E-Book, Deutsch, Band 16, 312 Seiten
Reihe: Sherlock Holmes
Franke Sherlock Holmes und die Spur des Yeti
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95441-398-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 16, 312 Seiten
Reihe: Sherlock Holmes
ISBN: 978-3-95441-398-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Meisterdetektiv auf dem Dach der Welt
Seine Indien-Reise führt Sherlock Holmes nach Simla im Himalaya-Vorgebirge, wo sein Freund David Tristram ein kleines Anwesen geerbt hat. Dass dessen Verwandter Edward Tristram ausgerechnet in der Hauptstadt von Britisch Indien, die für ihr kühles Wetters berühmt ist, an einer Tropenkrankheit gestorben sein soll, stößt bei Holmes auf Skepsis.
Kurz darauf wird der Bergsteiger Elliott Roundtree ermordet, der mit Edward Tristram Ausflüge ins Gebirge unternommen hat, um den Yeti zu fotografieren. Holmes' berufliches Interesse ist nun endgültig geweckt. Es stellt sich heraus, dass das Mordopfer Tibetisch lernte, weil es beabsichtigte, das geheimnisvolle Reich auf dem Dach der Welt zu bereisen. Etwas, das Europäern strengstens untersagt ist! Um Licht in die dunkle Angelegenheit zu bringen, müssen sich die beiden Ermittler auf die gefährliche Reise nach Tibet begeben.
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1. Ankunft in Simla
Simla sah aus wie eine englische Kleinstadt, die man in die Voralpen versetzt hat. Ich hatte mir die Sommerresidenz des Vizekönigs von Britisch Indien wesentlich exotischer vorgestellt. Doch das mangelnde Lokalkolorit wurde mehr als wettgemacht durch die atemberaubende Lage der Stadt, die sich über einen bewaldeten Bergrücken in einem Ausläufer des Himalaja ausbreitete. Edward Tristram, ein entfernter Verwandter, hatte mir hier – am Ende der bewohnbaren Welt – ein kleines Anwesen vererbt. Er hatte sich nach Ableistung seines Militärdienstes in Simla niedergelassen und hier ein kleines Teegeschäft eröffnet. Man munkelte allerdings in der Familie, dass es nicht den erhofften Gewinn abwarf. Anfang des Jahres war mein Verwandter gestorben und hatte mich zu meinem nicht geringen Erstaunen als Alleinerbe eingesetzt. Dieser unverhoffte Glücksfall bot mir einen willkommenen Vorwand, mich Holmes anzuschließen, der den Himalaya zu erkunden gedachte. Um nach Simla zu gelangen, waren wir zunächst mit dem Zug von Bombay über Ammadabad, Jaipur und Delhi nach Umballa gereist. Dort endete die Eisenbahnstrecke1, und wir mussten mit einer Kutsche vorliebnehmen. Es kostete uns mehr als acht Stunden, auf der Heerstraße die Hügellandschaft von Kalka zu durchqueren. Diese sogenannten Hügel waren jedoch teilweise veritable Berge, denn in der Region wurden alle Erhebungen von weniger als 1.800 Metern Höhe schlicht »Hügel« genannt. Die Fahrt ging bergauf und bergab, immer nach Norden, wobei wir kontinuierlich an Höhe gewannen. Das gleichmäßige Klappern der Hufe und das Ruckeln der schlecht gefederten Kutsche setzten mir zu. Um meine Übelkeit zu bekämpfen, versuchte ich mir den langen Konvoi von Wagen vorzustellen, der zahlreiche Beamte der Kolonialregierung im Frühjahr von Kalkutta in die Berge und im Herbst wieder zurück transportierte. Als wir endlich unser Ziel vor uns sahen, verhüllte bereits der Abendnebel die Schneegipfel des Himalaya. Wir folgten nun einer steilen Straße, und je weiter wir in die Berge vordrangen, desto kühler wurde die Luft. Ich blickte meine Frau Violetta von der Seite an und bemerkte, dass sie ihr Wolltuch fest um die Schultern geschlungen hatte. Als Italienerin vertrug sie keine Kälte und hatte daher vorsorglich Winterkleidung nach Indien mitgenommen, für alle Fälle … »Du hast doch hoffentlich nicht vor, das Haus zu behalten?«, fragte sie und schaute sich so alarmiert um, als befürchtete sie, dass hinter dem nächsten Hügel ein Stamm von Menschenfressern hauste. Durch den Schleier ihres breitkrempigen Reisehuts sah ich den skeptischen Ausdruck in ihren braunen Augen, die von der gleichen Farbe waren wie das ungewöhnlich dichte Haar, das sie zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden hatte. »Und ich dachte, Simla wird dir bestimmt gefallen. Die Luft ist angenehm kühl, und im Winter gibt es viel Schnee«, neckte ich meine Frau, obwohl der Ort auch mir auf Dauer zu abgelegen wäre. »Gerade in abgeschiedenen Orten passieren oft die grässlichsten Verbrechen«, murmelte Holmes – ein Kommentar, der Violetta bestimmt nicht mit der Stadt am Berghang versöhnte. Das waren die ersten Worte, die der Meisterdetektiv seit unserer kurzen Mittagspause auf halber Strecke von sich gegeben hatte. Während seiner immer wiederkehrenden Phasen der Wortkargheit war ich dankbar, dass mich auch meine Frau begleitete. Ihre Anwesenheit bot Holmes allerdings leider allzu oft einen Vorwand, mich an meine Pflichten als Ehemann zu erinnern, um so ohne meine Unterstützung zu ermitteln. Bald passierten wir die unübersichtliche Unterstadt, in der dicht zusammengepfercht die Menschen lebten, die für die Bedürfnisse der Bewohner der Oberstadt sorgten. Als wir den weitverzweigten Basar hinter uns gelassen hatten, räusperte sich Holmes leise und sah mich dann mit gerunzelter Stirn an. »Mister Tristram, sagten Sie nicht, Ihr Verwandter sei an einer Tropenkrankheit gestorben?«, vergewisserte er sich, was ich ihm bestätigte. »Das erscheint mir hier in den Bergen doch ziemlich ungewöhnlich. War er vor seinem Tod lange krank?«, wollte Holmes daraufhin wissen. Zum wiederholten Mal bedauerte ich, Edward Tristram nicht irgendwann mal in Indien besucht zu haben, obwohl er mich eingeladen hatte. Angestrengt versuchte ich mich zu entsinnen, was man in der Familie über ihn gesagt hatte. Nüchtern betrachtet wurde nur von ihm gesprochen, wenn es absolut unvermeidbar war – und dann auch meist hinter vorgehaltener Hand. Und wenn doch jemand so unvorsichtig war, den armen Onkel Edward bei Tisch zu erwähnen, wurde sofort das Thema gewechselt. Einmal hatte ich sogar aufgeschnappt, dass man ihn für unwürdig hielt, unseren guten Namen zu tragen. Er hatte die für ihn vorgesehene bürgerliche Laufbahn als Bankangestellter verlassen, weshalb die Familie einen Bannfluch über ihn verhängt hatte. »Vielleicht reiste er ja beruflich ab und zu in die schwülwarme Tiefebene«, mutmaßte ich. »Oder er hat sich die Krankheit während seiner Militärzeit zugezogen. Viele Veteranen leiden an der Malaria. Leider weiß ich nicht …« »Wann werden Sie Ihr Erbe in Augenschein nehmen?«, unterbrach Holmes meine zugegebenermaßen spekulativen Überlegungen. Ob er einen Kriminalfall witterte? Mir sollte es recht sein. Schweren Herzens war ich schon darauf gefasst gewesen, dass sich unsere Wege in Simla trennen würden. Schließlich konnte ich wohl kaum meiner Frau die mühsame und obendrein noch gefährlichere Reise in das für Europäer unzugängliche Tibet zumuten. »Gleich morgen früh. Um neun Uhr wird mir der Rechtsanwalt, der mich über die Erbschaft informiert hat, die Schlüssel aushändigen«, antwortete ich erfreut. Während dieses kurzen Wortwechsels hatten wir einen belebten Platz erreicht, der von Gebäuden im europäischen Stil gesäumt wurde, und die Kutsche kam mit einem Ruck zu stehen. Zwei etwa zehnjährige Jungen in Schuluniform lugten um die Ecke eines neugotischen Baus und schienen sich über unseren Anblick zu wundern. Wahrscheinlich kamen hier nicht viele Gäste in der zweiten Sommerhälfte an. »Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich Sie zum Anwalt begleiten«, verkündete Holmes, und ich nickte hocherfreut, bevor ich aus der Kutsche ausstieg. Nachdem auch Violetta wieder festen Boden unter den Füßen hatte, schaute sie sich suchend nach einer Mietkutsche um. »Nur der Vizekönig, der Oberbefehlshaber der Armee und der Gouverneur des Panjab dürfen im Stadtzentrum von Simla eine Kutsche benutzen. Alle anderen müssen sich mit Rikschas begnügen«, sagte ich, eine Erkenntnis, die ich aus meinem Reiseführer gewonnen hatte. »Ich hätte mir eigentlich denken können, dass es hier nicht einmal Droschken gibt«, seufzte meine Frau, wohl in Gedanken an ihre wesentlich größere Heimatstadt Florenz, und beobachtete dabei den Kutscher, wie er unser Gepäck auslud und auf dem schmutzigen Boden abstellte. Ich entlohnte den Fahrer, während Holmes zwei der auf dem Platz herumlungernden Gepäckträger herbeiwinkte und ihnen den Namen des Hotels nannte, in dem wir telegrafisch Zimmer reserviert hatten. Ich reiste schon immer gern mit leichtem Gepäck, und auch Violettas zwei mit Hotelaufklebern verzierte Damenkoffer waren recht handlich. Aber Holmes’ voluminöser, schwarzer Lederkoffer ließ den Träger, der ihn anhob, fast in die Knie gehen. Der junge Inder ahnte bestimmt nicht, dass das Gepäckstück nicht nur Kleidungsstücke enthielt, sondern auch Perücken, falsche Bärte und Schminkutensilien, die es Holmes ermöglichten, in die unterschiedlichsten Rollen zu schlüpfen. Auch auf seine Geige, seine stetig anwachsende Sammlung von Zigarettenaschen aus verschiedenen Ländern und Apparaturen für chemische Experimente wollte der Londoner Detektiv selbst im Exil nicht verzichten. »Hier scheint es ja gar keine historischen Gebäude zu geben«, bemerkte Violetta, die sich in der Zwischenzeit umgeschaut hatte. »Nein, die gibt es nicht. Das erste Haus wurde 1819 errichtet, nachdem England die Region im Gurkha-Krieg erobert hat. Vorher gab es hier nur ein Dorf mit einem Dutzend strohgedeckter Hütten«, klärte ich sie auf. »Heute hingegen hat Simla über 13.000 Einwohner. Im Sommer sind es manchmal sogar doppelt so viele.« Die beiden jungen Burschen marschierten mit unserem Gepäck voran, und wir folgten ihnen mit zwei Schritten Abstand, bis wir nach einem kurzen Fußweg zu einem schmucken Holzgebäude gelangten, das ein emailliertes Schild als Prince Albert Hotel auswies. Natürlich gab es zahlreiche bessere Hotels in Simla, doch Holmes reiste noch immer aus Sicherheitsgründen inkognito unter dem Namen Sven Sigerson. Daher wollte er möglichst wenig Aufsehen...