Franke Sherlock Holmes und das Ungeheuer von Ulmen
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95441-146-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Sherlock Holmes
ISBN: 978-3-95441-146-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine alte Eifelsage und die schreckliche Wahrheit
Doktor Peeters aus Trier, ein früherer Klient des Meisterdetektivs, sendet Sherlock Holmes den Brief eines Studienkollegen weiter: Einer alten Legende nach muss immer dann, wenn im beschaulichen Eifeldörfchen Ulmen ein schreckliches Fischungeheuer aus den Fluten des Maars auftaucht, ein Mensch sein Leben lassen. So schreibt der Dorfschullehrer Herbert Becher seinem Freund und schwört Stein und Bein, das Untier leibhaftig gesehen zu haben.
Holmes fühlt sich naturgemäß von solcherlei Geheimnissen geradezu magisch angezogen, und so tritt er mit seinem Freund David Tristram die beschwerliche Reise in das karge Mittelgebirge an, um der Sache auf den Grund zu gehen.
In Ulmen angekommen müssen die beiden feststellen, dass der Lehrer Becher kurz zuvor unter mysteriösen Umständen verstorben ist. Holmes, der nicht an die Unfallversion des örtlichen Gendarmen glaubt, wendet sich daraufhin an einen Freund des Verstorbenen, den zwielichtigen Apotheker Steinmetz, dessen Ehefrau das Seeungeheuer ebenfalls gesehen haben will. Als Holmes im Haus des Verstorbenen die Adresse eines Antiquitätenhändlers in Trier findet, stattet er der altehrwürdigen Stadt an der Mosel einen Besuch ab.
Nachdem im Dorf ein weiterer Mann eines gewaltsamen Todes stirbt, besteht für den Detektiv keinerlei Zweifel mehr daran, dass es sich um kaltblütigen Mord handelt.
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1. Ankunft in Ulmen
Der Wind wehte kühl von der Schelde her und trieb dunkle Regenwolken in die Stadt, weshalb ich meinen Spaziergang an der menschenleeren Uferpromenade vorzeitig abbrach und ins Hotel zurückkehrte. Hier in Antwerpen hatte ich Sherlock Holmes kürzlich bei der Auflösung eines Kriminalfalls assistiert und ging davon aus, dass er in den nächsten Tagen nach England zurückkehren würde – aber es kam ganz anders. »Haben Sie Zeit, mit mir eine kurze Reise in die Eifel zu unternehmen?«, fragte er unvermittelt, als ich mich in der Hotelbar auf einen Abschieds-Drink zu ihm gesellt hatte. »Falls nicht, wäre ich Ihnen äußerst verbunden, wenn Sie mich dennoch begleiten würden.« »Mit dem größten Vergnügen«, antwortete ich ohne zu zögern hocherfreut. Ich hatte zwar bereits meinen Koffer gepackt, aber zum Glück noch keine Fahrkarte nach Florenz zurück gelöst. »Wo ist diese Eivel, in Irland?« »In Deutschland, nahe der belgischen Grenze. Sie schreibt sich wie der Konstrukteur des Eiffelturms, aber nur mit einem F«, belehrte mich Holmes und zog einen an den Ecken leicht angestoßenen Briefumschlag von bester Qualität aus der Tasche. »Doktor Peeters hat mir den recht absonderlichen Brief eines gewissen Herbert Bechers gesandt, den er von seinem Studium an der Universität kennt und der inzwischen als Lehrer in Ulmen lebt. Am besten ich lese Ihnen ein paar Zeilen aus dem Schreiben vor: »Nach einer Legende, die der Humanist Sebastian Münster im Jahre 1542 erwähnt, lebt im Ulmener Maar ein riesiger Fisch. Wann immer er erscheint, stirbt eine wichtige Persönlichkeit. Bis zu den jüngsten Ereignissen hielt ich diese Geschichte für ein Ammenmärchen. Das hat sich aber in der Zwischenzeit gründlich geändert. Alles fing damit an, dass im April zwei Kinder behaupteten, einen riesigen Fisch im Maar gesehen zu haben, was aber niemand ernst genommen hat. In den darauf folgenden Wochen wurde das Ungeheuer jedoch von mehreren anderen Personen gesichtet, auch von der Gattin meines Freundes, des Apothekers Bertram Steinmetz. Unweigerlich musste ich an die Saurierskelette im Berliner Museum für Naturkunde denken, und vor meinem inneren Auge baut sich eine Bestie auf, die an Größe und furchteinflößender Wirkung alle Drachendarstellungen der mittelalterlichen Künstler übertrifft. Vielleicht haben es – entgegen der herrschenden Lehrmeinung – doch einige dieser vorsintflutlichen Kreaturen geschafft, sich an die Kälte anzupassen ...« Holmes hob den Blick von dem Schreiben. »Diese Spekulationen sind natürlich vollkommener Unfug. Die Winter in Deutschland sind viel zu kalt für Reptilien. Wenn es sich doch wenigstens um ein abgeschiedenes Hochplateau in Südamerika handeln würde! Aber eine Echse in einem Eifelmaar? Das ist wirklich absurd!« »Was ist eigentlich ein Maar?«, wollte ich wissen. »Ein erloschener, abgesunkener Vulkan, dessen Krater manchmal mit Wasser gefüllt ist.« Vor mir stieg das Bild des Vesuvs auf, in dessen Höllenschlund1 kochendes Wasser brodelte. In welch teuflischen Landstrich wollte Holmes mich entführen? »Vielleicht erwärmt die vulkanische Aktivität das Wasser so stark, dass Reptilien darin leben können?«, gab ich zu denken, aber Holmes schüttelte nur belustigt den Kopf. »Meines Wissens liegt die Wassertemperatur eines Maars nicht wesentlich über der eines normalen Sees«, klärte er mich auf. »Zweifelsohne wurde der ganze Spuk inszeniert. Es stellt sich nur die Frage: Wem könnte dieser Betrug nützen?« »Der Lokalpresse, die ihre Auflage steigern möchte«, schlug ich vor. Wenigstens widersprach Holmes mir diesmal nicht. Seine Augen senkten sich wieder auf den Brief, und er deutete auf die letzte Zeile des Schreibens. »Herbert Becher äußert den Wunsch, den vortrefflichen Detektiv zu konsultieren, der Doktor Peeters unlängst behilflich war«, referierte er ohne die geringste Verlegenheit. »Nach reichlicher Überlegung habe ich mich entschlossen, seiner Bitte nachzukommen.« »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst? Sie wollen tatsächlich ein Seeungeheuer aufspüren?«, entfuhr es mir bestürzt. Holmes musste sich zu Tode langweilen, wenn er dergleichen auch nur erwog. »Ich lehne keinen Kriminalfall ab, nur weil er auf den ersten Blick alltäglich erscheint. Einige meiner interessantesten Fälle haben mit ganz einfachen Dingen begonnen. Außerdem entbehrt die Geschichte nicht einiger interessanter Aspekte, wie zum Beispiel die Erwähnung des Ungeheuers in der alten Legende. Daher habe ich Herbert Becher unser Eintreffen für den morgigen Tag telegrafisch angekündigt.« Mühsam verkniff ich mir die Bemerkung, dass Holmes mich wenigstens anstandshalber hätte fragen können, bevor er in meinem Namen Zusagen machte. Stattdessen suchte ich gottergeben die nächste Buchhandlung auf und verlangte den Deutschland-Führer von Murray. Diesen hatte man dort aber nicht vorrätig, und so empfahl mir der Buchhändler mit den glühendsten Farben der Beredsamkeit die englische Ausgabe eines Reiseführers des deutschen Baedeker-Verlags. Als wir Antwerpen am nächsten Morgen verließen, kündete ein milchiger Morgenhimmel einen trüben Frühlingstag an, aber wenigstens regnete es nicht. Nachdem wir in Brüssel, Trier und Andernach umgestiegen waren, fuhren wir jetzt durch eine melancholische Heidelandschaft. Der Himmel wurde immer grauer und die Luft zunehmend dunstig, weshalb ich gelangweilt in meinem Reiseführer herumblätterte. Aber ich konnte kaum Informationen über die Eifel finden. Nur das Tal der Ahr wurde erwähnt, die ein Nebenfluss des Rheins war. Daher vertrieb ich mir die restliche Fahrzeit mit der Lektüre einer belgischen Zeitung, die ich unterwegs erworben hatte. Am frühen Nachmittag hielt unser Zug endlich in Mayen, der letzten Station der Eifelquerbahn2, wo es nur zwei, obendrein unüberdachte Bahnsteige gab, auf denen wir uns vergeblich nach unserem Klienten umschauten. Auch vor dem putzigen Bahnhofsgebäude – einem Fachwerkbau mit Schieferdach – erwartete uns niemand. »Herbert Becher hätte uns zumindest in Mayen abholen können, nachdem die Waggons zweier Eisenbahngesellschaften unsere Knochen durcheinander geschüttelt haben«, schimpfte ich leise vor mich hin. Holmes ließ seinen Blick über den Bahnhofsvorplatz schweifen, wohl auf der Suche nach unserem Klienten. Aber an diesem trüben Nachmittag waren in Mayen nur Hausfrauen mit Einkaufskörben unterwegs. Die wenigen anderen Fahrgäste, die bis zur Endhaltestelle gefahren waren, hatten sich längst entfernt, einige zu Fuß, andere waren von Fuhrwerken abgeholt worden. »Wir werden unsere Weiterfahrt nach Ulmen wohl selbst organisieren müssen«, verkündete Holmes und schritt zu einem Einspänner, der neben dem Bahnhof bereitstand. Leider sprach der dazugehörige Kutscher kein Wort Englisch, aber indem er das Wort Ulmen in Druckbuchstaben auf ein Blatt seines Notizblockes schrieb, gelang es Holmes, mit dem Mann handelseinig zu werden. Nachdem wir eine Strecke von fast zwanzig Meilen über eine kurvenreiche Landstraße geholpert waren, hielt unser Fuhrwerk endlich vor einem weiß verputzten, zweigeschossigen Gebäude mit Steindurchschüssen an den Kanten, das ein Schild als Bahnhof Ulmen auswies. »Da es hier eine Station gibt, könnte man gefälligst auch Züge nach Ulmen fahren lassen«, schimpfte ich vor mich hin, während Holmes den Kutscher entlohnte. »Außerdem frage ich mich, warum dieser arbeitsscheue Bursche uns nicht bis zum Haus unseres Klienten fährt.« »Ich habe ihn darum gebeten, weil ich möglichst wenig Aufsehen erregen möchte«, entgegnete Holmes und marschierte mit seinem Koffer in der Hand los. »So etwas wie eine Unterwelt gibt es hier bestimmt nicht. Kein Wunder, dass man private Ermittler höchstens zur Verfolgung von Seeungeheuern anheuert«, konstatierte ich beim Anblick der ländlichen, weiß getünchten Häuser mit ihren schwarzen Schieferdächern, die wir passierten. Offenbar war Ulmen viel kleiner als Mayen. »Für das Dorf selbst mag das zutreffen, aber die einsamen Gehöfte im Hinterland sind eine andere Sache. Hinter den gepflegten Zäunen und frisch lackierten Türen schlummern zuweilen grauenvolle Geheimnisse.« Mit der Zeit rückten die Häuser enger zusammen und wurden auch kleiner, waren jedoch noch immer adrett. In einem Hof pickten Hühner emsig nach Körnern, und irgendwo in der Nähe musste sich ein Misthaufen befinden, denn der Wind trug einen fauligen Geruch zu uns herüber. Wir fanden Herbert Bechers Domizil, ohne uns zu verlaufen, was keine große Leistung...