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E-Book, Deutsch, Band 2926, 130 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Friedrich Die Jesuiten

Von Ignatius von Loyola bis zur Gegenwart
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-406-77545-1
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Von Ignatius von Loyola bis zur Gegenwart

E-Book, Deutsch, Band 2926, 130 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-77545-1
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit Papst Franziskus sitzt erstmals ein Jesuit auf dem Stuhl Petri, doch lange galten die Generäle der Jesuiten als "schwarze Päpste", die die eigentliche Macht in Rom haben. Der Orden, der humanistische Weltoffenheit mit strengstem Gehorsam verbindet, gibt bis heute Rätsel auf. Markus Friedrich erzählt seine Geschichte von der Gründung im 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Besonderes Augenmerk gilt dabei den großen kulturellen Leistungen der Jesuiten in Wissenschaft, Kultur, Mission und Politik.

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3. Vom Charisma zur Institutionalisierung: Die Jahrzehnte um 1600 unter General Acquaviva
Nach dem wilden, experimentellen Wachstum stellte die lange Amtszeit des süditalienischen Herzogsohns Claudio Acquaviva von 1581 bis 1616 eine Übergangsphase dar. Als die erste Generation der Jesuiten allmählich von der Bühne abtrat, vertiefte er die bereits von Ignatius begonnene Transformation des Gründungscharismas in eine formale Organisation. Man kann mehrere große Themenfelder unterscheiden, auf denen Acquaviva eine Konsolidierung des Ordenslebens vorantrieb. Schulwesen: Inhalte und Organisation
Seit dem Einstieg des Ordens in das Schulwesen hatten die Jesuiten diskutiert, was dort unterrichtet werden sollte. In verschiedenen Versionen, die sich zum Teil erheblich voneinander unterschieden, wurde in jahrzehntelanger Diskussion ein global verbindlicher «Unterrichtsplan» (Ratio Studiorum) erarbeitet, der in vorläufiger Weise 1586 erschien und endgültig 1599 verabschiedet sowie durch General Acquaviva offiziell in Umlauf gebracht wurde. Auf der Basis der Constitutiones entwarf die Ratio einen Lehrplan, der zukunftsweisend scholastische und humanistische Inhalte miteinander verknüpfte. Die Scholastik, eine Denk- und Lehrtradition, die sich an den Universitäten Europas seit dem Mittelalter durchgesetzt hatte, betonte den Wert analytisch-logischer Gedankenzergliederung. Im Spätmittelalter häufig als trocken, steril und lebensfern gebrandmarkt, hatten vor allem spanische Gelehrte die Scholastik im 16. Jahrhundert runderneuert – und die Jesuiten wurden um 1600 zu ihren wichtigsten Vorreitern. Gleichzeitig förderten sie die Übernahme und Fortsetzung von Ideen und Themen, die dem Renaissance-Humanismus zuzurechnen sind, einer gegenläufigen Bewegung, die auf das 14. Jahrhundert zurückging. Hier standen statt logischer Analyse und formaler Diskussion vorwiegend sprachliche Bildung und rhetorisches Argumentieren sowie die kulturelle Imitation der klassischen antiken Literatur im Zentrum. Die Herausforderung bestand darin, die beiden Traditionen zu einem harmonischen Ganzen zu verschmelzen. Der antike griechische Denker Aristoteles und der mittelalterliche christliche Philosoph und Theologe Thomas von Aquin wurden für die Jesuiten zu den Hauptautoren im Bereich der scholastisch geprägten analytischen Disziplinen, während Cicero, Vergil und zahlreiche andere antike Autoren die Grundlage des humanistischen Teils des Erziehungsprogramms bildeten. Die Ratio Studiorum gab genaue Anleitungen und Anweisungen dafür, welche Autoren und Themen zu behandeln waren. Zugleich regelte Acquavivas Lehrplan auch, welche Inhalte als «gefährlich» zu gelten hatten und vermieden werden sollten. Damit fixierte Acquaviva auch das intellektuelle und kulturelle Profil des Ordens, das ab 1599 dann prinzipiell in allen Jesuiteneinrichtungen weltweit Geltung haben sollte. Die Ratio Studiorum legte nicht nur fest, was unterrichtet werden sollte, sondern auch wie. Ähnlich wie bei den Inhalten erfanden die Jesuiten bei der Pädagogik das Rad nicht neu, sondern fügten vorhandene Erfahrungen und ältere Traditionen klug zu einem schlagkräftigen Modell zusammen. Ein wichtiges Vorbild war ihnen hierbei Paris, wo in verschiedenen Schulen mit neuen pädagogischen Praktiken experimentiert worden war. Die Jesuiten sprachen gerne vom «Pariser Unterrichtsstil» (modus Parisiensis), an dem auch sie sich orientierten. Dazu gehörte beispielsweise die Einteilung der Schüler in Klassenkohorten, wobei ein Fortschreiten zur nächsten Klasse erst nach Absolvierung der vorausgehenden Inhalte möglich war. Jesuitischer Unterricht arbeitete zudem stark mit spielerischen und wettbewerblichen Formen – Schüler wurden zur Demonstration ihres Könnens in freundschaftlichem Kräftemessen angehalten. Öffentliche Anerkennung sollte erfolgreichen Ehrgeiz belohnen, deshalb gab es Auszeichnungen, Preise und Ausstellungen herausragender Schülerarbeiten. Neben klassischem Frontalunterricht ging zudem das ausgedehnte aktive Üben über das zeittypische sture Auswendiglernen hinaus. Da der Orden seine Lehrkräfte selbst stellte – viele Jesuiten arbeiteten wenigstens für einige Jahre im Schulbetrieb –, wurden die Schüler zudem von ungewöhnlich gut ausgebildeten und hochmotivierten Lehrern unterrichtet. Letztlich überzeugten die Jesuiten also mit einem Unterrichtsprogramm, das auf der Basis älterer Traditionen vor allem durch zeitgemäße Inhalte sowie pädagogische Stringenz und Effizienz glänzte. Die Ratio traf innerhalb des Ordens im Großen und Ganzen auf Zustimmung, was nicht zuletzt daran lag, dass die Ordensleitung während der Ausarbeitung im permanenten Austausch mit den Provinzen gestanden hatte. Die Entstehungsgeschichte dieses Grundlagentexts illustriert somit gut, dass die Ordensleitung entgegen allen verunglimpfenden Legenden keineswegs autokratisch regierte. Trotz der absolutistischen Herrschaftskonzeption liefen viele praktische Entscheidungen in ausgedehnten Konsultationsprozessen ab, oft über enorme Distanzen hinweg. Die Ratio basierte typischerweise auf zahlreichen lokalen Eingaben, die heute im modernen Kleindruck noch viele Hunderte Seiten füllen. Gerade Acquaviva formalisierte und regulierte solche Konsultationsprozesse innerhalb des Ordens immer stärker. Spiritualität der Weltzugewandtheit
Im Bereich der jesuitischen Spiritualität brachte Acquaviva in einem parallelen administrativen Kraftakt ein weiteres Jahrhundertprojekt erfolgreich zu Ende: Ebenfalls 1599 erfolgte die Veröffentlichung eines verbindlichen «Wegweisers» (Directorium) für die Exerzitien. Mit diesem Leitfaden für alle, die die Exerzitien durchführten – gewissermaßen ein Wegweiser zum Wegweiser –, etablierte Acquaviva nach jahrzehntelangen Konsultationen eine Art Standardversion der Exerzitienpraxis, auf deren Basis spezifischere Adaptationen erfolgen konnten. Im Zuge dessen wurde auch die Rolle der Exerzitien innerhalb des Jesuitenordens selbst noch einmal geklärt. Denn unter Acquavivas Ägide fanden auch Überlegungen einen Abschluss, wie der Orden sicherstellen könnte, dass bei allem tagtäglichen Engagement doch geistliche Tiefe und spirituelle Besinnung nicht verloren gingen. Um einem geistlichen «Ausbrennen» der Mitbrüder angesichts ihres andauernden und rastlosen seelsorgerlichen Engagements vorzubeugen und um zu verhindern, dass der gelegentlich an Aktionismus grenzende Tätigkeitsimpuls des Ordens nicht zu einer einseitigen «Verweltlichung» führte, verordnete die Generalkongregation von 1608 eine jährliche geistliche Besinnungsperiode. Alle Patres sollten sich im Sommer für ein paar Tage aus ihren Geschäften zurückziehen und eine Kurzform der Exerzitien durchlaufen. Ähnliche Überlegungen sorgten auch dafür, dass unter Acquaviva das sogenannte Tertiat endgültig fixiert wurde: Gerade in der Praxis des seelsorgerlichen Alltags bereits seit Langem aktive oder mit der missionarischen Arbeit befasste Jesuiten sollten sich in einem «dritten» Jahr des Noviziats wenigstens ein weiteres Mal in ihrem Leben intensiv und ohne Zeitdruck ihren «geistlichen Affekten» zuwenden. Erst nach dieser letzten, intensiven geistlichen Auszeit wurden die Männer – für gewöhnlich als Mittdreißiger – endgültig zu vollwertigen Mitgliedern des Ordens. Die Notwendigkeit einer solchen inneren Fokussierung mag Acquaviva besonders nahe gelegen haben, da er ansonsten sehr die Weltzuwendung des Ordens betonte. Schon sein Vorgänger Everard Mercurian war gegen interne Widerstände auf sichere Distanz zur umstrittenen Mystik gegangen. Hieran knüpfte der Herzogsgeneral aus Atri ausdrücklich an. Die offizielle geistliche Linie des Ordens lautete seitdem, dass alle Kontemplation auf aktives Handeln in der Welt hin ausgerichtet sein sollte (activus in contemplatione). Für Acquaviva verdichtete sich dies besonders im Stichwort der «Mission». Dabei ging es um weit mehr als nur um die – zweifellos sehr wichtige – Bekehrung von Heiden zum Christentum, nämlich um jegliche «Sendung» zur Fürsorge für die Menschen. Sie sollte im Mittelpunkt stehen, nicht die weltabgewandte Versenkung in religiöse Geheimnisse. Man darf den Jesuitenorden zwar nicht mehr, wie früher lange üblich, einseitig auf «Askese» statt «Mystik» festlegen, denn mystische Tendenzen und Schriften zirkulierten weiterhin und blieben einflussreich. Dennoch ist unübersehbar, dass die apostolische und pastorale Ausrichtung spätestens seit Acquaviva dominant zum Identitätskern des Ordens gehörte. ...


Markus Friedrich lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Hamburg. 2011 wurde er mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis der DFG ausgezeichnet.



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