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E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Fried Paradies


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-17855-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-641-17855-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Woche im Paradies: Hier zählen nur Sie – und am Ende werden Sie nicht mehr der gleiche Mensch sein!

Petra freut sich auf eine Auszeit ganz für sich, ohne Haushalt, Kinder, Mann und Job. Ihren Sehnsuchtsort findet sie auf einer spanischen Insel, bei einer Seminarwoche im herrlich gelegenen Hotel Paraíso mit Selbsterfahrung, Körperarbeit, Meditation und Yoga. Dort trifft sie auf die anderen Teilnehmer der Gruppenreise, darunter Anka, Suse und Jenny, die unterschiedlicher nicht sein könnten – und Geheimnisse haben, die nicht nur Petras Leben aus den Fugen heben. Als auch noch ein Sturm die Hotelgäste einschließt und ein Entkommen von der Insel unmöglich macht, kochen die Emotionen innerhalb der Gruppe lebensgefährlich hoch. Am Ende wird aus dem Meer eine Frauenleiche geborgen. Aus der paradiesischen Wellnesswoche ist ein Albtraum geworden, und keiner der Teilnehmer ist mehr der Mensch, als der er gekommen ist – wie im Prospekt versprochen.
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Petra

Ihr Kopf tauchte ins kühle Wasser, die Stimmen um sie herum wurden leiser, ihre Arme und Beine bewegten sich rhythmisch, trugen sie durch die leichte Brandung. Sie spürte die Sonne auf dem Gesicht, schmeckte das Salz, fühlte ihren Körper und das Meer. Langsam ließ sie den Kopf tiefer unter Wasser sinken, bis sie ein dumpfes Pulsieren vernahm, von dem sie sich vorstellte, es sei der Herzschlag der Erde.

Kurze Zeit später lag sie im warmen Sand und spürte eine Hand auf ihrer Haut, ein zärtliches, planvolles Kreisen mit den Fingern, das ihre Neugier weckte. Wem gehörte die Hand, wohin würde sie wandern? Ein zartes Prickeln durchfuhr sie, und sie hielt die Lider geschlossen, weil sie den Moment so lange wie möglich festhalten wollte.

»Meine Damen und Herren, wir haben unsere Reiseflughöhe erreicht, bitte bleiben Sie während des gesamten Fluges angeschnallt, da es jederzeit unerwartet zu Turbulenzen kommen kann.«

Ernüchtert schlug Petra die Augen auf und seufzte. Sie griff in ihre Handtasche, die sie zwischen den Füßen abgestellt hatte, und holte einen Prospekt heraus. Zum hundertsten Mal studierte sie den Text und die Bilder, die eine heftige Sehnsucht in ihr hervorriefen.

Eine Woche im Paradies lautete die Überschrift, und darunter stand:

Hier zählen nur Sie! Wählen Sie aus unserem Wohlfühlangebot: Selbsterfahrung, Körperarbeit, Entspannung, Erholung. Sie wohnen im sympathischen, familiären Hotel Paraíso direkt am Meer, das alle Annehmlichkeiten (Pool, Wellnessbereich, Wassersport) bietet. Jeden Morgen erwartet Sie ein sensationelles Frühstücksbüfett, abends werden Sie mit köstlichen pescetarischen und vegetarischen (auf Wunsch auch veganen) Gerichten verwöhnt.

Unsere Kursleiter betreuen Sie professionell und individuell. Ob Yoga, Meditation, Achtsamkeitstraining, Körpererfahrungen oder ein psychologisch unterstützendes Gespräch – Sie entscheiden, was Ihnen guttut. Und was immer Sie in dieser Woche finden – sich selbst oder andere, geistige Anregung, körperliche Entspannung, seelische Ruhe oder von allem etwas –, Sie werden am Ende nicht mehr der Mensch sein, als der Sie angekommen sind.

Jedes Mal wenn sie den letzten Satz las, erschauerte sie ein wenig. Er klang vielversprechend und bedrohlich zugleich. Wollte sie denn eine andere werden? Oder wollte sie wieder die werden, die sie mal gewesen war? Ging das überhaupt, zu einer früheren Version seiner selbst zurückzukehren? Oder konnte man nur die derzeitige Version optimieren?

Die Stewardess mit dem Getränkewagen hatte ihre Reihe erreicht.

»Was möchten Sie trinken?«

Das ältere Ehepaar neben ihr klappte geschäftig die Tische herunter. Petra wettete mit sich selbst, dass sie Tomatensaft bestellen würden. Bingo! Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie der Mann die kleine Plastiktüte aufriss, die mit dem Tomatensaft gereicht wurde. Er nahm die Papierserviette heraus und legte sie zur Seite, öffnete nacheinander die Tütchen mit Salz und Pfeffer, streute sie über seinen Saft und den seiner Frau und rührte sorgfältig um. Die zweite Tüte steckte er ein. Genauso machte er es mit dem Knabberzeug. Er zählte die Cracker ab, legte die Portion für seine Frau auf die Papierserviette und verstaute die zweite Tüte in seinem Rucksack. All das geschah, ohne dass er und seine Frau ein Wort miteinander gewechselt hätten, wie ein lange eingeübtes Ritual. Petra unterdrückte den Drang zu lachen. Oder zu weinen. Sie wusste es nicht so genau.

Wurden alle Ehen irgendwann so … lächerlich? Die Ehepartner so berechenbar? Kannte man sich irgendwann so gut, dass Kommunikation überflüssig wurde, weil man sowieso wusste, was der andere sagen würde, wenn er etwas sagen würde? Vielleicht erklärte das, warum so viele alte Paare kaum mehr miteinander sprachen. Vielleicht gab es irgendwann tatsächlich nichts mehr zu sagen.

Sie fragte sich, wie Matthias und sie auf einen Beobachter wirkten. Ob sie auch so seltsame Gewohnheiten entwickelt hatten?

Die Akribie, mit der ihr Mann beispielsweise einen Fisch zerlegte, die Zunge in den Mundwinkel geklemmt, mit einer Entschlossenheit, als gälte es, seinen schlimmsten Feind zu besiegen, fand sie schon erheiternd. Am Schluss reihte er die Gräten der Größe nach am Tellerrand auf, blickte triumphierend hoch und sagte: »Den Kerl hätten wir erledigt.« Jedes Mal sagte er diesen Satz, und als Petra ihn einmal vorweggenommen hatte, war er eingeschnappt gewesen. »Du findest mich also langweilig«, hatte er schmollend gesagt, und nur mit Mühe war es ihr gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass es nicht so war.

Wenigstens sprachen sie noch miteinander, wenn auch weniger als früher. Wie hatten sie sich immer über Paare mokiert, die im Restaurant saßen und sich nichts zu sagen hatten! Die eine ganze Mahlzeit hindurch schwiegen, sich manchmal nicht einmal ansahen. Niemals würde ihnen das passieren, hatten sie einander versichert. Und nun passierte es doch manchmal.

Es war kein feindseliges Schweigen, eher ein einvernehmliches: weil so vieles schon gesagt war, weil sie sich auch ohne Worte verstanden, weil nicht ständig etwas Neues passierte, worüber sie sich austauschen könnten. Nein, dachte Petra, ihr Schweigen war kein Zeichen von Entfremdung, es zeigte vielmehr, wie nahe sie sich waren. Ihr schien es eher ein Zeichen von Liebe zu sein, wenn man den anderen nach so langer Zeit immer noch gerne um sich hatte, mit all seinen Spleens und Eigenheiten.

Sie blickte auf die Fotos in dem Prospekt vor ihr und träumte sich wieder weg ins Paradies. Eine Woche ganz für sich – ohne Haushalt, Kinder, Mann und Job –, das hatte es noch nie gegeben. Allein die Vorstellung, nicht einkaufen und kochen zu müssen, erfüllte sie mit Euphorie, ganz zu schweigen von den unzähligen anderen Pflichten ihres Alltags, denen sie für sieben wunderbare Tage entrinnen würde. Sieben Tage! So lange, wie Gott gebraucht hatte, die Welt zu erschaffen.

Für einen Augenblick hatte sie die erschreckende Fantasie, dass im Hotel Paraíso alle nackt herumlaufen würden, wie es sich fürs Paradies gehörte. Aber dann beruhigte sie sich damit, dass in der Broschüre nirgendwo etwas von FKK zu lesen war.

Sie hatte noch nie verstanden, warum manche Leute so scharf darauf waren, sich vor anderen auszuziehen. Außer Matthias und ihrem Gynäkologen hatte noch kein Mann sie nackt gesehen. Mit sechzehn hatte sie Matthias kennengelernt, mit zweiundzwanzig wurde sie schwanger, und sie hatten geheiratet. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, das Kind nicht zu bekommen. Auch Matthias hatte keine Sekunde gezögert. Er fand es super, Vater zu werden, wobei seine Begeisterung für diese Rolle, wie sich bald herausstellte, eher theoretischer Natur war. Praktisch hatte er sich all die Jahre wenig an der Erziehungsarbeit beteiligt. »Frag lieber Mama« war seine Standardantwort, wenn eines seiner Kinder mit einem Anliegen zu ihm kam, das mit Mühe verbunden war. Zwischendurch überkamen ihn spontane Anfälle von Vaterliebe. Dann balgte er sich mit den Kindern, lud sie zu Pizzagelagen ein oder las ihnen stundenlang vor.

Als Eva zur Welt kam, war Petra dreiundzwanzig und mitten im Studium. Drei Jahre später hatten sie Marie bekommen, sechs Jahre später Simon. Ein Nachzügler. Ungeplant. Und zu einem Zeitpunkt, der ungünstiger nicht hätte sein können.

Damals war gerade ein Seitensprung von Matthias aufgeflogen, und Petra hatte beschlossen, ihn zu verlassen. Bevor sie ihre Entscheidung in die Tat umsetzen konnte, stellte sich heraus, dass sie ein Kind erwartete. Sie blieb.

Nun war Simon dreizehn und legte es darauf an, alle Rekorde im Pubertieren zu schlagen. Mal kam er mit einem Vollrausch nach Hause, mal durften sie ihn wegen des Besitzes von Marihuana bei der Polizei abholen. Einmal hatten sie ihn in den Armen eines deutlich älteren Mädchens erwischt, das ihm Sachen beibringen wollte, die er mit dreizehn noch nicht kennen sollte. Er war launisch und faul, unzuverlässig und unverschämt. Kurzum, er setzte alles daran, ihnen das Leben schwer zu machen, wie um ihnen zu sagen: Ihr wolltet mich nicht? Das sollt ihr büßen.

Kinder waren schlimmer als die CIA, sie wussten alles. Nie hatten Matthias und sie damals vor den Mädchen über Trennung oder Scheidung gesprochen, und dennoch hatte Eva, die Achtjährige, sie zielsicher mit unangenehmen Fragen gelöchert:

Lasst ihr euch scheiden?

Müsst ihr dann Lose ziehen, wer mich und wer Marie kriegt?

Darf ich Papa besuchen, wenn er woanders wohnt?

Wenn er eine neue Frau hat, muss ich dann Mami zu ihr sagen?

Kriegt Papa dann auch neue Kinder?

Marie, damals fünf, hatte eine Strichmännchenfamilie gemalt. Links Matthias, groß, mit braunem Haarschopf und Brille. Daneben sie, Petra, nur ungefähr halb so groß, an der Hand Eva. Und am äußersten Bildrand ein kleines, gekrümmtes Wesen, halb Kind, halb Gnom, dem große Tränen aus den Augen rannen. Es hatte Petra das Herz zerrissen.

Als die Krise überwunden und Simon ein Jahr alt gewesen war, hatte Petra Marie das Bild gegeben und sie gefragt, ob sie ihren kleinen Bruder mit draufmalen wolle. Marie hatte...


Fried, Amelie
Amelie Fried, Jahrgang 1958, wurde als TV-Moderatorin bekannt. Alle ihre Romane waren Bestseller. Traumfrau mit Nebenwirkungen, Am Anfang war der Seitensprung, Der Mann von nebenan, Liebes Leid und Lust und Rosannas Tochter wurden erfolgreiche Fernsehfilme. Für ihre Kinderbücher erhielt sie verschiedene Auszeichnungen, darunter den »Deutschen Jugendliteraturpreis«. Zusammen mit ihrem Mann Peter Probst – mit dem sie Workshops in Kreativem Schreiben gibt – schrieb sie den Sachbuch-Bestseller Verliebt, verlobt – verrückt?. Bei Heyne erschien zuletzt der Roman Traumfrau mit Ersatzteilen.



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