E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Reihe: Oda Wagner, Christine Cordes
Franke Mord ist aller Laster Ende
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-86358-368-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Küsten Krimi
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Reihe: Oda Wagner, Christine Cordes
ISBN: 978-3-86358-368-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Lehrer, der tot im Geräteraum einer Sporthalle liegt. Ein Referendar, der ein halbes Jahr zuvor bei einem Unfall zu Tode kam. Von Seiten der Schule wird gemauert. Gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Männern? Wenn ja, wo liegt sie und droht darin auch anderen Gefahr? Die beiden Wilhelmshavener Kommissarinnen Oda Wagner und Christine Cordes treten ohne ihr Wissen zu einem Wettlauf gegen die Zeit an. Denn das dritte Opfer ist bereits eingekreist.
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Donnerstag Wie jeden Morgen lief Peter Leitermann in seinen Lederpantoffeln die Treppe hinunter zum Briefkasten und zog die Zeitung heraus. Aus der Wohnung im Parterre links drang ein einladender Geruch nach Spiegeleiern, und Peter dachte, dass er darauf ebenfalls Appetit hatte. Wie jeden Morgen warf er im relativ schummrigen Licht des Treppenhauses einen Blick auf die Titelseite und überflog den Leitartikel. Anders als sonst, erfasste ihn heute jedoch Entsetzen. »Oh mein Gott!« Er hielt sich am Treppengeländer fest. »Oh mein Gott. Bitte lass es nicht wahr sein.« Mühsam, als ob ihm seine Kraft urplötzlich abhandengekommen wäre, quälte er sich die Stufen hinauf bis in die Wohnung. Mit zittrigen Knien gegen den Rahmen der Küchentür gelehnt, blieb er stehen. »Alles okay?« Seine Frau Mechthild warf ihm einen besorgten Blick zu, während sie ihrem einjährigen Enkelkind Jonas einen Löffel Milchbrei in den Mund schob. »Harald. Das ist Harald.« Er tippte auf die Zeitung. »Was ist mit Harald?« Mechthild wischte mit dem Lätzchen ein Breirinnsal fort, das von Jonas’ Kinn runterlief. Schwer atmend und noch immer vollkommen schockiert ließ Peter sich auf seinen Küchenstuhl fallen. »Am Kaiser-Wilhelm-Gymnasium ist ein Lehrer ermordet worden. So, wie es sich liest, kann das nur Harald sein.« »Zeig her.« Peter sah Panik in den Augen seiner Frau, als sie neben ihn trat und von oben herab die Zeitung las. Jonas quengelte, aber das ignorierte Mechthild. Genauso starr wie Peter wenige Minuten zuvor, las sie den Artikel. Langsam. Wort für Wort im Zeitlupentempo. Jonas quengelte lauter, doch Mechthild las. »Oh mein Gott.« Mechthild ließ sich auf ihren Stuhl fallen. »Nein! Nicht auch noch Harald.« Sie zog ihren quengelnden Enkel aus dem Hochstuhl und drückte ihn so fest an sich, dass Jonas noch lauter zu weinen anfing. »Nicht auch noch Harald.« Mechthild brach in lautloses Schluchzen aus. Presste den Kopf in das seidige Kinderhaar und sog hörbar den Geruch des Apfelshampoos ein, der Jonas stets umgab. Als könne dieser Duft all die Gedanken auslöschen, die durch ihren Kopf tosen, dachte Peter traurig. Jonas verstummte und blickte seine Oma fragend an. »Gib ihn her.« Peter reckte die Arme in Richtung des Jungen. »Nein!« Mechthilds Lippen zitterten. »Jonas bleibt bei mir. Ich kann ihn nicht hergeben. Er ist außer dir alles, was mir noch geblieben ist.« Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie schüttelte den Kopf, hob Jonas in die Luft und quittierte sein erfreutes Quietschen mit einem gezwungenen Lächeln. »Du hast dich geirrt, Peter. Wir beide haben uns geirrt. Es kann sich nicht um Harald handeln. Das ist nicht mein Bruder, der in der Zeitung steht.« Sie setzte Jonas wieder in seinen Stuhl, tauchte, nun wieder ganz ruhig, den Löffel in den Brei und schob ihn ihrem Enkel ins kleine, weit geöffnete Mündchen. »Wenn es Harald gewesen wäre, hätte Barbara uns angerufen. Nein, Peter. Es gibt mehrere Sportlehrer am Willi, es wird ein anderer gewesen sein. Sonst hätte sie angerufen. Man ruft doch seine Verwandten an, wenn jemand stirbt. Das tut man doch. Aber Barbara hat nicht angerufen. Also ist es auch nicht Harald. Ganz bestimmt nicht.« Mechanisch schaufelte Mechthild den Brei weiter in Jonas’ Schnute, und ebenso mechanisch wischte sie ihm die Breireste vom Kinn. Peter wünschte inständig, sie hätte recht. * * * »Alex, aufstehen! Du kommst zu spät!« Während Oda ihre Lederjacke vom Garderobenhaken zerrte und über das Longsleeve zog, riss sie die Zimmertür ihres Sohnes auf. Sofort war sie versucht, sich die Nase zuzuhalten. Ein Gemisch aus Knoblauch, Zwiebeln und menschlichen Ausdünstungen schlug ihr entgegen, was sie blitzschnell mit dem gestrigen Döner in Verbindung brachte. Über Alex’ achtlos hingeschmissene Klamotten hinweg stapfte sie Richtung Fenster. Das alte Holz stöhnte knarrend ob der groben Gewalt, mit der es aufgerissen wurde. »Mach es wieder zu, bevor du gehst«, sagte sie bestimmt, »ich muss los. Obduktion in Oldenburg. Viel schlimmer kann der Geruch dort auch nicht sein.« »Ist noch keiner erstunken, aber schon viele erfroren«, drang Alex’ Kommentar dumpf unter der Bettdecke hervor. »Nicht Ende April, mein Lieber, damit kannst du dich nicht rausreden. Also, komm in die Puschen!« Sie beugte sich über das Bett und zog die Decke an der Stelle zurück, an der ein paar blonde Locken hervorlugten. Zärtlich küsste sie den Schopf ihres Sohnes. »Los, du kleine Schlafmütze, steh auf, sonst gibt’s wieder Ärger in der Schule. Lohnt sich doch nicht.« »Mach ich, Ma.« Alex zog sich die Decke wieder über den Kopf. Innerlich stöhnend verließ Oda die Wohnung. Vor dem Haus stand der Dienstwagen, den sie gestern mit nach Hause genommen hatte. Mit dem Rad zum Bahnhof, von dort mit dem Zug nach Oldenburg und von da womöglich zu Fuß zur Rechtsmedizin, nein, so weit ging in einem beruflichen Fall ihre Naturverbundenheit dann doch nicht. Außerdem liebte Oda das Autobahnfahren, auch wenn sie das offiziell nie zugeben würde. Geschwindigkeit vermittelte ihr ein immenses Gefühl von Freiheit oder, na ja, zumindest einen Anflug davon. Das konnte natürlich daran liegen, dass die A 29 zwischen Wilhelmshaven und Oldenburg ein wahres Rennfahrereldorado war, denn diese Autobahn war meistens frei. Kein Vergleich zu den Ballungsgebieten. Selbst um Bremen herum war ja schon viel los. Oda hatte die Autobahnauffahrt erreicht, drückte mit einem Gefühl von Freiheitsdrang aufs Gaspedal, warf einen Blick auf die linke Spur und startete durch. Eine Dreiviertelstunde später parkte sie mit einem leicht mulmigen Gefühl vor dem Gebäude der Oldenburger Rechtsmedizin. Okay, Oda, du schaffst das schon, dachte sie, die Schultern durchdrückend. Aus ihrer Jackentasche fischte sie die kleine Dose Tigerbalsam, von dem sie sich, noch während sie auf die gläserne Doppeltür zuging, etwas unter die Nase schmierte. Vor Krüger hätte sie sich diese Blöße nie gegeben, sie nicht. Ein letztes Mal atmete sie tief durch, nahm die frühlingshafte Luft, die Autoabgase und alles, was sonst noch so herrlich angenehm alltäglich durch die Gegend flog, in sich auf. Nichts konnte so schlimm sein wie das, was sie nun bei der Leichenöffnung erwartete. Mit schwerem Ausatmen öffnete Oda die Tür. * * * Christine hatte den Ellbogen ihres linken Armes auf den Schreibtisch gestützt. Den Daumen unter dem Kinn, rieb sie mit dem Zeigefinger an der Nasenspitze und starrte auf den Bildschirm ihres PCs. Ein fast leeres Dokument gähnte sie an, lediglich die Eckdaten hatte sie auf ihrem persönlichen »Fallzettel« notiert. Viel mehr als diese Eckdaten hatte sie bislang auch noch nicht. Hmm. Sie rieb ihre Nasenspitze nun zwischen Daumen und Zeigefinger, ohne einen Gedanken ans sorgfältig aufgetragene Make-up zu verschwenden. Nein. Noch hatten sie nichts, aber das würde sich im Laufe des Tages ändern. Während sie das Reiben einstellte und stattdessen mit den Zähnen an der Unterlippe knabberte – Lippenstift ade – ging langsam die Tür auf. Das war eindeutig nicht Odas Stil. Nieksteit oder Lemke, tippte Christine. Nein, korrigierte sie sich, Lemke würde anklopfen, er war zu sehr der personifizierte Beamte. Nieksteit hingegen gehörte zur unorganisierten, leicht chaotischen Front. Sie hatte ihn noch nie anklopfen hören. Höchstens beim Chef. Aber auch das kam selten vor. Meistens hatte Nieksteit in seinen Gedanken schon die Hälfte des zu führenden Gespräches hinter sich, bevor er mit dem Körper nachkam. »Kommst du?« Es war tatsächlich Nieksteit. Seiner knubbeligen Nase folgte der rote Schopf. »Ist es schon so spät? Ich habe überhaupt nicht auf die Uhr geachtet.« Christine stand auf, atmete tief durch und nahm die Mappe mit den noch dürftigen Unterlagen in die Hand. Auf zur Lagebesprechung. »Brauchst nicht durchzuatmen«, zwinkerte Nieksteit. »Nur aufstehen und mitkommen. Tut dir keiner was.« »Blödmann.« Christine knuffte ihn in die Seite. »Moment.« Sie zog ihren Lippenstift aus der Tasche, fuhr sich schnell damit über den Mund. »Beeilen musst du dich aber schon. Die warten.« »Sag nicht, ich bin die Letzte.« Ein kurzes Aufeinanderpressen, schon glänzten die Lippen wieder perfekt in dezentem Dunkelrot, und der Stift verschwand in der Tasche. »Doch. Sind alle da. Manssen, Siebelt und Lemke. Der ganze Clan. Kaffee gibt’s auch. Hat Lemke gekocht, wird also ‘n richtig vernünftiger sein. Nicht so ‘ne Plörre, wie du sie immer braust.« Lachend hielt Nieksteit ihr die Tür auf. Dieser Pumuckl. Inzwischen hatte Christine sich zwar an sein oft mehr als lässiges Äußeres gewöhnt, dennoch konnte sie dann und wann nicht umhin, ihn mit der Zeichentrickfigur zu vergleichen. Egal, zu welcher Tageszeit man ihn sah, seine roten Haare standen wirr vom Kopf ab. Einen Kamm hatte er sicher auch heute noch nicht in der Hand gehabt. Ob Nieksteit überhaupt einen Kamm oder gar ein Bügeleisen besaß? Er entsprach absolut und fast schon überzeichnet dem Bild eines Menschen, der gerade eben aus dem Bett kam und obendrein in seinen Klamotten geschlafen hatte. Der einzig sichtbare Beweis, dass er seine Sachen durchaus auch mal wechselte, bestand in der unterschiedlichen Farbe und Art seiner Oberbekleidung. Heute war es ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck »Hard Rock Cafe«. Ob er auch die Jeans zwischendurch mal wechselte, konnte Christine allerdings nicht mit Sicherheit sagen. Aber bestimmt hatte er die gleiche Jeans in fünffacher Ausfertigung, und nur deshalb fiel ihr ein Hosenwechsel nicht auf. Vermutete sie einfach mal. Sie eilte...