Frommelt / Hitz / Kasper | Das Jahr ohne Sommer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 216 Seiten

Frommelt / Hitz / Kasper Das Jahr ohne Sommer

Die Hungerkrise 1816/17 im mittleren Alpenraum
mit zahlreichen s/w-Abbildungen
ISBN: 978-3-7030-0931-0
Verlag: Universitätsverlag Wagner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Hungerkrise 1816/17 im mittleren Alpenraum

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

ISBN: 978-3-7030-0931-0
Verlag: Universitätsverlag Wagner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Jahre 1816/17 sahen eine der schlimmsten globalen Hungerkatastrophen der Neuzeit. Der Auslöser war ein Vulkanausbruch in Indonesien. Weltweit berichteten Zeitzeugen über Wetterkapriolen und widrigste Klimaverhältnisse. 1816 blieb als das 'Jahr ohne Sommer' in Erinnerung. Anhaltende Regenfälle führten zu massiven Ernteeinbussen. Das Getreide verrottete auf den Äckern, und im Herbst mussten die Kartoffeln aus dem Schnee gegraben werden. Die Hungerkrise des Jahres 1817 ist als geschichtliches Thema ebenso faszinierend wie bedeutsam. Hier zeigen sich die Auswirkungen einer globalen Naturkatastrophe auf verschiedene Regionen und Gesellschaften - mit allen wirtschaftlichen und demographischen Folgen, mit Not und Leidenserfahrungen, mit sozialen Protesten und Unruhen, aber auch mit Hilfsaktionen, mit politischen und religiösen Bewältigungsversuchen. Der Band des Arbeitskreises für interregionale Geschichte des mittleren Alpenraums beleuchtet die Ursachen, den Ablauf und die Folgen dieser Krise. Der räumliche Fokus liegt auf Graubünden, Liechtenstein, St. Gallen, Tirol und Vorarlberg. Diese Gebiete waren auf der Alpennordseite mit am stärksten betroffen.

Fabian Frommelt, 2001 bis 2008 Redaktionsleiter beim Historischen Lexikon des Fürstentums Liechtenstein, seit 2008 Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut in Bendern/FL. Florian Hitz, seit 2004 am Inst. f. Kulturforschung Graubünden, seit 2012 Präsident der Historischen Gesellschaft Graubünden. Michael Kasper, seit 2017 stv. Obmann des Geschichtsvereins Region Bludenz; seit 2007 wiss. Mitarb. am Inst. f. Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Univ. Innsbruck. Christof Thöny, seit 2001 Gründungsobmann des Museumsvereins Klostertal, Organisation zahlreicher kultureller und wissenschaftlicher Projekte.
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und Die Entwicklung der Hungersnot von 1816/17 in der Ostschweiz, im Kanton St. Gallen und in der Region Werdenberg


HANSJAKOB GABATHULER

.1 Das Zitat ist dem 1820 erschienenen Bericht von Peter Scheitlin über seine „Armenreisen in den Kanton Glarus und in die Umgebungen der Stadt St. Gallen in den Jahren 1816 und 1817“ entnommen. Auf dieses und die , hervorgerufen durch die letzte grosse Heimsuchung der Schweiz durch den Hunger, sollen im Folgenden einige Schlaglichter geworfen werden, akzentuiert auf die Region Werdenberg, ausgeweitet aber auch auf den Kanton St. Gallen und die übrige Ostschweiz.

Dazu liegen etliche zeitgenössische Berichte vor, die ein teils drastisches, stets berührendes Bild der Zeitumstände geben. Sie lassen zudem erkennen, wie damalige Beobachter die Verhältnisse deuteten und einordneten. Besonders ausführlich und aussagekräftig sind der erwähnte Reisebericht des St. Galler Pfarrers und Gelehrten Peter Scheitlin (1779–1848)2 und das Werk des ebenfalls aus der Stadt St. Gallen stammenden Pfarrers, Lehrers und Mitglieds der St. Galler „Hülfsgesellschaft“ Ruprecht Zollikofer.3

Vom Freudentaumel zum Wermutskelch


Vom europäischen Umbruch in der Zeit von 1798 bis 1815 war die Schweiz direkt betroffen. Als Vasallenstaat Frankreichs zu einer Offensiv- und Defensivallianz genötigt, hatte die Eidgenossenschaft schon in den napoleonischen Kriegen erbärmlich zu leiden. Auf den Freudentaumel, der 1798 durch den Einmarsch der Franzosen und den Fall des Ancien Régimes auch im Werdenberg ausgelöst worden war, folgten die Nöte der Einquartierungen. Bereits um 1800 kam es zu einer ausgeprägten Hungerkrise, die noch verschärft wurde durch die Requisitionen der an der Sankt Luzisteig lagernden Truppen General André Massénas, der sein Hauptquartier in Azmoos aufgeschlagen hatte. Eine grosse Zahl Notleidender – vor allem Kinder aus den Krisengebieten der Kantone Linth und Säntis – wurde vorübergehend in andern Teilen des Landes aufgenommen, namentlich in den Kantonen Bern und Basel.4

Gemeindepräsident Sulser aus Azmoos berichtete in einem zeitgenössischen Rückblick: […] […] […] […] [und] .5

Die lange Kriegszeit nach 1798 hatte die Randregion Werdenberg durch die drückenden Lasten besonders hart mitgenommen. „Zwanzig Jahre des Krieges hatten die Staatenordnung aufgelöst; der Wohlstand war erschüttert […]. Mit dem zweiten Pariser Frieden [20.11.1815] kehrte nun das Schwert in die Scheide zurück, der Kanonendonner verhallte, und in Hütten und Palästen erwartete männiglich den Anbruch goldener Zeiten. Aber im Rate des Höchsten war es anders beschlossen; der Wermutskelch sollte geleert werden bis auf dessen unterste Hefe“.6

Die Kette unheilvoller Ereignisse


Als Hauptursache der Krise von 1816/17 gelten der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien und dessen globale klimatische Auswirkungen.7 Daneben kam es zu einer Häufung weiterer Faktoren, die sich zu einer Kette unheilvoller Ereignisse verbanden. In der mit besonderer Heftigkeit heimgesuchten Ostschweiz hatten sich schon die Jahre 1813 bis 1815 für die landwirtschaftliche Produktion als wenig ertragreich erwiesen. Zu Recht habe noch dem Jahr 1811 – dem „Elferjahr“ – das Prädikat eines Segensjahres gebührt, hielt der St. Galler Geschichtsschreiber August Naef (1806–1887) in seiner Chronik fest.8

Ins Gegenteil verkehrten sich dann aber die Folgejahre. Christian Hagmann (1784–1869), ein Seveler Landwirt, berichtete: [Valtüsch im Weisstannental, wo Seveler Bauern Alprechte besassen] [gemeint ist die Alp Palfris in der Gemeinde Wartau]. [Schneeverwehungen]. Auch im Jahr 1814 schneite es schon früh in den Alpen. Und […]. . Aus Grasmangel und wegen des Schnees musste manchenorts schon am 8. August mit dem Vieh wieder zu Tal gefahren werden.9

Abbildung 1 und 2: Gewitterszene mit Hagelschlag (links) und Überschwemmung (rechts) in der Ostschweiz. Aquarell aus dem Stettner’schen Hungertaler aus Nürnberg. Vorarlberger Landesbibliothek, Bregenz.

Offensichtlich war das Klima schon vor dem Ausbruch des Tambora starken Schwankungen ausgesetzt, die sich 1816 in unseren Breiten nun zusätzlich verstärkten. Nochmals sei der Seveler Bauer Christian Hagmann zitiert: […], [n] […] 10 11 […] .12 Neben der grassierenden Maul- und Klauenseuche waren in der Nordostschweiz zudem schon seit langem nicht mehr so viele Unwetter mit starkem Hagelschlag aufgetreten.13 Ein heftigstes Unwetter entlud sich am 4. Juli über dem Appenzellerland, dem Toggenburg und dem Thurgau, wobei .14

Noch grausamer traf es die Bewohner des Rheintals: Der plötzlich eintretende Föhn schmolz ungeheure Schneemassen, so dass der Fluss Mitte Juni 1817 über die Wuhre trat. Zu weiteren Wassereinbrüchen kam es im Juli und eine dritte Überschwemmung im August richtete in mehreren Gemeinden noch weit schlimmere Schäden an. Die Überschwemmungen trafen vor allem die wenig Begüterten, die auf den Ertrag des meist nahe am Fluss gelegenen Gemeindebodens angewiesen waren. Mit Booten fuhr man durch das Rorschacher Kornhaus, und die Strassen waren für Fuhrwerke nicht mehr passierbar – eine weitere Erschwerung des wöchentlichen Kornmarkts, und das ausgerechnet in dieser Zeit!15

Auch im nahen Ausland war das Getreide nur spärlich vorhanden, denn die blutigen napoleonischen Kriege hatten – nach Zollikofer – verzehrt.16 Schon im Oktober 1816 setzte eine fürchterliche Teuerung ein und die Lebensmittelpreise erreichten nie dagewesene Höhen. Mit der Fruchtsperre der deutschen Nachbarstaaten eröffneten sich zu Martini 1816 die düstersten Aussichten. Am 7. November brannte das Werdenberger Dorf Fontnas (Gemeinde Wartau) durch die Hand eines Brandstifters nieder. Unglücksfälle und Katastrophen ohne Ende verschonten kaum eine Region der Ostschweiz und stürzten die Bevölkerung ins Elend.17

Abbildung 3: Die Baumwollindustrie – Spinnerei, Spulerei und Weberei – brachte die Landbevölkerung in weiten Teilen der Ostschweiz dazu, sich als Textilarbeiter zu betätigen, auf Kosten des Ackerbaus. Appenzeller Weberpaar bei der Arbeit am Handwebstuhl um 1830. Aquarell von Johannes Schiess (1799–1844). Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Webstuhl_um_1830.jpg (gemeinfrei).

Wirtschaftsstrukturen – einseitig und labil


Im ausgehenden 18. Jahrhundert hatte in der Ostschweiz der wachsende Bedarf an hochwertigen Textilien den Prozess der Industrialisierung vorangetrieben, der mit der Abkehr vom Ackerbau einherging. Als Folge davon hing die Versorgung der Bevölkerung in zunehmendem Mass vom Nahrungsmittelimport aus der nördlichen Bodenseeregion oder aus der Lombardei...


Fabian Frommelt, 2001 bis 2008 Redaktionsleiter beim Historischen Lexikon des Fürstentums Liechtenstein, seit 2008 Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut in Bendern/FL.
Florian Hitz, seit 2004 am Inst. f. Kulturforschung Graubünden, seit 2012 Präsident der Historischen Gesellschaft Graubünden.
Michael Kasper, seit 2017 stv. Obmann des Geschichtsvereins Region Bludenz; seit 2007 wiss. Mitarb. am Inst. f. Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Univ. Innsbruck.
Christof Thöny, seit 2001 Gründungsobmann des Museumsvereins Klostertal, Organisation zahlreicher kultureller und wissenschaftlicher Projekte.



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