Franke | Das Haus der Geschichten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Franke Das Haus der Geschichten

Roman.
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-96122-053-3
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman.

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-96122-053-3
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit seinem Leihkater Poseidon lebt Marvin Heider in einer sanierungsbedürftigen Berliner Altbauwohnung. Dank eines unerwarteten Jobangebots findet er sich plötzlich als Gehilfe eines geheimnisvollen alten Buchhändlers wieder. Dieser betreibt im Keller seines Antiquariats die 'narratorische Apotheke' - er sammelt Geschichten, die den Leser auf ungewöhnliche Reisen mitnehmen, an Orte jenseits des Gewohnten. Schon bald kann auch Marvin sich der Faszination dieser Geschichten nicht mehr entziehen ... Ein kreativer Roman mit einer überraschenden Reise zum Sinn des Lebens.

Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem Träger für Menschen mit Behinderung tätig. Als leidenschaftlicher Geschichtenschreiber ist er nebenberuflich Autor von Büchern. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. www.thomasfranke.net Foto: © Studioline Erlangen
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Frau Linder

„Ein blasses, überirdisch schönes Gesicht erschien dicht unter der Oberfläche des spiegelglatten Bergsees. Nebelschwaden strichen über das Wasser wie die liebkosenden Finger eines gestaltlosen Riesen. Das Gesicht hatte entfernte Ähnlichkeit mit … Cate Blanchett. Langsam ließ Marvin die Hand auf die Wasseroberfläche gleiten. In diesem Moment drang wie aus weiter Ferne eine Stimme an sein Ohr. Ein Gesang brach sich Bahn! Ein Gesang aus einer anderen Welt …“

„Always look on the bright side of life …“

Das Bild vor seinen Augen verschwamm.

„Wie? … Was?“, nuschelte Marvin.

„Always look on the bright side of life …“, wiederholte der Sänger mit geradezu unverschämter Fröhlichkeit. Schrill zerriss die blecherne Stimme die zarten Gespinste seiner Träume, sodass sie zerstoben wie Butterblumensamen, mit denen der Wind spielt.

Super Plot … Ich muss … zurück …, schoss es Marvin durch den Kopf, während er den blechernen Gesang zu verdrängen suchte, um nach den losen Fäden seines brutal abgeschnittenen Traumes zu greifen. Doch die genialen Ideen zogen sich mit erschreckender Geschwindigkeit in die tiefsten Sphären seines Unterbewusstseins zurück. Wie war das gleich noch? Nebelschwaden … geheimnisvoller See … überirdisch schönes Gesicht …

„Always look on the bright side of life …“

„Mist!“ Mühsam versuchte Marvin, seine verklebten Augenlider einen Spaltbreit zu öffnen. Gleichzeitig ließ er seine Hand schwungvoll auf den Radiowecker zusausen, der auf seinem Schreibtisch stand … und traf die Nachttischlampe, die daraufhin, einen Stapel Bücher mit sich ziehend, zu Boden ging. Der Wecker gab indessen ein fröhliches Pfeifen von sich.

„Mist!“

Es gelang Marvin, seinen Kopf ein paar Zentimeter zu heben und über die Bettkante hinweg nach den Leuchtziffern zu schielen – 8 Uhr! Wieso meldete sich das dämliche Teil mitten in der Nacht? Er hämmerte seine Faust auf die Power-Taste des akustischen Ärgernisses, ließ sich seufzend in die Kissen fallen und kämpfte sich zurück in seinen Traum.

… ein blasses, überirdisch schönes Gesicht erschien dicht unter der Oberfläche des spiegelglatten Sees. Nebelschwaden strichen über das Wasser …

Das plötzlich einsetzende grelle Klingeln ließ sein Herz einen Sprung machen und riss ihn mit brutaler Gewalt aus den Federn. Ein altmodischer mechanischer Wecker schrillte gnadenlos und ausdauernd auf einem Stapel Bücher in der gegenüberliegenden Ecke des Zimmers.

Nach einem weiteren lauten, aber leider völlig ergebnislosen Fluch taumelte Marvin müde aus dem Bett. Die blanken Dielenbretter des Bodens saugten die Wärme aus seinen nackten Fußsohlen. Nicht gerade sanft schaltete er das antike Erbstück seiner Großmutter ab.

„… also, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, … überirdisch schönes Gesicht“, murmelte er vor sich hin und wandte sich schlurfend zurück in Richtung Bett. Sein Fuß berührte die warme Matratze, und er erinnerte sich an weiches, duftendes Gras in einem stillen Hochtal. Dann klingelte sein Handy im Flur.

Ein unartikuliertes Knurren ausstoßend, machte Marvin kehrt, manövrierte seinen noch halb schlafenden Körper um einen Haufen zerknüllter DIN-A4-Seiten herum und wankte in den Flur. Sein Handy lag auf der Flurkommode auf einem Stapel Briefe. Nachdem er die Weckfunktion seines Mobiltelefons ausgeschaltet hatte, fand er eine Botschaft auf einem Notizzettel – in seiner eigenen Handschrift.

„Stell dir das Gesicht von Frau Linder vor und lies den folgenden Brief!“

Marvin überflog den in kühlem Beamtendeutsch verfassten Text und sein Erinnerungsvermögen kehrte allmählich zurück.

„Okay“, sagte er zu sich selbst, „alles klar, ich bin wach! … Wie viel Zeit habe ich noch?“

Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass noch zwanzig Minuten blieben, bis er losmusste. Leider zu wenig für eine heiße Dusche. Bis die altersschwache Heizungsanlage um diese Zeit einigermaßen warmes Wasser zu ihm hinauf in den vierten Stock gepumpt hatte, konnte gut und gerne eine halbe Stunde vergehen. Kostengünstige Altbauwohnungen hatten mitunter so ihre Nachteile, vor allem, wenn man Wärme liebte.

Nachdem Marvin hastig die Worte „Nebelsee“, „Wassernymphe“ und nach einem kurzen Gedanken an Frau Linder auch noch „finstere Herrscherin“ auf einen Zettel geschrieben hatte, eilte er ins Bad. Obwohl er das Fenster die ganze Nacht offen gelassen hatte, roch es noch immer nach Raubtierhaus. Dafür herrschte eine gefühlte Temperatur von ungefähr 5 Grad. Hastig streute Marvin etwas Katzenstreu über ein längliches bräunliches Gebilde, das im handbemalten Katzenklo unter dem Waschbecken prangte. Es war erstaunlich, welche Unmengen an Ausscheidungen der Verdauungstrakt eines so dürren Katers innerhalb nur einer Nacht produzieren konnte. Seit Käthe Wischnewski, Marvins 84-jährige Nachbarin, ihm vor ungefähr vier Monaten das Tier zur Pflege überlassen hatte – wenn er sich recht erinnerte, waren ihre Worte: „Nur für ’n paar Tage, mein Junge. Ick hab da ’n janz reizenden Witwer aus Bayern kennenjelernt. Josef heißta. Der spendiert mir ’n Wochenendurlaub am Alpenrand. Da konnt ick doch nich Nee sajen“ –, verzauberte das edle Geschöpf die gesamte Wohnung mit dem hauchzarten Aroma von Pumakäfig. Kein Wunder, dass seine Nachbarin es nicht eilig hatte, aus Bayern zurückzukommen. Wenigstens hatte sie vor sechs Wochen eine Karte geschickt: „Schöne Grüße aus dem herrlichen Oberbayern. Der Josef ist ein ganz feiner Mann. Ich bleib noch ein wenig. Grüß mir den Poseidon. Käthe.“

Seufzend griff Marvin nach der Eisenstange, die zu dem kleinen Fenster am Ende des schmalen Lichtschachtes führte, und schloss es notdürftig. Wie bei vielen Berliner Altbauten hatte man das im Nachhinein eingebaute Bad von der Küche abgezweigt und hinter die Speisekammer gesetzt. Licht und Frischluft drangen nur durch einen schmalen Schacht über der Decke der Kammer in den Raum.

Leider schloss das Fenster nicht richtig, sodass stets ein kühler Windzug durch den Raum wehte und durch den daumendicken Spalt zwischen Tür und Fliesenboden pfiff. Während Marvin sich zähneklappernd einer hastigen Katzenwäsche unterzog, appellierte er an sich, auch die guten Seiten zu sehen. Gerade im Sommer hatte seine Pankower Zweiraumwohnung durchaus Vorteile. Da alle Fenster ziemlich exakt nach Norden ausgerichtet waren und zudem auf einen engen, durchgehend schattigen Hinterhof führten, blieb es selbst bei tropischen Außentemperaturen angenehm kühl. Außerdem hatte er teilweise noch schönen, alten Stuck an den Decken und genug Platz für seine Bücher.

Als Marvin, notdürftig gewaschen, in die Küche kam, begrüßte Poseidon ihn mit einem vorwurfsvollen Maunzen. Es war Marvin ein Rätsel, wie man ein so wasserscheues Tier wie einen Kater ausgerechnet nach dem Meeresgott der griechischen Mythologie benennen konnte, aber Käthe Wischnewski hatte recht schnippisch erwidert: „Weil er so schön seidijet Fell hat, natürlich!“

Immer wieder musste Marvin feststellen, dass er irgendwann sprachlos dastand, wenn er sich mit Frauen unterhielt – egal, ob es sich um ältere Damen, attraktive Kommilitoninnen oder die hübsche Aushilfe in der nahegelegenen Stadtbibliothek handelte. Wahrscheinlich war er deshalb immer noch Single.

Während der Kater um seine Beine strich, nahm Marvin eines der sündhaft teuren, mit goldfarbener Folie überzogenen Katzenfutterdöschen aus dem Schrank. Premium-Katzenfutter – delikate Thunfisch-Spezialität mit Karotten und Rucola-Spitzen für die Katze mit dem wählerische Gaumen.

„Ich hoffe, du bist dir bewusst, dass du die teuersten Blähungen der Katzengeschichte in meine Wohnung entlädst“, brummte Marvin, während er seinem Gast die Morgenmahlzeit auf einer geblümten Untertasse darbot. Die Fressgewohnheiten des edlen Tieres schmälerten sein ohnehin schon eher dürftiges Budget nicht unerheblich, aber was sollte er machen? Poseidon fraß nichts anderes. Er hatte es ausprobiert. Aber nach beinahe eineinhalb Wochen Hungerstreik hatte das störrische und mittlerweile recht magere Tier schließlich die Oberhand gewonnen.

Marvins hastiges Frühstück bestand im Wesentlichen aus Instant-Espresso extrastark sowie einem eilends hinuntergeschlungenen Kanten Graubrot mit Margarine. Nach einer letzten liebevollen Ermahnung an den Mitbewohner: „Denk daran: Die Ecke hinter dem Sofa ist kein Pissoir!“, schnappte er sich seine Bewerbungen, stopfte sie in den Rucksack und hastete die Treppen hinab. Im Hof schwang er sich auf sein Fahrrad. Noch fünfundzwanzig Minuten bis zu seinem Termin.

Während Marvin im Eiltempo auf die Agentur für Arbeit zusteuerte, gingen ihm recht trübsinnige Gedanken durch den Kopf: In zwei Wochen würde er seinen dreißigsten Geburtstag feiern. Die meisten Menschen, die dieses Alter erreicht hatten, suchten sich ihre Haustiere selbst aus. Sie waren zudem oftmals in verantwortungsvollen Berufen tätig, verdienten eine Menge Geld, hatten funktionierende Partnerschaften und einen Führerschein … Und Marvin? Was konnte er von alledem vorweisen?

Es war ein Jammer!

Zu allem Überfluss hatte am Vortag auch noch der letzte Verlag eine Absage geschickt. Damit war das Projekt „Schattenklinge“ endgültig gestorben. Manchmal wünschte er sich, er hätte diesen dämlichen Schreibwettbewerb damals nicht gewonnen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen....


Franke, Thomas
Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem Träger für Menschen mit Behinderung tätig. Als leidenschaftlicher Geschichtenschreiber ist er nebenberuflich Autor von Büchern. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. www.thomasfranke.net

Foto: © Studioline Erlangen

Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem Träger für Menschen mit Behinderung tätig. Als leidenschaftlicher Geschichtenschreiber ist er nebenberuflich Autor von Büchern. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. www.thomasfranke.net

Foto: © Studioline Erlangen



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