E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Fried Traumfrau mit Lackschäden
Erscheinungsjahr 2014
ISBN: 978-3-641-13634-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-641-13634-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Graue Strähnen im Haar, Fältchen, die über Nacht entstehen, unerklärliche Gewichtszunahme – als »Traumfrau« älter zu werden ist eine echte Herausforderung. Cora Schiller ist entschlossen, ihr mit Würde zu begegnen. An ihrem fünfzigsten Geburtstag aber wird plötzlich alles anders. Sohn Paul zieht in eine WG, Ehemann Ivan braucht für sein Kunstprojekt eine Auszeit, und in ihrem Freundeskreis herrscht Gefühlschaos: die eine verlässt ihren Mann, eine andere verliebt sich in eine Frau, die dritte will endlich das große, erotische Abenteuer erleben, und dann taucht auch noch Coras ehemaliger Lover auf und sorgt für Verwicklungen. Zweifel am Ideal der monogamen Zweierbeziehung werden für Cora, die als Paarvermittlerin versucht, ihren Kunden zum ersehnten Traumpartner zu verhelfen, immer größer. Als es zur Krise kommt, fragt Cora sich besorgt: Haben Frauen ihres Alters noch ein Leben? Haben sie noch Sex? Oder müssen sie statt erotischer Dessous jetzt Stützstrümpfe tragen? Schließlich stellt sie fest, dass das Leben noch jede Menge Überraschungen für sie bereithält.
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ZWEI
Der Abend wurde genau so, wie ich ihn mir erträumt hatte. Mit wohligem Gefühl saß ich zwischen meinen Freunden, die nicht müde wurden, mein gutes Aussehen und mein fantastisches Essen zu loben. Wir schwelgten in Erinnerungen und überraschten uns gegenseitig mit immer neuen Anekdoten, die alle mit »Wisst ihr noch« oder »Könnt ihr euch eigentlich noch erinnern« begannen. Wir lachten uns kaputt, und zwischendurch zerdrückte ich heimlich ein paar Tränen der Rührung.
»Wisst ihr noch, als Hella plötzlich weg war?«, fragte Arne.
»Da war ich sauer auf Cora«, sagte Hella. »Die meinte, ich solle nicht so viele Schokoriegel essen, weil die für die PR-Aktionen gebraucht würden.«
»Das war eine Ausrede«, kicherte Arne. »Sie wollte nicht, dass du fett wirst!«
»Noch fetter, meinst du wohl«, gab Hella grinsend zurück.
»Viel schlimmer fand ich, dass Hella mit meinem wichtigsten Kunden durchgebrannt ist!«, schaltete ich mich ein. »Weißt du noch, was du bei meiner Party zu Hennemann gesagt hast? ›Sie sind genau wie Ihre Kinderpralinen: total süß.‹ Ich wollte dir den Hals umdrehen.«
Alle prusteten los, Hella errötete. »So kann man sich irren.«
»Ach komm«, sagte ich. »Mit Herbert hast du doch einen tollen Fang gemacht!«
Insgeheim hatte ich sie manchmal beneidet, besonders wenn Ansichtskarten aus Mexiko, Thailand oder von den Malediven eintrafen, wo Hella mit Mann und Kindern sorglose Ferien verlebte. Geld spielte offenbar keine Rolle, Hennemann war wohlhabend und konnte – obwohl Schwabe – durchaus großzügig sein. Natürlich hätte ich trotzdem nicht mit Hella tauschen wollen, ihr Mann war das, was die Schwaben einen Gschaftlhuber nannten – er hätte mir den letzten Nerv geraubt. Aber Hella hatte ihn unbedingt haben wollen.
Arne verdrehte die Augen. »Ach Gottchen, die Schokoriegel! Wir standen auf Schulhöfen herum und sollten die Kinder dazu bringen, Fragebögen auszufüllen. Die haben uns einfach die Riegel geklaut und sind abgehauen.«
»Das war die Idee von Macke, diesem Idioten«, ergänzte ich. »Aber dem haben wir’s gezeigt!«
Macke war unser schärfster Konkurrent gewesen, mit dem wir auf Wunsch von Hennemann eine Zeit lang zusammen arbeiten mussten. Er hatte die Angewohnheit, seine Mitarbeiterinnen zu betatschen. Eines Tages hatte ich ihn mithilfe zweier junger Frauen, bei denen er es probiert hatte, fürchterlich blamiert. Mit einem gut gespielten Verführungsversuch hatte ich es geschafft, ihn in der Garderobe eines marokkanischen Restaurants halb zu entkleiden. Dann hatten meine Helferinnen einen Vorhang beiseitegezogen – und Jens Macke stand mit heruntergelassener Hose da. Wenn ich heute daran dachte, schämte ich mich ein bisschen für diesen kindischen Streich. Obwohl er es verdient hatte.
»Hab ich zu der Zeit nicht bei dir gewohnt?«, fragte Uli, und ich nickte. Nachdem ihr Freund sie mit irgendeinem Busenwunder betrogen hatte, war sie Knall auf Fall bei mir eingezogen. Und bis nach der Geburt ihrer Tochter geblieben.
»Ich hab noch das erste Ultraschallbild von Clara!«, sagte ich und sprang auf.
»Du warst sogar mit mir in der Schwangerschaftsgymnastik«, erinnerte sich Uli, als ich zurückkam.
»Stimmt, da haben wir alle zusammen in die Gebärmutter geatmet. Mit den Männern!« Ich reichte ihr die Ultraschallaufnahme, die schon ganz vergilbt war. Gerührt betrachtete Uli die grauen Umrisse. »Schaut nur, man kann Clara schon erkennen!« Sie zeigte das Bild herum, und schon drehte sich das Gespräch um die Kinder, die so schnell groß geworden waren.
Es klingelte wieder. Ich sah auf die Uhr: genau zehn, wie vereinbart. Ich öffnete und führte einen Mann ins Wohnzimmer.
»Liebe Freunde!«, sagte ich. »Ihr habt mir mit eurem Kommen und euren Geschenken so viel Freude gemacht, deshalb möchte ich euch jetzt auch etwas schenken. Das ist Juan, der beste Tangogitarrist Münchens!«
»Deutschlands«, korrigierte Juan. »Oder vielleicht sollten wir einfach sagen: außerhalb von Argentinien.« Er grinste.
Alle lachten und klatschten. »Na, dann los!«, rief Hella.
Juan begann mit einer Intensität zu spielen, die fast körperlich zu spüren war und alle in den Bann zog. Besonders Paul schien ganz gefesselt zu sein und beobachtete jeden Handgriff des Musikers. Ivan lächelte mir kurz zu.
Als das Lied vorbei war, sah Juan auf, als wäre er gerade aus einem Traum erwacht. Dann löste sich die Anspannung in seinem Gesicht, und er grinste wieder.
Als er weiterspielte, nahm Paul seine Gitarre und warf ihm einen fragenden Blick zu. Juan lächelte, die beiden tauschten ein paar Worte auf spanisch – Paul hatte die Sprache seit der fünften Klasse in der Schule gelernt. Dann zupfte er behutsam einige Töne und stieg auf die Melodie ein, die Juan vorgegeben hatte. Nach wenigen Sekunden klang das Spiel der beiden so harmonisch, als würden sie sich schon länger kennen. Nach dem Stück applaudierten alle begeistert. Juan reichte Paul die Hand und sagte anerkennend: »Sehr gut! Du bist begabt für Tango!«
Paul errötete vor Stolz.
Die dritte Nummer war schneller und mit Gesang, und im nächsten Moment hatte Thomas seine Uli gepackt und schob sie über unseren Parkettboden. Die beiden hatten vor Jahren einen Tangokurs gemacht. Sie waren gut, und so galt der Beifall am Ende des Stückes nicht nur dem Gitarristen, sondern auch den beiden Tänzern.
Ich hätte damals auch gern Tango tanzen gelernt, aber Ivan hatte auf diesen »folkloristischen Volkshochschulmist« keine Lust gehabt. Ich hatte dann allein ein paar Stunden genommen, aber ohne festen Partner machte es nicht so viel Spaß, deshalb hatte ich es wieder aufgegeben.
Beim nächsten Lied forderte Thomas mich auf. Ich zierte mich ein bisschen, dann gab ich nach. Ich war lange nicht so gut wie Uli, aber besser, als ich gedacht hatte. Meine Gäste johlten alle. Plötzlich stand Tim vor mir und bat mich um den Tanz.
»Du kannst Tango?«, fragte ich überrascht.
Er lächelte. »Ich hoffe es.«
Wir nahmen die Ausgangsposition ein. Die Musik begann.
Ich spürte seine Wärme, roch die Mischung aus Haut, Eau de Toilette und seinem frisch gewaschenen Hemd. Es fühlte sich an, als explodierte etwas in meinem Kopf, meine Synapsen tanzten auch Tango, und alles in mir erinnerte sich plötzlich an seinen Geruch, seinen Körper, seinen Sex. Ich fühlte mich schwindelig, aber Tim führte mich energisch, und so musste ich mich einfach nur fallen lassen. Ich hatte das Gefühl, von allen beobachtet zu werden, und spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Als das Stück vorbei war, lächelte ich ihm zu und setzte mich schnell wieder hin.
Nach seinem Auftritt nahm Juan die Ovationen meiner Gäste entgegen. Ich begleitete ihn zur Tür und drückte ihm die vereinbarten hundertfünfzig Euro in die Hand. »Danke, das war wirklich toll!«
Er küsste mich nach argentinischer Art, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt hatten, und wünschte mir zum Abschied feliz cumple.
Ich ging in die Küche, um weiteren Wein zu holen. Tim kam aus der Gästetoilette, an der Küchentür stießen wir fast zusammen.
»Tolle Musik, was?«, sagte ich und ging an ihm vorbei. Er folgte mir bis zum Kühlschrank, wo er sich mir in den Weg stellte.
»Du siehst übrigens immer noch super aus, Cora.«
Ich lächelte. »Danke, Tim. Du übrigens auch.«
Er stand vor mir und sah mich unverwandt an. »Ich würde gern öfter mit dir tanzen!«
Ich lachte verlegen. »Geh mal aus dem Weg!«
Er bewegte sich keinen Millimeter, sah mich nur an. Schlagartig war dieselbe erotische Spannung zwischen uns, die ich von früher kannte. Ich sah sein vertrautes Gesicht vor mir, die braunen Augen, in denen ein Funke tanzte, das leicht spöttische Lächeln, seine fast mädchenhaft geschwungenen Lippen – und auf einmal konnte ich nicht anders: Ich schloss die Augen, beugte mich vor und küsste ihn auf den Mund.
Im nächsten Moment wich ich zurück. »Entschuldige«, murmelte ich verlegen. »Ich weiß auch nicht … Tut mir leid.« Ich schob mich an ihm vorbei und öffnete den Kühlschrank. Himmel, was war bloß in mich gefahren? Ich musste ja völlig betrunken sein.
Als ich mich umdrehte, stand Tim immer noch da. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Ivan, der an der Küchentür lehnte und zu uns herübersah. »Ich wusste gar nicht, dass du so gut Tango tanzen kannst!«, sagte er.
»Ich auch nicht«, erwiderte ich und ging mit einer Flasche Weißwein in der Hand auf ihn zu. Wie lange hatte er da schon gestanden?
Tim war mir gefolgt und blieb jetzt vor Ivan stehen. »Ich muss gehen«, sagte er, reichte ihm die Hand und küsste mich auf die Wangen.
»War schön, dich zu sehen, und danke für die Überraschung«, sagte ich so förmlich wie möglich und sah ihm nach, als er die Wohnung verließ.
Dann drehte ich mich zu Ivan.
»Ich hätte lieber mit dir getanzt«, sagte ich lächelnd, »aber du wolltest es ja nicht lernen.«
Ich versuchte, in seinem Gesicht zu lesen, aber er zeigte keine Regung, dann hakte ich mich bei ihm ein, er ließ es zu. Gemeinsam kehrten wir ins...