Fröhlich | Giuseppe | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Fröhlich Giuseppe


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7504-5463-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

ISBN: 978-3-7504-5463-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein exemplarischer Tag aus dem Leben eines Clochards: Giuseppe, ein sozialentgleister Halbfranzose aus der Unterschicht, der nichts kann, nichts weiß, vor allem aber nichts will, ist Fallbeispiel dieser Studie. Von Bambergs Kultur bleibt angesichts dessen wenig übrig. Einen Novembertag lang folgt der Erzähler dem grotesk anmutenden Helden in die jeweiligen Milieus und schildert seinen Alltagskampf.

Michael Fröhlich, am 01. Mai 1995 in Mutlangen geboren, war nach dem Abitur Freiwilliger beim Deutschen Roten Kreuz. Danach verschiedene Reisen und Aufenthalte in Europa, Afrika und Neuseeland. Anschließend Studium der Germanistik und Philosophie. Später Student der Soziologie an der Universität Bamberg. Für »Heinrich und Puk« 2019 Arbeitsstipendium des Förderkreis dt. Schriftsteller in BW. Im selben Jahr erster Abdruck in fortississimo: Edition junger Texte.

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1.
Unsere Erzählung beginnt am frühen Morgen des Novemberanbruchs, zu einer der kältesten Zeiten des Tages und Jahres. Die Nacht war unlängst gezogen und hatte ihren frostigen Schatten zurückgelassen, Horizont und Zenit des Himmels unterschieden sich nicht; waren von dicken, undurchsichtigen Schwaden verhangen, sodass alles an Bauten und Natur aus graumilchiger Substanz hervorging. Dieses Weiß, welches den Sensibleren unter uns Schwermut bis Freudlosigkeit eingibt, den cholerischen Charakteren hingegen Missvergnügen, da deren Gemüt zwar nicht leiden muss, sie sich wohl aber, hinsichtlich des Wetters, um ihren Anspruch betrogen sehen – dieses Weiß verzog sich den gesamten Tag über nicht, und kann von der Leserphantasie als grundsätzlicher décor angenommen werden. Es war ein Sonntag. Giuseppe schlief. Seit zwei Stunden jedoch begehrte sein Bewusstsein immer wieder auf, wollte den schummrigen Dämmer durchbrechen und dem Tage begegnen – die Furcht vor dem scheußlichen Erwachen jedoch unterwarf dieses Aufstreben auf unbewusstem Weg, und so kam es, dass Giuseppe stets erneut entschlief, und, seine nassen Beine, den nassen Bauch, den kalten Fuß und auch den bestialischen Gestank verdrängend, zurück in die Dunkelheit entglitt. Naturgemäß kam es trotzdem zu jenem Punkt, welcher nicht umschlafen werden kann, und wobei der Betroffene, so vernebelt sein Sinn auch sein mag, derart zu sich kommt, dass es unmöglich wird, die schmutzige Realität zu verneinen; Giuseppe war schmutzig. Die ersten Regungen waren impulsive Söge durch die Nase. Das Gerochene gefiel offensichtlich nicht, denn es folgte einen Lang- und Nach-unten-Ziehen des Mundes. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Er blinzelte durch verquollene Augen und hustete einmal fest in die Faust. Sein rechter Fuß war entblößt, dann sah er in die Faust und wischte den schleimig braunen Klumpen an der Jeanshose ab. Er zog die Beine an, stemmte die eine Hand auf die Klobrille und drückte sich zitternd nach oben, hielt sich an der Trennwand und keuchte einmalig schwer. Die Hinterseite der Hose haftete durchnässt an seiner Haut, prüfend fasste er sich an den Hintern und drückte dabei wenige Tropfen aus dem Stoff, welche sofort, als die Hand weggenommen war, wieder aufgesogen wurden. Die Pfütze, in welcher er stand, schlug kleine Kreise, die sich um seinen einen bekleideten, und den anderen unbekleideten Fuß ausbreiteten. Ohne die Füße zu bewegen, verdrehte er den Oberkörper, um einen Blick in die Kloschüssel zu werfen. Der Betrachtung des aus Klopapier und Kot bestehenden Haufens, mit dem sich die Spülung seit langem nicht hatte messen können, entnahm Giuseppe, dass er nicht vomiert hatte. Es folgten zwei Huster. Ein dritter und vierter – ein ausgiebiges Freihusten der Atemwege, bis Tränen in Giuseppes Augen stiegen und er sich erschöpft auf den Rand der Klobrille niederließ. Er begriff wohl, dass es sich bei jener Pütze, in welcher er geschlafen hatte, durchaus nicht um Leitungswasser handelte. Viel mehr war diese Pütze durch ihn, um ihn herum entstanden. Er fasste sich an den Bauch. Auch Shirt und Stoffjacke waren großteils durchnässt, die Winterjacke nirgendwo zu sehen. Dann betrachtete er seinen nackten Fuß, dessen lange, knubbelige Zehen gelblich schmutzig waren. Auch am Knöchel befanden sich bräunliche Spritzer, welche sich, nachdem er versuchte, sie mit dem Fingernagel abzukratzen, als hartnäckig erwiesen. Noch immer auf dem Toilettenrand sitzend, überprüfte er seine Hosentaschen. In der einen fand er ein gewöhnliches Feuerzeug, welches nach einigen Versuchen zu einer Flamme im Stande war. Ebenso fand er zwei Zigaretten, von denen die rechte nur einseitig nass war. Die Ellbogen auf den Oberschenkeln abgestützt, begann er, die Zigarette über der Flamme mittels schnellen Hin- und Her-Bewegungen zu trocknen. Der inhalierte Rauch verursachte erneut Husten. Als Giuseppe mit der Zigarette fertig war, erhob er sich wieder und warf den Stummel auf den Haufen in der Toilette. Ein Würgereiz machte ihn die Arme kurz hilflos abspreizen und sich nach vorne lehnen. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt und allein das Stehen bereitete Anstrengung, sodass er sich mit Gesäß und Rücken an die Trennwand lehnte, um kurz auszuharren. Gegenüber an der Wand waren kleine, goldbraune Brandflecken, sowie achtlos hingeschmierte Parolen zu besehen, Giuseppes Blick schien jedoch ins Nichts zu gehen. Dem gedankenverlorenen Gesichtsausdruck zufolge dachte er an den vorangegangenen Abend, an die Mahlzeit, den Exzess, die letzten, ungetilgten Erinnerungen… Ein röhrendes Gähnen seines Magens veranlasste ihn, die Toilettenkabine zu räumen. Er schob den Riegel zur Seite, zog die Tür an, und trat in den Flur. Selbst ohne die auffällige Haltung des dürren, langgliedrigen Giuseppes (den Oberkörper leicht nach vorn geneigt, der Kopf letztlich abknickend und zu Boden gerichtet), hätte er den verlorenen Schuh inmitten des Flurs nicht übersehen können, sowie die braune, hartgetrocknete Schleifspur, welche die letzte Bewegungsrichtung angab, ehe der Schuhe abgestreift worden war. Natürlich waren die Sportschuhe, die er zu tragen pflegte, alt, ausgefranst, die Sohlen durchgelaufen und für die Jahreszeit reichlich ungeeignet, denn das Wasser drang von unten hindurch und warm gaben sie nicht. Dass der Eine des Paares nun jedoch mit scheinbar ursprünglich nassem Kot angefüllt und bedeckt war, das machte ihn wesentlich unbrauchbarer – und just in der Betrachtung des schmutzig weißen Schuhs, der auf den dunkelgrauen Fließen zunächst über die eigene Fracht gerutscht, dann liegen geblieben war, drängte sich, als müsse ein Gegenstand zunächst gesehen werden, ehe er Duftstoffe entsendet, Giuseppe der Fäkalgeruch auf. Er hatte den Schuh nur einen Augenblick lang gemustert; schon ging er um die Kabine, in welcher er genächtigt hatte, und trat vor den Spiegel. Das Licht der öffentlichen Toilette war grell und trotzdem auf eine Weise dunkel; von Tageslicht war im unterirdischen Parkgeschoss nichts zu bemerken. Der Spiegel wurde selten gewischt; die Spiegelung war durch die zarte Staubschicht leicht eingetrübt. Im Waschbecken klebte ein nasser Klumpen des grauen Trockenpapiers. Ohne sich anzugucken, wusch Giuseppe seine Hände und machte dabei nicht den Eindruck, eine lang einstudierte Bewegung auszuführen: Anstatt mit den Fingern ineinander zu greifen und gleichsam die eine Hand die andere putzen zu lassen, wischte er unbeholfen mit der einen Handfläche über Rücken, Gelenke und Fingerzwischenräume der anderen Hand; und eine tierische Art war ihm dabei zu eigen, wie er die Hand weit vornüber gebeugt musterte, erneut zu wischen begann, den Kopf zuckend drehte oder lautstark durch die Nase ausatmete, dass es einem unzufriedenen Grunzen gleich kam. Erneut ächzte sein Magen, was einen knappen Blick in das eigene Antlitz herbeiführte – welcher nicht ungenutzt bleiben soll. Zunächst die Augen. Vom grässlichen Schlaf, dem Alkoholgenuss, sowie einer gewissen Mattheit der Seele belastet, zogen sich rötliche Filme über Giuseppes Augenweiß. Auch die Augenränder waren tiefrot. Die grauen Regenbogenhäute, welche an das draußen herrschende, charakterlose Weiß erinnerten, umschlossen Pupillen, aus denen bei subtiler Betrachtung nichts hervorging; kaum an Willen, noch an Leiden. Die Lider waren wie geschwollen dick und hingen ermüdet schwer bis über die grauen Kreise. Die Stirn schien alt. Wegen des beständigen zu Boden Starrens, welches beinhaltete, dass Giuseppe häufig die Stirn runzelte, sofern er geradeaus oder nach oben sah, bahnten sich bereits in seinem verhältnismäßig jungen Alter tiefe Falten in das Stirnfleisch. Weitere Gesichtspartien wiesen ähnliche, frühalte Züge auf. So etwa die Backen, welche unterhalb der Wangenknochen grauschattig einfielen, und ganz allgemein die bleich anliegende Haut, welche von Leben unausgefüllt blieb. Das Kinn, das sich des Öfteren krampfhaft kraus noch oben zog, war zudem wegen seiner Mickrigkeit auffällig. Ein an den Rändern schmaler Mund, welcher mittig der Oberlippe jedoch eine hervorstehende und nach unten geneigte Auswölbung trug und dem darum etwas kindliches, einfältiges anhaftete. Die unförmige Nase zeigte mit der Spitze leicht nach oben und war deutlich zu groß für das zarte Nasenbein, sodass sie wie nachträglich angebracht anmutete. Blonde, bisweilen schwarz eingefärbte Bartstoppeln, die sich über der Lippe konzentrierten. Seitlich der Stirn zog sich der Haaransatz bereits zurück; Geheimratsecken, wie es der Volksmund nennt. Das Haar ungepflegt, pechschwarz und glänzend, am Wirbel hinten abstehend. Durchaus: Giuseppe wirkte Jahre älter als er war. Wer ihn nicht kannte, der ging richtig in der Annahme, dass diesem unbekannten Niemand getrost aus dem Weg gegangen werden musste, ja, Giuseppe hatte es – und dies sei mit Vorsicht gesagt – in der Tat geschafft, sein Inneres nach außen zu kehren; – – Freude, Sinn, Würde – das gehörte nicht dazu, dafür eine unsichere, bis verbissen...



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