Teil I
„Best Practice“ – Verwalter werden
*) A. Kontaktaufnahme mit dem Insolvenz- und Restrukturierungsgericht
I. Die Rahmenbedingungen: Derzeitige „Vorauswahl-Listungspraxis“ und kommendes „Bundesverzeichnis“
1 Die Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen rund um die Bestellungspraxis der Insolvenzgerichte – oder besser der Insolvenzrichter – ist unabdingbar vor einer Kontaktaufnahme mit diesen zum Zwecke der „Bewerbung“. Und diesen Begriff im Rahmen des hiesigen Praxishandbuches in Anführungszeichen zu setzen, zeigt schon die gesamte Problematik rund um diesen Bereich auf: Denn es gibt eigentlich keine geregelte „Bewerbung“ bei den bestellenden Insolvenzrichtern und es wird sie auch künftig bei gesetzlicher Implementierung eines „Bundesverzeichnisses“ der „zugelassenen“ Insolvenzverwalter/Sachwalter und übrigen amtlich bestellten sanierungsrechtlich-insolvenzrechtlichen Personen nicht geben.
1. Die „Bestellungsdebatte“ im Überblick
2 Die Diskussion rund um die gerichtliche „Bestellungsakte“ hat nach Inkrafttreten der InsO die Stellung der Insolvenz- (und nunmehr auch der Restrukturierungs-)gerichte maßgeblich beeinflusst und geprägt. Während sie z. Zt. der Geltung der KO noch weitgehend unbekannt war, nahm sie bereits 2001 Fahrt auf. Ihr Ausgangspunkt war so einfach wie der spätere Verlauf kompliziert wurde: Mit Zunahme der massehaltigen Insolvenzverfahren und einem „moderneren“ Insolvenzverständnis, welches nun auch vermehrt Betriebsfortführung, Massemehrung und damit auch Vergütungssteigerung beinhaltete, und zunehmender Anzahl von „Großverfahren“ lautete die Frage so manches Insolvenzverwalters: „Warum der, warum nicht ich?“. Es ging damit um Verfahrensvergabe, Zugang zur Verfahrensbestellung und – mitunter bis heute – Begründung der Bestellungsentscheidung, und im Hintergrund „lauerten“ die wirklich relevanten Fragen nach der gesetzlichen Stellung der Insolvenzverwalter, nach Berufsrecht und Berufsordnung.
3 Nach ersten Ideen zu einer quasi „automatisierten“ Verwalterbestellung nach Reihenfolge,
1) die – ob ihrer Absurdität – schnell „beerdigt“ wurden,
2) dies zuweilen unter Zerreißproben von berufsständischen Vereinen, fokussierte sich die Debatte auf eine vermeintlich notwendige Verrechtlichung der Zugangsfrage zu etwaigen insolvenzgerichtlichen „Vorauswahl-Listen“. Um die Sache „hochzutreiben“, suchte sich ein findiger Verwalter ein kleines Insolvenzgericht aus, welches zu dem Zeitpunkt drei Verwalter bestellte, „bewarb“ sich dort und fing sich ein freundliches richterseitiges Absageschreiben ein.
3) Das Schreiben schrieb dann Rechtsgeschichte, denn es war gar keines, sondern – wie sich später höchstrichterlich festgestellt ergab – ein „Justizverwaltungsakt“ analog §§ 23 ff. EGGVG. So gruppierte jedenfalls das BVerfG den Vorgang schließlich ein (ganz offensichtlich in seiner „Not“ irgendeine gesetzliche Ankoppelung für den gesetzlich völlig ungeregelten Bereich zu finden).
4) Der Rest ist bis heute die „Insolvenzrechtsszene“ und den Gesetzgeber bewegende Rechtsgeschichte. Nur wenige Auseinandersetzungen zwischen Richtern und den eigentlich mit ihnen zusammenarbeitenden Insolvenzverwaltern wurden so erbittert geführt wie die nun folgenden „Vorauswahl-Listenzugangsentscheidungen“ und die folgerichtig auch auftretenden „De-Listing“-Entscheidungen, also „offizielle“ Entfernungen von diesen Listen.
5) Es ging um die Verrechtlichung von Listungskriterien wie Ortsnähe, Fachanwaltsbezeichnung bis hin zur (durchaus notwendigen) Darstellung von Mitarbeiter-Unterbau in den Verwalterkanzleien durch die sich „bewerbenden“ Verwalter.
6) Die Insolvenzgerichte versuchten teilweise, einen gewissen Qualitätsstandard in die Listungsentscheidung „vorzuziehen“, und auch die Bestellungsentscheidung sollte von „Qualitätskriterien“ wie z. B. „Verfahrenskennzahlen“ zumindest mitbestimmt werden.
7) Deren Definition indes wurde und blieb streitig. Ein weiteres absurdes Ergebnis der Debatte war die Involvierung der Landesjustiz- oder Gerichtsverwaltung in die Streitigkeiten, denn der jeweilige Insolvenzrichter konnte gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht „Antragsgegner“ sein.
8) Listungsanträge mit berufsrechtlichem Einschlag wollten dann die juristische Person zum Insolvenzverwalter küren lassen, was BGH und BVerfG schließlich zu Recht ablehnten.
9) Heute nach mehr als 25 Jahren beschäftigt uns diese Auseinandersetzung rund um „Beruf“ oder „Amt“ des Insolvenzverwalters/Sachwalters/Restrukturierungsbeauftragten immer noch. Sie hat hilfreiche, aber auch negative Spuren hinterlassen.
10) Hilfreich: Der Gesetzgeber hat mit
§§ 22a, 56a, 56b InsO Bestellungsvorschläge von Gläubigern und in
§ 270d InsO von eigenverwaltenden Schuldnern geregelt. Das deutsche „Listungswesen“ ist durch die europäische Restrukturierungsrichtlinie (Art. 26)
11) quasi ad acta gelegt worden, es ist weder „transparent“ noch „fair“ im Sinne der Richtlinienanforderungen.
12) Indes ist bisher an seine Stelle keine bundesweite gesetzliche Listungs-Zugangsregelung, geschweige denn eine Berufsordnung für Insolvenzverwaltung und die übrigen gesetzlichen Bestellungsämter getreten; die Verbände streiten (oder stritten) um die „richtige“ Regelung, der Gesetzgeber zögerte und entwarf 2024 erste Regelungsüberlegungen vor.
13) Danach soll eine (demnächst gesetzliche?)
„Insolvenzverwalter-Kammerlösung“ auch die berufsrechtlichen Zugangsfragen klären (dazu unter ? Rn.
75).
14) 4 Es bleibt indes ein negativer „Nachhall“ der Bestellungs-Debatte in Form der Bezweiflung der Statthaftigkeit solcher Bestellungsentscheidungen in richterlicher Unabhängigkeit. Denn der „Bestellungsakt“ ist ein solcher, verbunden mit der Sachverständigeneinsetzung, der Anordnung der Sicherungsmaßnahme nach § 21 InsO oder der Insolvenzeröffnung.
Zu wenig Beachtung findet, dass der Insolvenzverwalter zugleich auch immer Insolvenzsachverständiger ist, und damit über § 4 InsO die Regelungen der §§ 404–423 ZPO für ihn (auch) gelten. Der Gesetzgeber hat hier eine Begründung für die jeweilige Sachverständigenauswahl nicht geregelt (§§ 56 InsO, 404 ZPO). Nach ganz herrschender Meinung kommt eine
„Bestellungsbegründung“ nicht in Betracht. Die Praxis weiß, dass eine Abwägung zwischen allen dem Richter bekannten Kandidaten innerhalb einer Begründung nicht möglich wäre.
15) Und das BVerfG hat bestätigt, dass die konkrete Bestellungsentscheidung nicht rechtsmittelbehaftet ist.
16) Ein „Anrecht“ auf die Zuweisung von massehaltigen Verfahren gibt es erst recht nicht.
5 So mancher hat daher in den vergangenen Jahren die Frage aufgeworfen, welchen Sinn die „Bestellungs-/Bestellungszugangsdebatte“ eigentlich hatte.
17) Sie hat zumindest die Sensibilität für die gegenseitigen Rollenverständnisse von insolvenzgerichtlichen Rechtsanwendern und Verwaltern geschärft und Verständnis für die jeweilige „andere“ Seite geweckt. Das „Beiwerk“ von gerichtlichen Auseinandersetzungen kann indes als weitgehend unnötig angesehen werden. Allerdings sind auch Fragen der
generellen Eignung und des De-Listing, die die InsO gesetzlich und regelungstechnisch außerhalb von § 59 InsO schlicht nicht bearbeitet, durch die Debatte beleuchtet worden. In Anbetracht der doch immer wieder berichteten Verstöße von Verwaltern gegen eine regelgerechte Massegenerierung bis hin zu schadenersatzrechtlichen Haftungsfällen und im Extremfall bis zur Veruntreuung (alles selbstverständlich Einzelfälle)
18) sind solche Fragen, die es zu „Konkurszeiten“ – zumindest fachöffentlich – gar nicht gab, nach wie vor dringend generell regelungsbedürftig. Wo und solange dies nicht der Fall ist, gelten „Best Practice“ -Usancen.
2. Praxiswichtige Eckpunkte der insolvenzgerichtlichen Vorauswahl-Funktionen
6 Die derzeit bei den Insolvenzgerichten noch – teilweise (dazu ? Rn.
10) – praktizierte Vorauslistenführung findet in § 56 InsO keine gesetzliche Stütze. Sie ist, wie bereits dargelegt (? Rn.
3), eine „Rechtsprechungserfindung“ des BVerfG. Es gilt insofern, die Funktionsbeschreibung für die Vorauswahl-Listen in den Blick zu nehmen, um deren Bedeutung für die konkrete Einzelfallbestellung abschätzen zu können: Die Insolvenzrichter sollen solche Listen führen, um im Eilfall der Bestellung (in der Regel innerhalb des Insolvenzeröffnungsverfahrens) einen vorbereiteten Überblick über die bestellungsbereiten und bestellungsfähigen Kandidaten zu haben, insbesondere sollen die generellen Bestellungsanforderungen vorab geklärt sein.
19) 7 Bis heute streitig ist, ob die Vorauswahl-Listen-Praxis zugleich eine vorgezogene „Bestenauslese“ darstellt. Eigentlich wäre das sinnvoll,
20) denn die Verfahrensbeteiligten erwarten von den Insolvenzgerichten die Bestellung erwiesenermaßen „fähiger“ Insolvenzverwalter. Durch die höchstrichterliche Rechtsprechung sind in jüngerer Zeit allerdings die meisten Schranken, die Qualität der Verwaltung versprachen, weitgehend entfallen und die Vorauswahl ist bei nahezu allen Insolvenzgerichten kaum noch als Bestenauslese verfasst.
21) Dies liegt daran, dass die obergerichtliche Rechtsprechung die Aufnahme auf die Listen bereits bei...