E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Fuchs Gottvorkommen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-451-83530-8
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mystik im Alltag
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-451-83530-8
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was lässt uns hoffen in Zeiten vielfältiger Krisen? Wie können wir gut zusammenleben und die großen Herausforderungen bewältigen? Welche Quellen und Impulse sind dafür hilfreich?
Gotthard Fuchs hebt in 52 spirituellen Kurzessays Schätze von Alltagsmystik und entdeckt das Gottvorkommen in und "hinter" den Dingen. Mit dieser Ressource lässt es sich bewusster, solidarischer und wohl auch glücklicher durchs Leben gehen.
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ZUR WELT KOMMEN
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„Nichts ist schwer, sind wir nur leicht.“
(Richard Dehmel) Lieber dafür oder dagegen?
Natürlich sind wir alle geprägt – in den neun Monaten schon, bevor das Abenteuer des Lebens außerhalb des Mutterleibs beginnt. Und noch viel weiter zurück reichen die Begabungen und Erblasten, aus denen wir stammen. Ob einer eher schwermütig zur Welt kommt oder als geborener Optimist, liegt im Zusammenspiel der Gene, im soziokulturellen Kontext von Genealogie und Genese – und in jenem Raum, der im Deutschen zutreffend mit „Geheimnis“ beschrieben wird. Und wie viele Faktoren spielen dann nach der Geburt erst mit! Es gibt Menschen, die nehmen das Leben leicht, selbst wenn es schwer wird. Sie fallen immer auf die Füße. Und es gibt die Pechmaries und Kritikaster, die stets mit dem Schlimmsten rechnen und in jeder Suppe das Haar finden. Das ererbte Lebensgefühl findet irgendwann seine neue eigene Gestalt, so oder so. Man darf dann von Charakter sprechen oder von der Grundstimmung oder schlicht der Musik des Alltags. Wie stehe ich zum Leben: positiv oder negativ? Eher zuversichtlich und optimistisch oder eher als Bedenkenträger im Modus von Verdacht und Befürchtung? Also lieber dafür oder dagegen? „Ja oder Nein: Hat das menschliche Leben einen Sinn? Hat der Mensch eine Bestimmung?“ – so beginnt der Philosoph Maurice Blondel sein großartiges Werk Die Tat. Darin geht es um das Geheimnis des Wollens und des Handelns. Wir kommen auf Dauer um die Grundfrage nicht herum. Stimmen wir zu, und zwar mit Gründen und aus Überzeugung? Oder empören wir uns bis zuletzt oder harren agnostisch im Absurden aus? Verweigern wir das Eintrittsticket ins Dasein bis zuletzt? Ob widerwillig oder einwilligend – die Fragen stehen unentrinnbar im Raum. „Du weißt ja nicht, wie das mühsam ist, mit allen Sinnen ja zu sagen.“ So beginnt die vielfach von Leiden geplagte österreichische Schriftstellerin Christine Lavant eines ihrer Gedichte. Und wie vielen spricht sie damit aus dem Herzen! Lieber dafür oder dagegen – wie oft steht die Antwort auf der Kippe. Wie oft ist es ein richtiger Kampf, nicht in eine schleichende Resignation zu rutschen oder einfach blinde Kuh zu spielen. Behält das Vertrauen ins Gelungene und ins Gelingen das letzte Wort, mindestens der empörte Aufstand gegenüber dem, was zu schwer und zu fremd ist? Oder wird das dringende Nein unterschlagen und nicht gewagt? Ein Christenmensch wie Dag Hammarskjöld hat sich ein Leben lang damit herumgeschlagen. Am Ende notiert er im Rückblick: „Ich weiß nicht, wer – oder was – die Frage stellte. Ich weiß nicht, wann sie gestellt wurde. Aber einmal antwortete ich ‚Ja‘ zu jemandem – oder zu etwas. Von dieser Stunde an rührt die Gewissheit, dass das Dasein sinnvoll ist und dass darum mein Leben… ein Ziel hat.“ Das ist die Geburtsstunde zum ganzen Leben, das ist die Quelle wirklicher Lebensfreude und Gottesbejahung. Solch ein definitives Ja des Glaubens im Alltag zu bewähren, schließt das Nein gegen Böses und Schlechtes gerade nicht aus. Das Taufversprechen mit seinem „Widersagen“ und „Zusagen“ bringt es auf den Punkt. Vor der Klammer des Lebens und der Geschichte steht da eben doch das große Plus, und am Ende erst recht. Lieber dafür oder dagegen? Glänzend ist die Antwort darauf von Horst Köhler, dem ehemaligen Bundespräsidenten und überzeugenden Christen: „Dafür. Und dagegen nur mit Begründung.“ Ganz schön schwer
„Die Leute haben (mit Hilfe von Konventionen) alles nach dem Leichten hin gelöst und nach des Leichten leichtester Seite; es ist aber klar, dass wir uns an das Schwere halten müssen; alles Lebendige hält sich daran, alles in der Natur wächst und wehrt sich nach seiner Art…“ So rät Rilke einem frustrierten Dichterkollegen. „Wir wissen wenig, aber dass wir uns zu Schwerem halten müssen, ist eine Sicherheit, die uns nicht verlassen wird“. Solch eine Maxime könnte zwar den etwas schimmligen Beigeschmack der Altklugen haben, denen die Trauben zu hoch hängen. Aber gemeint ist ja, das ganze Gewicht der Welt auszuhalten und sich nicht schleckermäulchenhaft nur das herauszusuchen, was unmittelbar befriedigt oder einleuchtet. „Ganz schön schwer“ – antworten Kinder bisweilen auf die Frage, wie es in der Schule war. Und Erwachsene kennen diese Redewendung nur zu gut – es könnte eine gute Übersetzung für das missverständliche „Herrlichkeit“ sein. Denn vom hebräischen kabod her heißt das: Gewicht, Schwere, Bedeutung, und vom altgriechischen doxa her: Glanz, Ausstrahlung. „Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit“ – eine Wucht, schlechthin überwältigend. Ja, ganz und wunderschön, aller Zustimmung wert – das möge stets an erster Stelle stehen, und nie genug. Aber das Schwere! – Gewiss schön wie guter Wein und gelingende Schwangerschaft, aber eben auch abgründig wie Schwermut und Schicksal. „Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft“ (Franz Kafka). Ein überwältigendes Beispiel, wie mit solch „verhängter Herrlichkeit“ umzugehen ist, bietet das Leben von Etty Hillesum. Keine drei Wochen vor der Deportation nach Auschwitz noch schreibt sie mitten aus den entsetzlichen Lagerverhältnissen doch voller Gewissheit: „Ach, weißt du, wenn man nicht etwas Starkes in sich hat, das alles Äußerliche einfach als malerische Äußerlichkeit betrachtet, die im Vergleich zu dieser großen Herrlichkeit nichts bedeutet (im Augenblick fällt mir kein anderes Wort ein), das unser nicht zu verfremdender innerlicher Teil sein kann, dann ist die Lage hier eigentlich verzweifelt.“ Mit ihr in biblischen Gottesglauben eintauchend, wird man etwa an Paulus denken können. Der schreibt kritisch an seine Korinther, die eine enthusiastische „Spiritualität light“ bevorzugen: „Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert. Denn die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges (Schwer-)Gewicht an Herrlichkeit …“ (2 Kor 4,16f). Derart hoffnungsvoll gestimmt, darf man sogar, eben weil alles ganz schön schwer ist, sich den verrückten Vers von Richard Dehmel zur Maxime machen: „Nichts ist schwer, sind wir nur leicht.“ Schon bei Trost?
Mit den fröhlichen Fortschrittszeiten jedenfalls ist es vorbei. Mit Corona kam der erste große Knacks. Und mit den Kriegen vor unserer Haustür erst recht, in der Ukraine und im wirklich Nahen Osten. Gefühlslagen wie Ohnmacht, Wut, Trauer, Betroffenheit begegnen allenthalben, angefangen bei einem selbst. Dass offenkundig unabhängig voneinander verschiedene Zeitungen und Zeitschriften das Thema „Trost“ in die Leitzeile stellen, spricht für sich. Es herrscht offenkundig Trostbedarf, um diese großen Kränkungen zu verarbeiten. Schon gibt es ein neues Fremdwort für das Leiden an der Trostlosigkeit: Solastalgie (Glenn Albrecht), wie Allergie. „Der Mensch ist ein trostsuchendes Wesen. Trost ist etwas anderes als Hilfe – sie sucht auch das Tier; aber der Trost ist das merkwürdige Erlebnis, das zwar das Leiden bestehen lässt, aber sozusagen das Leiden am Leiden aufhebt“ – so die klassische Definition von Georg Simmel. Die Redeweise vom „Trost spenden“ ist bezeichnend. Solche Zuwendung und Ermutigung hat mit jenen Geschenken zu tun, derer wir dringend bedürfen. Allzu oft ist aus religiöser Hoffnung leider nur pure Jenseitsvertröstung geworden, die das Leben lähmen konnte und abwertete. Die säkularisierte Umkehrvariante im neuzeitlichen Fortschrittsdenken ist freilich auch an ihre Grenze gekommen: Diesseitsvertröstung – als könnten wir uns mit dem, was unsere reale Geschichte bietet, je zufriedengeben und darin ersehnte Erfüllung finden. Wo sich der Mensch selbstgewiss „übernimmt“ und aus allem das Beste machen will, gilt Trost fast als unanständig und peinlich, nur für Schwächlinge. Dabei gehört es zur Würde des Menschen, der Zuwendung anderer zu bedürfen und sich nicht mit Trostpflastern verkleben zu lassen. Nein, zum Dasein jenseits von Eden gehört das, was Habermas einmal die „Untröstlichkeit der Vernunft“ nannte; deren melancholischer Schatten begleitet ja auch das Denken und Empfinden seit den Mönchsvätern, und erst recht seit Aufklärung und Moderne. Irgendwie stimmt alles doch nicht, so sehr wir uns auch abmühen, ja abstrampeln. Aber mit Trostpreisen lassen wir uns nicht länger abspeisen. „Man darf keinen Trost haben. Keinerlei vorstellbaren Trost. Dann steigt die unaussprechliche Tröstung hernieder“ (Simone Weil). Genau das ist die biblische Grunderfahrung: Nach seinem totalen Zusammenbruch entdeckt Altisrael gerade im Exil, welche Trostmacht sich mit dem verbindet, den es nun als den einzig Wahren erkennt (vgl. Jes 40,1; 51,12; Ps 119,82). Und die...