Fohl | Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: Zeitgeschichtliche Kriminalromane im GMEINER-Verlag

Fohl Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8392-6556-7
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: Zeitgeschichtliche Kriminalromane im GMEINER-Verlag

ISBN: 978-3-8392-6556-7
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, gibt es kaum noch Fluchtmöglichkeiten für die Verfolgten. Als einziges Transitland bleibt nur noch Portugal. Doch der Diktator Salazar verschärft die Einreisebedingungen drastisch. Erschüttert vom Leid der Menschen, die aus allen von Deutschland besetzten Ländern nach Bordeaux flüchten und nun zu Tausenden vor seinem Konsulat warten, stellt sich Aristides de Sousa Mendes gegen das Verbot der portugiesischen Regierung. In einer ungeheuren Kraftanstrengung erteilt der Konsul Visa für 30.000 Flüchtlinge, bis er selbst wegen Ungehorsams nach Portugal zurückbeordert wird.

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Flucht in den Süden
Die deutschen Truppen umgingen die Maginot-Linie, marschierten in Frankreich ein und eroberten in rasender Geschwindigkeit den Norden des Landes. Die Reichswehr machte auch vor Paris nicht Halt. Die französische Regierung und alle Zeitungsredaktionen waren bereits nach Bordeaux umgesiedelt. Ich wusste, Pétain und Laval wohnten im Rathaus, und De Gaulle ganz in der Nähe des Konsulats im Hôtel Majestic. Telefonate über Telefonate, eine Flut von Telegrammen, die das Unvorstellbare bestätigten. Millionen von Menschen flüchteten vor den deutschen Soldaten in Richtung Süden, darunter fast eine Million Pariser und Emigranten. Sie flohen zu Fuß, auf Fahrrädern, in randvollen Zügen, in überladenen Autos, mit Menschen, die auf den Kotflügeln oder über den Gepäckträgern angegurtet waren. Mehrere Kolonnen reihten sich aneinander, oft zusammen mit Militärkonvois. Die Autofahrer standen im Stau. Viele hatten Pannen oder kein Benzin mehr. Sie ließen den Wagen und die meiste Habe stehen, nahmen einen kleinen Koffer mit Wäsche und gingen wie die Mehrheit zu Fuß weiter, fort von den Verfolgern und der Todesgefahr, Richtung Süden. Immer mehr Menschen kamen in den unbesetzten Teil Frankreichs, Offiziere und Widerstandskämpfer, verfolgte Schriftsteller und Intellektuelle, unter ihnen einige, die von den Nazis zum Tode verurteilt waren, sowie unzählige jüdische Flüchtlinge aller Gesellschaftsschichten. Alle, die vor den Nazis nach Frankreich geflohen waren, machten sich erneut auf den Weg, um ihnen zu entkommen. Die Menschen flüchteten nicht nur aus Paris und Nordfrankreich, von überall aus den besetzten Ländern hatten sie sich auf den Weg gemacht, sie kamen aus Deutschland, Holland, Belgien, Polen, der Tschechoslowakei und Österreich in die nicht besetzten Regionen Frankreichs. Die Deutschen jagten die Flüchtlinge, Tiefflieger bombardierten und beschossen die Kinder, Frauen und Männer, Bomben, Granaten und Maschinengewehrsalven sprengten die Flüchtlingskarawanen auseinander. Die Menschen suchten in den Straßengräben und Wäldern Schutz. Viele hatten es nicht geschafft. Die Schreckensberichte erschütterten mich so tief, dass mir schwindlig wurde. Im Konsulat brachen Diskussionen aus über das, was uns erwartete. Alle Flüchtlinge hatten nur ein Ziel: Frankreich so schnell wie möglich zu verlassen, um nach Portugal zu gelangen. Inzwischen war es ihre letzte Chance, über Portugal zu entkommen, der einzige Weg, der für sie noch offen stand und ihnen die Tore nach Übersee öffnete. Die Flüchtlinge strömten nach Bordeaux. Die Bevölkerung hatte sich mindestens vervierfacht. Tausende Verfolgte, Vertriebene, zum großen Teil Jüdinnen und Juden, kamen täglich in die Stadt und standen vor meinem Konsulat! Ein vereinbartes Treffen mit Andrée hatte ich trotz ihrer Schwangerschaft vergessen. Ich vergaß es. Wie sollte ich es nicht vergessen in der Situation, in der ich mich befand, einer Situation, die meinen Kopf bis zum Bersten mit Fragen und Anforderungen füllte und meine Gefühle durcheinanderwirbelte. Ich blickte aus dem Fenster, sah die Menschenmasse, sah Flüchtlinge in zerfetzter Kleidung, sah in ihre von der Angst um ihr Leben gezeichneten Gesichter, sah Fahrzeuge, in deren Karosserien von Granatsplittern hineingerissene Löcher aufklafften. Menschen über Menschen drängten sich auf dem Platz. Sie glichen einem Ameisenhaufen in Panik. Ich ging hinunter, mischte mich unter sie, hörte von Ereignissen, die ich nicht für möglich gehalten hatte, hörte, was sich hinter dem Wort KZ verbirgt, hörte von Willkür, Folter, Erschießungen. Plötzlich hämmerte in meinem Kopf der Gedanke: Allen diesen Menschen stand nur Grausames bevor, sie lebten in Erwartung einer Katastrophe, die über sie hereinbrechen würde, und ich, Aristides de Sousa Mendes, Generalkonsul in Bordeaux, war eine ihrer letzten Chancen, den Nationalsozialisten zu entkommen. Es war eine Situation, die ich bislang nicht erlebt hatte. Ich war direkt konfrontiert mit dem Krieg und seinen Auswirkungen, ich stand Flüchtlingen gegenüber, die immer mehr in die Enge getrieben waren, die um ihr Leben fürchteten. Ich allein sollte ihnen helfen. Druck, was sich in mir ausbreitete, war Druck, angefüllt mit meinem Mitleid und der Erkenntnis, nicht helfen zu können. Es war nicht möglich. Ich kannte die politischen Verkettungen Portugals und Salazars Einstellung zu Juden, die versuchten, nach Portugal zu kommen. Mir waren die Hände gebunden! * Salazar beabsichtigte, die Neutralität Portugals aufrechtzuerhalten. Hätte er sich entschieden, die Alliierten zu unterstützen, wäre das Land von den Deutschen überfallen worden. Hätte er sich offen mit den Deutschen verbündet, wären Englands Truppen in Portugal gelandet. Als schwacher Nachbar Spaniens benötigte Portugal zudem die Bindung an die Briten, um Francos Wunsch nach einer Vormachtstellung im gesamten iberischen Raum entgegenzutreten. Bei allem Abwägen war eines eindeutig: Salazars Sympathie galt Franco, Mussolini und Hitler. Für Salazar war das Dritte Reich eine Schutzmacht gegen die Russen. Er agierte allerdings mit Vorsicht, denn es gab Pläne Deutschlands, die iberische Halbinsel zu besetzen. Salazar hasste die Juden nicht aus rassistischen Gründen, er wollte dennoch keine jüdischen Flüchtlinge im Land, er sah Staat und Regime durch eine Massenimmigration nach Portugal und seinen Kolonien bedroht. Vor allem die Amerikaner und Briten hatten versucht, europäische Juden in der Kolonie Angola oder anderen portugiesischen Kolonien anzusiedeln. Salazar hatte entschieden abgelehnt. Zudem verschlechterten sich Jahr für Jahr die Einreisebedingungen. Mir war das nicht entgangen, ich war ja tagtäglich damit beschäftigt, Passvergabe- und Einreiserichtlinien zu verfolgen und befolgen. Heute, in der Rückschau, kann ich sagen: So vieles war vorhersehbar, aber Politiker, Diplomaten und Beamte dachten nur an sich selbst, jeder bekam immer neue Verordnungen in die Hand, die er ohne Schaden zu nehmen erfüllte, auch wenn die Bestimmungen Menschen ins Unglück stürzten und gefährdeten. Wir erkannten, dass sich etwas zusammenbraute, wir hatten dunkle Ahnungen. Niemand sprach darüber, lieber nicht denken an das Elend und die Bedrohung derjenigen, die Hilfe brauchten, lieber alle Anordnungen befolgen, zum Wohle seiner selbst und des Vaterlandes. Ich saß wie alle Konsuln auf meinem Posten und führte die Verordnungen aus. Ich nahm die zunehmende Abschottung Portugals hin, wenn auch nicht mit einem gleichgültigen Achselzucken, sondern mit wachsender Skepsis, die schließlich in Missmut umschlug. Der Weg bis dahin war lang. Die Bestimmungen hatten sich kontinuierlich zu Ungunsten der Juden entwickelt. Es ist ein wenig mühsam, all die Veränderungen und Verschärfungen aufzuführen und nachzuvollziehen, ich kann und will mich nicht in komplizierten Sachverhalten verlieren, sondern nur die überschaubaren Fakten benennen. Dies aber ist unumgänglich, sonst lässt sich nicht verdeutlichen, was sich sukzessive abspielte und mich in meinem Wirken immer stärker einschränkte. Bis 1938 benötigten viele Nationalitäten, auch jüdische Deutsche und Österreicher, nur einen Reisepass für die Einreise. Seit 1936 waren vermehrt Juden mit gültigem Reisepass eingereist, den die deutsche Gesandtschaft in Lissabon jedoch oft nicht verlängerte. Daraufhin nahm die portugiesische Polizei die meisten der eingereisten Juden fest und wies sie wieder aus. Diejenigen, die bleiben konnten, erhielten keine Arbeitserlaubnis mehr, auch nicht als Selbstständige. 1938 nahm die Emigration nach Portugal weiter zu. Deutschland unterstützte die Ausreise und organisierte Sammeltransporte. Zunächst hatten die Deutschen den Juden alle Pässe entzogen, dann stellten sie ihnen neue Reisepässe aus, die mit einem Sonderstempel »Ausgewandert« versehen waren. Sobald die Menschen Deutschland verlassen hatten, verloren die Pässe in Deutschland ihre Gültigkeit, was bedeutete, alle Juden waren von nun an staatenlos und konnten nie mehr in ihre Heimat zurück. Alle Juden mit Pässen und dem Stempel »Ausgewandert« benötigten von nun an ausnahmslos ein Visum der portugiesischen Konsulate. Das widersprach jeder rechtlichen Grundlage. Ein portugiesisches Visum war bis zu diesem Zeitpunkt nicht nötig, es gab keine Visapflicht zwischen Deutschland und Portugal. Zusätzlich war es Juden seit Neuem verboten, sich im Land niederzulassen. Wie alle Konsuln musste ich von nun an Visa ausstellen, und die Juden durften nur noch durchreisen. Bis hierhin hatte ich alle Anordnungen befolgt, bis hierhin tat ich meine Arbeit, wie sie mir aufgetragen war, auch, wenn meine persönlichen Bedenken wuchsen. Jeder Beamte auf der ganzen Welt wusste, welchem Druck die Juden in Deutschland ausgesetzt waren. Sie mussten das Land verlassen, so lange es ihnen noch irgendwie möglich war. Die einschränkenden Bestimmungen hielten die Flüchtlinge natürlich nicht ab. Ihre ausweglose Situation trieb immer mehr Menschen nach Portugal. Salazar reagierte mit weiteren drastisch verschärften Einreisebedingungen. Wenige Wochen nach Kriegsausbruch untersagte er allen Konsuln, selbsttätig und ohne Rücksprache Transitvisa auszustellen. Für jeden Antrag musste ich nun nach Lissabon telegrafieren, um die Erlaubnis und die Bestätigung des Außenministeriums einzuholen. Die meisten Anträge, die ich per Fernschreiben nach Lissabon schickte, blieben unbeantwortet, niemand kümmerte sich um ihre Bearbeitung, als sei alles sofort abgeheftet oder im Papierkorb gelandet, wenn überhaupt eine Antwort...


Fohl, Dagmar
Dagmar Fohl absolvierte ein Studium der Geschichte und Romanistik in Hamburg und arbeitete als Historikerin und Kulturmanagerin. Heute lebt sie als freie Autorin in Hamburg und schreibt Romane über Menschen in Grenzsituationen. Psychologisch fundiert zeichnet sie Seelenzustände ihrer Protagonisten mit ihren Lebens- und Gewissenskonflikten, und beleuchtet gleichzeitig die gesellschaftlichen Verhältnisse und Probleme der jeweiligen Epoche, in der ihre Protagonisten agieren.



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