Flöss / Schlorhaufer | Briefschaften | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Flöss / Schlorhaufer Briefschaften

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7099-7732-3
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-7099-7732-3
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Geschichte einer Beziehung zwischen Freundschaft und Liebschaft, von der Autorin und dem Autor gemeinsam in Briefdialogen erzählt. Die Briefpartner sind die etwa vierzigjährige, mit einem gefühlskalten Mann verheiratete Magdalena Samter und der einsame, verbitterte, besonders von der Liebe enttäuschte Rupert Findling, pensionierter Mathematiker im Versicherungswesen. In poetischen Schilderungen von Luft, Wolken und Vögeln, anschaulichen Ortsbeschreibungen, Erinnerungen, Reflexionen und kurzen Erzählungen spüren sie dem Lebensgefühl der Kindheit und des Alters nach, der Liebe und der Trauer. Außerdem schildern die Briefe der Frau eine schöne, ungewöhnlich enge Vater-Tochter-Bindung.
Im Verlauf des Briefwechsels entwickelt sich eine sehr vertrauliche, aber auch von Spannung geprägte Beziehung: Magdalenas Wunsch, dass er ihr den Vater ersetzen möge, stößt bei Rupert auf Unsicherheit, ja zunehmend auf Ablehnung: zu groß ist die erotische Anziehung, die sie auf ihn ausübt, zu sehr wird ihm durch die Tochter, die sie ihm sein möchte, sein Alter bewusst. Zuletzt aber holt sie ihn doch ein: Das Buch endet mit dem 33. Brief "Nenes" - ein Brief und eine Geschichte für jedes Jahr, das er ihr voraus hat.

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21. Juni
Lieber Rupert, in Ladinien sagt man, das Wetter schlägt um, wenn die Kinder lärmen. »Dà na tria, ruhig, Schlechtwettermacher!« rief Großmutter, die ich Lâ nannte, auf den Hof hinaus. Die letzte Fuhre des Tages ist eilig zusammengefaßt. Es dämmert bereits. Der Heubaum ist nachlässig gebunden. Ich rutsche mit dem Vierkantbalken vom Anhänger. Auf der linken Seite ist der Weg abschüssig. Der Heubaum donnert in die Schlucht. Er zerbricht am Felsen in drei Teile. Ich hänge an Vaters Arm, meine Knie schleifen auf dem Schotterweg. Ich will nicht Schlechtwetter machen, auch jetzt nicht, wo das Heu beinahe im Stadel ist. Viscio, fermè! Onkel Viscio hört meinen Vater nicht, aber das Krachen des Heubaumes. Viscio, halt! An Vaters Unterarm ist die alte Schußwunde aufgeplatzt. Vaters kaputter Arm ist schlimmer als die Angst vor den Traktorrädern. Ich schreie wegen des Blutfadens, der von seinem Ellbogen tropft. Vater reißt einen Heupolster vom Wagen und schiebt ihn mir unter den Kopf. Aus meinem Gesicht ist die Farbe verschwunden. Stolpert das Herz, Nene? Es stolpert, Vater. Ich habe ein stolperndes Herz. Mitralklappenprolaps. Fragen Sie Ihren Doktorfreund, was das ist, Rupert. Aber vielleicht wissen Sie es als Versicherungsmensch sogar selbst. Zumindest wie teuer ein Mitralklappenprolaps ist, werden Sie wissen. Diesmal heilt Großmutters Murmeltierfett Vaters Wunde nicht mehr. Manchem bricht der Krieg ein Leben lang auf. Der Danilo ist ein schwacher Mensch, jammert meine Großmutter über ihren Buben. Ich habe keinen schwachen Vater. Mein Vater ist zäh. Ich habe ihm seine Zähigkeit abgeschaut. Malan, malan, flucht Großmutter. Der Traktor ist des Teufels. Auch sie hat ein krankes Herz. »Mein Herz!« sagt sie und greift sich unter die linke Brust. Wenn Großmutter »Mein Herz!« sagt, muß man ihr nachgeben. Mama sagte: »Du bringst mich ins Grab!«; das war ärger als »Mein Herz!« Manchmal dachte ich, vielleicht bin ich ein Findling, und meine Mama ist gar nicht meine Mama. Den Gregor hatte man als Säugling im Kornfeld ausgesetzt. Das wußte er nicht. Ich hatte es hinter der Stubentür erlauscht. Ich würde nicht das boshafte Kind sein, das dem Gregor den Kuckuck nachruft. Ich hätte meine richtige Mutter gar nicht finden wollen. Ich hatte ja einen Vater. Daß ich seine Tochter war, bezweifelte ich nie. Gregors Eltern nahmen ein zweites Findelkind auf. Im Schulhof warnte Gregor seine Ziehschwester: »Wenn du nicht tust, was ich dir sage, Susi, dann geben wir dich wieder zurück!« Reihe null im Konzertsaal, Stühle A und B. Von der Reihe null aus kann ich Gidon Kremer fast berühren. Wie schön er mit der Violine im Arm geht; ganz weich in den Knien. Im Bretterboden, den man notdürftig für die Aufführung errichtet hat, steht ein Metallring vor. Er gehört in ein unbestimmtes Loch, das an einen Gully erinnert. Gidon Kremers Schuh kommt dem Stolperring gefährlich nahe. Ich schaue auf seine Schritte. Er setzt sie jeweils einige Zentimeter vor oder hinter den Metallring. Plötzlich ist der Ring herausgerutscht. Der Absatz von Gidon Kremers Schuh würde gerade in das Loch passen. Sein Schritt streift knapp daran vorbei. Keine Angst, ein so leichter Fuß kann nicht schwer stolpern. Gidon Kremers Mund gehört zu den sinnlichen. Menschen mit dicken Lippen habe ich immer beneidet. Das einzige, das ich von Mama hätte erben wollen, ist ihr dicker Mund. Ich habe ihr die Negerlippen nie gegönnt. Sie standen ihr irgendwie nicht zu. Früher mußte ich bei besonderen Ereignissen meine Hand in die Hand des Mannes neben mir legen. Auf dem Stuhl B in der Reihe null sitzt Josef Selwa. Nicht aufhören, Gidon Kremer! Nur jetzt nicht aufhören! Es fällt mir nicht ein, meine Hand in Josef Selwas Hand zu legen. »Du hast den Mumps vom Kindergarten gebracht und Vater mit deiner Schmuserei angesteckt«, schimpft Mama. Ihr sind zwei Patienten zuviel. Vater und ich liegen im Ehebett. Meine Geschwister dürfen nicht ins Zimmer. Wir trinken Tee aus der Thermoskanne und wetteifern um die Fiebergrade. Vater schwindelt sich auf einundvierzig fünf hinauf. Über der Zahl steht »fortissima«. Er hat das Quecksilber an die Wand der Teekanne gehalten. Wir schauen Bilder in den unebenen Verputz der Decke und erfinden Geschichten. Ich bin vor meinem Vater wieder gesund, stehe aber nicht aus dem Bett auf. Schade, daß wir mit unseren dicken Wangen nicht unter die Leute gehen können, Vater. Die dicke ist unsre Kußwange, Nene. Dick vom Küssen. Vater und ich haben die Kußkrankheit. Ich beschließe, wenn ich groß bin, heirate ich meinen Vater. Dein Vater ist aber schon verheiratet, mit deiner Mutter nämlich, sagt die schlaue Karin. Wenn ich groß bin, ist Mama tot. Karin gab jedes Jahr im Fasching ein Fest. Sie wohnte in einem richtigen Schloß. Wir waren dreiunddreißig maskierte Kinder. Ich war eine Zigeunerin. Am Abend holt mich Vater ab. Er küßt Frau von Hagen die Hand. Mein Vater hätte den besseren Schloßherrn abgegeben als Herr von Hagen, ein kleiner, dicklicher Mann und unscheinbar. Auch mir küßt Vater die Hand und den beiden anderen Mädchen, die auch Zigeunerinnen sind, nur nicht so schön wie ich. Mama putzte mich für die Einladung zu den vornehmen Leuten immer besonders fein heraus. Das Schloß liegt etwas außerhalb der Stadt auf einem Hügel. Wohlhabende Brixner haben ihre Villen darum herumgebaut. Vater hat sie die Kranebitterkönige genannt. Der Faschingssamstag ist ein trockener Wintertag und kalt. Auf dem Heimweg ist es finster. Vater hat meinen Lodenmantel mitgebracht. Ich soll im dünnen Zigeunerkostüm nicht frieren. Vater setzt sich auf einen Stein und kratzt mit einem Stock im Boden. Wir machen ein Lagerfeuer, Nene. Zigeuner machen Feuer. Wir suchen trockenes Astwerk zusammen und zünden es an. Vater erzählt Geschichten. Eine Zigeunerin bettelt an der Haustür einer reichen Brixnerin. Sie trägt ein Kind auf dem Arm und führt eines an der Hand. Die reiche Brixnerin schickt die Zigeunerin weg. An der nächsten Haustür bekommt sie drei Germkrapfen, die die Hausfrau gerade aus dem Schmalz zieht. Es soll dir Glück bringen, ruft die Zigeunerin. Die Frau geht in die Küche zurück, taucht Krapfen in die Pfanne und kann es nicht fassen, daß der Teig nicht fertig wird und das Schmalz nicht ausgeht. Sie macht schließlich einen Krapfenladen auf und verkauft ihr Schmalzgebäck. An der dritten Haustür bekommt die Zigeunerin ein Stück Tuch von dem Stoffballen, aus dem die Frau Leintücher schneidet. Sie ist eine Weißnäherin und fleißig. Es soll dir Glück bringen, sagt die Zigeunerin wieder. Die Frau geht an ihre Arbeit zurück und schneidet so viele Leintücher vom Stoffballen, der immer gleich dick bleibt, daß sie schließlich ein Tuchgeschäft aufmacht und Bettlaken verkauft. Als die reiche Brixnerin davon erfährt, verflucht sie ihren Geiz. Sie nimmt ihre dicke Geldtasche und sucht die Zigeunerin. Die sitzt im Lager und stillt ihr Trinkkind. Die Frau geht auf die Zigeunerin zu und zieht einen Tausender heraus. Es soll dir Glück bringen, sagt die Zigeunerin auch zu ihr. Die Brixnerin aber ist eine ganz gefinkelte und nimmt sich vor, Geld zu zählen, und es würde niemals mehr aufhören. Damit sie nur lange genug zählen kann und nicht etwa müde wird, will sie vor dem Geldzählen ein kurzes Nickerchen machen. Die reiche Brixnerin ist nie mehr aufgewacht. Vater schaut ins Feuer. Ich spüre, er will heute abend nicht nach Hause gehen. Ich habe eine Zigeunerfreundin, sagt er. Seine Zigeunerin war ihm aber keine Carmen gewesen. Ich hätte sie ihm gewünscht. Neben seinem Büro in Bozen war das Zigeunerlager. Damals flickten die Zigeuner noch Kessel und schliffen Messer. Seiner Freundin las Vater die Briefe vor, die sie nicht lesen konnte, kaufte ihr Unmengen von Knöpfen und Spitzen ab, die Mama wegwarf, weil sie von schlechter Qualität waren und eben Zigeunerzeug. Wenn ich groß bin, werde ich eine Zigeunerin, Vater. Ins Feuer starren, die Augen schließen, gelbe, orange und rote Kreise sehen. Josef Selwas Haus ist eine großzügige Höhle für eine schmale Einsiedlerin wie mich. Darin glühen winters drei Feuer in drei großen Öfen. In Südtirol sagen wir Loam dazu. Aus Lehm sind sie hier nicht, aber aus Mauerwerk und weiß. Wenn mir innen kalt ist, lege ich meinen Bauch über die warme Rundung der weißen Katze. Drinnen knurrt es. Ich mache in allen Räumen Musik. Ich drehe an den Lautsprecherknöpfen, bis sie anschlagen. Ich sehe Tatjana Gridenko, die ihre Violine quält....


Helene Flöss, geboren 1954 in Brixen, Südtirol, lebt seit 1991 im Burgenland. Veröffentlichungen in Zeitschriften, Anthologien und im Rundfunk. Bei Haymon: Nasses Gras. Erzählungen (1990), Spurensuche. Erzählungen (1992), Briefschaften. Roman (gemeinsam mit Walter Schlorhaufer, 1994), Dürre Jahre. Erzählung (1998), Schnittbögen. Roman (2000), Löwen im Holz. Roman (2003). Brüchige Ufer. Roman (2005), Der Hungermaler. Erzählung (2007).
Walter Schlorhaufer (1920-2006), war Arzt (langjähriger Vorstand der Innsbrucker Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen) und lebte in Innsbruck. Schrieb seit 1947 Gedichte, Prosa und Hörspiele. Bei Haymon: Narbensaiten. Gedichte (1992); Unverloren. Erzählung (1993); Briefschaften. Roman (1994, gemeinsam mit Helene Flöss); Mittwinter. Novelle (1997), Weggefährten. Roman (2001).



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