E-Book, Deutsch, Band 2, 376 Seiten
Reihe: Georg Rubin ermittelt
Franzmann Adenauers Auge
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-072-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman - Georg Rubin ermittelt 2
E-Book, Deutsch, Band 2, 376 Seiten
Reihe: Georg Rubin ermittelt
ISBN: 978-3-98952-072-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Edgar Franzmann, 1948 in Krefeld geboren, lebt als Journalist und Schriftsteller in Köln. Er war Redakteur der Zeitung EXPRESS, Leiter der Online-Angebote von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau sowie Chefredakteur des Web-Portals koeln.de. Franzmann ist Mitglied des Syndikats, des Vereins deutschsprachiger Krimiautoren, von April 2012 bis Mai 2014 war er dessen geschäftsführender Sprecher. Die Website des Autors: https://www.franzmann.de Der Autor bei Facebook: https://www.facebook.com/efranzmann Der Autor auf Instagram: https://www.instagram.com/edgarf/ Der Autor bei Twitter: https://twitter.com/edgarf Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die Kriminalromane um den Journalisten und Ermittler Georg Rubin mit den Bänden »Der Richter-Code«, »Adenauers Auge«, »Die französische Agentin« und »Das Molotow-Komplott« sowie das Prequel zur Rubin-Reihe »Millionenallee«.
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Kapitel 2
»Wir sind Kanzlerin« stand in riesigen Lettern auf Seite eins des BLITZ. Chefreporter Georg Rubin hatte sich die Schlagzeile ausgedacht, Chefredakteur Wolfgang Stein hatte sich darüber empört und sie lautstark abgelehnt. Dabei war das Ganze nur ein Witz gewesen, schließlich wusste jeder, dass seit »Wir sind Papst« nichts mehr ging.
Georg hatte das Blatt trotzdem ausgedruckt und an die Wand hinter seinem Schreibtisch gepinnt. Er genoss es jedes Mal, wenn Stein sich darüber ärgerte. So wie jetzt, als er mit rotem Kopf forderte: »Häng das endlich ab!«
Georg reagierte nicht.
»In drei Minuten in meinem Büro«, sagte Stein, zog die Schultern hoch und versteckte seinen Kopf darin, was ihn trotz seiner zwei Meter klein und unsicher erscheinen ließ.
Irgendwie tat er Georg leid, obwohl er wusste, dass sie in diesem Leben keine Freunde mehr werden würden. Das war entschieden, seitdem Stein ihn während der Story um den Richter-Code fristlos entlassen wollte und damit nicht durchgekommen war.
Georg nahm die Seite mit der Kanzlerin von der Wand, faltete sie und steckte sie in seinen Laptop-Rucksack. »Wir sind Kanzlerin«, so schlecht war die Zeile gar nicht. Ausgerechnet eine Kölnerin, Barbara Jung, war Deutschlands wichtigste Politikerin geworden. Und der BLITZ war ihre Heimatzeitung. Damit musste sich doch punkten lassen.
Fünfzig Jahre nach dem Rücktritt Konrad Adenauers wurde im Kanzleramt wieder Kölsch gesprochen. Die Kabarettisten machten sich über Barbara Jungs Dialekt lustig, doch der hatte Adenauer nicht geschadet, und er würde auch ihr nicht schaden. Es war ja nicht so, als ob sie kein Hochdeutsch könnte, aber sie sprach mit diesem Singsang, der sie als Rheinländerin des ripuarischen Sprachraums auszeichnete. Wenn die Leute keine anderen Probleme hatten.
Ihre Vorgängerin, von den Parteifreunden »Mutti« genannt, war zurückgetreten, ohne einen Nachfolger aufgebaut zu haben. Ein hoffnungsvoller oberfränkischer Freiherr hatte sich mit seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Die lächelnde Ministerin mit den sieben Kindern war von Parteifreunden ausgebremst worden: Nicht wieder jemand aus Hannover! Einstige Ministerpräsidenten und Hoffnungsträger, die den Kanzlerstab im Tornister wähnten, hatte die Alt-Kanzlerin in hohe Staats- und Justizämter wegbefördert, in die Wirtschaft ziehen lassen oder kühl aufs Altenteil entsorgt.
Blieben Otto Starck, der Innenminister, und Lothar Wassermann, der Verteidigungsminister, denen man das Kanzleramt zugetraut hätte. Stattdessen übernahm die erst neunundvierzigjährige Barbara Jung aus Köln.
Die Frau war nicht nur klug, sondern sah auch noch gut aus und kleidete sich elegant, was vielleicht ein Grund dafür gewesen war, dass sie nur ein kurzes Gastspiel im Kölner Stadtrat gegeben hatte und ins schickere Düsseldorf in den Landtag gewechselt war. Von dort schaffte sie den Sprung in den Bundestag nach Berlin, wurde Staatssekretärin und schließlich Gesundheitsministerin, als die FDP mal wieder ihre Spitzenkräfte auswechselte und darauf bestand, sich künftig um Umweltschutz statt um Krankenkassen zu kümmern. Barbara Jung, gelernte Ärztin, stieg ins Kabinett auf und machte auch dort eine gute Figur.
In der Partei kletterte sie auf jedem Parteitag ein Stückchen nach oben, seit drei Jahren war sie stellvertretende Parteivorsitzende. Eine Frau mit Aussichten auf weitere Karriere. Aber Kanzlerkandidatin und Kanzlerin? Georg kannte niemanden, der mit dieser Beförderung gerechnet hätte.
Als die Alt-Kanzlerin ihren überraschenden Rücktritt inszenierte, weil sie wegen der Euro-Krise keine eigene Mehrheit im Bundestag mehr hinter sich hatte, ein Misstrauensvotum bewusst verlor, gleichzeitig aber die Mehrheit für ihre Nachfolgerin Barbara Jung organisierte, rätselten die Talkshow-Experten über die wahren Hintergründe.
Georg war sicher, das Manöver durchschaut zu haben. Sofortige Neuwahlen, wie sie die Opposition gefordert hatte, hätte die Regierungskoalition wahrscheinlich verloren. Die Alt-Kanzlerin wollte nicht den gleichen taktischen Fehler wie einst Gerhard Schröder begehen, der über seine Agenda 2010 gestürzt war, ehe deren positive Folgen sichtbar werden konnten. Sie hielt sich stattdessen an Willy Brandt, der wegen eines Spionageskandals vorzeitig zurücktreten musste, es aber trotzdem geschafft hatte, Helmut Schmidt als Nachfolger im Bundestag zu installieren, sodass der mit dem Kanzler-Bonus in die nächste Wahl ziehen konnte und gewann.
Nur gab es diesmal keinen geborenen Nachfolger, und weil sich niemand der angeblich starken Männer an die Front traute, wurde die sympathische Kölnerin nach vorne geschickt.
Nicht die schlechteste Entscheidung, fand Georg, jedenfalls waren es spannende Zeiten. Und im Mittelpunkt stand eine Kölnerin. Etwas Besseres konnte es für den BLITZ nicht geben.
»Mehr Politik ins Blatt«, hatte Georg in der Konferenz gefordert, aber nur Hendrik Münch, der alte Politik-Chef, hatte ihn unterstützt. Ansonsten war er auf taube Ohren gestoßen. Politik interessiere nicht, schon gar nicht den BLITZ-Leser, hatte Chefredakteur Stein ihn abfahren lassen, »das geht mir und unseren Lesern am Gesäß vorbei«, waren seine Worte gewesen. Der große Rest der Kollegenschar hatte das für witzig gehalten und gelacht, was Georgs Wut nur noch vergrößert hatte.
Bekamen die Damen und Herren Kollegen überhaupt nicht mit, was in der Welt geschah? Stuttgart 21, die Revolutionen in den arabischen Staaten, Unruhen in Russland, Occupy Wall Street in New York und in der halben Welt, Bürgerbegehren in Köln und Duisburg.
Stein ließ das alles kalt, dabei war er früher selbst Politik-Redakteur des BLITZ gewesen. Noch heute schmückte er sein Büro mit Fotos wichtiger Politiker, die er getroffen und interviewt hatte: Stein mit Walter Scheel, Stein mit Helmut Kohl, er selbst natürlich immer der Größte.
In seiner Zeit als BLITZ-Chefredakteur war nur noch ein Foto hinzugekommen: Stein mit Christian Wulff, dem ehemaligen Schnäppchen-Präsidenten, aufgenommen in der Villa von Party-König Manfred Schmidt, ehemals Köln, heute Berlin.
»Setz dich«, sagte Stein, als Georg in das Büro des Chefredakteurs trat. Stein saß nicht hinter seinem Schreibtisch, sondern in einem der Ledersessel, die zu der Sitzgruppe am Fenster gehörten. Hier wurde mit Geschäftspartnern verhandelt oder mit Kollegen etwas besprochen. Hier wurde jedenfalls nicht einfach angeordnet. Das Bild mit Christian Wulff hing nicht mehr an seinem Platz, stattdessen lächelten dort Stein und Heidi Klum.
»Kaffee?«, fragte Stein.
»Cappuccino«, sagte Georg.
Uschi, Steins Assistentin, hatte mitgehört und verzog keine Miene, als sie das Gewünschte servierte. »Danke«, sagte Georg, was Uschi bewusst überhörte. Stein bekam einen Espresso.
»Ich möchte nicht gestört werden, von niemandem«, sagte Stein.
Uschi schloss die Glastür zum Vorzimmer und ließ sie allein.
Stein nippte an seinem Espresso und beugte sich in Richtung Georg. »Wie geht es deiner kleinen Tochter?«
Was sollte diese Frage? Schönwetter machen? Ein bisschen Small Talk vor den Grausamkeiten? Georgs Gehirn rotierte, aber es gelang ihm, äußerlich ruhig zu erscheinen. »Rosa. So klein ist sie gar nicht mehr. Ist gerade zehn geworden. Kommt aufs Gymnasium. Warum fragst du?«
»Du siehst sie alle zwei Wochen?«
»Ja. An den Wochenenden. Von Freitag bis Sonntag. Sonst lebt sie bei ihrer Mutter.«
»Ist Rita wieder verheiratet?«
»Nein. Aber du bestellst mich bestimmt nicht vertraulich in dein Büro, nur um mit mir über meine Ex und meine Tochter zu reden. Also, was willst du?«
»Reg dich ab. Mich interessiert das. Ich will mir ein Bild machen, wie viel Zeit du in den nächsten Monaten hast. Wie steht es mit deinem Liebesleben?«
»Ich kann nicht klagen.«
»Und das heißt?«
»Dass ich nicht vorhabe, dir Auskunft zu geben.«
»Was ist mit Sandra?«
»Wir sind nicht mehr zusammen. Sie erlitt ein schweres Trauma nach dem Einsturz des Stadtarchivs. Vielleicht können wir etwas für sie tun, wenn sie wieder genesen ist.«
Stein leerte sein Espressotässchen und trank einen Schluck Wasser hinterher. »Du warst zuletzt ziemlich unzufrieden«, sagte er und sah Georg in die Augen.
Georg hielt dem Blick stand.
»Ich will dir ein Angebot machen«, sagte Stein.
»Du, ein Angebot, mir?«
»Ja. Ich will…«, Stein legte eine kleine Pause ein, »ich will, dass du mein Politik-Chef wirst.«
»Politik-Chef«, wiederholte Georg. »Ich dachte, Politik interessiert die Leser nicht.«
»Vielleicht liege ich falsch. Kennst du unsere Auflagenzahlen?«
»So ungefähr«, sagte Georg.
»Wir haben im letzten Quartal keine hundertachtzigtausend pro Tag verkauft.«
»Nur Köln?«
»Gesamtauflage. Köln, Düsseldorf, Bonn, sogar die Sonntagausgabe eingerechnet«, sagte Stein.
»Der BLITZ war mal bei vierhundertfünfzigtausend, oder?«, fragte Georg.
»Vergiss es, das war im letzten Jahrtausend. Ich wäre schon zufrieden, wenn wir den Trend nach unten stoppen könnten. Ich habe alles versucht. Alles. Mehr Service. Weniger Service. Mehr gute Nachrichten. Weniger gute Nachrichten. Mehr Klatsch. Weniger Klatsch. Mehr Meinung. Mehr Miezen, mehr Sport, mehr Fernsehen. Nichts hat geholfen. Auch nicht deine ach so tollen Chefreporter-Artikel. Wenn wir den Absturz nicht aufhalten, haben wir ausgeblitzt. Ein Donner noch, und Ende.«
Wenn dieses Ramschsammelsurium ein Konzept sein sollte, war es kein Wunder, dass es der Zeitung so schlecht ging, dachte Georg. Stein wusste einfach nicht, wie es ging. Man musste sich um die Menschen kümmern. Das lief nicht...