Frevert | Gefühlspolitik | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

Frevert Gefühlspolitik

Friedrich II. als Herr über die Herzen?
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8353-2238-7
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection

Friedrich II. als Herr über die Herzen?

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

ISBN: 978-3-8353-2238-7
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Zum 300. Geburtstag Friedrichs des Großen am 24. Januar: die Anfänge moderner Gefühlspolitik im aufgeklärten Absolutismus. Durch Liebe, nicht durch Furcht und Gehorsamszwang sollte der König regieren. So bestimmte es die (früh)moderne Staatstheorie. Schon Friedrich II. von Preußen (1712-1786) wusste, dass es nicht ausreicht, über die Körper der Untertanen zu herrschen. Auch ihre Herzen wollen erobert werden. Doch die Geschichtsschreibung berichtet, dass Friedrich der Große weder mild noch sanft mit seinen Untertanen umging. Ute Frevert analysiert das Herrschaftsverständnis Friedrichs ebenso wie dessen gefühlspolitische Praktiken. Sie zeigt, mit welchen Mitteln der aufgeklärt-absolutistische König die Zustimmung und Zuneigung derjenigen suchte, die seiner Herrschaft unterworfen waren. Dieses Interesse machten sich die Untertanen zunutze: Sie stellten Bedingungen, formulierten Erwartungen und reagierten enttäuscht, wenn der König darauf nicht einging. Die Historikerin zeigt, dass Herrschaftskommunikation in zwei Richtungen verläuft, und das nicht erst in der heutigen Mediengesellschaft. Im 18. Jahrhundert entdeckt Frevert die Ansätze einer Gefühlspolitik, die ihre Spuren in der Moderne hinterlassen haben.

Ute Frevert, geb. 1954, Historikerin. Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin. Professuren an der Yale University sowie an den Universitäten Bielefeld, Konstanz und Berlin. Veröffentlichungen u.a.: Emotions in History - Lost and Found (2011), Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland (2001); 'Mann und Weib, und Weib und Mann'. Geschlechter-Differenzen in der Moderne (1995); Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft (1991). Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. 1998 erhielt sie den Leibniz-Preis der DFG.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1;Umschlag;1
2;Titel;4
3;Inhalt;6
4;I. Gefu?hlspolitik »einst« und jetzt;8
5;II. Formierungen des Gemu?ts: Die Gefu?hlserziehung eines Königs;32
6;III. Régner sur les coeurs: Gefu?hlspolitische Praktiken;52
7;IV. Ob Untertanen ihren König lieben können? Die Perspektive der Bu?rger;75
8;V. Widerspru?che und Zukunftsentwu?rfe;116
9;Anmerkungen;129
10;Abbildungsverzeichnis;151
11;Impressum;153


II.   Formierungen des Gemüts: Die Gefühlserziehung eines Königs


In den erläuterte Schiller 1788, es sei ihm darum gegangen, »einen aufzustellen, der das höchste mögliche Ideal bürgerlicher Glückseligkeit für sein Zeitalter wirklich machen sollte«. Was er nicht zeigen wollte und konnte, war, wie der Fürst zu diesem Zweck erzogen wurde und wie er »Hand anleg[te]«, denn das hätte die »engen Grenzen eines Trauerspiels überschritten«.24 Da die Grenzen eines Buches weiter gefasst sind, kommen hier zunächst die Gefühlserziehung des preußischen Königs und dann die Praktiken zur Sprache, die seine Gefühlspolitik kennzeichneten. Ob sie allerdings tatsächlich dazu dienten, Schillers »Ideal bürgerlicher Glückseligkeit« zu verwirklichen, wird sich zeigen.


Das 18. Jahrhundert trägt nicht nur den Beinamen der Aufklärung. Es gilt auch – und wusste sich dadurch der Aufklärung verpflichtet – als pädagogisches Jahrhundert. Erziehung und Bildung hatten nicht nur auf dem Papier und in den Köpfen maßgeblicher »Erneuerer« einen hohen Stellenwert, sondern auch in der Praxis, bis hinunter zu den Elementarschulen in Stadt und Land.25 Erzogen wurden die Kinder der Bauern und Bürger, aber auch und vor allem die Zöglinge des Adels und die Sprösslinge aus fürstlichem Haus. Schon in jungen Jahren kamen Letztere in die Obhut sorgfältig ausgewählter Erzieher, die sie auf ihre Rolle als künftige Monarchen vorbereiteten.

Als der preußische König Friedrich Wilhelm I. seinen sechsjährigen Sohn Friedrich 1718 dem Feldmarschall von Finckenstein und dem Oberst von Kalckstein überantwortete, gab er ihnen eine Instruktion mit auf den Weg, die die Ziele und Methoden der Prinzenerziehung exakt festschrieb. In weiten Teilen ähnelte sie den Anweisungen, die seine eigene Kindheit und Jugend geprägt hatten, bis in den Wortlaut hinein. Gleich zu Beginn war davon die Rede, wie wichtig es sei, »daß das Gemüth, woraus alle menschliche Handlungen herfließen, der Gestalt formirt werde, daß es von der ersten Jugend an, eine Lust und Hochachtung zur Tugend, hergegen einen Abscheu und Eckel vor die Laster bekomme«. Dazu verhelfe »wahre Gottesfurcht« sowie »Begierde zum Ruhme, Ehre und zu der Bravour«. Bevor er jene Begierde ausbilde, solle der Kronprinz allerdings »erst den Ruhm, daß er ein ist, erwerben«.26

Das Ideal des , wie es seit dem 16. Jahrhundert entworfen wurde, erfreute sich in den Kreisen des europäischen höfischen Adels großer Beliebtheit. Wie 1528 in Baldassare Castigliones Buch vom Hofmann ausgewiesen, beinhaltete es eine allgemeine Bildung, Weltgewandtheit, gute Umgangsformen und die Fähigkeit zu geistreicher Konversation. Anstatt dem ritterlichen Heldenideal früherer Zeiten nachzueifern, sollte sich der in den schönen Künsten auskennen und geistigen Genüssen frönen, vorzugsweise in ländlicher Abgeschiedenheit und fern von den Intrigen der Hofgesellschaft. Mit dieser Haltung verbanden französische Moralisten wie Michel de Montaigne oder François de La Rochefoucauld eine tiefe, historisch und anthropologisch informierte Skepsis gegenüber den Geltungsgrundlagen von Macht und Gesetz. Weder Vernunft noch Gerechtigkeit, argwöhnten sie, führe Letzteren die Feder, sondern schierer Zufall oder bloße Gewohnheit. Auch die landauf, landab gepriesenen Tugenden seien häufig nichts anderes als verkappte Laster und leiteten sich fast immer aus egoistischen Motiven ab.27

Es ist unwahrscheinlich, dass Friedrich Wilhelm I. diese skeptischen Reflexionen kannte. Vermutlich brachte er auch für die schöngeistigen Anteile einer Erziehung zur wenig Interesse auf.28 Aber da sie nun einmal zum adligen Bildungsprogramm zählten (und seine Gattin darauf großen Wert legte), duldete er es, dass der Sohn französische Literatur las, die Flöte spielte und komponierte, Skulpturen sammelte und Bilder betrachtete. Wichtiger aber war es allemal, beim Thronfolger die »Begierde zum Ruhme, Ehre und zu der Bravour« zu fördern – was, wenn auch zu spät für den ungeduldigen Vater, tatsächlich Früchte trug.

In Friedrichs jugendlichen Jahren nahm ihn der strenge König als vollkommen unmännlich und unbravourös wahr, als »effeminirten Kerl« eben, »der keine menschliche Inklinationen hat, der sich schämt, nicht reiten noch schießen kann, und dabei malpropre an seinem Leibe« sei.29 : Das ging dem Monarchen gegen die Ehre. Scham war wahrhaftig kein Stichwort, das in ein königliches Gefühls- und Benimmlexikon gehörte. Sie geziemte Frauen und nicht Männern, und sie zeichnete Menschen aus, die in der gesellschaftlichen Hierarchie unten standen. Ein Thronfolger, der bald die Spitze der Rangpyramide erklommen haben würde und sich schämte, war genauso unvorstellbar und untragbar wie ein König, der weinte.


Aber es gab noch ein anderes Erziehungsideal, das im 18. Jahrhundert Furore machte: das des . Er vereinigte Herz und Geist, und , und sollte vor allem eins nicht sein: . Ein besaß nicht nur die physische Fähigkeit, sinnliche Eindrücke zu empfangen, sondern er verfügte auch und vor allem über die moralische Kraft, mit und für andere zu fühlen.30 Adligbürgerlicher Herkunft, wanderte dieses Ideal rasch durch die gebildeten Diskurse und Salons der europäischen Metropolen, Handels- und Residenzstädte. Der wurde zur neuen Leitfigur, die dem aufgeklärten Säkulum einen weiteren Beinamen verpasste: Zeitalter der Empfindsamkeit. Empfindsame Romane fanden reißenden Absatz und gewannen Kultstatus. Dazu gehörten Samuel Richardsons (1740) und (1748) ebenso wie Jean-Jacques Rousseaus (1761) oder der später für den »Sturm und Drang« reklamierte Briefroman von Johann Wolfgang Goethe (1774).31 Viele andere Texte sind heute zu Recht vergessen, fanden aber in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine begeisterte Leserschaft und inspirierten kulturelle Praktiken und Moden.

Teeschale mit Werther-Motiv, Meißener Porzellan, um 1789

In manchen adligen Kreisen und im gebildeten Bürgertum formte sich damals ein Stil des sozialen Umgangs und der Selbstpräsentation, der Gefühlen einen hohen Stellenwert einräumte. Starke, aufrichtige Gefühle zu haben gehörte ebenso zum empfindsamen Habitus wie die Fähigkeit, sie auf verständliche Weise mitzuteilen. Dabei galt die Introspektion, das Sich-selbst-Fühlen, als Bedingung für das, was Zeitgenossen als wichtigste menschliche Fähigkeit und Tugend rühmten: das Mitfühlen mit anderen. Ob Adam Smith, Rousseau oder Lessing: , Mitleid waren für sie alle, und für viele andere, der Kern von Humanität und das Fundament gesellschaftlicher Ordnung. Auch Don Carlos sang ihr Loblied, um den Vater von dessen herrischer Selbstbezüglichkeit und schmerzlich erlittenen Einsamkeit zu erlösen: »Wie entzückend und süß ist es, … zu wissen, daß unsre Freude fremde Wangen rötet, daß unsre Angst in fremden Busen zittert, daß unsre Leiden fremde Augen wässern«.32

Die Leitfigur des empfindsamen, mitfühlenden Menschen stand keineswegs im Gegensatz zur Aufklärung. , die Empfindsamkeit ist die Mutter der Menschlichkeit, hieß es 1765 im Schlüsselwerk der französischen Aufklärung, der von Diderot und d’Alembert herausgegebenen .33 In ihrem Umkreis unternahmen es die , zu denen auch Schiller mit seiner frühen medizinischen Dissertation zu zählen wäre, die cartesianische Trennung von Körper und Geist zu überwinden. Empfindungen waren für sie sowohl physiologischer als auch mentaler Natur. Zu den schillerndsten Figuren dieser einflussreichen Schule zählte Julien Offray de La Mettrie34; gemeinsam mit dem Marquis Jean-Baptiste d’Argens, der sich ebenfalls für den existentiellen Stellenwert des Fühlens stark machte, gehörte er zu Friedrichs Tafelrunde.

Der Marquis, der 1741 auf Einladung des kurz zuvor inthronisierten preußischen Königs nach Berlin bzw. Potsdam kam, hatte vier Jahre zuvor sein Hauptwerk veröffentlicht. Darin führte er und zusammen, lobte das empfindsame Mitgefühl als Bedingung von Soziabilität...


Frevert, Ute
Ute Frevert, geb. 1954, Historikerin, ist Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin. Professuren an der Yale University sowie an den Universitäten Bielefeld, Konstanz und Berlin. Frevert ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und erhielt 1998 den Leibniz-Preis der DFG.
Veröffentlichungen u.a.: Writing the History of Emotions: Concepts and Practices, Economies and Politics (2024); Vergängliche Gefühle (2013); Gefühlspolitik: Friedrich II. als Herr über die Herzen? (2012); Emotions in History – Lost and Found (2011); Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland (2001); »Mann und Weib, und Weib und Mann«. Geschlechter-Differenzen in der Moderne (1995); Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft (1991).



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