Fröhlich Maddrax - Folge 348
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8387-4460-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Zwischen den Welten
E-Book, Deutsch, Band 348, 64 Seiten
Reihe: Maddrax
ISBN: 978-3-8387-4460-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Endlich können Matt und Xij in die Höhle des Löwen vorstoßen. Doch in Campeche, Mexiko, erwartet sie nicht der Archivar, sondern nur dessen Robot-Armee. Samugaar selbst ist verschwunden. Ist es ihm gelungen, das Tor aufzubrechen und in den zeitlosen Raum vorzudringen? Dort, zwischen den Welten, steckt Tom Ericson in der Klemme: Weil er Quart'ol geholfen und damit die Stabilität der Zeit gefährdet hat, wird ihm der Prozess gemacht. Aber ist dies nicht ohnehin bedeutungslos? Wenn Samugaar erst zuschlägt, ist diese Welt dem Untergang geweiht!
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Er stützte sich auf den Stock mit dem goldenen Knauf und stellte zum wiederholten Mal fest, wie schlecht die Kleidung des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts zu ihm passte. Der Frack, die Hose und insbesondere der lächerliche Zylinder. Aber es war ihm wichtig, so nahe wie möglich an den Menschen dieser Epoche zu sein und sich ihrem Aussehen anzupassen. Er wollte auch nicht alles dem Gestaltmodulator überlassen, und so stellte zumindest seine Garderobe keine Illusion dar. Das Ziegelgebäude lag in einer schmalen Nebenstraße, fernab der Gaslaterne an der Kreuzung mit der Hauptstraße. Die Ruhe der Nacht wirkte beängstigend. Der gelegentliche Klang von Schritten im Nebel ließ die Stille nur umso bedrohlicher erscheinen. Der Reisende, der sich selbst Karanor Blyzz nannte, sah an der schmutzigen Front des Baus empor. Eine Brille ermöglichte es ihm, auch in der Nacht genügend zu erkennen. Eine leerstehende Lagerhalle. Über dem Holztor hing ein verwittertes schiefes Schild mit der Aufschrift Stafford & Sons. Blyzz wusste nicht, wohin sich der alte Stafford und seine Söhne nach dem Niedergang ihrer Firma abgesetzt hatten. Es interessierte ihn auch nicht. Viel bedeutsamer fand er, dass die Halle einen neuen Eigentümer gefunden hatte. Seit Juli 1888 gehörte sie einem Edward Sallinger; zumindest war das der Name, der unter den Verträgen stand. Der Reisende verband kein Gesicht mit dem Namen. Aber er war sicher, dem angeblichen Mister Sallinger bald in die Augen zu sehen. Dann würde er den Lohn für seine Mühen ernten, für die nächtelangen Recherchen und die vielen Fehlversuche. Diesmal hatte Karanor Blyzz einen anderen Ansatz gewählt als die Male zuvor. Er hatte sämtliche Eigentumsübergänge von Gebäuden im East End bis zu einem halben Jahr vor dem Mord an Mary Ann Nichols recherchiert. Sie galt als das erste Opfer von Jack the Ripper. Drei weitere waren seither gefolgt, aber der Reisende glaubte, dass es mehr geben musste. Und er war sich sicher, mit Sallinger die richtige Spur gefunden zu haben, denn die Unterschrift auf den Kaufverträgen glich verdächtig der Schrift des Briefes an George Lusk, den der Ripper mit den Worten „From Hell“ überschrieben hatte. Karanor Blyzz legte die Hand auf den Türknauf des Holztors. Abgeschlossen. Keine Überraschung. Aber für einen wie ihn kein Hindernis. Er zog einen fingerlangen Metallstab aus der Fracktasche, presste dessen Spitze gegen das große Schlüsselloch und drückte einen Knopf am anderen Ende des Stabs. Ein raschelndes Geräusch erklang, das der Reisende als das Herausgleiten der Kontaktfäden kannte. Er stellte sich vor, wie sie nun selbständig das Schlossinnere abtasteten, es analysierten und nach nicht einmal zwei Sekunden entriegelten. Klack. Blyzz lächelte. Ein letzter restlichtverstärkter Blick nach links und rechts, dann drückte er die Tür auf. Leicht und ohne zu quietschen schwang sie nach innen. Ein Zeichen, dass man sie in den vergangenen Monaten häufiger benutzt hatte? Muffige Luft schlug ihm entgegen. Sie roch nach Staub und fauligem Holz. Spinnweben hingen in den Ecken der Lagerhalle. Bis auf sie und eine Pyramide aus sechs Kisten stand das Vorratshaus leer. Irgendwo tropfte Wasser auf den Boden. Keine Spuren von Benutzung. Ein Irrtum, wie der Reisende Sekunden später feststellte. An der linken Wand führte eine Treppe zu einer Tür mit einer milchigen Glasscheibe. Ein Büro. Nicht das Einzige, denn auch ebenerdig und auf der rechten Seite entdeckte er Türen. Überall hingen Spinnweben in den Rahmen. Nicht jedoch bei der Tür mit der Milchglasscheibe. So geräuschlos wie möglich stieg er die Stufen hinauf, verharrte einen Augenblick vor der Bürotür und öffnete sie. Eine weitere Komponente mischte sich in den muffigen Geruch der Lagerhalle. Sie bewies dem Reisenden, dass er am Ziel angekommen war. Es stank nach Blut und Fäulnis. In der Mitte des Raums stand ein wuchtiger Holzschreibtisch, fingerdick von Staub bedeckt. An den Wänden reihte sich Aktenschrank an Aktenschrank, zum Teil mit herausgezogenen Schubladen, aus denen Papiere quollen wie die Innereien eines geschlachteten Tieres. Eine merkwürdige Assoziation, dachte Karanor Blyzz. Vermutlich war es der Gestank des Todes, der sie hervorrief. Er zog einen Strahler aus der Tasche und umklammerte den Griff. Dadurch aktivierte er den Impulsdorn, der der Waffe das Aussehen eines Schraubenziehers verlieh. Sollte sich Sallinger hier aufhalten, würde er ihn damit in einen willenlosen Fleischroboter verwandeln, der ihm alles verriet, was er wissen wollte. Einen Moment lang bedauerte er, sich solcher Mittel bedienen zu müssen. Aber bei seinen ersten Versuchen hatte er nur die Möglichkeiten des Jahres 1888 genutzt – und war gescheitert. Warum also sollte er nicht auf fortschrittlichere Technik zurückgreifen? So wie die echten Reisenden? Trotzdem hatte er das Gefühl zu schummeln. Er trat in den Raum. Sein erster Blick galt dem toten Winkel hinter der Tür. Außer einem Kleiderständer entdeckte er dort nichts. An ihm hing sogar noch ein Mantel. Die Herren Stafford hatten es offenbar wirklich eilig gehabt, von hier wegzukommen. Ein Versteck, in dem sich Sallinger verbergen konnte, sah er nicht. Weiter. Zum Schreibtisch. Mit dem Strahler im Anschlag umrundete er ihn. Da sah er sie: die restlichen Opfer des Rippers. Drei Frauen und ein Mann lagen sorgfältig aufgereiht hinter dem Tisch. Die Toten befanden sich im unterschiedlichen Zustand der … Bearbeitung. Vermutlich war Sallinger noch nicht fertig mit ihnen. Eine Frau trug schreckliche Verletzungen, von denen die aufgeschlitzte Kehle die am wenigsten widerwärtige war. Die Szenerie glich der in einem Schlachthaus. Die anderen Opfer waren so blutverschmiert, dass Karanor Blyzz auf Anhieb nur bei einer der Frauen weitere Verletzungen am Hals und im Bauchbereich entdecken konnte. Auch hier keine Spur von Sallinger. Vielleicht war er gerade auf der Jagd nach seinem nächsten Opfer. Der Reisende steckte den Strahler weg, trat zwischen die Leichen und beugte sich zu einer der Frauen hinunter. Noch bevor er das Geräusch hinter sich hörte, wurde ihm der Fehler bewusst, den er begangen hatte. Der Mantel am Kleiderständer. Der Mann in der Reihe von Toten. Seit wann ermordete Jack the Ripper Männer? Er fuhr hoch und kreiselte herum. Vor ihm stand der angebliche Tote. Ein Grinsen lag in dem blutverschmierten Gesicht. Der Reisende kam nicht mehr dazu, den Strahler zu ziehen. Eine Klinge zuckte vor, durchdrang seinen lächerlichen Frack, die bernsteinfarbenen Schuppen seines Körpers und fraß sich in sein Fleisch. Ein Flimmern durchlief die Gestalt des Mörders. Bevor es dunkel um Karanor Blyzz wurde, sagte eine körperlose Stimme: „Mission gescheitert. Bitte starte den Abschnitt neu.“ Vor einigen Jahren in einer weit entfernten Zukunft Der Archivar beendete das Programm, klappte die Neuronaltransmitter nach oben und stand von der Simulationsliege auf. Es war ihm wieder nicht gelungen, Jack the Ripper zur Strecke zu bringen. Bereits zum siebten Mal! Dabei war er sich so sicher gewesen, es diesmal schaffen zu können. Beim nächsten Versuch würde er wieder von vorn beginnen müssen, weil der Rechner die Geschichte um die historisch belegten Fakten bei jedem Neustart veränderte. Manchmal bedauerte er, nicht wirklich ein Reisender zu sein. Er sehnte sich danach, die Epochen der Weltgeschichte aller Parallelrealitäten zu durchwandern und die gewonnenen Erkenntnisse an die Historiker zur Speicherung im Wissensdom zu übermitteln. Ungefähr eine Million Jahre bei etwa achtzig verschiedenen Welten – da kam einiges zusammen. Viel geschichtliches Wissen war verloren gegangen und musste seit der Entdeckung der Zeitreisen mühsam wieder gesammelt werden. Kein Wunder, dass es noch viele Wissenslücken gab. Andererseits war es jedem Reisenden strengstens verboten, in den Ablauf der Geschichte einzugreifen, weil das unvorhersehbare Konsequenzen nach sich zog. Der Archivar war kein Temporalphysiker und begriff die Prinzipien nur im Ansatz, aber er wusste, dass Veränderungen in der Vergangenheit die Gegenwart mit einer neuen Version überschrieben – und niemand auch nur ahnen konnte, wie diese neue Version ausfallen würde. Deshalb stellte man bei Reisenden besonders hohe Ansprüche an ihr Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein. Das Gleiche galt für die Sammler, die den zeitlosen Raum mit den technischen Errungenschaften jeder Epoche füllten. Nachdem sich die Mentalsubstanz des Archivars zu einer Rückkehr ins Leben entschlossen und seinen neuen Leib beseelt hatte, waren die Gruppierer nach einer Hirnstrommessung und der Prognose seiner körperlichen Entwicklung leider nicht zu dem gewünschten Ergebnis gekommen. Der zeitlose Raum und ein oder zwei Schritte hinaus – näher durfte er den vergangenen Welten nicht kommen. Womöglich hatten sie mit ihrer Einschätzung recht. Warum sonst verbrachte er...