E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Freund Mühlenmord
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8042-3053-8
Verlag: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Ostsee-Krimi
E-Book, Deutsch, 232 Seiten
ISBN: 978-3-8042-3053-8
Verlag: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als im Winter 1945 der Schatten eines Mannes auf das Gesicht des in der Sonne spielenden Jungen Walter fällt, ahnt noch niemand, dass mit diesem Tag das Unheil Einzug in die Familie Wagenknecht hält. Etwas Böses ist mit dem Heimkehrer Karl zurück nach Angeln gekommen, und es hat den Anschein, als würde es sich in der Windmühle Demeter fortan einnisten. Es kommt zu einem grauenhaften Verbrechen, dessen Zeuge der junge Walter wird. Die Erinnerungen daran werden ihn ein Leben lang nicht mehr loslassen.
Jahrzehnte später ist es genau diese Tat, die die Familie Wagenknecht einholt. Ein Fremder sucht die Windmühle Demeter auf und eröffnet dem inzwischen erwachsenen Walter Wagenknecht, dass er das furchtbare Geheimnis dieses Hauses kennt. Und er stellt Forderungen, die nahezu unerfüllbar sind. Walter muss sich seiner Vergangenheit stellen. Ihm wird klar, dass er sein Schweigen brechen und seine Kinder in das Geheimnis einweihen muss.
Doch dann nehmen die Ereignisse eine vollkommen unerwartete Wendung. Ein weiteres Verbrechen geschieht, und wieder rückt die Demeter in das Zentrum des Geschehens. Zieht die alte Windmühle das Böse an? Liegt auf der Familie Wagenknecht ein Fluch, dem niemand entrinnen kann?
Walter Wagenknecht muss das Schicksal seiner Familie in die Hand nehmen, bevor alle zusammen auf einen dunklen Abgrund zurasen.
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- 1 - Am äußeren Rand des Stoppelfelds tauchte plötzlich ein Mensch auf. Zunächst nur als kleiner, schwarzer Punkt, der aber rasch an Kontur und Größe gewann. Walter Wagenknecht stand am Küchenfenster, hatte gerade sein Frühstücksgedeck in den Geschirrspüler geräumt und seinen Platz am Tisch mit einem feuchten Tuch nachgewischt, obwohl er weder gekleckert, noch gekrümelt hatte. Angewohnheiten, die die Jahrzehnte überdauert hatten. Über dieses Feld ist noch nie etwas Gutes gekommen, dachte er. Und daran war etwas Wahres. Walter streckte die Hand nach seinen Zigaretten aus, die in verlockender Reichweite lagen. Er führte die Bewegung nicht zu Ende. Seine Finger verharrten über der Schachtel. Wer den Weg über das Feld nahm, der würde nicht sofort wieder gehen, der verfolgte ein bestimmtes Ziel. So war es irgendwie schon immer gewesen. Der Mensch da draußen wurde zu einem Mann, wurde zu einem Mann in dunkler Kleidung, wurde zu einem Mann in mittleren Jahren, der seine schwarze Lederjacke lässig an einem Finger über der rechten Schulter trug. Etwas in seinem dunklen Haar spiegelte sich in der Vormittagssonne. Eine Brille mit getönten Gläsern. Ein paar hundert Meter hinter ihm rollte der Verkehr auf der B199, nach Flensburg in die eine und nach Kappeln in die andere Richtung. Walter verschwendete keinen Blick darauf. Der Mann trug weinrote Cowboystiefel, die die Stoppeln des Weizenfeldes wie Streichhölzer umknickten. Walter nahm das Geräusch in seinem Innern wahr, obwohl er es hier drinnen nicht hören konnte. Etwas kam auf ihn zu. Nicht nur dieser Mann. Mit ihm kamen Ereignisse. Walter Wagenknecht wusste es. Wer sich so zielstrebig bewegte, der war sich seiner Sache sicher. Eine Zigarette? Er könnte einen dieser Glimmstängel schaffen, bevor der Fremde das Haus und die Mühle, die daneben wie ein steinerner Wächter thronte, erreicht hatte. Nein. Walter Wagenknecht hatte beide Hände auf der abgewetzten Arbeitsfläche abgestützt und blickte stur durch das Sprossenfenster nach draußen. Der Mann mit der Sonnenbrille im Haar war jetzt ein gutes Stück näher gekommen. Fast schien es, als würde er Walter direkt in die Augen blicken. Vielleicht war das sogar der Fall. Die Stiefel des Fremden wirbelten Staub auf, den der leichte Wind hinter ihm auseinanderfächerte. Es hatte seit fast zwei Wochen nicht mehr geregnet. Walter schaltete das kleine, altmodische Radio auf der Eckbank aus, ohne seine Position großartig zu verändern, und vor allem ohne den Blick abzuwenden. Jetzt war alles still, und er bildete sich ein, die Schritte des Mannes nun tatsächlich hören zu können. Der Fremde tat einen großen Schritt über den schmalen Entwässerungsgraben am Feldrand hinweg und befand sich auf dem Platz vor der Mühle. Walter sah, wie er kurz stehenblieb, das breite Kreuz durchgedrückt und zu den Flügeln der Demeter hinaufsehend, die sie vor zwei Jahren instand gesetzt hatten. Der Mühlenbesitzer hinter dem angestaubten Küchenfenster schloss die Augen und atmete tief durch. Er spürte, wie sein Herz ruhig und gleichmäßig schlug. Das hatte es nicht immer getan. Vor allem nicht in der Nacht, wenn er in Schweiß gebadet aus seinen Träumen aufgeschreckt war, den Mund weit aufgerissen zu einem Schrei, der niemals über seine Lippen gekommen war. Jedes Mal hatte er es zuvor fertig gebracht, in seine rechte Faust zu beißen, wo er am Morgen noch die Abdrücke seiner Schneidezähne vorfand. Er hatte nicht gewollt, dass sie zu ihm kamen. Niemand sollte je erfahren, was er mit sich trug, jeden Tag, jede Nacht, jeden verdammten Augenblick. Niemand sollte es je erfahren. Die Türklingel riss ihn erbarmungslos aus seinen Gedanken, katapultierte ihn mit einem Schlag zurück in das Hier und Jetzt. Er öffnete die Augen. Der breite Hofplatz vor der Mühle war leer. Als Walter Wagenknecht in den Hausflur trat, zeichneten sich hinter der Glastür die Umrisse einer Gestalt ab. Er legte die Hand auf die Klinke und drückte sie herunter. Auf den weinroten Lederstiefeln lag eine dicke Schicht Staub. Die schwarze Jeans des Mannes saß eng, hauteng. Ein breiter Gürtel mit silberner Schnalle, darüber ein Bauchansatz, der durch das karierte Hemd nicht unbedingt kaschiert werden konnte. Das bunte Tuch, das durch ein Bulletie gehalten wurde, konnte nicht ganz die sonnengebräunte, aber faltige Haut des Besuchers verdecken. Die Lippen des glattrasierten Fremden formten sich zu einem Lächeln. Walter dachte daran, dass der Kerl vermutlich eine dieser Zahncremes benutzte, bei denen die Hersteller eine Farbe versprachen, die noch heller als das weißeste Weiß glänzte. Oder sie waren genauso künstlich wie das Grinsen ihres Besitzers. „Walter? Walter Wagenknecht?“ Der Mühlenbesitzer nickte. „Wenn Sie die Mühle besichtigen wollen, die ist derzeit wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.“ Walter hatte diese Karte gezogen, obwohl er insgeheim wusste, dass der Fremde einiges im Sinn haben mochte, das ziemlich Letzte würde allerdings eine Besichtigung sein. „Mein Name ist Harald Grabauer“, sagte der Mann vor der Tür. Offenbar schien er abzuwarten, ob Walter dieser Name etwas sagen würde, was nicht der Fall war. „Ich bin gekommen, um mit Ihnen über eine geschäftliche Angelegenheit zu sprechen.“ Walter nickte. Ihm fiel nichts ein, was er darauf hätte entgegnen können. Er trat einen Schritt beiseite und beobachtete, wie die staubigen Cowboystiefel über seine Haustürschwelle traten. Ein Schritt, der nicht mehr rückgängig zu machen war. Sie betraten die Küche, in der die Wagenknechts schon immer wichtige Gespräche geführt und noch wichtigere Entscheidungen getroffen hatten. Die Renovierung der Mühle und der Umbau zu einem Restaurant waren die jüngsten aus einer langen Reihe von Entscheidungen, die hier gefällt worden waren. Nicht alle waren an die Öffentlichkeit geraten, was in mancher Hinsicht gut gewesen war. Walter hatte die Küche in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts von Grund auf renoviert. Und dennoch, wenn er manchmal, so wie heute Morgen, in der Küche saß, hörte er noch immer die Stimmen von damals. Es gab Stimmen, die tuschelten und solche, die sich lautstark Gehör verschafft hatten. Walter hatte über die Jahre herausgefunden, dass die leisen vermutlich die böseren gewesen waren, auf jeden Fall hatten sie am Ende Recht behalten. „Wenn Sie sich setzen wollen?“ Grabauer wollte. Er zog sich einen Stuhl heran und sah den Hausherrn erwartungsvoll an. Walter setzte sich auf seinen Platz auf der Eckbank. Von hier aus konnte er gleichzeitig aus dem Fenster sehen, wenn ihm danach war, oder den Raum überblicken. Schon als Kind war dies sein Platz gewesen. Der an seiner Rechten war lange Zeit leer gewesen. Wie ein schneller Blitz durchzuckte Walter die Erinnerung an seinen Vater, der im Krieg in Norwegen stationiert gewesen war. Bis eines Tages … „Ich würde gerne gleich zur Sache kommen“, nahm Grabauer das Gespräch auf. Er fuhr mit den Händen, an denen dicke Finger saßen, über die Tischplatte, als würde er ein Leinentuch glattstreichen. „Ich höre“, gab Walter zurück. Er sah sein Gegenüber an. Seine Tochter Hannah hatte ihm oft gesagt, er solle von den Menschen nichts erwarten, dann wäre die Enttäuschung hinterher umso geringer. Walter glaubte nicht, dass diese These immer zutraf. Von diesem Mann erwartete er einiges und er wusste insgeheim, dass es genauso eintreffen würde. Grabauer langte in seine Hemdtasche und faltete ein Blatt auseinander, das er mit sich herumgetragen hatte. Er legte es auf den Tisch, mit der Rückseite nach oben. Grabauer lächelte, als er wieder aufblickte und den Mühlenbesitzer ansah. So lächeln Sieger, dachte Walter. Er erwiderte den Blick seines Besuchers und vermied es, auf das Papier in der Mitte des Küchentischs zu sehen. „Haben Sie sich jemals gefragt, wo Ihr Vater hingegangen ist?“, platzte Grabauer heraus. Walter Wagenknecht blinzelte. „Ich meine nach dem Krieg, als er seine alte Stellung bei der Bahn wiederbekommen hatte? Die Zeit, in der er oft tagelang nicht zu Hause war. Haben Sie sich nie gefragt, wo er da gewesen ist?“ „Mein Vater war uns keine Rechenschaft schuldig“, gab Walter leise zurück. „Weder meiner Mutter noch mir.“ Grabauer lächelte. Unentwegt weiße Zähne. „Es hat Sie nie interessiert? Auch Ihre Mutter nicht?“ „Wir haben niemals Fragen gestellt. Es bestand keine Notwendigkeit dazu.“ Monoton kamen die Worte über die Lippen des Mühlenbesitzers. Spröde und wie auswendig gelernt. „Vielleicht kann ich diese Wissenslücke ja schließen, nach so langer Zeit.“ Grabauer blickte sich verstohlen um, als suche er nach etwas zu trinken. Walter Wagenknecht hatte entschieden, dass dieser Gast nichts bekommen würde. „Ich höre Ihnen immer noch zu.“ Grabauer nickte energisch. „Gut. Ich werde Ihnen sagen, wo er war. In Flensburg, am Burgplatz 5, gab es zu der Zeit eine kleine Dachgeschosswohnung. Darin wohnte eine junge Frau, die aus Süddeutschland hier hoch in den Norden gekommen war. Sie wohnte allein. Sie war allein. Ihr Name war Maria. Sie hat Ihren Vater am Bahnhof kennengelernt. Oft, so oft hat sie die Geschichte erzählt, wie er einen Kaffee getrunken hat, während seiner Pause. Wie sie am Zeitungsstand ins Gespräch gekommen und wie aus einem Kaffee zwei geworden sind. Dazu haben sie geraucht, die Selbstgedrehten, die Ihr Vater immer in einem kleinen silbernen Etui bei sich hatte.“ Walter Blick streifte den Küchenschrank. Er hätte Grabauer sagen...




