E-Book, Deutsch, 295 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
Fischer / Sirovátka Die Gottesfrage in der Philosophie von Emmanuel Levinas
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2013
ISBN: 978-3-7873-2417-0
Verlag: Felix Meiner
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 295 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
ISBN: 978-3-7873-2417-0
Verlag: Felix Meiner
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Die Frage nach Gott war seit Platon – und verstärkt im Denken Augustins – ein Hauptpunkt des philosophischen Fragens überhaupt.
Noch Kant zählte sie zu den 'Kardinalsätzen der reinen Vernunft', zu den Fragen, an denen 'die Vernunft ihr größtes Interesse hat'. Martin Heidegger, dessen Denken weithin von der Gottesfrage angeregt ist und um sie kreist, hat dagegen erwogen, 'von Gott im Bereich des Denkens zu schweigen' – nicht weil er diese Frage für belanglos hielt, sondern weil das Denken sich für diese Frage erst neu öffnen und vorbereiten müsse. In die von Kant und Heidegger bestimmte Situation hinein hat Emmanuel Levinas ein Denken entfaltet, das – im Wissen um die Schwierigkeiten – einen neuen Zugang zur Gottes- frage eröffnet.
Der aus einem Symposion entstandene Band enthält Beiträge von Levinas-Interpreten der ›ersten Stunde‹ (Bernhard Casper, Jean Greisch und Ludwig Wenzler), aber auch Beiträge, die Levinas in Verbindung mit Autoren der abendländischen Philosophie sehen (Johannes Brachtendorf, Norbert Fischer und Eduard Zwierlein), und schließlich Beiträge, die sich der immanenten Auslegung von Aspekten seines Werks zuwenden (Sarah Allen, Reinhold Esterbauer, Branko Klun und Jakub Sirovátka).
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Philosophie Metaphysik, Ontologie
- Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Westlichen Philosophie Westliche Philosophie: 20./21. Jahrhundert
- Geisteswissenschaften Religionswissenschaft Religionswissenschaft Allgemein Religionsphilosophie, Philosophische Theologie
- Geisteswissenschaften Philosophie Religionsphilosophie, Philosophische Theologie
Weitere Infos & Material
Der Verweis auf Descartes’ ›bösen Genius‹ und die beunruhigende Hypothese, daß Gott der größte aller Betrüger sein könnte, zeigt bereits, wie viel Levinas Descartes verdankt. Wer von dieser Unruhe umgetrieben ist, ist Levinas zufolge schon auf dem Weg zur Philosophie, weil sie ihn der Frage aussetzt, unter welchen Bedingungen man legitimerweise von Gott sprechen kann, ohne die Absolutheit, die das Wort ›Gott‹ zu bezeichnen scheint, zu beeinträchtigen (DD 8): Läuft nicht jeder Anspruch, über ein begrifflich ausweisbares Wissen über Gott zu verfügen, auf eine Verendlichung, eine ›Immanentisierung‹, eine Reduktion der Andersheit des Absoluten hinaus? Sind Begriffe nicht Greifwerkzeuge, mittels derer wir die Wirklichkeit in die Zange nehmen, auf die Gefahr hin, daß wir sie zerquetschen? Levinas ist auf der Suche nach einem Absoluten, das so neuartig ist, daß es sich nicht auf ein schon Bekanntes zurückführen läßt. Das verlangt seiner Ansicht nach den Verzicht auf jede Form des Korrelationsdenkens. Dieser Verzicht betrifft nicht nur das traditionelle Frage-Antwort-Schema, sondern auch die Metapher des Sehens und der intentionalen Zielsetzung (›visée‹) muß in Frage gestellt werden. Daß dies keine undurchführbare Aufgabe ist, hat Levinas zufolge Descartes mit seiner Idee des Unendlichen in uns bewiesen, anders gesagt, einer Idee, die das Fassungsvermögen des cogito sosehr übersteigt, daß Gott selbst sie als ›angeborene Idee‹ in uns gelegt haben muß. Sie übersteigt die Fassungskraft des Bewußtseins nicht, weil sie in den abgründigen Tiefen des Unbewußten verborgen ist, sondern weil sie die Selbstsicherheit und Selbstgewißheit des ego ins Wanken bringt. Für Levinas, ebenso wie für Descartes, ist die positiv zu verstehende Idee des Unendlichen ausschlaggebend. Wenn Descartes dennoch ihm zufolge ergänzungsbedürftig ist, dann nur, weil wir uns nicht mehr mit der klaren und deutlichen Idee des Unendlichen begnügen können, sondern eine explizite ›Phänomenologie der Idee des Unendlichen‹ benötigen (DD 11). Es ist eben jene Phänomenologie, die Levinas in Totalité et infini mit der Abgründigkeit der Verantwortung für den Anderen verknüpft, die sich uns offenbart, sobald wir mit der ›Epiphanie des Antlitzes des Anderen‹ konfrontiert sind. Für Levinas bedeutet das auch, daß in einer phänomenologischen Lektüre der Dritten Meditation die Besinnung auf die »außerordentliche Struktur der Idee des Unendlichen«, bzw. in der eigentümlichen Diktion von Levinas (DD 11): das ›à-Dieu‹, die Problematik der Gottesbeweise ausblenden kann. Dadurch, daß ich in der Verantwortung dem Anderen ›preisgegeben‹ (zur Verantwortung auserwählt) bin, erhält das Unvermögen des cogito, das Unendliche zu erfassen, seine volle phänomenologische Konkretheit. Der Aufsatz Dieu et la Philosophie ist ein Versuch, die ursprüngliche Erfahrung zu beschreiben, in der das, was Descartes als das Inmich-Gelegtsein der Idee (bzw. ihre ›Angeborenheit‹) des Unendlichen kennzeichnet, seine volle phänomenologische Konkretheit erhält. Dieser ›ökumenische‹ Vortrag, den Levinas vor verschiedenen religiösen Gemeinschaften in den Jahren 1973 und 1974 gehalten hat – als frischgebackener Assistent an der Philosophischen Fakultät des Institut Catholique hatte ich die Chance, Hörer dieses Vortrags zu sein –, ist in sechs Abschnitte und 17 Paragraphen gegliedert, die eine präzise Analyse verlangen. 1. In einem ersten Schritt hinterfragt Levinas die Priorität, welche die traditionelle Philosophie dem Seinsbegriff zuschreibt. Das Sein ist der primäre Gegenstand des Denkens (»primum quod cadit in intellectum«, in der Formel Avicennas), so daß es der universale Horizont aller Verständlichkeit überhaupt zu sein scheint, wie es die Gilsonsche ›Metaphysik des Exodus‹ postuliert. Demgegenüber stellt Levinas eine doppelte, philosophische und ›theologische‹ Frage. a) Ist es ausgemacht, daß wir uns »jenseits des Seins« ( ) in der Wüste aller Verständlichkeit überhaupt befinden? Betreten wir nicht gerade hier den Raum der »Bedeutsamkeit, der Rationalität und des Rationalismus der Transzendenz« (DD 96) selbst? b) Läßt sich Gott restlos in den Horizont des Seins einschreiben, bzw.: Gibt es nicht die Möglichkeit eines vernünftigen Redens über Gott, das weder auf den Seinsbegriff rekurriert, noch sich damit begnügt, im Namen des Glaubens dem Gott der Philosophen den Rücken zu kehren, wie Jehuda Halevi und Pascal es tun? 2. Ebenso wie für Descartes sind Levinas zufolge die Fragen der Existenz Gottes und des Wesens Gottes unzertrennlich voneinander. Seine phänomenologische Interpretation der Dritten Meditation konzentriert sich ausschließlich auf die Idee Gottes, weil es ihm darum geht, diese in ihrer ›phänomenologischen Konkretheit‹ zu erfassen, was nur so geschehen kann, daß man sich mit Descartes fragt, ›wie Gott ins Denken einfällt‹, anders gesagt, wie wir zu dieser Idee gekommen sind, die wir nicht aus eigenen Kräften erzeugen können. Unter den drei zentralen Gottesattributen ist es gerade der positiv verstandene Begriff der ›Unendlichkeit‹, der, wie wir gesehen haben, das Unvermögen des menschlichen Geistes, die Gottesidee in eigener Regie zu erzeugen, am besten bezeugt. Als Phänomenologe stellt Levinas die Frage nach dem Wie der Gegebenheit, anders gesagt nach der Ausweisbarkeit der Cartesischen These. Er begnügt sich nicht mit der These, daß Gott selbst diese Idee in unser Bewußtsein eingepflanzt hat, sondern er zeigt, daß sich diese Idee in der ethischen Urerfahrung der Verantwortung für den Anderen uns aufdrängt. Meine Verantwortung für den Anderen ist so ›unendlich‹, daß ich diese Unendlichkeit mit dem Namen ›Gott‹ bezeichnen kann. 3. Etwas schwieriger ist die Frage, wieso der Gedanke des ›malin génie‹ hier ins Spiel kommt. Offensichtlich handelt es sich nicht um den hyperbolischen Zweifel, der uns mit der Möglichkeit konfrontiert, daß Gott der größte aller Betrüger sein könnte, der uns eine Welt vortäuscht, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Wer ist also der ›malin génie‹ von Levinas? Vielleicht könnten wir sagen, es sei ein Gott, der uns von unserer Verantwortung entbindet. 4. Levinas ringt mit dem Problem des rechten Gebrauchs des Wortes ›Gott‹, mit dem sehr oft Mißbrauch getrieben wurde, anders gesagt, das man so gebraucht hat, daß der in ihm enthaltene Absolutheitsanspruch in Vergessenheit gerät. Wenn wir die Frage im Rahmen einer Bewußtseinsphilosophie wiederaufgreifen, anders gesagt, einer Philosophie, für die ›Gott‹ ein intentionaler Gegenstand des Bewußtseins ist, der als solcher vom Bewußtsein konstituiert wird, scheint wiederum die Forderung nach Wissen in den Vordergrund zu treten: ›Was kann ich von Gott wissen?‹ Demgegenüber löst Levinas die bereits erwähnte Verknüpfung von ›Wissen‹ und ›Sehen‹ auf. Seines Erachtens werden weder die Metapher des Sehens (das Sehen vergegenständlicht und besteht auch auf der geistigen Ebene in einer Art von ›Blickfang‹) noch die der ›Abzielung‹ (Gott als ›Zielscheibe‹ meiner intentionalen Akte) der Wirklichkeit Gottes gerecht. Beide Metaphern stellen Levinas zufolge eine Bedrohung für den im Wort ›Gott‹ selbst enthaltenen Absolutheitsanpruch dar. In der Auffassung, die Levinas sich von der Philosophiegeschichte macht, gibt es drei große Ausnahmen von einer Regel, die er mit Rosenzweig teilt: Von »Ionien bis Iena« ist die Philosophie ein Totalitätsdenken, in Gestalt einer »Theo-Anthropo-Kosmologie«, die sich unfähig erweist, ›Gott‹, ›Mensch‹ und ›Welt‹ als elementare, selbstständige Wirklichkeiten zu verstehen, die nur unter bestimmten Bedingungen zueinander in Bezug gesetzt werden können. Diese drei Ausnahmen sind Platon (die Seinsüberlegenheit des Guten: ), Plotin (das Ureine ist ursprünglicher als das Sein), hauptsächlich aber Descartes mit seiner revolutionären Bestimmung der Positivität des Unendlichen. 5. Diese Idee beeindruckt Levinas so sehr, daß er die anderen beiden Gottesnamen: ›Causa sui‹ und ›ens perfectissimum‹ mit keinem Wort erwähnt! Die Sonderstellung, die Marion diesem Namen bei Descartes einräumt, wird hier noch verschärft, weil Levinas ihn zur Grundlage eines Denkens macht, in dem sich das Nachdenken über Gott in ein Andenken an Gott (›penser à Dieu‹) verwandelt, anders gesagt, ein Denken, das Gott zwar erreicht, ohne ihn ergreifen, bzw. ›begreifen‹ zu können: »Penser à Dieu, c’est-à-dire une pensée de l’absolu sans que cet absolu soit atteint comme une fin« (»An Gott denken, anders gesagt, ein Denken des Absoluten, ohne daß dieses Absolute als ein Ziel erreicht wird«). Levinas geht es darum, mit den Mitteln der Phänomenologie die spezifische Positivität der Idee des Unendlichen zu erschließen. Seines Erachtens kann das nur auf dem Weg der ›Epiphanie‹ des Antlitzes des Anderen geschehen: »L’idée de l’infini en moi me vient dans la concrétude de ma relation à l’autre homme dans la socialité qui est ma responsabilité pour le prochain« (»Die Idee des Unendlichen in mir drängt sich mir in der Konkretheit meiner Beziehung zum anderen Menschen und in der Sozialität meiner Verantwortung für meinen Nächsten auf«). Sobald ich einsehe, daß meine Verantwortung für den Anderen, der an meine Hilfe appelliert, eine unendliche ist, erhält der Begriff des Unendlichen eine durch und durch positive Bedeutung. Für den Gottesgedanken bedeutet das, daß das Antlitz des anderen Menschen der Knoten jener Verstrickung ist, in der Gott selbst die Idee Gottes überwindet (»Le...