Frietsch | Badener Denker | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Frietsch Badener Denker

Aufsätze der Gesellschaft für angewandte Philosophie
2. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7481-7630-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Aufsätze der Gesellschaft für angewandte Philosophie

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-7481-7630-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Gemeinsames Philosophieren benötigt einen Ort. Die Gesellschaft für angewandte Philosophie Baden-Baden e.V. hat diesen gefunden und versammelt sich seit nunmehr 20 Jahren allmonatlich zum Vortrag mit anschließendem Gespräch in moderierter Runde. Hier können Fragen gestellt oder erst erweckt werden, was Bewusstsein schafft. So wird Freude am kritischen Nachdenken und dem gemeinsamen Gespräch erlebbar. Die vorliegende erste Publikation »Badener Denker« versammelt nicht nur die Aufsätze von so renommierten wissenschaftlichen Beiräten wie Prof. Dr. Dr. Bernhard Uhde (Universität Freiburg) und Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski (Universität Vallendar), sondern auch von akademisch geschulten Vortragenden der letzten Jahre, was eine illustre Themenvielfalt quer durch die angewandte Philosophie bündelt: Der Inhalt: Grußwort der Oberbürgermeisterin der Stadt Baden-Baden: Margret Mergen Grußwort der Leiterin der Stadtbibliothek Baden-Baden: Sigrid Münch Grußwort des Direktors der Kunsthalle Baden-Baden: Johan Holten Vorwort und Rückblick des Herausgebers: Wolfram Frietsch Bernhard Uhde: Ist Philosophie »nützlich?« - Angewandte Philosophie als Begründung von Werten. Holger Zaborowski: Menschen, Tiere und die Gemeinschaft des Lebens - Zur Aufgabe einer neuen Ökologie. Lena-Johanna Herrmann: Geistergespräche - Auseinandersetzung mit der Figur des Geistes in Derridas Schrift »Marx' Gespenster«. Richard Reschika: Der Große Anonyme, die luziferische Erkenntnis und die transzendente Zensur - Lucian Blagas neo-gnostische Philosophie. Burkhard Schlichting: Denken in Bildern - Walter Benjamins »Lehre vom Ähnlichen«. Gerhard Elwert: Philosophie als Lebenshilfe - Eine Anfrage. Ulrich Reukauf: »Wer nur einen Hammer hat, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus« - Wie wir wahrnehmen und für wahr nehmen. Bernd Ehgart: Das Homo-oeconomicus-Paradigma - Eine Skizze zur Darstellung und Kritik. Wolfram Frietsch: »Der Fremde, das bin auch Ich« - Angewandte Philosophie und Postmoderne.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Holger Zaborowski


Menschen, Tiere und die Gemeinschaft des Lebens
Zur Aufgabe einer neuen Ökologie

Natur und Kultur: Das widersprüchliche Verhältnis der
Menschen zu den Tieren

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Peter Sloterdijk

Das Verhältnis des Menschen zum Tier ist voller Widersprüche: Viele Menschen verzichten auf Fleisch oder leben sogar vegan. Vegetarische Produkte, die wie Fleisch aussehen oder genauso schmecken, erscheinen manchen sogar suspekt – so, als wolle, wer Tofuwürstchen isst, sich nicht wirklich des Fleischkonsums enthalten. Eine fleischlose Lebensweise gilt als ideal, als gesund, aber auch als moralisch und politisch korrekt. Massentierhaltung und ihre ökologischen Konsequenzen werden kritisch betrachtet. Eine artgerechte Aufzucht von Tieren und die Beschränkung auf nur seltenen Fleischkonsum, so argumentieren viele, könnten einen dritten Weg zwischen ungehemmter Fleischeslust und radikalem Fleischverzicht weisen.

Andere kümmern sich um diese Gedanken überhaupt nicht. Fleisch zu essen gilt ihnen als normal und natürlich. So war es immer. Warum sollte es heute anders sein? Fleisch ist nämlich nicht nur schmackhaft, sondern verleiht Kraft, so, also könne man sich die Lebendigkeit eines anderen Wesens einverleiben, indem man es isst. Der Konsum von Fleisch lässt außerdem den eigenen Wohlstand sichtbar werden und ist ein Zeichen von Kultur, Tradition und gutem Geschmack. Wieder andere Menschen essen Fleisch, aber nur solange es nicht als Fleisch, nicht als etwas Tierisches, als ein totes Tier erkennbar ist. Fleisch wird geliebt – in der abstrakten Form von Nuggets, Buletten, Kinderwurst oder standardisierten Schnitzeln.

Die Fleischindustrie befriedigt nur allzu gerne die Bedürfnisse der Fleischesser. Wo das Schnitzel oder Steak herkommt, was es einmal gewesen ist, interessiert nicht. Hauptsache billig. Hauptsache viel. Hauptsache oft. Das Tier wird zum Fleisch-, aber auch zum Eier-, Milch- oder Lederproduzenten. Unterworfen der Logik von Angebot und Nachfrage. Sein Wohl kommt erst an zweiter oder dritter Stelle – wenn überhaupt nach ihm gefragt wird. Mit jener bäuerlichen Idylle, die in der Nahrungswerbung oder auf den Verpackungen von Würstchen, Eiern und Joghurt beschworen wird, hat die Realität nichts zu tun. Ställe sind zu Fabriken geworden; Käfige zu Todeszellen. Täglich neu wird die unschuldige Kreatur vom Menschen gequält, ohne dass man dies wirklich begründen oder rechtfertigen könnte. Es schmeckt zu gut.

Zugleich werden Schweine, Hühner, Enten, Gänse, Mäuse und allerlei anderes Getier verniedlicht und verkitscht: in Film und Fernsehen, im Cartoon und in märchenhaften Geschichten, als Stofftier oder süßes Maskottchen. Manche Tiere liefern Kosenamen für die Liebenden, andere Schimpfworte. Niemand möchte ein Schwein sein; doch viele lieben ihre Schultern und Schenkel. Anderswo, fern der Öffentlichkeit fristen Tiere eine klägliche Existenz in Laboren und Versuchsanstalten. Was ihnen angetan wird, geschieht zum „Wohle“ des Menschen. Ihm dienen sie. Ihre Gefühle spielen keine Rolle. Ein solches Leid kennen die meisten Haustiere nicht. Nicht wenige von ihnen werden verhätschelt und vermenschlicht – die besten Gefährten des Menschen. Nichts ist zu teuer für sie. Schön und wohl erzogen müssen sie sein. Nur das beste Futter dürfen sie zu sich nehmen. In edelsten Körbchen, wenn nicht gar im Bett ihrer Herrchen und Frauchen legen sie allabendlich ihr Haupt nieder. Wenn sie einmal sterben, wird ihr Begräbnis zu einer Inszenierung tier-menschlicher Liebe über den Tod hinaus. Folgt man jedoch einigen Denkern wie Descartes, ist diese Liebe irrsinnig. Denn Tiere, so setzen sie voraus, sind nichts anderes als komplizierte Automaten; sie gehören zur materiellen Welt, die der Welt des Geistes und der Freiheit radikal entgegengesetzt ist. Irgendwie, so scheint es, erlaubt man vielen Tieren nicht, einfach ein Tier, ein lebendiges Wesen zu sein. Einige werden fast wie Menschen, andere jedoch wie wert- und lebenslose Dinge behandelt. Glücklich jene Tiere, so könnte man denken, die noch fern von Menschen leben!

Doch auch zum Tier in sich selbst, zum Tier, das er selbst – immer auch, immer noch – ist, hat der Mensch ein zutiefst widersprüchliches Verhältnis. Einerseits sieht sich der Mensch ausschließlich als ein Tier, als Naturwesen mit Trieben und Lüsten, das allein im Horizont der Evolution verstanden werden kann. Die Rede von menschlicher Würde ist aus dieser Perspektive Zeichen überlieferter Anmaßung: Wer sind wir denn, dass wir so hoch von uns zu denken wagen? Vielleicht war es deshalb möglich, dass Menschen andere Menschen oft wie Tiere gequält haben, obwohl man weder mit Menschen noch mit Tieren so umgehen sollte. Auf der anderen Seite wird alles Animalische, Naturhafte im Menschen unterdrückt. Fast ist es so, als wolle man nicht aus der Natur stammen, ja, als schäme man sich dessen, was man mit den Tieren gemein hat. Alles, was darauf hindeuten könnte, alles, was die natürliche Endlichkeit und Beschränkung des Menschen zeigt, wird nicht nur kulturell transformiert, sondern verdrängt.

Freilich, Kultur war immer verwandelte, angeeignete Natur. Doch zumeist so, dass das Ideal des Lebens darin bestehen konnte, „gemäß der Natur“, in Aneignung des Natürlichen zu leben. Dann war menschliches Leben eingebettet in den Lauf und die Ordnung der Natur. Das ist heute oft anders. Der Mensch hat sich von der Natur entfernt und ist ihr entfremdet. Natürliche Phänomene wie Geburt und Sterben finden nicht mehr lebensnah in den Wohnungen der Menschen statt, sondern werden in andere, lebensfernere Räume ausgelagert und oft tabuisiert. Die plastische Chirurgie lässt die Spuren des Alterns verschwinden oder erlaubt es dem Menschen, sich äußerlich neu zu erfinden. Drogen erlauben es, dem Geist auf die Sprünge zu helfen und allzu enge Grenzen zu überspringen. Der Körper wird wie ein Kunstprodukt verstanden und gestaltet. Ob, wann und wie man sich fortpflanzt, wird technischen Eingriffen überlassen. Sexualität wird nicht mehr innerhalb einer kultiviert, sondern der Technik, dem menschlichen Willen zum Machen, Bewirken und Beherrschen, der Sucht nach immer neuen Sensationen untergeordnet. Die Natur des Menschen soll möglichst vollständig transformiert und perfektioniert werden: keine Schwäche zeigen, Schmerzen bekämpfen, den Körper überwinden, den Leib beherrschen, alle Lüste kanalisieren. Alles unterliegt dann den je eigenen Entscheidungen und Wünschen, der Definitionshoheit der Mehrheit oder den Trends der Mode: was und wer man ist, wie man aussieht, wie man lebt, wann man stirbt. Nur in wenigen Reservaten darf das Tier, das Natürliche im Menschen überleben.

Wie kann man diese Widersprüche zwischen Natur und Kultur, zwischen dem Tier als dem Objekt unserer Macht und Begierden und dem bestens umsorgten „Übertier“, zwischen dem Menschen als bloßem Tier und dem von allen tierischen Eigenheiten befreiten Geistes- und Vernunftwesen verstehen? Was ist der Mensch – im Verhältnis zum Tier? Was ist der Mensch – als Tier? Worin liegen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier? Wie kann – jenseits der genannten Widersprüche – ihr Verhältnis menschlicher und zugleich natürlicher, tiergerechter gestaltet werden?

Nähe und Ferne: Der freiheitliche Riss zwischen
Mensch und Tier

.3
Friedrich Nietzsche

Die Bibel betont deutlich den Unterschied zwischen Mensch und Tier. Gott hat den Menschen und die Tiere geschaffen. Doch die Schöpfung des Menschen war etwas Besonderes. Mit ihm hat Gott ein Gegenüber. Der Mensch steht daher in einem wechselseitigen Verhältnis zu Gott. Gott kümmert sich um ihn, liebt ihn und geht einen Bund mit ihm ein – und umgekehrt weiß der Mensch um Gott und kann sich frei für oder gegen ihn entscheiden. Daher kann der Mensch fehl gehen, sündigen, dem, was und wer er sein soll, nicht genügen. Doch...



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