E-Book, Deutsch, Band 1, 298 Seiten
Reihe: Schwester Frevisse ermittelt
Frazer Die Novizin. Mord im Jahr des Herrn 1431
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8412-1560-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 298 Seiten
Reihe: Schwester Frevisse ermittelt
ISBN: 978-3-8412-1560-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mord hinter Klostermauern.
Als die Novizin Thomasine ihr Gelübde ablegt, trifft ihre Großtante zu einem Besuch ein. Selbst von den Schwestern wird die adelige Dame wegen ihres Auftretens gehasst. Immer wieder hat sie gedroht, Thomasine aus dem Kloster zu holen und zu verheiraten. Wenig später ist die Adelige tot - vergiftet. Und Schwester Frevisse hat ihren ersten Fall ...
Margaret Frazer lebt mit ihren vier Katzen und viel zu vielen Büchern in der Nähe von Minneapolis, Minnesota. In den USA hat sie sich mit ihrer Serie um Schwester Frevisse über viele Jahre ein Millionenpublikum erschrieben.
Weitere Infos & Material
Mitte September im Jahre des Herrn 1431 war das Wetter strahlend schön. Es war warm und trocken, und der Herbst begann sich anzukündigen. Auf den Feldern hinter den Mauern des Klosters St. Frideswide wurde unter dem klaren Himmel die Ernte eingebracht. Seit Mitte Juli hatte es genug Regen und Sonne gegeben, um das Korn zur vollen Reife zu bringen. Jetzt lag der größte Teil in goldenen Garben hinter den Schnittern oder war bereits in Hocken zum Trocknen aufgestellt.
Den ganzen Monat über hatte man die Rufe der Männer und Frauen auf den Feldern, das Geschrei der Kinder, die die Vögel verscheuchten, und das Rumpeln der Wagen, die die Ernte heimbrachten, hören können.
Aber nichts von der Hast und dem Lärm der Ernte drang durch die Mauern von St. Frideswide. Hier herrschte, wie fast immer, eine gemessene Ruhe. Das einzige, was gelegentlich zu hören war, war das Rascheln von Röcken, die über den Steinboden glitten, und der gedämpfte Schritt weicher Ledersohlen auf der Treppe; selten hörte man eine Stimme, und wenn, dann nur kurz und flüsternd. Denn hier galt das Schweigegebot, außer während der Stunde der Erholung und den festgelegten Stunden des Chorgebets, das in der Kirche gesungen wurde.
Hier herrschte benediktinischer Friede, dachte Thomasine, die auf der Treppe zum Empfangszimmer der Priorin stehengeblieben war, um aus dem schmalen Fenster hinauszusehen, einen Teller mit noch ofenwarmen Honigkuchen in der Hand. Ihr war befohlen worden, sich mit den Kuchen zu beeilen, sie seien für einen wichtigen Gast bestimmt. Aber sie konnte es nicht über sich bringen, diese Aussicht, die sich ihr durch das Fenster hindurch bot, zu ignorieren und ihren Blick auf die cremefarbenen Klostermauern zu richten. Das kleine Fenster umrahmte eine Szenerie mit stoppeligen, von Garben übersäten Feldern und durch die Entfernung klein wirkenden Gestalten, die sich über ihre Arbeit beugten. Dahinter lag der grüne Rand des Waldes, und über allem ruhte das Madonnenblau des Himmels; alles war so fein gezeichnet und schien so fern wie eine Miniaturmalerei für das Gebetbuch einer Dame, naturgetreu und wundervoll anzusehen.
Und bald würde das hier weit außerhalb ihrer Reichweite sein.
Jugend, schnelles Wachstum und viele Kinderkrankheiten hatten aus Thomasine eine schlanke, feingliedrige Frau gemacht, die außerordentlich fromm war und Nonne werden wollte, noch bevor der Herbst zu Ende war. In etwas mehr als zwei Wochen, am St. Michaelistag, würde sie endlich vor dem Altar niederknien und ihre letzten Gelübde ablegen. Sie war siebzehn und hatte fast neun Jahre darauf gewartet, dass ihr der kostbare schwarze Schleier verliehen wurde und sie den Rest ihrer irdischen Tage sicher hinter Klostermauern verbringen konnte.
An jedem Tag, der zwischen ihr und der Sicherheit lag, hatte Thomasine sich immer fester an diese Gewissheit geklammert, und jetzt beugte sie sich mit einem tiefen Seufzer der Befriedigung vor und sah auf den kleinen Obstgarten des Klosters hinunter, der direkt unterhalb der Mauer lag. Apfel- und Kirschbäume, der Last ihrer Früchte beraubt, aber staubig und müde vom Tragen, warteten auf den Herbst, der ihnen auch noch die Blätter nehmen würde. Oh, wie bittersüß ein Leben als Apfelbaum wäre! dachte Thomasine. Sie hätte, auch wenn man ihr tausend Schillinge gegeben hätte, nicht sagen können, warum sie das Leben eines Apfelbaumes ausgerechnet für bittersüß hielt, aber es schien ihr eine angenehme, geradezu spirituelle Vorstellung zu sein. Bald würde auch sie, wie der Apfelbaum, für immer in St. Frideswide Wurzeln schlagen können.
Und während dessen wurden die Kuchen auf dem Teller in ihrer Hand kalt, wie ihr der praktischere Teil ihres Verstandes jetzt sagte.
Ein vertrautes Schuldgefühl überkam sie. Während sie hier stand und gaffte, verstieß sie gegen das grundlegendste aller Gelübde: den Gehorsam. Mit einem reuigen Stirnrunzeln eilte sie die letzten Stufen hinauf.
Vor Priorin Ediths Tür blieb sie unwillkürlich wieder stehen. Ihre Hand hatte gerade anklopfen wollen, aber der Klang von Stimmen im Raum dahinter ließ sie innehalten. Die Stimme von Schwester Frevisse kannte sie – kräftig und ganz anders als Priorin Ediths altersschwache, murmelnde Stimme, die ihr antwortete. Das war ihr vertraut, wie ihr alles in St. Frideswide, gottlob, vertraut war. Es war die Antwort der tiefen und amüsierten Männerstimme, die ihre Hand erstarren ließ. In dem knappen Jahr, das sie in St. Frideswide verbracht hatte, waren Männerstimmen ihr fremd geworden. Sie hatten keinen Platz im Kloster, wo sogar die Stimmen von Frauen der Ordensregel gemäß nur selten erklingen sollten. Ihr war gesagt worden, wer der Gast war, aber das hatte sie nicht ausreichend darauf vorbereitet.
Ihre ausgestreckte Hand zog sich von der Tür zurück und fuhr statt dessen hoch, um sicherzustellen, dass jedes Haar sicher unter dem schäbigen weißen Schleier steckte und nicht zu sehen war. Dann zupfte sie an ihrem verblichenen Gewand, um sicherzustellen, dass es lose genug um sie herumhing und unter seiner Schäbigkeit auch nicht die leiseste Andeutung ihrer Gestalt zu erkennen war. Obwohl ihre Schwester und ihr Schwager sie reich ausgestattet hatten, als sie nach St. Frideswide gegangen war, hatte Thomasine sich entschieden, ihre guten Kleider gegen die abgetragensten Ordensgewänder einzutauschen, die in den Truhen der Nonnen zu finden waren. Sie war fest entschlossen zu beweisen, dass sie würdig war, und hatte trotz der Enttäuschung ihrer Schwester und dem Verdacht, dass die Priorin mit diesem Entschluss nicht vollständig einverstanden war, an der Gewohnheit der Armut festgehalten. Mittlerweile bereitete es ihr wirklich Unbehagen, etwas zu tragen, das auch nur im Entferntesten kostbar war.
Als Thomasine sicher war, dass mit ihrer äußeren Erscheinung alles stimmte und sie ausreichend reizlos aussah, klopfte sie leise an die Tür.
Zu leise. Schwester Frevisse sprach weiter. Ihre Worte waren nicht zu verstehen, aber ihre Stimme klang kräftig und selbstsicher, was wenig dazu beitrug, Thomasines Widerstreben zu mildern. Bevor sie nach St. Frideswide gekommen war, hatte sie angenommen, dass es keine Unterschiede zwischen den Nonnen geben würde, dass die Gelübde und ein gemeinsam verbrachtes Leben sie irgendwie alle gleich machen würden. Sie war ganz verstört gewesen, als sie entdeckt hatte, dass trotz des Verschmelzens in einem Meer schwarzer Gewänder und Schleier, die Gesichter eingerahmt von dem weißen Nonnenschleier, alle immer noch Individuen waren. Besonders Schwester Frevisse.
Von Anfang an hatte sie sich in Schwester Frevisses Gegenwart unbehaglich gefühlt. Die Schlichtheit des Ordensgewandes ließ ihr Alter ungewiss erscheinen, aber ihre Züge waren zu scharf, um sanft zu sein, und die Augen unter den dunklen Brauen zu klug. Sie sahen vieles und schienen alles spöttisch zu kommentieren. Die einzige Nonne, deren Musterung Thomasine als noch unangenehmer empfand, war die Priorin selbst, die trotz ihrer Jahre und ihrer Altersschwäche mehr von Thomasine zu sehen schien, als sie gegenwärtig preisgeben wollte.
Wieder antwortete die Männerstimme Schwester Frevisse. Thomasines Hand zitterte. Aber der Gehorsam bedrängte sie immer noch, und die Kuchen kühlten immer noch in ihren Händen ab. Sie klopfte noch einmal, diesmal etwas bestimmter.
Priorin Ediths schwacher Segen antwortete ihr. »Benedicte.«
Thomasine hielt die Kuchen wie einen Schild vor sich, öffnete die Tür und trat ein.
St. Frideswide war nicht arm, aber auch nicht reich. Das Empfangszimmer der Priorin wirkte nur im Kontrast zum Rest des Klosters weniger kahl. Zu den Pflichten der Priorin gehörte der Empfang wichtiger Gäste und die Erledigung solcher Klostergeschäfte, die nicht bei der täglichen Versammlung der Nonnen im Kapitelsaal geregelt werden konnten oder die bedauerlicherweise die Anwesenheit von Männern im Kloster erforderlich machten. Zur Wahrung der Würde von St. Frideswide hatte das Empfangszimmer den Luxus eines Kamins, und die drei hohen, schmalen Fenster, die auf den Klosterhof hinausgingen, waren mit richtigem Glas versehen. Bunte, bestickte Kissen lagen auf dem Fenstersitz, und ein Fransenteppich, der in einem spanischen Muster gewebt war, bedeckte den Tisch, auf dem ein silberner Wasserkrug und eine Silberschale standen. Da Priorin Edith seit zweiunddreißig Jahren Priorin war – sie hatte das Amt im selben Jahr angetreten, in dem der Herzog von Lancaster Richard II. zur Abdankung gezwungen und sich selbst als König Heinrich IV. auf den Thron gesetzt hatte –, hatten sich auch Dinge eingeschlichen, die ihr persönlich gehörten, wie zum Beispiel ihr Stickrahmen und der schlanke, elegante, alte Windhund, der zusammengerollt in seinem Korb vor dem Kamin lag.
Als einzige Novizin des Klosters wurde Thomasine oft losgeschickt, um dies und das zu holen oder irgendwohin zu bringen. Der Empfangsraum der Priorin war ihr zu vertraut, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und sie blieb korrekt mit gesenktem Kopf einen Schritt hinter der Tür stehen und wartete darauf, begrüßt zu werden. Dennoch konnte sie, wo sie schon mal da war, dem Drang nicht widerstehen, seitlich um den vorgeschwungenen Rand ihres Schleiers herumzuspähen und einen vorsichtigen Blick auf den Mann zu werfen, der keine fünf Schritte von ihr entfernt auf dem Fenstersims saß.
Natürlich hatte sie kein Interesse an Männern als Männer. Wenn irgend möglich, nahm sie sie einfach gar nicht zur Kenntnis. Aber jener Mann, der heute zu Besuch gekommen war, war ein wichtiger Mann. Die Bestellung des Honigkuchens war von der Nachricht...