E-Book, Deutsch, Band 4, 240 Seiten
Reihe: Schwester Frevisse ermittelt
Frazer Der Bischof. Mord im Jahr des Herrn 1434
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8412-1563-5
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 4, 240 Seiten
Reihe: Schwester Frevisse ermittelt
ISBN: 978-3-8412-1563-5
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die beste Detektivin des Mittelalters.
Als Schwester Frevisse ihren Onkel zu Grabe tragen muss, bricht Sir Clement Sharpe während der Trauerfeier plötzlich tot zusammen. War hier Gottes Hand im Spiel oder, wie Bischof Beaufort glaubt, ein mysteriöses Gift? Schwester Frevisse ist von keiner dieser beiden Varianten überzeugt ...
'Genaue historische Details, sehr schön beschriebene Charaktere, lebendige Dialoge zeichnen die Romane von Margaret Frazer aus.' Publishers Weekly.
Margaret Frazer lebt mit ihren vier Katzen und viel zu vielen Büchern in der Nähe von Minneapolis, Minnesota. In den USA hat sie sich mit ihrer Serie um Schwester Frevisse über viele Jahre ein Millionenpublikum erschrieben.
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Kapitel 1
Nur die Kerzen, die am Kopfende des Bettes brannten, und ein schwacher Streifen Tageslicht, der durch die geschlossenen Fensterläden fiel, erhellten den Raum. Obwohl die Glut des Kohlebeckens in der Ecke beinahe heruntergebrannt war, blieb es im Zimmer immer noch stickig warm. Das lag vermutlich daran, dass sich so viele Menschen darin aufgehalten hatten.
Nun waren nur noch zwei Männer im Raum, und einer von ihnen lag im Sterben.
Thomas Chaucer ruhte bewegungslos in seinem breiten Bett, ein wenig auf die Kissen gestützt. Es war ein prächtiges Bett, Goldfäden glitzerten in der bestickten Überdecke, und in die Bettvorhänge waren Muster eingewebt. Und soweit es sich in dem schwachen Kerzenlicht erkennen ließ, war das ganze Schlafgemach kostbar eingerichtet. Die Möbel waren mit prächtigen Schnitzereien verziert, die Deckenbalken mit verschlungenen Weinreben und singenden Vögeln bemalt. Eine der Truhen, die an den Wänden standen, war mit einem weißen Tuch bedeckt worden, auf dem sich alles Notwendige für die Letzte Ölung befand: zwei erhaben brennende Bienenwachskerzen, ein kleines Gefäß mit geweihtem Salböl, ein anderes mit Weihwasser und das goldene Kästchen mit der Hostie. Davor stand Kardinal Beaufort, Bischof von Winchester, ein hochgewachsener Mann, der in seinem pelzbesetzten, scharlachroten Gewand in dem schwachen Licht noch größer wirkte. Gerade trat er wieder ans Bett, und seine Stimme glitt wohltönend und sicher durch die lateinischen Worte.
»Accipe, frater, Viaticum Corporis Domini nostri Jesu Christi, qui te custodiat ab hoste maligno, et perducat in vitam aeternam, amen.« Nimm, Bruder, als Wegzehrung den Leib unseres Herrn Jesus Christus, der dich vor den Heerscharen des Bösen bewahren und zum ewigen Leben leiten wird. Amen.
Behutsam legte der Bischof die Hostie auf Chaucers Zunge. Der schluckte schwach und flüsterte dann: »Mein letztes Mahl. Und das beste.«
»Es wird deine Seele nähren, nicht deinen Leib«, bestätigte Beaufort. Er kehrte zur Truhe zurück und drehte dem Bett und dem sterbenden Mann den Rücken zu.
»Hal«, sagte Chaucer.
Ohne sich umzudrehen, antwortete Beaufort mit heiserer Stimme: »Ja?«
»Bleib noch eine Weile bei mir. Es wird nicht mehr lange dauern.«
Beaufort, immer noch mit dem Rücken zum Bett, senkte den Kopf und wischte sich die Augen. Dann richtete er sich auf und drehte sich um. »Du bist wahrscheinlich der letzte Mensch, der mich noch Hal nennt«, sagte er mit bemühter Leichtigkeit. »Der letzte, der sich an die Zeit erinnert, als wir beide jung waren.«
»Bedford mag sich auch erinnern.«
»Bedford ist in Frankreich, krank von dem, was ihm angetan wurde. Ich bezweifle, dass er je wieder nach England kommen wird.«
Chaucer schwieg eine Weile. »Dann sieh es doch als etwas Gutes, dass niemand mehr da sein wird, der sich an deine anrüchige Jugend erinnert und Geschichten über dich erzählen kann.«
Beaufort lächelte, wie Chaucer es gewollt hatte, und legte die Hand auf seinen kalten, dünnen Arm. »Ich habe gelernt, mit deinen übersteigerten Erinnerungen an meine anrüchige Jugend zu leben. Aber hüte lieber deine Zunge, sonst muss ich dir noch einmal die Absolution erteilen.« Etwas verspätet nahm er seine purpurne Stola ab, küsste sie, faltete sie zusammen und legte sie zur Seite.
Beaufort und Chaucer waren Vettern. Ihre Mütter waren Schwestern gewesen, die Töchter eines flämischen Ritters im Gefolge der Königin, fünf Könige zuvor. Chaucers Mutter hatte standesgemäß einen Offizier aus dem Gefolge des Herzogs von Lancaster geheiratet, Geoffrey Chaucer. Thomas, der Spross dieser stabilen, biederen Ehe, hatte sich mit Hilfe der Beziehungen seines Vaters und seiner eigenen erheblichen Talente ein Vermögen aufgebaut.
Beauforts Mutter war weniger konventionell gewesen. Sie hatte dem zur königlichen Familie gehörenden Herzog von Lancaster vier Kinder geboren, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Jahre später jedoch hatte der Herzog sie zu jedermanns Überraschung tatsächlich zur Frau genommen – eine Liebesheirat. Ihre Kinder waren unter dem Namen Beaufort legitimiert worden, und Henry – manchmal auch Hal genannt –, ihr zweiter Sohn, wurde ein Kirchenfürst und dreimal Lordkanzler von England. Sein privates Vermögen war so riesig, dass er der Krone eine Reihe hoher Anleihen gewährt hatte.
Trotz ihrer Verschiedenheit waren die beiden stets gute Freunde gewesen und waren es noch. Beide hegten tiefen Respekt vor dem Mann, zu dem der andere geworden war. Jetzt schwiegen sie vereint in ihrer Trauer. Eine Kerze zischte, der Docht hatte eine fehlerhafte Stelle. Beaufort fragte: »Möchtest du, dass Matilda noch einmal zu dir kommt? Oder Alice?«
Chaucers Frau und seine Tochter hatten den Raum verlassen, damit Beaufort ihm die Sterbesakramente spenden konnte, und die Dienerschaft, das Gefolge sowie Matildas gezügeltes, aber ununterbrochenes Schluchzen mitgenommen. Wenn Matilda zurückkam, würden alle zurückkommen, und das Schlafgemach wäre erneut gedrängt voll von Menschen und ihren intensiven Gefühlen. Mit geschlossenen Augen erwiderte Chaucer deshalb kaum hörbar: »Nein.« Und dann, nach längerem Schweigen, fügte er hinzu: »Ich möchte, dass du etwas für mich tust.«
»Alles, was in meiner Macht steht.« Und Beauforts Macht war erheblich.
»In dem Schrank dort …«, Chaucer bewegte leicht den Kopf, um zu zeigen, welchen Schrank er meinte, »… liegt ein Buch. In ein Tuch gewickelt. Es wird nicht in meinem Testament erwähnt. Gib es bitte meiner Nichte. Der Nonne. Schwester Frevisse.« Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Aber sieh es dir nicht an. Lass es eingewickelt.«
»Geheimnisvolle Bücher für junge Frauen, Thomas?«, zog Beaufort ihn sanft auf. »Soll ich das etwa billigen?«
»Du müsstest es offiziell missbilligen, wenn du wüsstest, was es ist. Aber ich glaube, ich gefährde weder ihre Seele noch meine eigene damit.« Er fügte hinzu: »Und so jung ist sie nun auch wieder nicht.«
»Ja, das stimmt wohl. Sie ist schon recht lange in ihrem Kloster.« Beaufort suchte in dem angegebenen Schrank nach dem Buch und fand es. Es war klein, kaum so lang wie seine Hand, aber sehr dick, selbst wenn man die Umhüllung in Betracht zog. Er zeichnete mit den Fingern die Umrisse nach, die er durch das Tuch hindurch ertasten konnte. »Es handelt sich doch nicht um etwas, das ich gern in meiner eigenen Bibliothek hätte?« Chaucers Lächeln wurde breiter. »All meine besten Bücher habe ich dir vermacht. Nein, dies ist ein einfaches Buch, das Frevisse jedoch hochschätzte, als sie hier gelebt hat. Ich möchte gerne, dass sie es bekommt.«
»Dann soll es so sein.« Beaufort legte das Buch auf die verhüllte Truhe und kehrte an Chaucers Seite zurück. »Übrigens, wird dein Schwiegersohn nicht gegen die Ausschlachtung deiner Bibliothek zu meinen Gunsten protestieren?«
»Mein Schwiegersohn bewertet eine Handschrift nach der Zahl der Juwelen, die den Einband schmücken, und nach der Menge an Gold, die für die Illustrationen aufgewendet wurde. Ich habe ihm die protzigsten gelassen. Er wird zufrieden sein.«
»Das sollte er auch«, sagte Beaufort. »Ich bezweifle, dass er vorhat, sich deswegen mit mir auseinanderzusetzen.« Chaucers Tochter hatte William de la Pole geheiratet, den Grafen von Suffolk, ihren dritten Ehemann. Er besaß ein großes ererbtes Vermögen, ein hübsches Gesicht, bemerkenswert viel Charme, Einfluss im Kronrat und – nach Ansicht von Chaucer und Beaufort – nicht allzu viel Verstand. Und noch weniger gesunden Menschenverstand. Es bestand keinerlei Zweifel daran, dass Suffolk den Kürzeren ziehen würde, sollte es zum Streit kommen. Kaum jemand im Königreich konnte es mit Beaufort aufnehmen.
Nein, nicht wegen mangelnder Fähigkeiten war es Beaufort nicht vergönnt gewesen, das höchste Amt Englands zu übernehmen und Protektor des unmündigen Königs Heinrich VI. zu werden. Die Ursache war eine bedauerliche Fehde zwischen ihm und seinem eigenen Halbneffen väterlicherseits. Wenn schierer Hass – Gott möge ihm das vergeben – töten könnte, würde Humphrey, Herzog von Gloucester, seit langem nicht mehr unter den Lebenden weilen. So war es ihnen lediglich gelungen, sich gegenseitig mattzusetzen. Beide besaßen Macht und ein hohes Amt, aber keiner von beiden stand an der Spitze des Regentschaftsrates. Und nun, da der König langsam erwachsen wurde und bald selbst mehr Verantwortung tragen konnte, würde das wahrscheinlich auch keinem mehr gelingen. Es sei denn, man könnte seine Gunst und Unterstützung gewinnen …
Beaufort merkte, dass er ganz in Gedanken verloren war. Chaucer musterte ihn mit dem vertrauten Spott oder vielmehr mit dem blassen Schatten davon, für den seine Kraft noch reichte.
»Schön«, räumte Beaufort ein. »Ich habe ›meine Ambitionen gepflegt‹, wie du es stets auszudrücken beliebtest. Wird es dir ein Trost sein, wenn ich zugebe, dass ich langsam denke, du hattest recht, als du dich so standhaft geweigert hast, dich in diesen Morast hineinziehen zu lassen? Diesen Morast, dem ich mich all diese Jahre hindurch so bereitwillig ausgesetzt habe?«
Chaucer schüttelte schwach den Kopf. »Nein. Ich habe immer gewusst, dass ich recht damit tat, Westminster wie die Pest zu meiden. Obwohl Westminster wie auch die Pest gar nicht so leicht zu meiden sind.« Mit einem Lächeln fügte er hinzu: »Aber ich habe auch immer gewusst, dass du dort hingehörst, Hal. Deine Ambitionen waren stets ganz anders als...