E-Book, Deutsch, Band 77, 64 Seiten
Reihe: Lore-Roman
Fischer Lore-Roman 77
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7325-9696-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die sich mit Schuld beladen
E-Book, Deutsch, Band 77, 64 Seiten
Reihe: Lore-Roman
ISBN: 978-3-7325-9696-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Barbara Wienhorst steigt aus dem Zug, als ein Mann auf sie zutritt. Alexander von Russloh ist felsenfest überzeugt, sie sei seine aus dem Sanatorium entlassene Ehefrau Yvonne. Aller Widerspruch nutzt nichts, alle Versuche, die Verwechslung aufzuklären, verlaufen im Sand. Etwas ratlos fährt Barbara schließlich mit ihm mit, und beim Anblick des prächtigen Herrenhauses erwacht ihre Neugier.
Als sie das Haus betritt, begreift sie plötzlich: Von einem lebensgroßen Gemälde lacht ihr das eigene Gesicht entgegen. Es ist ihr, als schaue sie in einen Spiegel. Die Ähnlichkeit ist frappant. Man muss sie einfach mit Yvonne Russloh verwechseln! Sogar die zwei reizenden Kinder halten sie für Yvonne, und der so warme und zärtliche Blick des Hausherrn lässt sie erschaudern. Denn Alexander von Russloh ist ein schöner Mann, einer der ihr gefährlich werden kann. Ihr erster Gedanke ist, so schnell wie möglich zu verschwinden und allen künftigen Komplikationen damit zu entfliehen. Noch ist es nicht zu spät. Aber wenn sie erst einmal länger hier sein wird - wer weiß, was dann geschehen wird?
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Die sich mit Schuld beladen Ein Schicksalsroman voller Dramatik Von Ursula Fischer Barbara Wienhorst steigt aus dem Zug, als ein Mann auf sie zutritt. Alexander von Russloh ist felsenfest überzeugt, sie sei seine aus dem Sanatorium entlassene Ehefrau Yvonne. Aller Widerspruch nutzt nichts, alle Versuche, die Verwechslung aufzuklären, verlaufen im Sand. Etwas ratlos fährt Barbara schließlich mit ihm mit, und beim Anblick des prächtigen Herrenhauses erwacht ihre Neugier. Als sie das Haus betritt, begreift sie plötzlich: Von einem lebensgroßen Gemälde lacht ihr das eigene Gesicht entgegen. Es ist ihr, als schaue sie in einen Spiegel. Die Ähnlichkeit ist frappant. Man muss sie einfach mit Yvonne Russloh verwechseln! Sogar die zwei reizenden Kinder halten sie für Yvonne, und der so warme und zärtliche Blick des Hausherrn lässt sie erschauern. Denn Alexander von Russloh ist ein schöner Mann, einer der ihr gefährlich werden kann. Ihr erster Gedanke ist, so schnell wie möglich zu verschwinden und allen künftigen Komplikationen damit zu entfliehen. Noch ist es nicht zu spät. Aber wenn sie erst einmal länger hier sein wird – wer weiß, was dann geschehen wird? Rasselnd fuhr der Zug in die Bahnhofshalle ein und spie ein unübersichtliches Gewirr von Menschen aus. Neue Züge ratterten heran. Lokomotiven pfiffen, Elektrokarren surrten über die Bahnsteige, und die Menschen strebten eilig den Ausgängen zu. Eine Stimme aus dem Lautsprecher versuchte, das Stimmengeschwirr zu übertönen. Alle schienen beschäftigt. Jeder hatte ein Ziel. Nur Barbara Wienhorst nicht. Mit müdem, abwesendem Gesichtsausdruck und windzerzaustem Blondhaar ließ sie sich von der Menge treiben. Willenlos, die Finger fest um den Griff des hellen Lederköfferchens und die Handtasche geklammert, ließ sich Barbara dem Ausgang zutreiben. Ihr war gleichgültig, wo sie landete. Nur Vergessen musste sie finden. Eine Weile stand sie vor dem großen Bahnhof. Die Mitreisenden hatten sich nun längst zerstreut. Es war etwas ruhiger geworden. Die müden braunen Augen blickten teilnahmslos in die Runde. Was nun? Da fuhr eine schwarze Limousine dicht an Barbara vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich die Augen des Mädchens mit denen des Fahrers. Sie schaute sich prüfend um und überquerte dann die belebte Straße. Sie beschloss, ein Hotelzimmer zu suchen. Barbara war noch nicht weit gegangen, als sie plötzlich eine aufgeregt rufende Männerstimme hinter sich vernahm. „Yvonne!“ Der Ruf erklang immer wieder. Barbara blickte sich ärgerlich um. Sie fand, der Mann sollte lieber seine Beine gebrauchen, statt so rücksichtslos zu schreien. Dann würde er seine Yvonne gewiss schneller einholen. Sie beschleunigte ihre Schritte. Da hörte sie eilige Schritte hinter sich und spürte ein hastiges Atmen im Nacken. Gleichzeitig fühlte sie sich herumgewirbelt und blickte verständnislos und unangenehm berührt in ein erhitztes Männergesicht mit vor Freude funkelnden Augen. „Yvonne! Warum bleibst du denn nicht stehen? Warum läufst du vor mir davon? Du musst mein Rufen doch gehört haben! Gott, wie bin ich froh, dass du wieder da bist!“ Barbara blickte mit einem Gefühl von Verwunderung und Abwehr in das schöne, markante Männergesicht. „Liebste!“, flüsterte der Mann jetzt leise und beugte sich zu ihr herab, „du ahnst ja nicht, was in mir vorging, als ich dich vor dem Bahnhof stehen sah. Ich dachte, es narrte mich ein Spuk. Am liebsten wäre ich gleich aus dem Wagen gesprungen und zu dir gelaufen – aber ich musste ja erst einen Parkplatz finden.“ Jetzt erinnerte sich Barbara schlagartig des Fahrers der schwarzen Limousine. Bevor sie den Irrtum aufklären konnte, fühlte sie zwei heiße Lippen auf den ihren, und verwundert stellte sie fest, dass ihr der Kuss gar nicht unangenehm war. Doch das dauerte nur einen Herzschlag lang. Dann riss sie sich ärgerlich los und schaute den Mann mit zornfunkelnden Augen an. „Lassen Sie mich doch endlich zu Wort kommen“, fauchte sie wütend. „Ich bin nicht Ihre Yvonne!“ Sie wollte weitergehen. Aber der Fremde hielt sie fest. Er nahm ihr einfach den Koffer ab, hakte sie wie selbstverständlich unter und zog sie in entgegengesetzter Richtung mit sich fort. „Yvonne! Lass doch dieses Theater! Wir erregen schon Aufsehen. Komm und sei vernünftig!“, redete er beschwörend auf sie ein. Jetzt wurde es Barbara aber doch zu bunt. Mit einem Ruck blieb sie stehen. „Ich heiße nicht Yvonne, sondern Barbara Wienhorst und möchte jetzt endlich in Ruhe gelassen werden!“, rief sie ärgerlich, ohne sich um die neugierig starrenden Leute zu kümmern. Das Gesicht des Manns wurde traurig. Außerdem glaubte Barbara noch etwas wie Mitleid in den dunklen Augen zu lesen. „Yvonne, bitte! Muss ich dir erst sagen, wie sehr ich dich noch immer liebe? Wie sehr wir alle dich vermisst haben – ich, die Kinder und auch Claudia? Es macht nichts, wenn du noch nicht ganz gesund bist. Du wirst daheim genesen. Denk doch an unsere Kinder!“ Barbara wehrte sich mit aller Kraft, aber der Mann war stärker und zog sie einfach weiter. „Zum Donnerwetter, ich kenne weder Sie noch meine angeblichen Kinder! Lassen Sie mich jetzt endlich los, sonst rufe ich die Polizei!“, rief Barbara. Aber der Mann störte sich nicht im Geringsten an ihrem Protest. Mit zusammengebissenen Zähnen zog er sie zu seinem Wagen. Sie blickte verzweifelt um sich. War denn niemand da, der die Situation erkannte und ihr zu Hilfe kam? Der Mann blickte jetzt mit einem unsagbar traurigen Ausdruck auf sie hinunter. „Hat man dir auch dort nicht helfen können?“, murmelte er leise, bevor er sie in den Wagen schob, rasch selbst einstieg und startete, als fürchte er, sie könne ihm noch davonlaufen. Barbara sank mutlos in die Polster. Sie fühlte sich überrumpelt und verlassen. Was sollte sie tun? Ich muss jetzt ganz klar denken und überlegen, wie ich diesem Verrückten klarmache, dass ich Barbara Wienhorst bin, hämmerte sie sich ein. Wer mochte der Mann sein? Sie sah, dass er einen Ring an der rechten Hand trug. Also musste er verheiratet sein und zwar mit einer Yvonne. Und Kinder hatten sie auch. Außerdem verrieten Kleidung und Wagen des Fremden, dass sie es mit einem wohlhabenden Mann zu tun hatte. Entsetzt sah Barbara, dass sie bereits die Stadt verlassen hatten und sich auf einsamer Landstraße befanden. Was hatte der Mensch im Sinn? Wollte er ihr Gewalt antun? Barbara war plötzlich von panischer Angst ergriffen. Sie kramte mit zitternden Händen in ihrer Handtasche und suchte ihren Ausweis hervor. Wenn sie ihm den zeigte, musste er doch seinen Irrtum erkennen! Sie hielt dem Mann den Ausweis vor die Nase und schrie verzweifelt: „Halten Sie doch endlich an und sehen Sie meinen Ausweis an, damit Sie mir endlich glauben!“ Der Fremde schaute sie mit einem eigentümlichen Blick an und fuhr langsam rechts an den Bordstein. Als der Wagen endlich stand, hielt sie dem Mann mit Tränen der Verzweiflung in den Augen den Ausweis hin. Doch der Mann gönnte dem Papier keinen einzigen Blick. Er legte den Arm um sie. „So schlimm steht es mit dir?“, flüsterte er erschüttert – aber mehr zu sich selbst als zu Barbara. „Liebste“, fuhr er mitleidig fort, „ich weiß, warum du dies Theater machst. Du fürchtest dich vor Claudia. Aber glaube mir, sie meint es gut mit dir. Sie ist doch schließlich deine Schwester. Sie hat nur dein Bestes gewollt, als sie dich fortschickte. Sie konnte ja nicht ahnen, dass es noch viel schlimmer werden würde. Aber nun wird alles gut. Nun bleibst du daheim und wirst genesen. Hätte ich gewusst, dass der Aufenthalt im Sanatorium nichts nützen würde, nie hätte ich meine Einwilligung zu Claudias Vorschlag gegeben. Bitte, Yvonne, lass uns einen neuen Anfang machen!“ So flehentlich klang die Stimme des Mannes jetzt, dass Barbara unwillkürlich Mitleid überkam. Er musste diese kranke Yvonne doch wohl sehr lieben. An welcher Krankheit mochte sie leiden? Offenbar empfand der Mann die Beteuerungen, sie sei Barbara Wienhorst, nicht als sonderbar, sonst hätte er doch bestimmt hellhörig werden müssen. Jeder normale Mensch hätte völlig anders reagiert als dieser Mann – es sei denn, seine kranke Frau litt unter Bewusstseinsspaltungen, und er war an solche Auftritte gewöhnt. Als der Mann jetzt wieder auf sie einsprach, begriff Barbara, dass sie sich in einer ausweglosen Situation befand. „Yvonne“, er tätschelte ihr die Wange wie einem kleinen Kind, „daheim wirst du genesen. Wenn du erst in der alten Umgebung bist, wirst du dein wahres Ich wiederfinden. Ich glaube ganz fest daran, Liebste. Du musst nur selbst daran glauben. Doktor Steven ist auch davon überzeugt, dass du gesund werden kannst, wenn du nur willst. Und wir alle werden dir helfen.“ Barbara seufzte, und dann quollen unaufhaltsam Tränen aus ihren Augen. Was sich in der letzten Stunde ereignet hatte, war einfach zu viel für sie. Sie fühlte sich plötzlich grenzenlos müde und...