E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Forstner / Lesch Wie Bildung gelingt
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8062-4100-6
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Gespräch
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-8062-4100-6
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie gelingt Bildung? Neue Impulse in einer wichtigen Gesellschaftsdebatte
„Wir müssen uns bilden und nicht ausbilden lassen!“ - „Wir sollten Menschen und nicht Fächer unterrichten!“ An diesen provokanten Forderungen erkennt man sofort: Harald Lesch brennt für das Thema Bildung. Der Physiker, Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator deckt in seinem Diskussionsbuch „Wie Bildung gelingt. Ein Gespräch“ die Ursachen der seit fast zwei Jahrzehnten bestehenden Bildungskrise auf. Zusammen mit den Philosophen Ursula Forstner und Wilhelm Vossenkuhl entwickelt Lesch neue Ideen und überraschende Impulse für ein Umdenken in Schulen und Universitäten.
- Naturphilosoph und exzellenter Erklärer: Lesch vermittelt zentrale Thesen der Bildungsdebatte unterhaltsam und pointiert.
- Bildung statt Ausbildung: Warum die Persönlichkeitsentwicklung Vorrang vor reiner Informationsweitergabe haben sollte
- Wege aus der Bildungskrise: Wie können wir Fehlentwicklungen, wie etwa aus der Bologna-Reform, rückgängig machen?
- Ungewöhnliche Erzählform: Dialog zwischen Lesch und dem britischen Philosophen Alfred North Whitehead - ganz in sokratischer Tradition!
- Reform-Forderungen an die Bildungspolitik: konkrete Vorschläge für eine zukunftsfähige Schulpolitik
Streitschrift für einen Perspektivwechsel in der Bildungsdebatte
Intensiv, kurzweilig und anregend diskutieren Lesch, Forstner und Vossenkuhl Whiteheads Thesen zur Erziehung und Bildung des Menschen und erörtern didaktische Zusammenhänge. Sie fordern ihre Leser dazu auf, das Schul- und Bildungssystem grundsätzlich in Frage zu stellen und neu zu denken.Die Autoren sehen großes Potential in der Förderung von Neugier, Originalität, Fantasie und Risikobereitschaft. Daher sind nicht nur MINT-Fächer, sondern auch Kunst, Musik und Sport mit ihren kreativ-sozialen Eigenschaften zentrale Bestandteile von Bildung. Dieses Buch richtet sich nicht nur an Pädagogen und Wissenschaftler. Es liefert wichtiges Hintergrundwissen und überzeugende Argumente zur aktuellen Bildungsdebatte für alle bildungspolitisch interessierten Leser!
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Gespräche über Bildung
Gott oder Bildung?
Whitehead: Sehen Sie, Sie haben es geschafft!
Forstner: Ja, auch wenn ich zwischendurch fast nicht mehr daran geglaubt habe.
Whitehead: Aber Sie haben es trotzdem weiter versucht, und Sie haben es geschafft.
Forstner: Ja, und ich habe Ihnen wieder ein Gespräch mitgebracht.7
Whitehead: Wunderbar, ich sehe schon, Sie haben auch wieder dieses erstaunliche Gerät dabei. Und damit haben Sie mir ein Gespräch aus Ihrer Zeit aufgezeichnet? – Wir wollten über Gott reden, nicht?8
Forstner: Ja, wollten wir – und ja, ich habe Ihnen ein Gespräch mitgebracht, aber leider nicht über Gott.
Whitehead: Ah, da drückt der Schuh. Sollte er aber nicht! Es gibt so viele Themen, so viele Interessen, so viele Möglichkeiten, wie sollte man sich da schon Monate vorher auf irgendeine einzelne Frage festlegen?
Forstner: Na ja, die Gottesfrage ist ja nun nicht irgendeine Frage.
Whitehead: Das sicherlich nicht, aber ich nehme mal an, dass es da ein anderes Thema gibt, das Ihnen gerade wichtiger ist?
Forstner: Ja …
Whitehead: … dann sollten Sie auch dazu stehen! Vielleicht habe ich es bisher noch nicht deutlich genug gesagt: Ich freue mich wirklich über Ihre Besuche, und jeder neue Impuls ist mir willkommen. Also, worüber wollen wir reden?
Forstner: Was mich derzeit umtreibt, ist der Schulwechsel meiner Tochter von der zweiten Klasse einer Montessorischule in die dritte Klasse einer Regelschule.
Whitehead: Sie wollen mit mir über Schule reden?
Forstner: Über Bildung.
Whitehead: Bildung? Ich muss zugeben, das verblüfft mich jetzt doch etwas, dass Sie darüber ausgerechnet mit mir reden wollen. »Zeit«, »Gott« – das sind ewige Themen, zu denen auch ein Vorgestriger wie ich immer noch etwas zu sagen hat. Aber Bildung?
Forstner: Sie haben einiges zu Erziehung und Bildung gesagt und geschrieben.
Whitehead: Das schon, aber das ist für jemanden, der nahezu sein gesamtes Leben an englischen und amerikanischen Universitäten verbracht hat, keine besondere Leistung. Außerdem ist alles, was ich dazu gesagt und geschrieben habe, auf das englische Bildungswesen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts gemünzt. Ich glaube wirklich nicht, dass das noch irgendeine Bedeutung für Ihre Gesellschaft hat.
Forstner: Ich schon! Und nicht nur ich: Ihre Aufsatzsammlung »The Aims of Education« ist erst vor wenigen Jahren in meine Sprache übersetzt worden und hat durchaus Beachtung gefunden.
Whitehead: Wirklich? Nun, Evelyn war ohnehin der Meinung, dass das mit das Beste war, was ich je geschrieben habe.9
Forstner: Eine kluge Frau!
Whitehead: Ja, das war sie – auch wenn sie in den akademischen Kreisen meiner Generation nicht als gebildet galt, zumindest nicht im klassischen Sinne.10 Darunter hat sie sehr gelitten …
Forstner: … und da sind wir doch schon mitten im Thema!
Whitehead: Also gut, überredet. Versuchen wir’s!
Forstner: Dann darf ich die Aufnahme starten?
Whitehead: Ich bitte Sie darum.
Whitehead weiß gar nicht, was Bildung ist
Wunderbar! Ich hoffe, dass das Ding gut aufnimmt und ich lege es vor allen Dingen nahe zum Willi: Ja, dann wollen wir mal gucken. Für alle Beteiligten …
Whitehead weiß eigentlich gar nicht, was Bildung ist, weil es das Wort im Englischen gar nicht gibt.
Nur das Wort »education«.
Ja, »education« …
… das bedeutet »Erziehung« – und aber auch »Bildung«.
Ja, aber »Bildung« im Deutschen und »Paideia« im Griechischen, das gibt es im Englischen nicht. Aber er hat es gut umschrieben …
»Eigentlich weiß Whitehead gar nicht, was Bildung ist«, das ist doch schon mal ein Anfang.
Forstner: Oh, Entschuldigung, das war …
Whitehead: … nicht für meine Ohren bestimmt, oder?
Forstner: Nein, natürlich nicht, das ist mir wirklich peinlich. Ich dachte, ich hätte diese Stelle gelöscht.
Whitehead: Ich bin froh, dass Sie das nicht haben.
Forstner: Dann wollen Sie auf diesen Vorwurf antworten?
Whitehead: Selbstverständlich, auch wenn ich es gar nicht als Vorwurf empfinde, denn er hat recht. Aber verraten Sie mir vorher noch, wer da recht hat?
Forstner: Den einen kennen Sie bereits: Professor Harald Lesch.
Whitehead: Ja, die eine Stimme kam mir bekannt vor, schon fast vertraut. Schön, dass Sie ihn wieder mitgebracht haben. Die andere Stimme kenne ich aber noch nicht, oder?
Forstner: Nein, die gehört Professor Wilhelm Vossenkuhl. Er ist Philosoph wie Sie.
Whitehead: »Herzlich willkommen!« würde ich jetzt gern sagen.
Forstner: Warum auch nicht! – Prof. Vossenkuhl meint also, Sie wüssten gar nicht, was Bildung ist.
Whitehead: Weiß er es denn so genau? Auch wenn seine Sprache hier vielleicht wirklich mehr hergibt als das Englische.
Forstner: Sie meinen, auch mit dem deutschen Wort »Bildung« anstelle des englischen »education« ist noch nicht gesagt, um was es wirklich geht?
Whitehead: Ja, das meine ich. Es soll ja Menschen geben, die in Worten und Begriffen denken.11 Ich für meinen Teil musste für meine Gedanken und Ideen immer erst mühsam nach Worten suchen.12 Wenn ich dann endlich einen vermeintlich passenden Begriff gefunden hatte, war es mir stets ein Bedürfnis, diesen noch mal zu interpretieren, zu ergänzen oder auch wieder zu ändern, damit ich wenigstens halbwegs meine Ideen beschreiben konnte.
Forstner: Heißt das, Ihre Gedanken und Ideen sind größer als unsere Begriffe?
Whitehead: Ja, sicher! Aber nicht nur meine, sonst würden wir alle ja nur noch einzelne Begriffe von uns geben und jede Erklärung, jedes Gespräch hätte sich erübrigt. Das wäre schade!
Forstner: Ja, so gesehen … Sie halten also nichts von der einen gültigen und verbindlichen Definition für einen Begriff, sodass jeder weiß, worum es geht?
Whitehead: Das halte ich tatsächlich für ein lebensfernes Ideal. Sprache verändert sich, erneuert sich, und das ist großartig, aber auch anstrengend, weil man immer wieder erklären muss, was man wie meint.
Forstner: Wenn wir jetzt zurück zur Bildung gehen, welche Begriffe gehören da auf jeden Fall dazu, um Ihre Ideen und Gedanken vollständig ausdrücken zu können?
Whitehead: Mit der Vollständigkeit ist das so eine Sache … Aber ich brauche auf jeden Fall noch eine Reihe weiterer Begriffe, angefangen von »Wissen« und »Information« über »geistige Entwicklung« bis hin zur Begriffen wie »Kultiviertheit«, »Stil« und »Weisheit«. – Mit den letzten drei können Sie womöglich in Ihrer Zeit nicht mehr viel anfangen, oder?
Forstner: Na ja, Kultiviertheit und Stil: Ich weiß nicht so recht … Aber bei Wissen und Weisheit können wir sofort in das Gespräch zwischen Prof. Vossenkuhl und Prof. Lesch einsteigen.
Vossenkuhl und Lesch wissen nicht, was Wissen ist
Wir haben ja schon mal – ich weiß nicht, ob du dich noch erinnerst – so einen wunderschönen Abend damit verbracht, auseinanderzuklamüsern, was der Unterschied zwischen Wissen und Weisheit ist.13
Ja, stimmt!
Das war …
…unvergessen!
Ich weiß noch, dass ich dasaß und dir mit offenem Mund zuhörte, weil ich mir vorher, ehrlich gesagt, so noch nie Gedanken darüber gemacht hatte. Und der Unterschied ist ja ziemlich dramatisch!
Natürlich, ja! Und der Unterschied ist nicht nur deswegen gewaltig, weil man nicht so genau weiß, was Wissen eigentlich ist.
Aha!?
Und weil man auch nicht so genau weiß, was Weisheit eigentlich ist. Beides ist ja etwas schillernd. Aber man weiß vermutlich mehr über die Weisheit als über das Wissen.
Whitehead: Da haben Sie es! Mit bloßen Begriffen können auch meine Kollegen nichts anfangen. Wissen, Weisheit, Bildung: Das steht nicht für sich selbst, das müssen wir...




