E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: Julia
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: Julia
ISBN: 978-3-7337-6962-8
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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2. KAPITEL Am Montag nach der Willkommensparty in der Schule stellte Skip seinen Pick-up neben dem Prius auf der Einfahrt seines neuen Hauses ab und stieg aus. Gestern hatte die Umzugsfirma die Möbel gebracht, und heute würden er und Becky die Umzugskisten auspacken. Über die Motorhaube lächelte er Becky an. „Tja, da sind wir. Unser neues Zuhause.“ Er hoffte sehr, dass ihr das Haus, die Insel und die Schule, auf die sie nach den Sommerferien gehen würde, gefielen. Immerhin machte sie schon mal große Augen, als sie das Haus zum ersten Mal sah. „Es ist riesig! Ich war noch nie in einem so großen Haus! Wohnen wir da ganz allein drin?“ „Nur wir beide.“ Im Moment jedenfalls. Skip konnte natürlich nicht in die Zukunft sehen, aber er hoffte sehr, dass er und die Nachbarin von gegenüber irgendwann Freundschaft schließen würden. Um Beckys willen. Und vielleicht ergab sich dann ja mehr daraus … Auf einmal war ihm Beckys Staunen etwas peinlich. Immerhin war dies hier nur eins der drei Häuser, die er besaß – und nicht einmal das größte. „Wenn du dich draußen etwas umsehen willst, nur zu. Ich fange schon mal an, auszupacken. Komm einfach rein, wenn du Lust hast.“ Dankbar lächelte sie ihn an. „Gern. Es ist so still hier. Ich wusste vorher gar nicht, dass mir das so gut gefällt.“ „Du meinst die viele Natur?“ „Ja.“ Staunend betrachtete sie einen Buntspecht, der auf einen Baumstamm in der Nähe einhämmerte. Skip erwiderte ihr Lächeln. „Das hier ist zwar nur eine kleine Insel, und sie ist 1892 einmal komplett abgebrannt – daher der Name. Aber die Natur hat sich den Ort zurückerobert, und jetzt gibt es hier wieder mindestens genauso viele Tiere wie früher. Viel Spaß beim Entdecken.“ Damit ging er die Verandastufen hinauf. Auch er hatte vorher gar nicht gewusst, wie sehr er die Insel vermisst hatte. Wie im Traum ging Becky über das Grundstück. Alles war so grün und riesig, und die Luft roch frisch und nach Salz. Manchmal konnte sie noch gar nicht glauben, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte. War es wirklich erst zehn Monate her, dass ihr Dad sie gefunden hatte? Ihr richtiger Dad … Er war so cool. Freundlich und geduldig und einfach nett. Ganz anders als ihr anderer Dad. Ihn vermisste sie kein bisschen – aber dafür ihre Mom. Kaum zu fassen, dass diese jetzt schon vier Jahre tot war. Becky versuchte, sich die Frau vorzustellen, die sie so sehr geliebt hatte – ihre blonden Haare und ihr liebevolles Lächeln. Wie sie ihr beim Einschlafen vorgelesen oder bei den Hausaufgaben geholfen hatte. Doch das Bild blieb verschwommen, als würde sie ihre Mutter durch dichten Nebel sehen. Und an die Stimme konnte sie sich überhaupt nicht mehr erinnern. Vielleicht war es ja besser so. Wenn sie nicht mehr wusste, wie ihre Mutter aussah, dann konnte sie vielleicht auch jenen schrecklichen Tag vergessen. Sie hob den Kopf und merkte, dass sie schon recht weit in den dichten Wald hineingelaufen war. Konzentrier dich auf dein neues Leben. Denk nicht an damals. Becky kam in den Vorgarten. Auf der anderen Seite der Straße führte ein langer Feldweg zu einem Holzhaus. Ein Kind saß auf der Türschwelle. Auf der Suche nach neuen Freunden überquerte Becky die Straße und ging den Feldweg hinauf. „Hi!“, rief sie, als sie näherkam. Das Mädchen trug Shorts und ein rosafarbenes T-Shirt und hatte lange, dunkle Zöpfe. Becky schätzte es auf sechs oder sieben. Weil die Kleine etwas verängstigt aussah, stellte sie sich gleich vor. „Ich bin Becky. Ich wohne gegenüber.“ Aus großen braunen Augen sah die Kleine sie an. Ihr Mund bewegte sich, doch sie sagte nichts. Becky setzte sich neben sie und ihre Barbiepuppen. „Ich hatte auch mal eine Prinzessin-Barbie“, sagte sie und griff nach der Puppe mit der kleinen Krone. „Aber das ist schon lange her. Dann ist meine Mom gestorben, und ich habe die Prinzessin irgendwo verloren.“ Becky ließ die Barbie ein paar Tanzschritte machen und summte dazu. Das Mädchen schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Wie heißt du?“, fragte sie. „M-m-michaela.“ „Ein schöner Name“, bemerkte Becky und überhörte das Stottern. „M-m-meine Mom und ich g-g-ehen gleich z-z-u den B-b-bienen. Willst du m-m-itkommen?“ „Bienen?“ Becky sah sich um. „Gibt es hier irgendwo einen Bienenstock?“ „Ja. M-m-meine Mom v-v-erkauft den Honig.“ „Oooh – dann gehören diese weißen Bienenkästen euch?“ Die Augen des Mädchens strahlten. „Ich … kann … Mom fragen … ob du … mitkommen … darfst.“ „Hey, das wäre cool.“ Hinter ihnen ging die Tür auf. „Michaela?“ Eine schlanke Frau in Jeans und T-Shirt blickte auf sie hinunter. Das Mädchen sprang auf und nahm ihre Hand. „Mom, das ist B-b-b-ecky. Sie ist unsere N-n-nachbarin.“ Becky sprang auf. „Ich wollte nicht stören, Ma’am.“ „Tust du auch nicht.“ Die Stimme der Frau war warm und weich. Sie strich dem Mädchen übers Haar, und Becky dachte daran, wie ihre Mutter das immer bei ihr gemacht hatte.“ „B-b-becky gefällt die P-p-prinzessin-Barbie am besten, g-g-genau wie mir.“ „Sprich langsam, Schatz.“ Becky lächelte. „Ich bin auch immer aufgeregt, wenn ich neue Leute kennenlerne.“ Die Frau schien sich zu entspannen. „Ich bin Addie Malloy.“ „Und ich bin Becky Dalton.“ Jetzt runzelte die Frau auf einmal die Stirn. „Du bist die Tochter von Skip Dalton?“ „Ja.“ Ist das schlimm? „Kennen Sie ihn?“ Die Frau starrte sie so lange an, dass Becky ganz warm wurde. Dann blickte sie zu ihrem Haus und sah auf einmal wirklich böse aus. „Ja, ich kenne Mr Dalton.“ Au weia, die neue Nachbarin mochte ihren Dad offenbar nicht. Aber warum? Becky trat den Rückzug an. „Ich muss jetzt gehen. Mein Dad fragt sich bestimmt schon, wo ich stecke. Tschüss, Micky.“ „Sie heißt Michaela. Den Spitznamen Micky mag sie nicht“, korrigierte die Frau kühl. „Oh. ’Tschuldigung.“ Becky beeilte sich, die Stufen hinunterzukommen. Was für ein Pech – ein nettes Mädchen mit einer unausstehlichen Mutter. Aber so war es ja immer. Vielleicht stotterte Michaela ja deshalb: Sie sehnte sich nach Freunden, aber ihre Mutter ließ niemanden an sie heran. Becky warf einen Blick über die Schulter zurück. Die beiden waren nicht mehr zu sehen, und sie rannte so schnell sie konnte nach Hause. Skip war dabei, das große Doppelbett ans Fenster zu schieben, damit er jeden Morgen als Erstes die hohen Bäume sah, die sein Grundstück umstanden. Er hörte die Haustür zuschlagen und kurz darauf seine Tochter die Treppe hinaufkommen. „Dad?“ Wie immer, wenn Becky ihn so nannte, konnte er sein Glück kaum fassen, dass seine Tochter ihn so schnell als Vater akzeptiert hatte. Wie hatte er damals sein ungeborenes Kind einfach so aufgeben können, nur weil sein Vater ihn dazu gedrängt hatte? „Ich bin hier!“, antwortete er. Mit geröteten Wangen stürzte Becky ins Zimmer. „Ich habe die Nachbarn von gegenüber getroffen – Mrs Malloy und ihre Tochter Michaela.“ Verflixt. „Hey, sag das nächste Mal Bescheid, wenn du das Grundstück verlässt, okay?“ „Warum? Stimmt irgendetwas nicht mit ihnen?“ Unbehaglich sah sie zum Fenster. „Nein. Aber wir wohnen hier ziemlich weit draußen, deshalb würde ich gern wissen, wo du steckst. Dann brauche ich mir nicht ständig Sorgen zu machen.“ „Jesse hat es nie gekümmert, wo ich hingehe.“ Jesse Farmer, ihr Adoptivvater. „Ich bin aber nicht Jesse, Liebes.“ Skip machte einen Schritt auf sie zu und strich ihr die Ponyfransen aus dem Gesicht. „Sieh mal, ich bin ja noch nicht so lange Vater, also hab ein wenig Geduld mit mir, okay? Wenn ich manchmal zu besorgt bin, dann nur, weil du mir so viel bedeutest.“ Becky zuckte die Achseln, dann ging sie zu den offenen Kartons, die in einer Ecke standen. „Ich glaube sowieso nicht, dass wir Freunde werden.“ „Ach nein?“ „Mrs Malloy ist nicht sehr nett.“ „Wie, nicht nett?“ Hatte sie seiner Tochter etwa die Tür vor der Nase zugeschlagen? „Na ja, sie wirkt ziemlich zugeknöpft. Vielleicht, weil ihre Tochter stottert oder so.“ Er hatte davon gehört, dass Addie ein Kind hatte und geschieden war. „Woher weißt du, dass sie stottert?“ „Sie hat vor dem Haus gespielt, und wir haben uns über ihre Barbies unterhalten, als ihre Mutter rauskam.“ „Oh.“ „Die Kleine ist wirklich nett. Und ziemlich schüchtern. Sie hat riesige braune Augen. Wahrscheinlich ist ihre Mutter so überbesorgt, weil sie wegen des Stotterns oft gehänselt wird. Hey, vielleicht können wir sie ja mal zum Essen einladen und …“ „Langsam, langsam.“ Skip hob die Hände. „Eins nach dem anderen. Wir müssen hier erst mal Ordnung schaffen.“ Und vor allem musste er vorher Kontakt zu Addie finden. „Warum warten wir nicht noch ein paar Tage, bis wir alles eingeräumt haben? Du hast dir ja noch nicht mal dein neues Zimmer angesehen.“ Was ihm deutlich zeigte, wie wichtig Becky Nachbarn und Freunde waren....