E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Förster / Rauchfleisch / Möhring Pink Christmas 8
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-86361-730-1
Verlag: Himmelstürmer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Andere Weihnachtsgeschichten
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
ISBN: 978-3-86361-730-1
Verlag: Himmelstürmer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Pink Christmas erscheint nun schon im 8. Jahr!
Und da sich diese Geschichten so gut als Weihnachtsgeschenk eignen, bringen wir sie nun auch in diesem Jahr wieder als Hardcover heraus.
Zum 20jährigen Bestehen des Verlages haben wir nun auch Autoren, die bisher noch nicht bei uns vertreten waren, die Gelegenheit gegeben, sich mit einer Kurzgeschichte vorzustellen.
Natürlich sind auch wieder viele Autoren des Himmelstürmer Verlags mit ihren ganz persönlichen Weihnachtsgeschichten dabei.
Herausgekommen ist eine bunte Mischung, voller Romantik, Erotik und auch mit durchaus kritischen Betrachtungen.
Spannend, mitfühlend oder manche auch hoch erotisch!
Das ideale Weihnachtsgeschenk für Leser des Besonderen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Eine nicht alltägliche Weihnachtsüberraschung
„Lasst mich gehen! Ich habe doch nichts Böses getan! Hilfe! So helft mir doch!“ Röchelnd brach Alozie in sich zusammen, wurde aber brutal von den beiden Uniformierten, die ihn links und rechts festhielten, zur Mitte des riesigen Platzes weitergeschleppt – es schien Alozie ein Platz in Enugu zu sein, wo er aufgewachsen war. Rundherum drängten sich Tausende von Menschen. Keiner kam Alozie zu Hilfe. Sie starrten ihn vielmehr hasserfüllt an und schienen sich an seinem Leiden sogar noch zu weiden. In der Mitte des Platzes war eine riesige Tribüne, auf der die Richter und die höchsten Politiker von Enugu saßen, vor denen Alozie sich zu verantworten hatte. Er sank auf die Knie und bat inständig um Gnade. Er habe doch nichts Böses getan. „Ich bin einfach so. Bitte lasst mich gehen und so leben, wie ich bin.“ Bei diesen Worten begannen die Schaulustigen zu schreien: „Das ist ein Perverser!“ und skandierten: „Tö-tet ihn! Tö-tet ihn!“ Voller Entsetzen sah Alozie, dass die Richter nickten und damit sein Todesurteil besiegelt war. Er versuchte sich von seinen Bewachern loszureißen und wollte schreien. Es kam aber nur ein Röcheln über seine Lippen und bleierne Schwäche verunmöglichte jegliche Bewegung. Mit einem Aufschrei erwachte Alozie. Er war in Schweiß gebadet. Seit Monaten kam dieser oder ein ähnlicher Traum und raubte ihm Nacht für Nacht den Schlaf. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es erst halb zwei war. Die beiden anderen Männer, der eine aus Eritrea, der andere aus Syrien, mit denen er im Asylzentrum in Basel das Zimmer teilte, schliefen tief. Der eine, Alozie glaubte, es war der Eritreer, schnarchte laut. Wenn Alozie diese Albträume hatte, war für längere Zeit an Schlaf nicht mehr zu denken. Die grauenvollen Szenen, in denen er wegen seiner Transsexualität dem Spott und dem Hass der Öffentlichkeit preisgegeben und dafür bestraft wurde, standen ihm nach dem Erwachen oft noch stundenlang vor Augen. Da war es nur ein geringer Trost, dass er durch seine Flucht aus Nigeria dem realen Tod entgangen war. Immer wieder dachte Alozie: In Afrika hätte ich den Tod nur einmal erlebt und es wäre alles vorbei gewesen; hier in Europa aber durchleide ich in den Albträumen tausend Tode! Schon etliche Male hatte Alozie überlegt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Es war einfach zu viel für ihn. Er ertrug die Angst nicht länger. Die Gefühle der Hoffnungslosigkeit und der Ohnmacht hatten sich noch verstärkt, als er bei einer erneuten Befragung von einer Mitarbeiterin der Migrationsbehörde vor ein paar Wochen erfahren hatte, dass seine Chance, als Asylsuchender in der Schweiz anerkannt zu werden, „praktisch Null“ sei. „Sie können uns viel erzählen, was Ihre angebliche Transsexualität betrifft“, hatte sie missbilligend gemeint. „Das kann jeder sagen. Außerdem sind wir nicht überzeugt, dass Sie deshalb in Nigeria verfolgt würden. Zumindest droht Ihnen sicher in Ihrem Heimatland keine Gefahr, wenn Sie Ihre Veranlagung – falls Sie die wirklich haben – für sich behalten. Niemand zwingt Sie, als Frau in der Öffentlichkeit herumzulaufen. Und was Sie in Ihren eigenen vier Wänden tun, interessiert niemanden. Das alles wird nicht reichen für die Anerkennung als Asylsuchender. Ich möchte Sie nur jetzt schon darauf hinweisen. Nicht, dass Sie am Ende entsetzt sind, wenn der negative Entscheid kommt und Sie ausgeschafft werden.“ Alozie war wie vor den Kopf geschlagen, als er dies erfahren hatte. Und dann noch dieses schreckliche Wort, das die Schweizer in solchen Situationen verwendeten: „ausschaffen“! Vorher hatte er noch die Hoffnung gehabt, die Behörden würden verstehen, dass er als Transsexueller nicht in Nigeria leben konnte, wo doch schon Homosexualität hart bestraft wurde. Die Polizei in seinem Heimatland machte keinen Unterschied zwischen Homosexualität und Transsexualität. Von Trans hatten sie eigentlich überhaupt keine Ahnung. Die Gerichte empfanden Transsexualität höchstens als etwas noch Perverseres als Homosexualität und gingen noch härter dagegen vor. Nun lag Alozie in seinem Bett in der Asylunterkunft und starrte voller Angst in die Dunkelheit. Auch hier hatte er sich niemandem anzuvertrauen gewagt, weil er nicht wusste, wie die anderen Asylsuchenden auf das Thema Transsexualität reagieren würden. Nach dem letzten Gespräch mit der Mitarbeiterin der Migrationsbehörde war er in seiner Verzweiflung kurz davor gewesen, sich seinem Zimmerkollegen aus Eritrea gegenüber zu outen. Um zu sondieren, wie dessen Einstellung wohl sein könnte, hatte Alozie ihm von einem angeblichen Kollegen erzählt, der schwul sei und deshalb in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt habe. Als der Mitbewohner das Wort „gay“ gehört hatte, hatte er ausgespuckt und voller Abscheu gesagt, er hoffe, dieser Schwule werde von den Schweizern wieder in sein Heimatland abgeschoben, „damit die ihm in seiner Heimat zeigen, was solch eine perverse Sau verdient hat.“ Sein Mitbewohner hatte voller Befriedigung hinzugefügt, dass vor einiger Zeit ein Schwuler aus Afghanistan in der Asylunterkunft, in der sie hier in Basel lebten, von mehreren Flüchtlingen zusammengeschlagen worden sei. Alozie hatte eine so negative Reaktion nicht erwartet und war entsetzt zurückgewichen. Er war froh, dass er nichts über sich erwähnt hatte. Er hatte sich also nicht getäuscht, als er vermutet hatte, auch bei seinem Mitbewohner nicht auf Sympathie und Unterstützung zählen zu können. Und heute kommt der Weihnachtsabend, was die Leute hier den „Heiligen Abend“ nennen, dachte Alozie bitter und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Wie anders war dieser Tag vor einem Jahr gewesen, als er in Nigeria mit seinen Eltern, seinen Geschwistern und den beiden Tanten, die bei ihnen lebten, den Abend vorbereitet hatte! Alozie dachte an die Arbeiten in der Küche, wo sie Yams, Kartoffeln, Mais, Fufu aus Maniok und Kochbananen, verschiedene Gemüse und Hühner zum Grillen vorbereitet hatten. Er erinnerte sich an Körbe voll herrlicher Früchte, Mango, Papaya, Orangen, kleine süße Bananen und Kokosnüsse und viele andere exotische Früchte. Schon etliche Tage vor Weihnachten hatten die Frauen begonnen, leckere Kuchen zu backen. Das ganze Haus hatte nach den köstlichen Speisen geduftet. Das alles lag weit hinter Alozie und kam ihm jetzt nach einem Jahr wie ein ferner Traum vor. Heute würde er den Weihnachtsabend hier in der schäbigen Asylunterkunft verbringen müssen, zusammen mit anderen Flüchtlingen, denen er nicht sagen durfte, weshalb er Nigeria verlassen hatte. Wie sollte da so etwas wie Weihnachtsstimmung aufkommen? Alozie beschloss, am Vormittag in die Stadt zu gehen und ein bisschen durch die weihnachtlich geschmückten Straßen im Zentrum von Basel zu bummeln. Vielleicht würde ihm das guttun. Und vielleicht würde er sich ja auch einen Tee – und unter Umständen sogar noch ein Stück Kuchen – in einem Tearoom leisten können? Dann könnte er dort einige Zeit in der Wärme sitzen, ehe er am späten Nachmittag wieder in die Asylunterkunft zurückginge. Tatsächlich hellte sich Alozies Stimmung beim Bummel durch die Freie Straße mit den vielen weihnachtlich geschmückten Geschäften und beim Gang durch die Altstadt etwas auf. Es war schön, die vielen Angebote in den Schaufenstern zu bewundern. Gleichzeitig war es aber auch bitter zu wissen, dass er von all dem ausgeschlossen war: Er war in Basel ein bis auf Widerruf geduldeter Fremder, ohne Familie, ohne Geld und mit seinen 18 Jahren fern der vertrauten Heimat in einer aussichtlosen Situation! Trotz dieser trüben Gedanken wollte Alozie seinen ursprünglichen Plan, noch einen Tee und ein Stück Kuchen in einem Tearoom zu genießen, in die Tat umsetzen, ehe er sich auf den Weg zurück ins Asylzentrum machte. In der Nähe vom Bahnhof SBB fand er den Tearoom „Le Train Bleu“, in dem sich um diese Zeit nur wenige Gäste aufhielten. Alozie suchte sich einen Tisch am Fenster und schaute dem emsigen Treiben auf dem Bahnhofsvorplatz zu, während er den warmen Tee und den köstlichen Apfelstrudel mit heißer Vanillesauce genoss. Plötzlich schreckte Alozie auf. Er musste eingeschlafen sein und war nun von dem Gelächter und dem lauten Gespräch einer afrikanischen Familie aufgewacht, die am Nebentisch Platz genommen hatte. Alozie traute seinen Ohren nicht, als er hörte, dass die Eltern und die beiden Kinder, ein etwa 16-jähriges Mädchen und ein vielleicht 18-jähriger Sohn, Ibo sprachen. Wie lange hatte er seine Muttersprache nicht mehr gehört! Dies erfüllte ihn einerseits mit unwahrscheinlicher Freude und er fühlte sich diesen ihm eigentlich fremden Menschen plötzlich sehr nah. Andererseits durchfuhr ihn aber auch ein Schreck bei dem Gedanken, sie könnten, wie manche seiner Landsleute, seine Veranlagung verurteilen. Als Alozie noch mit sich rang, ob er die Afrikaner ansprechen wolle oder nicht, beugte sich die Frau zu ihm hinüber und fragte ihn auf Ibo: „Du bist sicher aus Nigeria. Und sicher auch Ibo. Oder irre ich mich da?“ Alozie nickte. „Und sitzt am Nachmittag vor dem Weihnachtsabend hier trübsinnig vor deinem Tee und dem Apfelstrudel? Komm an unseren Tisch und erzähl uns, was du hier im kalten Basel machst.“ Alozie setzte sich an den Tisch der Familie und stellte sich vor. „Wir sind...