E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Freitag Chill mal, Frau Freitag
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0033-7
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Aus dem Alltag einer unerschrockenen Lehrerin
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0033-7
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frau Freitag, geboren 1968, wollte schon immer Lehrerin werden. Seit über zehn Jahren unterrichtet sie Englisch und Kunst in lauter überdrehten, dafür recht leistungsschwachen Klassen. Sie lebt in einer deutschen Großstadt.
Autoren/Hrsg.
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2.
Den Sommerferien entgegen
Frau Freitag,
Sie haben mein Leben gefickt
(Mitte Juni, noch fünf Wochen)
Wann sind eigentlich Sommerferien? Jetzt blicke ich gar nicht mehr durch. Sollte nicht bald die Zeit der Filme und des Auf-den-Hof-Gehens beginnen? Die Tage, an denen eigentlich kein geregelter Unterricht mehr stattfindet, nur noch Eisessen, Schränke ausmisten, Hitzefrei, Tische schrubben und Kunstarbeiten aufhängen mit drei immer noch artig kommenden Zehntklässlerinnen. Ach, aber vorher kommt ja noch die schöne Zeit des Zensurenmachens und der Zeugniskonferenzen. Die Zeit, in der wir wieder zu hören bekommen: »Bitte, ich brauch nur noch den einen Punkt. Sonst fehlt mir nichts mehr. Nur der eine Punkt bei Ihnen.« – »Wie, jetzt ist es zu spät für ein Referat? Kann ich nicht noch einen Vortrag oder ein Plakat oder so … Aber ich brauche doch unbedingt eine Vier!«
Die Kollegen jedoch sind auch nicht besser: »Ach, Frau Freitag, kannste der Rebecca nicht noch zwei Punkte mehr geben, die ist doch immer da gewesen und die braucht doch den Abschluss.« – »Kann ich dir die Noten nächsten Montag geben? Ich muss heute noch eine Arbeit schreiben.« – »Wie, die Zensuren werden zusammengerechnet? Das erste und das zweite Halbjahr? Echt? Seit wann das denn?«
Kurz vor den Ferien kommen komischerweise auch die Dauerschwänzer wieder in den Unterricht, Schüler, die man nur von der Kursliste kennt und noch nie gesehen hat. Scheinbar wagen sie sich erst nach den Konferenzen in die Schule, wenn der Druck weg ist. Wenigstens fragen die nicht nach besseren Noten.
Vor den Konferenzen sitze ich stundenlang am Schreibtisch und rechne. Ich habe die Angewohnheit, jede Zensur aus tausend Kleinstnoten, die ich für alles Mögliche gegeben habe, zusammenzubasteln. Ganz am Anfang meiner Karriere kam es vor, dass ich am Ende eines Schuljahres zu wenige Einzelnoten hatte, deshalb gibt es bei mir jetzt pro Stunde mindestens eine, meistens aber wesentlich mehr Noten zu ergattern. Die mache ich im Bus, andere lesen, ich schreibe Mitarbeitsnoten in Zensurenhefte:
»War super, unglaublich, noch nie gesehen« = 1
»War auch super und toll, aber du hast Pech, dass der Soundso in deinem Kurs ist, und der ist besser« = 2
»Ach, was soll’s, du bemühst dich, bist immer pünktlich und nett, und manchmal sagst du auch was Richtiges« = 3
»Tut mir leid, von dem Fach hast du so gar keine Peilung, aber wenn ich dir jetzt eine Fünf gebe, muss ich am Ende noch Förderpläne schreiben, oder noch schlimmer: Du bleibst sitzen und kommst dann in meine Klasse, das muss verhindert werden« = 4
»Keine Ahnung haben und dann auch noch frech werden. Ständig zu spät, ohne Arbeitsmaterial und immer störende Bemerkungen, alles Schriftliche ein Griff ins Klo, dazu noch eine total schlechte Handschrift und die Blätter grundsätzlich zerknittert« = 5
»Stand zwar auf meiner Kursliste, kam aber nie, oder: Kam ab und zu und hat es dann gewagt, sich richtig doll mit mir anzulegen« = 6
Ich bin ja Schülerschleimer, ich gebe eigentlich keine Sechsen, nur den Karteileichen. Wer nett lächelt, bekommt bei mir schon eine Vier. Wer dazu noch gut aussieht und mir Komplimente macht, der kann sich schon über eine Drei freuen. So einfach ist das.
Aber trotzdem mache ich jedes Jahr den gleichen Fehler – ich lasse mich vor der Zensurenkonferenz dazu hinreißen, den Schülern ihre Noten zu sagen. Und dann startet der Basar: »Üff, mach nicht so, Frau Freitag! Warum nur sechs Punkte? Geben Sie eine Punkt mehr, dann hab ich ein Drei auf Zeugnis.«
»Ja, ich weiß. Leider waren deine Leistungen aber nur ausreichend. Und nicht befriedigend.«
»Wenn ich Ihnen noch ein Bild male, kann ich dann nicht in Kunst zwölf Punkte haben?«
»Die Notenabgabe war vorgestern. Du hast zu oft unentschuldigt gefehlt.«
Wer als Lehrer die Nähe zur Schülerschaft sucht, der sollte am Ende der Stunde die Zeugnisnoten vorlesen. Die Pause kann man dann getrost vergessen: »Wieso eine Fünf? Ich war doch fast immer da. Ich brauche doch eine Vier!« – »Der Ronnie war aber nicht besser als ich. Ich hab doch immer Zweien geschrieben. Echt, der wieder, nur weil er Deutscher ist …«
Auch auf dem Hof erfreut man sich allgemeiner Aufmerksamkeit: »Frau Freitag, geben Sie mir acht Punkte, biiittteee«, schreit man dir entgegen. Besonders schön auch: »Sie versauen meine gesamte Zukunft!« Oder, kombiniert mit einem Gesicht, als säße man in der Todeszelle: »Frau Freitag, Sie haben mein Leben gefickt.«
Und was macht der Lehrer? Der bleibt hart. »Ich muss jetzt zur Aufsicht.« – »Diese Note hast du dir selber eingebrockt.« – »Seit Monaten sage ich dir, du sollst dich anstrengen.«
Aber dann kommt der Lieblingsschüler. Du willst nicht, dass er dich vor den anderen nach seiner Note fragt. Du hast ihm nur elf Punkte gegeben, weil du sauer warst, dass er die letzte Hausaufgabe einfach nicht nachgereicht hat, du wolltest auch mal konsequent sein.
»Und ich?«
»Ja, nun …« Jetzt bloß nicht weich werden. Nicht vor den anderen Schülern!
»Was kriege ich in Englisch?«
»Also, du bekommst … also, warte mal …«, im Notenheft blättern, Zeit schinden. »Also, bei dir leider nur elf Punkte.«
»ELF Punkte?«
Der Lieblingsschüler ist ehrgeizig. Erst guckt er mich grimmig an, dann hellen sich seine Gesichtszüge sofort wieder auf: »Frau Freitag, elf Punkte! Elf Punkte hab ich in Musik. Und ich hasse Musik. Geben Sie mir zwölf!«
Hart bleiben, hart bleiben, nicht hingucken, hart bleiben.
»Aber du hast die eine Hausaufgabe …«
Der Lieblingsschüler lässt nicht locker: »Frau Freitag, is doch nur ein Punkt. Kommen Sie! Seien Sie nicht so! Wir gehen mal schick essen.«
Tja. Was sagt man dazu? Ich frage mich selbst, was der Lieblingsschüler letztendlich auf dem Zeugnis stehen haben wird. Eigentlich hat er die zwölf Punkte nicht verdient. Aber wenn er sie doch so gerne hätte? Und wenn ich dafür bei allen anderen hart bleibe? Wahrscheinlich wird der Lieblingsschüler einen Punkt mehr auf seinem Zeugnis haben. Wenn er das bei allen Kollegen schafft, dann hat er ein ziemlich gutes Zeugnis.
Was macht einen Schüler eigentlich zum Lieblingsschüler? Und warum ist mein Lieblingsschüler nicht jedermanns Lieblingsschüler? Das Phänomen, einen Schüler besonders zu mögen, kennt wohl jeder Lehrer. Aber es sind nicht immer die leistungsstarken, gut angepassten Alles-richtig-Macher. Und es sind auch nicht immer nur Jungs! Wie wird man also Frau Freitags Lieblingsschüler? Wer Interesse hat, muss sich nur an folgende Punkte halten:
1. Öfter mal in Frau Freitags Unterricht vorbeikommen
Regelmäßige Anwesenheit hilft. Allerdings war mein erster richtiger Lieblingsschüler ein »Schuldistanzierter« allererster Güte. Aber es freut Frau Freitag schon, wenn er oder sie sich oft blicken lässt.
2. So tun, als interessiere man sich für Frau Freitags Unterricht
Es ist natürlich toll, wenn sich jemand für meinen Unterricht interessiert, kommt aber so selten vor, dass ich eigentlich schon gar nicht mehr damit rechne. Was ich allerdings überhaupt nicht mag, sind Schüler, die in einer offensichtlich langweiligen Stunde übermäßiges Interesse heucheln. Verarschen kann ich mich alleine und durch Schleimerei wird man bei Frau Freitag gar nichts, sondern läuft nur Gefahr, am Ende weniger Punkte zu bekommen, als man eigentlich verdient hätte. Es in schlecht vorbereiteten Stunden mit der Mitarbeit zu übertreiben und zu denken, ich freue mich darüber, beleidigt mich sehr. Dieser Schwachsinn, der teilweise in den Lehrbüchern steht, geht mir mitunter auch auf die Nerven. »Meint ihr vielleicht, mich interessiert, was britische Schüler zum Frühstück essen? Was werden die schon essen? Ungesunden Scheiß oder gar nichts. Hallo: England, Schulkinder, Frühstück …«
Aber auf meiner Begeisterungswelle mitzuschwimmen und völlig aus dem Häuschen zu geraten über Randphänomene der englischen Sprache oder Absonderheiten in der Kunst, das kommt bei Frau Freitag immer gut an. »Ist doch voll geil, dass man die Adverbien meistens an dem -ly erkennt, ist ja im Deutschen nicht so. Great!«
3. Auch mal was Lustiges sagen
Ganz wichtig: Humor! Alle meine Lieblingsschüler machen ausgezeichnete Witze. Gerne auch über mich, damit hab ich kein Problem – wenn sie gut sind. Aber auf keinen Fall dürfen sie nur über Slapstick-Einlagen meinerseits lachen. Irgendwann ist es einfach nicht mehr komisch, dass Frau Freitag immer wieder über die Kabel vom Overheadprojektor stolpert. Lieblingsschüler haben also Humor und schaffen es, eine gute Stimmung in der Gruppe zu erzeugen.
4. Bitte nicht völlig überangepasst sein
Das Schulsystem in seiner jetzigen Form ist nicht perfekt. Deshalb kann selbst Fräulein Krise, die für mich die beste Lehrerin der Welt ist, nicht immer optimal tollen Unterricht machen....