E-Book, Deutsch, Band 2, 256 Seiten
Reihe: Ein Andrea Schnidt Roman
Fröhlich Familienpackung
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-10-400030-5
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 256 Seiten
Reihe: Ein Andrea Schnidt Roman
ISBN: 978-3-10-400030-5
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Susanne Fröhlich ist erfolgreiche Moderatorin, Journalistin und Bestsellerautorin. Sie lebt in der Nähe von Frankfurt am Main. Sowohl ihre Sachbücher als auch ihre Romane - »Familienpackung«, »Treuepunkte«, »Lieblingsstücke«, »Lackschaden«, »Aufgebügelt«, »Wundertüte«, »Feuerprobe« und zuletzt »Verzogen« - wurden alle zu riesigen Erfolgen.
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Tag 2
Der nächste Tag, Tag X, der Aufbruch ins wilde Leben, beginnt vielversprechend. Als würde mein kleines privates Umfeld ahnen, was Sache ist. Alle sind friedlich. Niemand haut, niemand brüllt. Es herrscht himmlische Ruhe. Wunderbar. Während ich den Kindergartenproviant zubereite, Äpfelchen zerteile und Brote schmiere, werfe ich zur Bestätigung meines Vorhabens nochmal einen schnellen Blick auf die Liste in meiner Küchenschublade.
Ich will:
-
mehr Spannung
-
mehr Sex
-
mehr Anerkennung
-
schlankere Schenkel.
Und alles bitte schnell. Ganz schnell.
Ich glaube, da fehlt noch was. Ich ergänze:
-
prima Stimmung
Christoph ist erstaunt. Über meine angeblich ungewohnt gute Laune. Üblicherweise bin ich morgens wirklich nicht direkt das, was man in Hochform nennt. Aber es ist wahr: Man kann sich mental puschen. Mit einem kleinen Stück Papier. Hätte ich das früher geahnt, hätte ich es längst getan.
Als Claudia und Christoph sich auf den Weg machen, bekommt mein Liebster einen langen Abschiedskuss. Mit allem drum und dran. Wir züngeln, bis Claudia anfängt, an uns zu zerren. Es scheint ihm zu gefallen. »Ich glaube, ich komme heute Abend mal früher und lasse die Akten im Büro.« Mit diesem Satz signalisiert er, dass ihm die Verabschiedung durchaus gefallen hat. Na bitte, vielleicht ist ein Teil des Problems meine morgendliche Stoffeligkeit. Wie hat mein Vater schon immer gesagt: »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.« Beschließe, ab jetzt morgens der reinste Sonnenschein zu sein. Mal wieder richtig zu knutschen, ist toll. Heute Abend werden wir es ordentlich krachen lassen.
Ich dusche und creme mich ein, als wäre es schon in wenigen Minuten so weit. Vorfreude ist doch die schönste Freude. O Himmel – ich werde noch genauso eine Sprüchetante wie mein Vater. Meine Güte. Dabei habe ich schon als genervtes Kind gedacht, so einen Kram würde ich niemals im Leben erzählen. Wie man sich täuschen kann. Die Gene schlagen halt doch durch. Blöderweise auch an meinen Schenkeln. Eine leichte Kraterlandschaft. Sie bekommen eine Extraportion Bodylotion. Gecremt sieht das Elend schon besser aus.
Ich betrachte mich im Spiegel. Obenrum geht’s. Vor allem, weil der Spiegel vom Duschen noch leicht beschlagen ist. Untenrum, nun ja. Aber das wird.
Heute Nachmittag geht’s in die große Stadt. Schließlich muss ich Christoph ja noch ein Geschenk besorgen. Hier im Ort ist das mit dem Shoppen so eine Sache. Ein abgetakelter kleiner Eissalon, ein Schreibwarenlädchen, Zeitschriften und ein Supermarkt. Nicht zu vergessen die Boutique Anni. Der Name sagt alles. Ich kaufe wirklich sehr gerne ein, aber bei Anni bleibt meine Kreditkarte völlig ruhig. Nicht die kleinste Zuckung. Seit wir hier draußen leben, ist mein Konto um einiges entspannter. Wo soll ich hier mein Geld auch lassen? Vor allem mein Geld! Seit ich nicht mehr arbeite – jedenfalls nicht außer Haus –, leben wir von Christophs Verdienst. Nichts Ungewöhnliches, aber für mich doch sehr gewöhnungsbedürftig. Christoph ist zum Glück kein Sparbrötchen. Oder besser gesagt, kein extremes Sparbrötchen. Er hat durchaus andere Vorstellungen als ich davon, wofür man dringend Geld ausgeben sollte. Allerdings würde ich durchdrehen, wenn ich für jedes Paar Kindergummistiefel um Geld bitten müsste.
Die Kinder habe ich für heute Nachmittag wegorganisiert. Claudia geht nach dem Kindergarten zu ihrer Freundin und Mark zu einem Freund. Ich werde wie in alten Zeiten ganz allein in Ruhe durch die Stadt bummeln. Ein schöner Gedanke.
Punkt drei Uhr gebe ich Mark bei seinem Lieblingskumpel Kai ab und beschließe, eine sehr vernünftige Person zu sein. Ich werde mit der S-Bahn in die Stadt fahren. Die S-Bahn-Nähe hat unser Haus sicher um 15 % teurer gemacht, da wäre es ja sträflich, die Bahn nicht zu nutzen. Christoph weigert sich standhaft, mit der Bahn in die Kanzlei zu fahren. Er steht lieber mit seinem schicken BMW im Stau. Ich hatte kurz überlegt, ob eine Monatsmarke für den öffentlichen Nahverkehr ein schönes Geburtstagsgeschenk sein könnte, die Idee dann aber schnell wieder verworfen. Erstens: Jeder wie er es gerne hat. Zweitens: Ich bin ja keine Missionarin, und drittens: Von einem solchen Geschenk wäre ich auch nicht gerade beglückt.
Ich hetze zur Bahn, parke den Wagen, lobe nochmal insgeheim meine Vernunft und spurte los. Manchmal hat der Mensch Glück – sogar ich –, die Bahn fährt gerade in dem Moment ein, als ich den Bahnsteig betrete. Eigentlich müsste ich noch ein Ticket ziehen, aber dann würde ich wieder 20 Minuten an diesem trostlosen Bahnhof stehen und in dieser Zeit könnte ich schon herrlich Geld in der Stadt ausgeben. Außerdem: Habe ich nicht beschlossen, ab heute wild und gefährlich zu leben? Und genau besehen bin ich auch nicht mehr so jung, dass ich meine Zeit an einem Bahnsteig verschwenden könnte. Wie oft bin ich als Teenie – lange ist es her – schwarzgefahren. Was damals ging, geht doch auch heute. Rein in die Bahn. Ganz so lässig wie damals als Jugendliche bin ich aber doch nicht mehr. Ich bekomme sofort einen roten Kopf, als könnten die anderen Fahrgäste gleich sehen, dass ich eine böse, miese Schwarzfahrerin bin. Ich setze mich, starre auf den Boden und hoffe, dass die Fahrt schnell vorbeigeht. Ein echter Kick ist das nicht. Na ja, versuchen kann man’s ja mal. Zwei Stationen später geht’s mir schon besser. Man gewöhnt sich ans Bösesein.
An der dritten Haltestelle, Rödelheim Bahnhof um genau zu sein, beginnt das Grauen. »Die Fahrausweise bitte«, schallt es durch die Bahn. O nein. Wie komme ich hier bloß raus? Ich versuche mich zu beruhigen, überlege wie im Wahn, welche Ausrede angebracht wäre. Kein Kleingeld, Monatskarte vergessen oder Ähnliches ist doch arg profan und unglaubwürdig. Ich habe noch nicht zu Ende gedacht, da stehen sie schon vor mir. Drei Kontrolleure. Zwei Kerle und eine Frau, die mich nett anlächelt. Noch. »Ihre Fahrkarte bitte«, sagt einer der Männer freundlich. Ich fange an zu wühlen, werde knallrot bis zu den Ohren, habe das Gefühl, in wenigen Sekunden einfach umzukippen und beginne meinen Stammelmonolog, »Tja also, ich finde sie irgendwie nicht.« Unterstützend wühle ich manisch in meinen Taschen und versuche, unschuldig zu gucken. Sehr elegant ist das nicht, aber was Besseres fällt mir leider nicht ein. »So, so«, sagt der erste Kerl nur und wiegt bedächtig den Kopf.
»Isch hab eine«, brüllt der andere Kerl daraufhin fast begeistert durch den gesamten Wagen und da sehe ich auch schon das Licht. Eine Kamera mit einem kleinen Scheinwerfer und ein blonde Tussi mit Mikrophon. Ist das hier ›Verstehen Sie Spaß‹ oder was? »Was wollen die denn da?«, frage ich den ersten Kerl. »Die mache ’ne Reportasche zum Thema Schwarzfahrer för RTL Explosiv«, informiert er mich stolz. Das fehlt ja noch. »Ich fahre nicht schwarz, sondern ich finde meine Fahrkarte einfach nur nicht«, sage ich so ruhig und entspannt wie irgendwie möglich. »Des sache se alle«, triumphiert der zweite Kerl und zwinkert der Reportertussi zu. Die sieht ihren Moment gekommen, schiebt mir das Mikro unters Kinn und fragt mit einem unterschwelligen Grinsen: »Wieso fahren Sie denn schwarz?« Jetzt langt es aber. Ich bin schon fast selbst davon überzeugt, meine Fahrkarte verschlampt zu haben, so angegriffen fühle ich mich. »Ich finde sie nicht«, insistiere ich nochmal. »Ich habe sie noch eben gezogen und jetzt ist sie weg«, heuchle ich mir einen ab.
Da mischt sich doch glatt eine Frau, zwei Reihen vor mir ein. Wir haben sowieso recht stattliches Publikum. Keiner will sich das Spektakel entgehen lassen. »Sie, Sie sind doch eben einfach in die Bahn gesprunge, ich hab Sie net am Automate gesehen. Un ich bin an derselbe Haltestell los.« Na prima. War die in ihrem früheren Leben bei der Stasi oder hat die zu viel Aktenzeichen XY gesehen? Ich hasse solche Leute. Gilt so was mittlerweile als Zivilcourage? Die RTL-Tante, aufgetakelt, als wäre sie bei einer Gala und nicht in einer schnöden S-Bahn, dreht sich für einen Moment von mir weg und hält der Petzliese das Mikrophon unter die Nase. »Würden Sie das nochmal wiederholen, das, was Sie gesehen haben?«, fordert sie die Frau auf. Die fühlt sich inzwischen, als wäre sie Kronzeugin eines Kapitalverbrechens und holt jetzt erst so richtig aus. »Isch kenn die Frau und isch hab alles gesehe. Die war net am Automate und hat aach kaa Fahrkart gezoge. Un unner uns, die haben werklisch genug Geld, um ’ne Fahrkart zu bezahlen. Aber des is ja typisch. So Leut bedrüge dann noch de Staat.« Hilfe, wer ist denn diese Wahnsinnige? Ihr Gesicht kommt mir vage bekannt vor. »Was reden Sie denn da«, unterbreche ich die Frau, »kennen wir uns?«, frage ich nochmal nach. Man weiß ja nie. »Sie kenne misch wahrscheinlisch net, aber isch Sie. Un Ihr Kind aach. Die verwöhnte Grott. Leut wie Sie übersehe ja gern Leut wie misch. Isch putz im Kinnergarten, wo Ihne ihrn Frau Tochter hingeht. Un isch bezahl mei Fahrkart. Immä. Obwohl isch es net so dicke hab wie Sie.« Scheiße. Scheiße. Scheiße. RTL und dazu die Kindergartenputzfrau. Welch eine unheilvolle Kombination. Morgen weiß es das ganze Kaff. Na bravo. Die RTL-Frau ist kurz vor der Ekstase. Schwarzfahrerin und dazu noch einen Hauch Klassenkampf. »Jetzt langt es aber«, sage ich und betone nochmal, dass ich meine Fahrkarte schlicht nicht finde. »Gelochen, alles voll geloche«, schreit die Frau aus dem Kindergarten,...