch das Geweih in den wolkenlosen Himmel über Schöneberg. Danach lief sie die Rampe zur Carl-Zuckmayer-Brücke hoch und checkte mit kurzem Blick auf die Armbandtasche, ob die Lauf-App auch korrekt aufzeichnete. Sechzig Meter, passt. Diese erste Steigung joggte sie bewusst langsam. Nicht aus der Puste kommen. Vicky lief jeden Morgen, denn sie liebte das Joggen, weil es ihr eine zweite Leidenschaft ermöglichte: Schokolade in großen Mengen. Vicky hörte ein sanftes Rumpeln, weil eben in der Brücke eine U4 in den Bahnhof einfuhr. Sie lief durch die Fahrradsperren in den westlichen Teil des Rudolph-Wilde-Parks. Wie immer ein traumhafter Anblick. Eingefasst von riesenhaften Trauerweiden erstreckte sich vor Vicky ein kleines Tal, durch das sich ein schmaler Sandweg Richtung Wilmersdorf schlängelte. Die sanften Hügel daneben sind beliebte Liegewiesen, weil die dichten Büsche und Bäume die Stadt rundherum völlig ausblenden. Um diese Zeit waren die Wiesen jedoch leer. So früh am Morgen tummelten sich nur wenige Menschen im Park und sie gehörten einem von drei Teams an. Die Jogger. Vicky kannte viele vom Sehen. Zum Beispiel das ältere Ehepaar, das langsam lief, manchmal auch nur schnell ging, dabei immer in ein angeregtes Gespräch vertieft. Vicky erfreute sich an dem Gedanken, dass die beiden seit Jahrzehnten jeden Morgen gemeinsam joggten. Oder der Rothaarige, wie Vicky ganz in schwarzen Sportklamotten, der beim Laufen das Gesicht verzog, als hätte er Schmerzen. Vielleicht seine übliche Miene. Manchmal nickte man sich zu, aber nicht immer. Team zwei waren die Hundebesitzer, die ihre Lieblinge Gassi führten. Sie standen entfernt mitten in den Wiesen und unterhielten sich, während die Hunde herumtollten. Manchmal warfen sie Stöckchen. Einige hatten Schleudern, um Bälle besonders weit zu werfen. Vickys Ehemann Oliver erzählte oft, wie er als Arzt in der zentralen Notaufnahme Hundebesitzer behandeln musste, die im Streit mit der Schleuder eins übergezogen bekommen hatten. So eine Schleuder liegt im Eifer des Gefechts gut in der Hand. Vicky schmunzelte und lief locker weiter. Die städtischen Gärtnerinnen waren Team drei. Diese Frauen harkten und zupften in den Blumenbeeten und schienen alles um sich herum zu ignorieren. Zu Team drei zählte Vicky auch die Ein-Euro-Jobber, die den Park vom Abfall befreiten. Mit Harken und langen Pickern liefen sie morgens über die Wiesen und sammelten verstreuten Müll ein. Heute stützte sich auf Höhe der Spielplätze der Große mit dem enormen Bauchumfang auf seine Harke und rauchte. Diese Truppe beachtete die Jogger nicht, doch heute spürte Vicky, dass der Große sie anstarrte. Eine Millisekunde lang trafen sich ihre Blicke und Vicky drehte sich sofort weg. Da hörte sie sein Pfeifen. Vicky stutzte. Pfeift er mir hinterher? Sie wollte ihn ignorieren, wäre dann aber den nächsten Kilometer zornig gejoggt. Sie drehte um, blieb vor dem Typen stehen und atmete kurz durch. „Ick zeig dir gleich was ’ne Harke ist, Freundchen“, sagte sie grimmig. Diese Prügelandrohung hatte ihr Ingeborg beigebracht. Ihre Haushälterin war eine eingeborene Westberlinerin. Der Mann schaute erschrocken auf seine Harke und stammelte „Sori“. „Geht doch“, sagte Vicky und lief weiter. Sie nutzte die Adrenalinausschüttung und überquerte mit großen Schritten die Prinzregentenstraße, die den Park durchschnitt. Rechts sah sie einen Security-Mann vor dem Gymnasium Frühschicht schieben. Seit vergangenem Herbst diente die Turnhalle als Notunterkunft für Geflüchtete. Vicky winkte. Der Mann winkte zurück, denn sie half dort gelegentlich in der Kleiderkammer aus. Weiter ging es auf die Fußgängerbrücke über die Bundesallee. Mini-Golf, Fußballplatz, zurück auf die Brücke, dann die Runde um das Denkmal des Speerwerfers. Vicky freute sich auf die Meter, mit denen sie die Bronzestatue des nackten Sportlers umrundete. Der Anblick seiner festen Arschbacken motivierte sie. Vor Ostern leuchteten seine Hoden manchmal grün, manchmal rot. Klarer Fall von Vandalismus. Vicky lachte. Diesen Brauch des Eierfärbens liebte sie. Nach dem Kifferhügel und den angrenzenden Kleingärten erreichte sie auf Höhe des Hauses von Deutschlandfunk Kultur wieder das kleine Tal. Diesmal joggte sie südlich daran vorbei, jenseits der Bäume und Sträucher. Aus dem Weg vor ihr ragten Bruchstücke von Ziegelsteinen. In Berlin läuft man ständig über Zeitgeschichte. Vicky vermutete, dass hier Schutt zerbombter Häuser abgeladen und planiert worden war. In Österreich haben sie das Alpenpanorama, Mozart und die Wiener Sängerknaben darüber gelegt. Da ragt nichts mehr raus. Als Österreicherin kannte sich Vicky mit den verschiedenen Methoden der Vergangenheitsbewältigung aus. Ein hoppelndes Kaninchen kreuzte Vickys Weg. Die nachtaktiven Tiere waren frühmorgens noch unterwegs. Süßes Kerlchen. Vickys Blick folgte ihm, bis es in einer dicht bewachsenen Senke verschwand. Ein Frösteln schoss durch ihren Körper. Jemand starrte sie an. Erneut. Bleib stehen! Ihre Beine bewegten sich im Laufrhythmus weiter. Halt! Vicky drehte um und ging die Böschung hinunter, in der das Kaninchen verschwunden war. Sie schluckte. Ein Auge starrte sie durch dicht wuchernde Zweige an. Lauf weg! Doch sie schob einen Zweig beiseite, um besser sehen zu können. Ein Mann mit nacktem Oberkörper hockte im Busch. Sein Blick war auf Vicky gerichtet. Ein Auge. Wo sich das andere Auge befinden sollte, hing ein fleischiger Klumpen herab. Er war braun und rot. Getrocknetes Blut. *** Vicky stand auf dem Weg oberhalb der Böschung und wartete auf die Polizei. Eben hatte sie den Notruf getippt und war überzeugt gewesen, dass der Euro-Notruf 112 bei der Berliner Polizei landet. Tut er aber nicht. „Berliner Feuerwehr.“ „Hallo, ich wollte den Polizeinotruf, Mist.“ „Das ist die 110, bitte rufen Sie dort an.“ „Ich habe eine Leiche gefunden.“ „Wie?“ „Ich habe eine Leiche im Volkspark Schöneberg gefunden.“ „Ich verbinde Sie mit der Polizei. Bleiben Sie dran.“ Vicky hörte eine Tonfolge, gespielt auf einer Bontempi-Orgel. Dann kurze Pause mit einem Knacken. Die Tonfolge startete von Neuem. Knacken. Vickys Herz hämmerte. Knacken. Sie sah, dass der Rothaarige mit dem mürrischen Gesichtsausdruck auf sie zulief. Ihn ansprechen? Der Rothaarige nickte ihr zu. Vicky nickte zurück und wandte sich ab. Besser nicht reden. Sie hätte ohnehin nicht die richtigen Worte gefunden. Tonfolge. Knacken. „Polizeinotruf.“ „Ich habe eine Leiche im Volkspark Schöneberg gefunden“, presste Vicky hervor. „Sind Sie verletzt?“, fragte die Männerstimme. „Bin ich nicht.“ „Sind Sie in Gefahr?“ „Ich denke nicht.“ Vicky schaute sich erschrocken um, denn die Leiche sah nicht nach einem Unfall aus. Es muss auch einen Mörder geben. Obwohl niemand zu sehen war, hielt Vicky den Atem an. „Wo sind Sie?“ „Im Volkspark Schöneberg, an der Südseite kurz nach den Kleingärten.“ „Wie heißen Sie?“ Vicky nannte ihren Namen. Das Telefonat dauerte ihr zu lange. „Wie haben Sie die Leiche gefunden?“ „Ich joggte und habe jemanden in einer merkwürdigen Position in einem Busch gesehen. Da habe ich nachgeschaut.“ „Sind Sie sicher, dass die Person tot ist?“ „Der Mann bewegt sich nicht mehr. Das Gesicht ist halb zerschmettert und die Schädeldecke ist Brei. Der Mann ist tot.“ „Haben Sie die Leiche berührt?“ „Nein.“ „Sehr gut. Ich informiere den nächstliegenden Abschnitt. Die Kollegen kommen sofort zu Ihnen. Bleiben Sie, wo Sie sind, und berühren Sie nichts, halten Sie am besten Abstand. Versuchen Sie Ruhe zu bewahren und rufen Sie wieder an, sollte etwas in der Zwischenzeit passieren. Ich lege jetzt auf.“ „In Ordnung.“ Also stand Vicky keine drei Meter von der Leiche entfernt und wartete. Sie ekelte sich, war aber auch neugierig. Die Neugier siegte. Sie ging die Böschung wieder hinunter, umrundete die dichte Hecke und fand seitlich eine kleine Lücke, die den Blick auf ein schmales Areal freigab. Vicky war überrascht, denn die Leiche hockte nicht, sondern kniete bis zum Bauchnabel in einer Mulde. Ein Steinhaufen daneben hielt den nackten Oberkörper aufrecht. Der Rumpf war auffällig lang und dürr. Vicky sah Wunden auf der Brust, braunroter Schorf klebte daran, der Mann musste stark geblutet haben. Messerstiche? Vicky fröstelte. Der rechte Arm des Mannes stützte mit abgewinkeltem...