E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Franke Soko mit Handicap: Aktion Licht
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96122-492-0
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman.
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-96122-492-0
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem Träger für Menschen mit Behinderung tätig. Als leidenschaftlicher Geschichtenschreiber ist er nebenberuflich Autor von Büchern. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. www.thomasfranke.net Foto: © Studioline Erlangen
Autoren/Hrsg.
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Ein Drink und eine Reiseempfehlung
Hauptkommissar Seidel lehnte an seinem Schreibtisch. Er hatte die massigen Arme vor der Brust verschränkt und musterte Lina, als wäre sie ein bizarres Insekt, das er zum ersten Mal in seinem Leben sah. „Also gut. Ich fasse noch mal zusammen – unterbrechen Sie mich, falls ich irgendetwas nicht korrekt wiedergeben sollte: Sie wurden gebeten, uns bei der Ermittlung im Todesfall Mike Lörke zu unterstützen, der gemeinsam mit Ihrem Bruder in einer WG für Behinderte gelebt hat. Laut pathologischem Befund kam es durch die intravenöse Injektion von Pentobarbital zu einem Atemstillstand Reanimationsversuche schlugen fehl. Da dieses Medikament weder dem Opfer noch dessen Mitbewohnern verschrieben wurde und darüber hinaus in Deutschland heutzutage nur noch in Ausnahmefällen in der Humanmedizin verwendet wird, gingen wir von einem möglichen Tötungsdelikt aus. Und da kamen Sie ins Spiel. Ihr Auftrag war es, Marek Michalowski ausfindig zu machen, den Pfleger, der in der Nacht, in der unser Opfer starb, Dienst hatte. Denn bedauerlicherweise war dieser wie vom Erdboden verschlungen. Habe ich das so weit korrekt zusammengefasst?“
Lina nickte und lächelte verkniffen. Sie ahnte, was nun kommen würde.
„Sie gingen auch sehr engagiert zu Werke, allerdings taten Sie nicht, was Sie tun sollten. Stattdessen spielten Sie mir eine illegal aufgenommene Audiodatei vor, der zufolge die Leasingfirma, für die Herr Michalowski arbeitete, eine dubiose Überweisung getätigt hatte. Später verdächtigten Sie die Eltern des Verstorbenen, diese hätten ihren Sohn ermorden lassen, um an sein Erbe zu kommen.“
„Sie müssen zugeben, dass es ziemlich überzeugende Hinweise darauf gab –“
„Ich bin noch nicht fertig!“, unterbrach sie der Hauptkommissar barsch. „Jetzt kommen Sie zu mir und teilen mir mit, dass Sie inzwischen davon ausgehen, weder Familie Lörke noch Marek Michalowski, der übrigens immer noch verschollen ist, seien für Lörkes Tod verantwortlich, sondern eine unbekannte dritte Partei.“ Mit jedem Satz, den er sprach, wurde der Mann lauter. „Und diese habe den Verstorbenen möglicherweise gar nicht töten, sondern mit irgendeiner experimentellen Geheimdienstmethode verhören wollen. Wissen Sie, wie das klingt?“
„Äh … interessant?“
„Das klingt vollkommen bescheuert!“, explodierte Seidel. „Was glauben Sie, wo Sie sind? Wir spielen hier nicht in einer billigen Vorabendserie. Das ist die Mordkommission! Ich habe keine Zeit für solchen Blödsinn!“
„Finden Sie nicht, dass Sie meine Ausführungen ein klein wenig verkürzt wiedergegeben haben?“, wandte Lina ein.
„Ganz im Gegenteil: Ich finde, dass ich schon mehr als genug Zeit mit Ihren abstrusen Fantasien verschwendet habe.“
„Aber –“
„Danke für Ihre Mitarbeit. Sie können gehen!“
„Aber –“
„Ich sagte: Sie können gehen!“
Lina presste die Lippen zusammen und stand auf. Es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, die Tür nicht mit voller Wucht hinter sich zuzuknallen, nachdem sie den Raum verlassen hatte. Natürlich hatte sie geahnt, dass es ohne konkrete Beweise und Zeugenaussagen nicht leicht werden würde, den Kommissar von einem neuen Ermittlungsansatz zu überzeugen. Aber sie hatte Marek Michalowski nun mal versprochen, ihn aus dem Spiel zu lassen. Er hatte Angst um sein Leben, und Lina fürchtete, dass seine Sorgen nicht ganz unberechtigt waren.
Leider halfen ihr diese Überlegungen im Moment nicht weiter. Ihre Hoffnung, dauerhaft zur Mordkommission wechseln zu können, konnte sie begraben. Wut, Enttäuschung und Frustration strahlten ihr aus allen Knopflöchern, als sie ihre alte Dienststelle betrat und dort einige belanglose Aufgaben zugeteilt bekam.
Sie war gerade dabei, alte Akten zu schreddern, als es an der Tür klopfte. „Hi, Lina, darf ich reinkommen?“
„Wenn du kein Problem mit Feinstaub hast.“ Lina entleerte den Auffangbehälter in die Papiermülltonne und drehte den Kopf zur Seite, als feinste Papierteilchen aufstoben.
„Dieser Seidel ist ein Trottel“, sagte Ben, während er sich auf einen der Stühle setzte. „Er hat keine Ahnung, was ihm entgeht.“
„Die einzige Spezialistin für mechanischen Datenschutz mit Besoldungsgruppe A8?“, mutmaßte Lina und schob ein weiteres Dutzend Blätter in den Schlund des Aktenvernichters.
„Eine überaus scharfsinnige, unkonventionelle und hartnäckige Ermittlerin“, erwiderte Ben ernst, und mit einem Grinsen fügte er hinzu, „die darüber hinaus auch noch ausgesprochen attraktiv ist, selbst mit Papierstaub in der Frisur.“
Lina musste niesen.
„Gesundheit.“
„Danke.“
„Erzählst du mir, was passiert ist?“, fragte Ben.
„Seidel wollte, dass ich ihm Marek Michalowski liefere. Das habe ich nicht getan, also hat er mich zurückgeschickt.“
Ben runzelte die Stirn. „Da steckt noch mehr dahinter, habe ich recht?“
„Vielleicht … Aber momentan will ich nicht darüber reden. Ich muss erst mal in Ruhe nachdenken.“
„Verstehe.“ Er nickte langsam und erhob sich. „Dann will ich dich nicht weiter bei deinen wichtigen Aufgaben stören.“ Er wandte sich zur Tür.
„Ben?“
„Ja?“
„Danke für die Ermutigung.“ Lina lächelte. „Ich weiß das sehr zu schätzen.“
Er breitete die Arme aus. „Wenn du reden willst: Ich bin immer für dich da.“
„Okay, ich melde mich dann beim nächsten Champions-League-Finale.“
Er grinste und korrigierte: „Fast immer.“
„Ich werd’s mir merken.“
Ben verabschiedete sich, und den Rest ihres Arbeitstages verbrachte Lina allein mit ihren Sorgen und in Gesellschaft von kiloweise Altpapier.
Am Abend war sie sich sicher zu wissen, was zu tun war. Mit derselben Sicherheit ging sie davon aus, dass ihr Vorschlag Theo ganz und gar nicht gefallen würde, deshalb traf sie ein paar Vorkehrungen.
Anschließend fuhr sie zur Mohrenstraße 14. Es war Sarah, die junge Aushilfe mit den blau gefärbten Haaren, die ihr öffnete.
„Hi, du willst bestimmt zu Theo.“
„Genau.“
„Er ist in seinem Zimmer und zockt.“
„Danke!“
Im Flur stand Keno. Er wippte mit dem Oberkörper vor und zurück. Seine Finger bewegten sich blitzschnell hin und her, wie die Flügel eines Kolibris, und er schien voll und ganz in ihre Betrachtung versunken zu sein.
„Hi, Keno“, sagte Lina.
Er schien sie nicht zu bemerken, aber als sie ein paar Meter weitergegangen war, hörte sie ihn leise „Lina“ sagen.
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Keno hatte sie begrüßt – darauf konnte sie sich etwas einbilden.
Als sie an der Tür zu der großen Wohnküche vorbeikam, erblickte sie zunächst das imposante Hinterteil von Helene, die gerade in den unteren Fächern des Kühlschranks stöberte. „Hallo, Lene.“
„Tachchen, Lina“, grüßte die älteste Bewohnerin der kleinen WG zwischen ihren Beinen hindurch. Dann nahm sie ihre Suche wieder auf und brummte: „Wo is’n der blöde Vanillepudding? Jestern jabs hier noch drei Stück von die Dinga.“
Aus Paulas Zimmer dröhnte ein Song von Billie Eilish.
Die Badezimmertür wurde geöffnet.
„Hallo, Scott!“, sagte Lina.
Theos hünenhafter Mitbewohner nickte ihr schüchtern lächelnd zu und verschwand in seinem Zimmer.
Lina klopfte an Theos Tür und trat ein. Sie konnte gedämpfte Schüsse vernehmen. Die Geräusche kamen aus den Kopfhörern ihres jüngeren Bruders und wurden untermalt von hektischem Tastendrücken auf einem Controller.
„Okay, der Zombie ist down. Pass auf! Pass auf, hinter dir! Oh, Mist!“
Lina verdrehte die Augen und zupfte an Theos Kopfhörern. Ihr Bruder zuckte erst erschrocken zusammen und meinte dann trocken: „Tut mir leid, ich muss Schluss machen, die Polizei ist hier. Ciao.“
Er nahm die Kopfhörer ab, wendete seinen E-Rollstuhl und schaute vorwurfsvoll zu seiner Schwester auf. „Musst du mich so erschrecken?“
„Leider hast du mein Klopfen nicht gehört.“ Lina ließ sich in Theos Besuchersessel fallen. „Ich finde es immer wieder bewundernswert, mit welcher Inbrunst du dich deinem Studium widmest. Um welches Fach ging es da gerade?“
„Survivalpsychologie – Überlebensstrategien in extremen Stresssituationen“, erwiderte Theo lässig. „Aber lass uns ruhig das Thema wechseln. Das ist nichts für Laien.“ Mit einer geschickten Bewegung seines Rollstuhls wich er dem Sofakissen aus, das Lina nach ihm warf. „Darf ich dir einen Drink anbieten?“
„Ein Malzbier on the rocks, bitte.“
„Hab ich nicht.“
„Cola light?“
„Hat Paula ausgetrunken.“
„Dann eben Cola ohne light.“
„Die hat Lene eliminiert.“
Lina seufzte. „Was hast du denn überhaupt da?“
„Momentan, äh, Milch und Leitungswasser.“
„Nicht dein Ernst!“
„Ich könnte dir auch einen Kaffee machen.“
„Ich nehme ein Wasser.“
„Kommt sofort“, flötete Theo, düste in die Küche und kam wenig später mit einem vollen Glas zurück.
Lina nahm ihr spartanisches Getränk von dem kleinen Tisch, der an seinem Rollstuhl befestigt war. Sie trank einen Schluck – wenigstens war es schön kalt.
„Wie lief das Gespräch mit Seidel?“, fragte Theo.
Lina warf ihrem Bruder einen finsteren Blick zu und nahm noch einen Schluck Wasser.
„So...




