E-Book, Deutsch, 344 Seiten
Frech / Kost Kommunalpolitik verstehen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-044527-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie Kommunalpolitik in den deutschen Ländern funktioniert
E-Book, Deutsch, 344 Seiten
ISBN: 978-3-17-044527-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Siegfried Frech ist Honorarprofessor für Didaktik der politischen Bildung an der Universität Tübingen. Er war Publikationsreferent bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Prof. Dr. Andreas Kost ist Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und stellvertretender Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen.
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Kommunalpolitik in Deutschland –
eine Einführung
Siegfried Frech und Andreas Kost
1 Kommunalpolitik im föderalen System der Bundesrepublik
Politik vollzieht sich stets in einem Rahmen, der die »Spielregeln« für das politische Handeln vorgibt. In der Politikwissenschaft wird dieser Handlungsrahmen mit dem englischen Wort polity bezeichnet. Polity meint die Ordnung eines politischen Systems, dessen Verfassung und Gesetze sowie die politischen Institutionen.
Im Grundgesetz finden sich in Art. 28 erste Hinweise zu den »Spielregeln«, nach denen Politik in Gemeinden und Städten funktioniert:
»(1) [...] In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. [...]
(2) Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatz zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.«
Mit Ausnahme des Wahlrechts für EU-Bürger gibt Art. 28 im ersten Absatz die üblichen demokratischen Regeln für die Wahl der Organe einer Gemeinde vor. Der zweite Absatz macht die Vorgabe, dass es in allen Bundesländern eine kommunale Selbstverwaltung geben muss. Im Rahmen dieser Selbstverwaltungsgarantie haben Gemeinden und Städte eigene Kompetenzen und Zuständigkeiten sowie eine eigenverantwortliche Finanzwirtschaft. Das Selbstverwaltungsrecht umfasst sechs Tätigkeitsfelder:
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die Personalhoheit räumt Gemeinden und Städten das Recht ein, ihr Personal auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen;
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die Organisationshoheit umfasst das Recht der Kommunen zur eigenen Gestaltung ihrer Verwaltungsorganisation;
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die Planungshoheit räumt Gemeinden und Städten das Recht ein, Bauleitpläne (Flächennutzungs- und Bebauungspläne) aufzustellen, um das Gemeindegebiet zu gestalten;
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die Rechtsetzungshoheit meint das Recht, kommunale Satzungen zu erlassen;
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die Finanzhoheit gibt Kommunen das Recht zur eigenverantwortlichen Bewirtschaftung ihrer Einnahmen- und Ausgaben;
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die Steuerhoheit schließlich räumt Städten und Gemeinden das Recht zur Erhebung von Steuern ein.
»Kommunalpolitik ist Ländersache« (Wehling/Kost 2010, 7). Die jeweiligen Landesverfassungen regeln die innere Ordnung der Länder (Reutter 2020, 43 ff.). Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland stellen die Gemeinden nach dem Bund und den Ländern die unterste (Verwaltungs-)Ebene dar. Staatsrechtlich gehören sie zu den jeweiligen Ländern, d. h. die Länderparlamente definieren in den Kommunalverfassungen die kommunalen »Spielregeln«. Die Länder legen zudem den kommunalpolitischen Handlungsrahmen für die Gemeinden fest: ihre verwaltungsmäßige Abgrenzung, den Umfang ihrer Aufgaben sowie die Einordnung in übergreifende Gebietseinheiten (Landkreise, Bezirke und Verwaltungsgemeinschaften). Die Kommunalverfassungen geben u. a. das Wahlsystem der Gemeinden, die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Gemeindeorgane und selbst die Gemeindegrenzen – und damit die Größe – vor.
2 Kommunalverfassungen
2.1 Kommunale Verfassungen nach 1945
Nach der Befreiung Deutschlands durch die alliierten Siegermächte (Frankreich, Großbritannien, USA und UdSSR) 1945 bildeten sich in den vier Besatzungszonen unterschiedliche Kommunalverfassungen heraus. Die kommunale Ebene nahm für die Alliierten eine Schlüsselrolle bei der Demokratisierung Deutschlands ein. Die Siegermächte beteiligten bereits 1945 politisch unbelastete Deutsche an der Erledigung kommunaler Verwaltungsaufgaben. Schon 1946, d. h. im ersten Nachkriegsjahr, fanden die ersten Kommunalwahlen statt. In den westlichen Teilen Deutschlands existierten dann ab 1947 funktionsfähige kommunale Strukturen.
Beim demokratischen Wiederaufbau Deutschlands haben sich die Besatzungsmächte zum einen an den regionalen Traditionen vor 1933 orientiert, zum anderen – wie die britische Besatzungsmacht in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – ihre eigenen kommunalpolitischen Ordnungsvorstellungen umgesetzt. Nach 1945 bildeten sich in den westdeutschen Ländern vier Verfassungstypen heraus, die nach der Reform in den 1990er-Jahren inzwischen weitgehend Geschichte sind. Sie haben sich vor allem auf die Rolle und (Macht-)Position der Bürgermeisterin bzw. des Bürgermeisters ausgewirkt (? Tab. 1). Die – heute für nahezu alle Länder geltende – Süddeutsche Ratsverfassung zeichnet sich durch eine Direktwahl der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus, die Ratsvorsitzende sind und an der Spitze der Verwaltung stehen. In der Norddeutschen Ratsverfassung war dagegen der Gemeinderat das Hauptorgan der Gemeindeorganisation. Die Bürgermeisterinnen bzw. Bürgermeister wurden nicht direkt, sondern vom Rat gewählt, dem sie zwar vorsaßen, dabei aber weitgehend nur repräsentative Funktionen innehatten. Stattdessen fungierte der Stadtdirektor bzw. die Stadtdirektorin, ebenfalls vom Rat gewählt, als Verwaltungsspitze. Bei der Magistratsverfassung hingegen gab es ein vom Gemeinderat gewähltes Kollegialorgan, den Magistrat, der als zentrales Verwaltungsorgan fungierte. Die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister wurde zwar direkt gewählt, war im Magistrat aber nur einfaches Mitglied. Nach der Bürgermeisterverfassung schließlich wurde diese Position vom Rat gewählt. Gleichwohl hatten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister eine relativ starke Stellung. Sie leiteten die Verwaltung und führten den Vorsitz im Gemeinderat (Günther/Beckmann 2008, 75 ff.).
In den 1990er-Jahren kam es zur erwähnten bundesweiten Reformwelle. Im Zuge dieser haben sich alle Gemeindeverfassungen in Deutschland an der Süddeutschen Ratsverfassung orientiert.
Tab. 1:Kommunalverfassungen in Deutschland vor der Reformwelle der 1990er-Jahre
Verfassungstyp | Länder | Merkmale |
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Süddeutsche | Baden-Württemberg Bayern | Der direkt gewählte Bürgermeister ist stimmberechtigter Vorsitzender des Gemeinderats. Er ist Repräsentant und Rechtsvertreter der Gemeinde nach außen und innen und leitet die Verwaltung. Man nennt diesen Führungstyp »Einheitsspitze«, d. h. die politische und administrative (zur Verwaltung gehörende) Führung liegt beim Bürgermeister. |
Norddeutsche | Niedersachsen Nordrhein-Westfalen | Der Bürgermeister ist Vorsitzender des Rats und Repräsentant der Gemeinde nach außen und innen. Der Stadt- oder Gemeindedirektor leitet die Verwaltung. Beide werden vom Rat gewählt. Im Gegensatz zur Einheitsspitze spricht man von einer »Doppelspitze«, d. h. die politische und die administrative Führung sind voneinander getrennt. |
Magistratsverfassung | Hessen Schleswig-Holstein (Städte) | Der Bürgermeister ist Leiter der Verwaltung. Er ist Mitglied des Magistrats (in Städten) bzw. des Gemeindevorstands, der kollegial entscheidet. Der Bürgermeister wird direkt gewählt, die haupt- und ehrenamtlichen Mitglieder des Magistrats werden vom Rat gewählt. |
Bürgermeisterverfassung | Schleswig-Holstein (Landgemeinden) Rheinland-Pfalz Saarland | Der Bürgermeister ist Vorsitzender des Rats. Er ist Repräsentant und Rechtsvertreter der Gemeinde nach außen und innen und leitet die Verwaltung. Er wird vom Rat gewählt. |
Quelle: nach Gehne 2012, 22.
2.2 Kommunalpolitik in den neuen Ländern
In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gab es keine kommunale Selbstverwaltung. Nach der Gründung der DDR im Jahr 1949 wurde von der Volkskammer, dem Parlament der ehemaligen DDR, am 23. Juli 1952 die staatliche Neugliederung der DDR beschlossen. Im Rahmen einer Verwaltungsreform wurden – mit...