French | Seit er tot ist | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 353 Seiten

French Seit er tot ist


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-24600-6
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 353 Seiten

ISBN: 978-3-641-24600-6
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Verstrickt im Dickicht von Lügen und Verrat
Was tun, wenn der Ehemann mit einer Unbekannten auf dem Beifahrersitz tödlich verunglückt ist? Wird die Liebe von den Lügen zerfressen? Nicci French entwirft das genaue Porträt einer Frau zwischen Trauer und Zweifel, zwischen Vertrauen und Verrat, deren Wunsch, die Wahrheit zu erfahren, größer ist als jede Angst.

Nicci French - hinter diesem Namen verbirgt sich das Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French. Seit über 20 Jahren sorgen sie mit ihren außergewöhnlichen Psychothrillern international für Furore und verkauften weltweit über 8 Mio. Exemplare. Besonders beliebt sind die Bände der Frieda-Klein-Serie. Die beiden leben in Südengland.
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2


Die Zeitung klatschte auf die Fußmatte, und ein paar Minuten später wurde ein Bündel Briefe durch den Türschlitz geschoben. Diese Geräusche erinnerten mich daran, dass die Welt draußen versuchte, zu mir vorzudringen. Bald gab es für mich eine Menge zu erledigen, Pflichten zu erfüllen, Dinge zu beachten. Doch zuerst rief ich noch einmal Tania an.

»Entschuldige die frühe Störung«, sagte ich, »aber ich wollte dich erwischen, bevor du zur Arbeit aufbrichst.«

»Es ist mir die ganze Nacht im Kopf herumgegangen«, antwortete sie. »Ich habe kaum ein Auge zugetan. Ich kann es noch immer nicht fassen.«

»Wenn du im Büro bist, könntest du dann für mich nachsehen, mit wem Greg sich gestern getroffen hat?«

»Er hat den ganzen Tag an seinem Schreibtisch verbracht und ist dann direkt nach Hause aufgebrochen.«

»Vielleicht hat er auf dem Heimweg noch bei einem Kunden vorbeigeschaut, um etwas abzugeben oder so. Ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du einen Blick in seinen Terminkalender werfen könntest.«

»Ich mache alles, was du willst, Ellie«, versicherte mir Tania, »aber wonach soll ich suchen?«

»Frag Joe, ob Greg gestern irgendwas zu ihm gesagt hat.«

»Joe war gestern nicht im Büro, er hatte einen Außentermin.«

»Es war eine Frau.«

»Ja, ich weiß. Ich werde tun, was ich kann.«

Ich dankte ihr und legte auf. Sofort begann das Telefon zu klingeln. Es war Gregs Vater, der weitere Einzelheiten von mir wissen wollte. Seine Worte klangen steif und wie einstudiert, als hätte er sich die einzelnen Punkte vorher notiert. Ich konnte keine seiner Fragen beantworten. Ich hatte ihm schon alles gesagt, was ich wusste. Während er berichtete, dass Kitty die ganze Nacht nicht geschlafen habe, fragte ich mich, ob er damit klarstellen wollte, wer von uns am meisten trauerte. Hinterher hatte ich das Gefühl, bei einem Test versagt zu haben. Offenbar verhielt ich mich nicht wie eine gute Ehefrau. Witwe. Das Wort brachte mich fast zum Lachen. Es war nicht für jemanden wie mich gedacht, sondern für alte Frauen mit Kopftüchern, die Einkaufstrolleys hinter sich herzogen – Frauen, die damit rechnen mussten, Witwe zu werden, und daher Zeit hatten, sich darauf vorzubereiten und es zu akzeptieren.

Ich spielte im Geist noch einmal den genauen Moment durch, in dem die Polizistin mir von Gregs Tod berichtet hatte, jenen Moment des Übergangs. Die Nachricht kam mir vor wie eine Trennlinie, ein Strich mitten durch mein Leben. Danach war nichts mehr so wie vorher.

Obwohl ich weder Hunger noch Durst hatte, beschloss ich, etwas zu mir zu nehmen. Ich ging in die Küche, wo mich der Anblick von Gregs Lederjacke, die dort über einem Stuhl hing, so heftig traf, dass ich kaum noch Luft bekam. Ich hatte mich immer über diese Angewohnheit von ihm beschwert. Warum konnte er die Jacke nicht an einen Haken hängen, damit sie aus dem Weg war? Jetzt beugte ich mich zu ihr hinunter, weil ich hoffte, dass sie nach ihm roch. Es würde nun viele solche Momente geben. Während ich mir eine Tasse Kaffee machte, erlebte ich schon die nächsten: Der Kaffee kam aus Brasilien, eine Sorte, die Greg immer kaufte, und die Tasse, die ich aus dem Schrank nahm, stammte aus dem Andenkenladen eines Atomkraftwerks, wo Greg sie zum Spaß für mich erstanden hatte. Als ich die Kühlschranktür öffnete, sah ich mich mit weiteren Erinnerungen konfrontiert: Sachen, die er eingekauft oder ich für ihn gekauft hatte, entsprechend seiner Vorlieben und Abneigungen.

Mir wurde klar, dass das Haus noch nahezu so war, wie er es verlassen hatte, aber dass ich mit jedem Griff, den ich tat, jeder Tür, die ich öffnete, jedem Gegenstand, den ich benutzte oder bewegte, seine Präsenz nach und nach auslöschte, ihn ein klein wenig mehr sterben ließ. Andererseits, was spielte das für eine Rolle? Er war tot. Ich nahm seine Jacke und hängte sie an den Haken in der Diele, wie ich es immer nörgelnd von ihm verlangt hatte.

Dabei kam mir mein Handy unter, das dort im Regal lag, und ich sah, dass ich eine Textnachricht bekommen hatte. Dann sah ich, dass sie von Greg war. Für einen Moment fühlte mein Herz sich an, als hätte jemand es mit beiden Händen gepackt und wie einen Waschlappen ausgewrungen. Mit steifen Fingern rief ich die Nachricht auf. Sie war gestern abgeschickt worden, kurz nachdem ich mich so darüber aufgeregt hatte, dass er später als versprochen aus dem Büro nach Hause kommen würde. Der Text war nicht sehr lang: »Sorry sorry sorry sorry sorry. Ich bin ein Vollidiot.« Nachdem ich eine Weile auf die Worte hinuntergestarrt hatte, drückte ich das Handy für einen Moment an meine Wange, als steckte in der Nachricht ein klein wenig von ihm, das ich in mich aufsaugen konnte.

Dann griff ich nach seinem und meinem Adressbuch sowie einem Notizblock, kehrte in die Küche zurück und ließ mich mit meiner Kaffeetasse am Tisch nieder, um mir Gedanken darüber zu machen, wen ich anrufen sollte. Sofort musste ich an die Party denken, die wir dieses Jahr gegeben hatten, genau zwischen unseren beiden Geburtstagen. Es waren dieselben Adressbücher, derselbe Tisch und mehr oder weniger auch dieselbe Art von Entscheidungen. Wen mussten wir auf jeden Fall einladen? Wen wollten wir dabeihaben, wen nicht? Wenn wir X einluden, durfte Y nicht fehlen. Wenn wir uns für A entschieden, mussten wir B von der Liste streichen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Kopf nicht richtig funktionierte. Am besten, ich machte mir Notizen, damit ich keinen vergaß oder zweimal anrief. Unsere engsten Freunde musste ich unbedingt erwischen, bevor sie zur Arbeit aufbrachen. Zuerst aber rief ich noch einmal bei meinen Eltern an. Obwohl ich mich vor dem Gespräch fürchtete, wusste ich, dass sie so früh am Morgen beide zu Hause waren. Mein Vater ging ran und rief sofort meine Mutter dazu, sodass ich sie beide an der Strippe hatte. Sie fingen gleich an, mir von einem Freund von ihnen zu erzählen, ich könne mich bestimmt an Tony erinnern, die Ärzte hätten gerade Diabetes bei ihm festgestellt, und zwar nur, weil er zu viel aß, es sei doch wirklich lächerlich, wie wenig die Leute ihr Leben im Griff hätten. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, sie zu unterbrechen, schaffte ich es schließlich, zwischen zwei Sätzen ein lautes »Bitte!« einzuschieben, und stieß dann alles hervor.

Zunächst folgte ein Schwall von entsetzten Ausrufen, dann bombardierten sie mich mit Fragen: Wann war das passiert? Ging es mir gut? Brauchte ich Hilfe? Sollten sie beide zu mir kommen? Oder nur Mutter? Hatte ich es meiner Schwester schon gesagt, oder sollten sie das für mich übernehmen? Und was war mit Tante Caroline, musste sie es nicht auch erfahren? Ich erklärte meiner Mutter, ich müsse jetzt aufhören, ich würde mich später noch einmal bei ihr melden, aber jetzt hätte ich weitere Anrufe und jede Menge andere Dinge zu erledigen. Nachdem ich aufgelegt hatte, dachte ich über meine Worte nach. Was für Dinge hatte ich eigentlich zu erledigen? Es galt Formulare zu unterschreiben, Testamente zu lesen, ein Begräbnis zu organisieren. War ich dafür verantwortlich, oder lief das alles ganz automatisch?

Ich musste mit Joe sprechen, Gregs Geschäftspartner und engem Freund, doch ich erreichte nur seinen Anrufbeantworter und brachte es nicht übers Herz, ihm die Nachricht auf diese Weise zu übermitteln. Ich stellte mir sein Gesicht vor, wenn er es erfahren würde, seine leuchtend blauen Augen. Bestimmt war er in der Lage, die Tränen zu weinen, die ich im Moment offenbar nicht weinen konnte. Ich musste Tania bitten, es ihm statt meiner zu sagen. Bestimmt hatte sie nichts dagegen. Sie war neu in der Firma und himmelte Joe an.

Ich ging sowohl Gregs als auch mein eigenes Adressbuch durch und erstellte eine Liste mit dreiundvierzig Leuten. Es war eine erlesenere Gruppe als bei unserem Fest. Damals hatten wir viele eingeladen, die wir seit der Party im Vorjahr nicht mehr gesehen hatten, außerdem ein paar Nachbarn und Leute, zu denen wir langsam den Kontakt verloren. Die würden durch Klatsch und Tratsch davon hören, oder wenn sie sich mal wieder bei mir meldeten. Vielleicht würden es einige auch nie erfahren. Sie würden sich hin und wieder fragen, was wohl aus dem alten Greg und seiner Ellie geworden war, und dann an etwas anderes denken.

Ich griff nach dem Telefon und begann die Leute auf meiner Liste anzurufen, und zwar mehr oder weniger in der Reihenfolge, wie ich sie aus unseren Adressbüchern herausgeschrieben hatte. Die Erste war Gwen Abbott, eine meiner ältesten Freundinnen, und als Letzter kam Ollie Wilkes an die Reihe, der einzige Cousin, mit dem Greg in engem Kontakt geblieben war. Bei dem ersten Anruf schaffte ich es fast nicht, die Nummer zu tippen, so sehr zitterten meine Hände. Als ich es Gwen sagte und sie vor Schreck und Entsetzen aufschrie, hatte ich das Gefühl, das Ganze von vorne zu durchleben, mit dem einzigen Unterschied, dass es nun noch schlimmer war, weil der Schlag auf die Wunden und blauen Flecken vom ersten Mal traf. Nachdem ich aufgelegt hatte, saß ich eine Weile einfach nur da. Das Atmen fiel mir schwer, als befände ich mich in großer Höhe, wo die Luft ganz dünn war. Ich befürchtete, dass ich es nicht schaffen würde, weiterzumachen und den schrecklichen Augenblick durch andere Menschen immer wieder zu erleben.

Aber es wurde leichter. Ich fand Formulierungen, die ich ertragen konnte, und übte sie ein, bevor ich mit den Anrufen fortfuhr. »Hallo, hier spricht Ellie, ich habe schlimme Neuigkeiten …« Nach ein paar weiteren Telefonaten wurde ich sogar richtig ruhig. Es gelang mir, jedes Gespräch zu steuern und zu einem einigermaßen schnellen Ende zu bringen. Ich hatte mir ein paar Phrasen zurechtgelegt. »Ich habe so viel zu erledigen.« »Es tut mir leid, aber ich kann im Moment noch...


French, Nicci
Nicci French - hinter diesem Namen verbirgt sich das Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French. Seit über 20 Jahren sorgen sie mit ihren außergewöhnlichen Psychothrillern international für Furore und verkauften weltweit über 8 Mio. Exemplare. Besonders beliebt sind die Bände der Frieda-Klein-Serie. Die beiden leben in Südengland.



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