E-Book, Deutsch, 213 Seiten
Florian Alle Eulen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95757-295-0
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 213 Seiten
ISBN: 978-3-95757-295-0
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
FILIP FLORIAN, geboren1968 in Bukarest, arbeitete nach dem Studium der Geologie und Geophysik als Journalist für die Zeitschrift 'Cuvintul', anschließend für Radio Freies Europa und die Deutsche Welle. Er hat zudem mehrere preisgekrönte Romane verfasst und lebt in Bukarest. GEORG AESCHT, geboren 1953 in Siebenbürgen, arbeitete nach dem Studium der Germanistik und Anglistik als Lehrer.1984 wanderte in die BRD aus, und arbeitete als Redakteur bei der OKR. Neben publizistischer Tätigkeit übersetzt er u.a. Ion Agârbiceanu, Gabriela Adame?teanu, Lucian Boia, Norman Manea
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I
Zunächst fiel, nach Neujahr, das Glück vom Himmel. Wahrhaftig. Drei Tage lang schneite es dermaßen verrückt, dass die Straße und die Zäune verschwanden, die Autos aussahen wie schlafende weiße Wale und die Häuser zur Hälfte eingeschneit waren. Niemals habe ich einen längeren Tunnel gegraben als damals, als dieser Schneesturm tobte. Ich begann um die Mittagszeit, etwa zwanzig Minuten nachdem Mutter, vermummt wie am Pol, auf die Schippe hinter der Tür gezeigt und mich beauftragt hatte, den Weg zum Schuppen freizuschaufeln. Ob sie nun zum Schloss ging oder zu einer von diesen Etepetete-Damen mit Kopfschmerzen, jedenfalls entfernte sie sich langsam, ihr Mantel war weiß verschneit, sie spähte dauernd zurück, ob ich auch arbeitete, klein war sie, arg klein, watschelte wie ein Pinguin auf einer langgestreckten Landzunge, dann war sie nicht mehr zu sehen. Immerhin ließ ich die Schaufel nicht sofort fallen, sobald Mutter in den Schneewehen verschwand, sondern erst, nachdem ich die Dinge mit dem Mädchen im Nachbarhaus geregelt hatte. Die trug eine rote Daunenjacke, lehnte mit dem Gesicht in den Händen am Balkongeländer, rief mich nicht beim Namen, sondern nur mit »He Junge!« an und fragte, wieso ich Blödmann mich denn nicht an den Tunnel machte. Ich gestehe, ich schwieg und löste nur den Knoten des Schals, ich ging nicht mit Schneebällen zum Angriff über, weil ich fürchtete, wieder eine Fensterscheibe zu zerschmeißen, ich war drauf und dran, irgendeine Eselei loszulassen, da kam ich, bevor ich den Mund auftat, aber wirklich kurz davor, plötzlich drauf, dass die Locken, die unter ihrer Mütze hervorlugten, den gewellten Strähnen im Pelz von Zuri glichen. Ich hatte sie ziemlich oft gesehen in der letzten Ferienwoche, seit sie bei Bugiulescu zur Miete wohnte, allerdings war sie noch nie allein gewesen, und ich hatte sie mir auch noch nie richtig angeschaut. Hochgewachsen war sie, hatte eine Stupsnase und redete von oben herab mit mir, wohnte sie doch im Dachstübchen, wo der Wind den Schnee auf dem Dach verwirbelte. Sie schlug vor, wir sollten den Tunnel gemeinsam bauen, die eine vom einen, der andere vom anderen Ende, je ein Stück, ohne Ratschläge, ohne Hilfe, ohne Pause, ich gab zurück, ich sei kein Maulwurf und kein Regenwurm, auch keine Eidechse, sie lachte und sagte, es sei ganz und gar verboten, auch nur ein Wörtchen zu sagen, ehe wir uns in der Mitte treffen würden, wir sollten stumm sein, ich stützte mich auf den Schaufelstiel, versuchte grimmig dreinzuschauen, um sie zu erschrecken, sie lachte nicht mehr, erschrak aber auch nicht, wandte sich ab, dem Zimmer zu und sagte: »Dabei wollte ich dir was Wunderbares schenken …« Mir traten, erhitzt wie ich war, kalte Schweißperlen auf die Stirn, ich bat sie herunterzukommen, hörte meine Stimme und konnte nicht glauben, was ich da hörte, ich bat sie sogar, sie solle nicht böse sein und selbst entscheiden, wo wir anfangen sollten, und als sie mit einer blechernen Kehrichtschaufel auf der Treppe erschien, ließen die Kälte und die Hitze nach. Sie wählte eine geschützte Stelle, dirigierte mich fünf, sechs Meter nach unten zu einem Pflaumenbaum, und obwohl weder ihre rote Daunenjacke noch mein grauer Trainingsanzug an Tarnanzüge gemahnten, fiel mir eine Szene in einem Film mit zwei Soldaten im norwegischen Winter ein, die sich mit Zeichensprache darauf verständigten, eine Brücke zu sprengen. Ich rannte in die Küche, holte die verrostete Maurerkelle hervor, mit der wir die Asche aus den Öfen kratzen, hielt sie bei meiner Rückkehr hoch über dem Kopf wie eine Waffe, ging in die Hocke, zog einen weiten Halbkreis, stach einige Male in die vereiste Schneekruste, schnitt große, möglichst große Stücke heraus und warf sie wild in die Gegend. Als der Einstieg sich deutlich abzeichnete, stach ich weiter zu, drang vor zu weiteren Schichten, der Schnee war weder pulvrig noch mehlig, sondern gut verdichtet, eine Weile konnte ich meine gebückte Haltung und die Schaufelschwünge beibehalten, musste jedoch bald in die Knie gehen, weil die Grabungsstelle sich immer mehr zu einem Eingang in einen Bau verengte und eine andere Stellung nicht mehr möglich war. Während ich darauf achtete, dass die gewölbte Decke, höchstens einen Meter hoch, nicht einbrach, schluckte mich das Loch alsbald ganz, das Licht wurde fahl, eine merkwürdige Stille gellte in meinen Ohren, als wäre es gar keine, ich dachte an das Geschenk des Mädchens, es mochte ein Plüschbärchen sein, ein Schlüsselanhänger, eine Waffel, ein Bumerang, eine Zeitschrift, was auch immer. Ich dachte auch an Mutter, an ihre Sorge, dass der Weg zum Holzschuppen geräumt würde, und daran, wie sie mich durch das Schneegestöber beobachtet hatte, mir war egal, was sein würde, wenn sie nach Hause kam, ich schnitt Stück um Stück aus dem Schnee, führte die Batzen seitlich am Körper vorbei, schob sie mit den Füßen nach hinten, und wenn sich hinter meinem Rücken ein richtiges Häuflein angesammelt hatte, schaffte ich es nach draußen, damit ich mich nicht selbst einmauerte. Irgendwann stieß ich auf etwas Hartes, ich vermutete einen Stein, konnte ihn nicht herausbrechen, versuchte ihn freizulegen und gelangte an das eine Ende, rundlich wie ein Bachkiesel, das Ding ließ sich kaum bewegen, schließlich kriegte ich es mit Ach und Krach frei. Es war ein Knochen, ein Prachtstück von einem Knochen, ein Eisbein, das durch die Hölle der Küche gegangen war. Wie ich da auf dem Bauch lag, die Handschuhe völlig durchnässt, ging mir auf, dass Zuri ihn an Weihnachten versteckt haben mochte, als er satt war und keine Lust mehr hatte, an irgendwas herumzunagen. Jetzt aber, als ich still dalag, merkte ich, dass nicht nur die Handschuhe vor Nässe trieften, sondern alles an mir, als hätte ich im Regen oder im Dampfbad gestanden, Stunden um Stunden. Ich hatte geschwitzt wie ein Ackergaul, die Kleider hingen kiloschwer an mir herab, in den Stiefeln suppte es lauwarm, überdies hatte ich keine Ahnung, ob eine Viertelstunde oder das Zehnfache vergangen war. Ich kostete die Müdigkeit, die Erschlaffung der Arme und der Schenkel voll aus, sie schmeckte nicht bitter, also fuhr ich fort mit den mechanischen Bewegungen wie ein Getriebe, das nicht rundläuft, hin und wieder stottert, aber nie stehenbleibt. Der Schacht ging bereits über die vier Meter hinaus, ich fragte mich, wie viel er auf der Seite des Mädchens messen mochte und wie viel uns noch trennte, ich spitzte die Ohren in Erwartung eines Geräuschs, ständig tauchte ihr Gesicht vor mir auf, das allererste Bild, die schwarzen Augen im Flockenwirbel, die leicht geschwungenen Brauen, das Kinn in die Handflächen gebettet wie ein verfrorenes Kätzchen. Ich stellte mir vor, dass ihre dunklen Locken, wäre da nicht die wollene Strickmütze, ihr bis auf die Schultern fallen und alsbald weiß sein würden. Plötzlich hoffte ich mit einer Art Furcht, dass meine Gedanken in die Irre gelaufen waren, dass das Geschenk eigentlich keinerlei Abzeichen oder Äffchen, keine Musikkassette oder Mütze und auch kein Kreisel sein würde. Ich träumte von etwas Süßerem, einer sanften Berührung oder einem Küsschen, und da meinte ich in der Nähe, in nächster Nähe undeutliche Geräusche zu vernehmen. Ich ließ die Kelle liegen und begann ungeduldig mit den Fingern zu kratzen, manchmal hielt ich inne und spannte alle Sinne an, als hätte ich ein Trommelfell an den Lidern, in den Nüstern, an den Wangen. In dem Augenblick, als auch das letzte Stück Schnee fiel, der Tunnel durchstoßen war und die Finsternis schwand, hätte ich schreien mögen, da ja nun Schluss war mit Schweigen, aber der Schrei blieb mir im Hals stecken. Auf mich zu schoss Zuri, der Hund, schleckte mich ab wie verrückt und jaulte vor Glück. Ich jagte ihn weg und schätzte, weiterrobbend, dass ich etwa sieben Achtel gegraben hatte. Das Mädchen stand oben auf dem Balkon und warf mir eine Kusshand zu. Dabei legte sie noch nicht mal die Finger an die Lippen. Sie tat nur so.
Sodann, vor dem Heiligdreikönigstag, kam das Glück aus der Erde. Das geschah abends im Wald über dem Sammelbecken, wo eine Riesentanne entwurzelt wurde. Das Ächzen des Baumes und die Wucht des Aufpralls ließen mich hochfahren, den Vorhang aufreißen und in die Dunkelheit hinausspähen, allerdings sah ich nichts, obwohl es längst aufgehört hatte zu schneien und der Himmel sternenübersät war. Weder am Fenster, wo ich die Augen verengte und weitete in dem Versuch, wie eine Eule zu sehen, noch vor dem Ofentürchen, wo ich im Türkensitz Kartoffeln in der Glut briet, noch später im Bett, als ich versuchte einzuschlafen, um Vaters Schnarchen nicht mehr hören zu müssen, vermochte ich mir vorzustellen, dass das Glück aus der Erde sprießen könnte, ganz plötzlich, um mir gut zu sein. Vor dem Einschlafen waren mir nur ein paar Dinge klar: der grimmige Frost draußen, das Fauchen des Windes, der Rauch, der durch den Schornstein zurückgedrückt wurde und sich im Zimmer breitmachte, die unausstehliche Kälte unter der Bettdecke und die Tatsache, dass Vater tüchtig getrunken und sich in der Küche schlafen gelegt hatte, hinter der Wand zu meiner Linken. Morgens begriff ich auch alles Übrige, Schritt für Schritt, nachdem ich mir einen Kanten Brot gebrochen und zwei Scheiben Käse abgeschnitten hatte. Ich war allein zu Hause wie fast immer, seit mein Bruder zum Militär eingezogen worden war, ich biss lustlos vom Brot, noch gar nicht richtig wach, goss mir auch ein Glas Milch ein, betrachtete die Wolken, die übers Tal zogen, erspähte einen Tannenhäher mit gesträubtem Gefieder unter der Dachrinne der Nachbarn, dann entdeckte ich Bugiulescu an der Straßenlaterne, wie er, barhäuptig, den Schnee zu einem großen Haufen zusammenschippte. Die Familie aus dem Dachstübchen war abgereist, also hätte es, wenn ich schon dem dunkelhaarigen Mädchen keinen...




