Fox | Leuchten am Meeresgrund | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Fox Leuchten am Meeresgrund

Aus dem Logbuch der ersten Tiefsee-Expedition
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-534-61031-0
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Aus dem Logbuch der ersten Tiefsee-Expedition

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-534-61031-0
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sommer 1934. Die Meeresbiologin Gloria Hollister sitzt an Bord eines Schiffes in der Nähe der Atlantikinsel Nonsuch, mit einer Hand presst sie einen Hörer ans Ohr, mit der anderen schreibt sie fieberhaft in ein Notizbuch. Die Telefonleitung reicht über 900 m tief ins Meer hinab. Dort unten baumelt an einem Stahlseil eine Tauchkugel, in der William Beebe zusammengekauert sitzt. Durch winzige Fenster blickt er in die fremde Unterwasserwelt. Aufgeregt beschreibt er fantastische Kreaturen und wundersame Licht- und Farbeffekte.  ? Brad Fox verknüpft Wissenschaftsgeschichte mit dem Bericht der ersten Tiefsee-Expedition und der ganz persönlichen Geschichte ihrer Teilnehmer. Er stützt sich dabei auf die Logbücher der Expedition - und lässt uns so teilhaben an der Begegnung mit dem Unbekannten. 

Der Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Brad Fox lebt in New York. Er studierte und lehrte an der City University of New York. Für seine Forschungen über die Bathysphäre erhielt er Stipendien der Futures Initiative und der Dr. Louise Lennihan Foundation. 'Leuchten am Meeresgrund' wurde mit dem National Book Foundation's Science and Literature Award 2024 ausgezeichnet.
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1. Der erste Blick


Acht Kilometer südlich von Nonsuch


Gloria Hollister schreibt mit.

Am späten Vormittag des 11. Juni 1930 dümpelt ein Lastkahn namens Ready vor der Küste der Insel Nonsuch auf den Bermudainseln, an Bord das Team des Instituts für Tropenforschung. Männer in Overalls und weißen Matrosenmützen scharen sich um eine Stahlkugel von knapp anderthalb Meter Durchmesser – die Bathysphäre –, während eine gewaltige Winde sie von Deck hebt. Die Männer stabilisieren die Kugel, als sie nach außen schwenkt und über dem Meer baumelt. Sie hat drei kreisrunde Löcher, die wie Augen eng zusammenstehen. Wie die Tauchkugel da am Kabel hängt, scheint sie aus den Bullaugen auf das unruhige Wasser hinabzublicken.

An Deck beobachtet Gloria Hollister, wie die Windenarbeiter die Kugel ins Meer hinablassen. Als sie spritzend eintaucht und in die Tiefe sinkt, setzt sie sich, nimmt ein Notizbuch zur Hand und macht sich bereit.

An diesem Tag ist ihr dreißigster Geburtstag.

Fotos zeigen sie mit konzentriertem Gesichtsausdruck, Kopfhörern und einer kleinen Sprechmuschel um den Hals, die das Aussehen eines alten Jagdhorns hat. Sie drückt ihr Kinn an die Brust, während sie zuhört und spricht und erste Notizen macht. Das Kabel läuft über den Rand des Decks und verschwindet im Wasser, angeschlossen an die sinkende Bathysphäre, die jetzt in die Tiefen des Ozeans vordringt.

In der Kugel kauern zwei dünne Männer, beschäftigt mit der Erfüllung verschiedener Aufgaben: Otis Barton und William Beebe. Sie mussten buchstäblich dünn sein, denn die Öffnung, durch die sie in die Tauchkugel klettern, ist weniger als 50 Zentimeter breit. Barton, der die Kugel entworfen und ihre Herstellung beaufsichtigt hatte, überwacht die Dichtung der 180 Kilogramm schweren Tür, die Sauerstofftanks, die für acht Stunden Atemluft sorgen, und die Schachteln mit Atemkalk, der das ausgeatmete Kohlendioxid absorbieren soll. Er überprüft die Telefonbatterie und das Gebläse, das die Luft umwälzt.

Er ist aufbrausend, eifersüchtig und leidet unter Seekrankheit.

Während die Tauchkugel sinkt, wird es im Inneren immer kälter. Wasser kondensiert an der Kugeldecke, tropft herunter und bildet Pfützen am Boden.

Zwei 7,5 Zentimeter dicke Quarzglasfenster sind in die Kugel eingelassen. Es sollten eigentlich drei sein, aber eine der Quarzglasscheiben war fehlerhaft gewesen, sodass die Öffnung mit Stahl verschlossen werden musste.

Beebe, seines Zeichens Ornithologe und Ökologe, hält sich so nah an den Gucklöchern wie möglich. In seinem Entzücken über die Unterwasserwelt ist ihm vollkommen bewusst, dass er gerade Zeuge von etwas wird, das noch nie ein Mensch gesehen hat. Der dynamische Mann mit der ansteckenden Begeisterung hat bereits Berühmtheit erlangt: durch die Bücher, in denen es um seine Reisen um die Welt auf den Spuren von Fasanen ging, und durch eine Expedition in den Himalaya und einen lebensgefährlichen Ausflug zu einem Vulkanausbruch auf den Galapagosinseln. Er ist 52 Jahre alt, glatzköpfig, knochig und x-beinig. Mit dünner, aber würdevoller Stimme vermeldet er seine Beobachtungen während des Hinabsinkens. Er war schon überall auf der Welt, spricht aber noch immer mit dem Akzent seiner Heimat, des Bundesstaates New Jersey; worlds und birds klingen bei ihm wie woylds und boyds.

Die Windenarbeiter wickeln das Kabel ab, und als die Bathysphäre weiter in die Tiefe gleitet, verändert sich allmählich das Licht. Die warmen Töne der Erdoberfläche werden vom Wasser absorbiert. In 30 Meter Tiefe hält Beebe eine rote Farbtafel in die Höhe und stellt fest, dass sie vollkommen schwarz erscheint. Fische schwimmen in der kühlen Klarheit der Grün- und Blautöne des Wassers vor den Bullaugen ins Blickfeld. Beebe beschreibt Hollister, was er sieht; sie hält alles fortlaufend in ihrem Notizbuch, dem Logbuch, fest:

100 ft (30 m)

Rot weg, Farbtafeln schwarz.

Fingerhutquallen.

200 (61)

Pilotfische um Köder, 15 cm lang, reinweiß mit 8 pechschwarzen Bändern.

250 (76)

Kein Rot oder Gelb im Sonnenlicht.

Mehr Quallen, wieder Schwanz von Pilotfisch zu sehen.

300 (91)

Otis sah Pilotfisch, Fisch an der Oberfläche vielfarbig, wirkt aber weiß.

400 (122)

Zwei Salpenkolonien.

Garnelen wirken reinweiß.

500 (152)

Transparenter Fisch, nur Nahrung sichtbar.

550 (168)

Temperatur 24 Grad. Große Weidenblattlarve.

Viele Cavolinia. Mehrere Laternenfische.

650 (198)

Lichtblitze in der Ferne.

800 (244)

Ziemlich düster. Messrad zeigt 237 nm.

900 (274)

Mehrere Wolken aus kleinen Garnelen.

Großer Serrivomer.

Licht aus.

Während die Bathysphäre in die Tiefe sinkt, setzt sich dieses Zusammenspiel fort: die Verschiebung des Spektrums, bis die Welt außerhalb der Stahlkugel blau ist, blau und sonst nichts, langsam in Schwarz übergehend, aber immer noch erleuchtet von einer merkwürdigen Helligkeit, die Beebe nicht in Worte fassen kann. Der Scheinwerfer der Bathysphäre schickt einen trüben Strahl durch die Quarzglasscheiben, doch hier, in 300 Meter Tiefe, verliert er sich schnell.

Der Strahl erlischt, und das Wasser ist erfüllt von Mini-Explosionen. Winzige Garnelen. Beebe hatte gesehen, wie sie in Netzen hochgezogen wurden, leblos. Jetzt konnte er sie zum ersten Mal in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten, wo sie die schwarze Tiefe mit raschen Oxidationsvorgängen einer Chemikalie in ihrem Körper erleuchten, der Luciferase.

Als die Explosionen aufhören, kommt das seltsame Leuchten zurück, und es ist, als hätte es im Universum nie eine andere Farbe gegeben. Beebe ist sich sicher, dass die Helligkeit zum Lesen reicht, doch als Barton ein Blatt Papier hochhält, erkennt er kein einziges Wort. Beebe dreht sich wieder zum Bullauge, beobachtet und spricht weiter, und Hollister an Deck füllt eifrig die linierten Seiten des Logbuchs:

1050 ft (320 m)

Schwärzer als die schwärzeste Nacht und doch hell leuchtend.

Luft herrlich. 20 kleine Fische, könnten Argyropelecus sein.

1100 (335)

Dicker, rattenschwänziger, langer, fahlweißer, grenadierfischartiger Fisch mit sechs Leuchtorganen um Schlauchkrümmung geschwommen.

1150 (351)

Lichtstrahl deutlich zu sehen – Licht an.

1200 (366)

Idiacanthus. Zwei Astronesthes.

1250 (381)

Fisch 13 cm lang, geformt wie Stomias

Garnelen 7,5 cm, ganz weiß.

Argyropelecus in Lichtstrahl.

2 leuchtende fahlweiße Quallen.

1300 (396)

6 bis 8 Garnelen. 50 bis 100 Lichter wie Glühwürmchen.

Kleiner Kalmar im Lichtstrahl,

scheint keine Leuchtorgane zu haben, ging runter zum Köder.

Cyclothones. Garnelen 5 cm.

1350 (411)

Licht sehr blass.

Temp. 22 Grad. Messrad zeigt 403 nm.

1400 (427)

Blick gerade nach unten, sehr schwarz.

Schwarz wie die Hölle.

Dann ein kräftiger Lichtblitz. Wie ein Blitzlicht, das etwas vor dem Fenster erleuchtet. Was hat das verursacht? Er kann nichts außer Garnelen und Quallen erkennen, aber eine Gestalt hat sich in seine Netzhaut eingebrannt.

Es war eine dicke, aalartige Kreatur, mit spitzen Zähnen. Beebe hat ein weit geöffnetes Maul gesehen, kleine, scharfkantige Zähne wie Nägel in einem Brett, doch mit klaffendem Maul. Was für ein Grauen hatte er da gerade erblickt? Ein kurzer Schaltfehler im Getriebe der Realität hatte ihn in einen Albtraum aus fluoreszierendem Reißen und Knirschen katapultiert. Und dann war es auch schon vorbei, und er war wieder in der Tauchkugel. Draußen die vertrauten Wellenbewegungen der Quallen.

Genug. Beebe weist Hollister an, der Besatzung zu sagen, es sei an der Zeit, sie wieder an die Oberfläche zu ziehen. Als sie bis auf 50 Meter aufgetaucht sind, kann die Mannschaft das Gefährt unter Wasser erkennen.

Die Windenarbeiter holen die Bathysphäre an Bord und lösen die Bolzen, damit die Männer in die Nachmittagssonne, das fast fremde Tageslicht hinausklettern können. Beebe streckt seine knotigen Knie und stampft mit den

Füßen auf das Bootsdeck. Er blickt auf die sanften Hügel von Bermuda in der Ferne und weiß, dass etwas in ihm sich ein für alle Mal verändert hat. Später würde er versuchen einzuordnen, was genau das war. Es hatte etwas mit dem Licht zu tun, das er gesehen hatte.

Das Gelb der Sonne, schrieb er, »kann von nun an nie mehr so herrlich sein, wie es das Blau sein kann«.

Einband des Log of the Bathysphere, 1932.

Eine Seite aus dem Logbuch.

Durchsichtige Körper


Gloria Hollister begann schon als kleines Mädchen, die Unterwasserwelt zu erkunden, indem sie mit einem aus einer Ölkanne und einem Luftschlauch gebastelten Helm in den Mahwah River hinabtauchte.

Sie machte sich einen Namen durch die...


Fox, Brad
Der Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Brad Fox lebt in New York. Er studierte und lehrte an der City University of New York. Für seine Forschungen über die Bathysphäre erhielt er Stipendien der Futures Initiative und der Dr. Louise Lennihan Foundation. "Leuchten am Meeresgrund" wurde mit dem National Book Foundation’s Science and Literature Award 2024 ausgezeichnet.

Der Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Brad Fox lebt in New York. Er studierte und lehrte an der City University of New York. Für seine Forschungen über die Bathysphäre erhielt er Stipendien der Futures Initiative und der Dr. Louise Lennihan Foundation. "Leuchten am Meeresgrund" wurde mit dem National Book Foundation's Science and Literature Award 2024 ausgezeichnet.



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