E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Flechsig / Inzinger Das unsterbliche Nashorn
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-943030-79-2
Verlag: Glückschuh-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das unsterbliche Nashorn: Phantastischer Roman für Mädchen und Jungen ab 10 Jahre – Der eigene Antrieb, die Kraft der Liebe und eine Prise Magie lässt Wünsche wahr werden.
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-943030-79-2
Verlag: Glückschuh-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Viele Jahre arbeitete Dorothea Flechsig als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen und Magazine. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Drehbuchautorin und schreibt mehrfach ausgezeichnete Kinder- und Sachbücher. Ihre bekanntesten Fiduren sind 'Sandor - Fledermaus mit Köpfchen' und Petronella Glückschuh'.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel: Ori, das kleine Nashorn
2. Kapitel: Please help!
3. Kapitel: Zweisam statt einsam
4. Kapitel: Eine behütete Kindheit
5. Kapitel: Der Verlust
6. Kapitel: Allein auf der Welt
7. Kapitel: Der Verrat
8. Kapitel: Ein anderes Leben
9. Kapitel: Der erste Schultag
10. Kapitel: Sternschnuppen-Regen
11. Kapitel: Florins Nachname
12. Kapitel: Die Dachpost
13. Kapitel: Das Wiedersehen
14. Kapitel: Nächtlicher Besuch
15. Kapitel: Die Prüfung
16. Kapitel: Das Ritual
17. Kapitel: Das goldene Medaillon
4. Kapitel
Eine behütete Kindheit
Über den Vorfall gab es drei Tage nichts Neues. So lange kaufte Elvira sich alle lokalen Zeitungen. Dann entdeckte sie eine Notiz, eine Meldung zur Toten in ihrer Straße unter den Polizeinachrichten. Niemand kannte ihren Namen. Im Artikel hieß es, die Frau habe sich vermutlich illegal hier aufgehalten. Es stand nichts dazu in den wenigen Zeilen, warum sie gestorben, woher sie gekommen oder ob sie verfolgt worden war. Kein Wort darüber, dass sie Mutter war und nur wenige Tage zuvor ein Baby entbunden haben musste. Das Landeskriminalamt bat nur um Mithilfe zur Identifizierung. Trotz intensiver Ermittlungen konnte die Identität der unbekannten Frau nicht ermittelt werden.
Elvira schnitt die Meldung aus und verstaute sie in einem Holzkästchen mit einem bunten Schmetterling darauf. Sie hatte Florins Mutter ein Versprechen gegeben und war fest entschlossen, ihr Wort zu halten und sich um Florin zu kümmern. Sie wollte den Jungen großziehen, als ob es ihr eigenes Kind oder Enkelkind wäre.
Und so geschah es auch. Elvira war sehr gefordert von dieser neuen Aufgabe in ihrem Leben. Der kleine Wurm war hilflos und herzergreifend. Nie wieder wollte sie ihn hergeben. Sie kümmerte sich liebevoll um Florin, so gut sie es eben konnte.
Er wuchs heran und Elvira war immer in Sorge. Niemand sollte erfahren, wie er zu ihr gekommen war. Sie befürchtete, man würde ihn ihr sonst wegnehmen. So schickte sie ihn weder in den Kindergarten noch zur Schule. Wenn er krank wurde, ging sie zu ihrem Hausarzt, schilderte seine Beschwerden so, als ob sie selbst sie hätte, und ließ sich Arznei verschreiben, die er in geringerer Dosierung dann bekam. Er besaß also auch keine Krankenkarte. Kurz gesagt: Er war nirgends registriert und so auch bei keinem Amt oder keiner Behörde gemeldet. Er besaß keinen Ausweis und gehörte auch keiner Kirchengemeinde oder Religion an. Falls jemand bei ihnen vorbeikam, zum Beispiel der Schornsteinfeger, sagte Elvira, sie sei Florins Oma und seine Mutter würde im Ausland studieren.
In Großstädten wird wenig nachgefragt und viel toleriert. Warum sollte sich jemand in eines von mehreren Millionen Leben einmischen? Der Junge war fröhlich und Elvira unauffällig. Lange schien das gutzugehen.
Florin war ein kluges Kind. Er lernte von Elvira kochen, stricken, sticken, lesen, rechnen und Klavier spielen. Sie unterrichtete ihn jeden Tag von 10 Uhr bis 13 Uhr in Mathematik und Deutsch, lernte mit ihm Gedichte auswendig, erklärte ihm die Länder und ihre Besonderheiten und pflanzte mit ihm auf dem Fensterbrett Kräuter und Blumen. Nur für ihn besuchte sie sogar einen Senioren-Internetkurs an der Volkshochschule und lernte gemeinsam mit ihm online Englisch und Französisch.
Am Nachmittag durfte Florin auch nach draußen gehen und im Hinterhof spielen. Sie machten gemeinsam regelmäßig Ausflüge in große Parks. Sie fütterten Tauben oder Schwäne am See. Ihre Freizeitaktivitäten durften nie viel kosten. Elvira wusste genau, wo man in der Stadt Schönes erleben konnte, ohne dass man dafür Geld bezahlen musste, denn ihre Rente war nicht üppig. So musste sie gut haushalten.
Florin las viel in Büchern, die ihm Elvira aus der Bibliothek mitbrachte. Da sie immer Angst hatte, es könnte irgendjemand dahinterkommen, dass Florin nicht ihr Enkel war, erzog sie ihn, möglichst nicht aufzufallen. Sie wusste, dass es eigentlich eine Straftat war, ein Kind aufzunehmen, ohne es bei den Behörden anzumelden. Das machte es erforderlich, anderen Menschen nichts von sich zu erzählen, sich niemandem anzuvertrauen. Solange Florin sich erinnern konnte, hatte Elvira ihn ermahnt, was er sagen solle, wenn jemand nachfragte, woher er komme oder wer er sei. „Ja, ja, ich weiß“, antwortete Florin. „Ich heiße Florin und bin dein Enkel. Solange meine Mutter im Ausland studiert, wohne ich bei dir.“
Florin fehlte es an nichts. Nur sehnte er sich nach gleichaltrigen Kindern. Aus Angst und Vorsicht sollte er keine Freundschaften vertiefen. Wenn es ihm langweilig wurde, spielte er Klavier. Die Musik beruhigte ihn, und während er spielte, verfiel er in Träumerei. Er stellte sich all das vor, was ihm fehlte, oder was er nicht konnte. Wie er mit einem Freund lachend auf dem Fahrrad um die Wette fuhr oder wie er mit Kumpels auf dem Sportfeld tobte. Er stellte sich seine Mutter vor. Sie war wunderschön, breitete die Arme nach ihm aus und lachte ihn glücklich an. Die Tasten des Klaviers wurden sein innerer Halt. Er brauchte das Spielen, um zu überleben, genauso wie das Ein- und Ausatmen.
Immer öfter wurde es ihm eintönig, nur mit Elvira zu reden. Die Neugier, andere Menschen, vor allem Gleichaltrige, näher kennenzulernen, wuchs von Tag zu Tag. Er wünschte sich, in einer Fußballmannschaft mitzuspielen. Aber Elvira blieb streng. Deshalb war er manchmal sehr frech zu ihr oder ärgerte sie mit Absicht, indem er extra nicht auf sie hörte. Elvira war ihm aber nie lange böse.
Eines Tages entdeckte Florin etwas sehr Ungewöhnliches. Er beobachtete ein Mädchen im Hinterhof. Sie saß auf einer Mauer, schaute auf ihr Handy und nickte mit dem Kopf im Takt. Florin schlenderte auf sie zu. Sie trug Kopfhörer.
Elvira war unterwegs. Sie hatte einen Arzttermin und musste sich neue Tabletten verschreiben lassen, denn ihr Herz war schwach und sie hatte das Gefühl, dass es in letzter Zeit in der Nacht manchmal unregelmäßig schlug. Fasziniert sah Florin dem Mädchen zu. Ihr braunes Haar hatte einen Rotschimmer in der Sonne und sie trug ein dunkelgrünes Haarband. Er stand nur da und schaute sie an. Sie nahm die Kopfhörer ab.
„Was is’n los?“, fragte sie forsch.
„Was meinst du?“, wunderte sich Florin. „Was soll sein?“
„Was glotzt du so?“, zischte sie genervt.
„Ich glotze nicht. Ich sehe dich nur an.“ Florin betrachtete sie weiter.
„Hast du irgendein Problem?“, fragte sie unhöflich. Als Florin den Kopf schüttelte, steckte sie ihre Kopfhörer wieder in ihre Ohren und drehte sich von ihm weg.
Florin kletterte geschickt auf die Mauer und setzte sich nur einige Meter entfernt von ihr hin. „Du bist unhöflich!“, sagte er laut.
Das Mädchen seufzte: „Ey, ich will hier nur in Ruhe meine Musik hören!“
„Was für Musik hörst du denn?“, fragte Florin. Sie antwortete nicht und reichte ihm schweigend einen der zwei kleinen Kopfhörer. Er rutschte näher und lauschte. „Ah, das habe ich mal im Radio gehört!“
„Was magst du für Musik?“, fragte sie ihn.
Florin lächelte, denn jetzt war ihre Stimme freundlicher. „Ich spiele Klavier. Volkslieder, Mozart, Beethoven.“
„Echt, so was Schräges magst du?“
Florin nickte verunsichert. „Schräg?“, wiederholte er fragend.
„Na, so ein altertümliches Geklimper ist nicht so meins! Kannst du gut Klavier spielen?“
„Ich weiß nicht. Ich kann dir ja mal was vorspielen, wenn du magst.“
Florin war über seine Worte selbst überrascht. Das würde Elvira bestimmt nicht gefallen.
„Wie heißt du?“, fragte das Mädchen.
„Florin. Und du?“
„Ich bin Paula. Meine Mama besucht hier im Seitenflügel meine Großtante. Sie ist vor Kurzem hierhergezogen.“
Florin nickte. Paula hatte lange, anmutige Finger.
Die Nägel ihrer kleinen Finger waren schwarz lackiert.
„Und du?“, fragte Paula.
Florin sah zu ihr auf. „Ich wohne bei meiner Oma“, antwortete er zögerlich.
„Was ist mit deinen Eltern?“
„Meine Mutter arbeitet im Ausland.“
„Und dein Vater?“
„Der auch!“
Da er es Elvira versprochen hatte, log er. Florin war das Gespräch über seine Eltern unangenehm. Er wollte schnell auf ein anderes Thema kommen. Aber ihm fiel nichts ein. Beide schwiegen.
„Wie verstehst du dich mit deiner Oma?“, fragte Paula ihn endlich.
„Wir verstehen uns sehr gut. Sie ist nur oft überängstlich.“
„Und wie alt bist du?“, fragte Paula ihn weiter.
„Zwölf, und du?“
„Dreizehneinhalb und jetzt“ – sie atmete schwer aus – „noch eine Sekunde älter.“ Paula lächelte Florin an und er lächelte zurück.
„Hast du auch einen Vater?“, fragte Florin. „Klar, aber den seh ich nie. Ist wohl ein Volltrottel. Hat uns schon verlassen, als ich noch ein Baby war.“
„Das tut mir sehr...