E-Book, Deutsch, Band 597, 64 Seiten
Fischer Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 597
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7517-3177-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Nicht weinen, Barbara!
E-Book, Deutsch, Band 597, 64 Seiten
Reihe: Die Welt der Hedwig Courths-Mahler
ISBN: 978-3-7517-3177-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Was soll ich nur tun?', fragt Barbara ihre Schwester und ihren Schwager verzweifelt. Der gütige alte Herr, bei dem sie seit Kurzem als Gesellschafterin arbeitet, hat sie wie eine Tochter ins Herz geschlossen und ihr nun 'eine Ehe auf dem Papier' angetragen, um sie als Alleinerbin einsetzen zu können. Der verwitwete und herzkranke Franz Wagner hat keine Kinder, aber viele Verwandte, habgierige Erbschleicher, die alle ungeduldig auf seinen Tod warten. Er möchte ihnen ein Schnippchen schlagen und ihnen keinen einzigen Pfennig hinterlassen.
'Da überlegst du noch?', fragt ihr Schwager begriffsstutzig. 'Du kannst doch die Millionen nicht ablehnen.'
Vielleicht hat er recht. Und so willigt Barbara ein, den letzten Herzenswunsch des väterlichen Freundes zu erfüllen. Doch bald bereut sie ihre Zusage zutiefst ...
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Nicht weinen, Barbara! Eine junge Frau opfert ihr Lebensglück Was soll ich nur tun?«, fragt Barbara ihre Schwester und ihren Schwager verzweifelt. Der gütige alte Herr, bei dem sie seit Kurzem als Gesellschafterin arbeitet, hat sie wie eine Tochter ins Herz geschlossen und ihr nun »eine Ehe auf dem Papier« angetragen, um sie als Alleinerbin einsetzen zu können. Der verwitwete und herzkranke Franz Wagner hat keine Kinder, aber viele Verwandte, habgierige Erbschleicher, die alle ungeduldig auf seinen Tod warten. Er möchte ihnen ein Schnippchen schlagen und ihnen keinen einzigen Pfennig hinterlassen. »Da überlegst du noch?«, fragt ihr Schwager begriffsstutzig. »Du kannst doch die Millionen nicht ablehnen.« Vielleicht hat er recht. Und so willigt Barbara ein, den letzten Herzenswunsch des väterlichen Freundes zu erfüllen. Doch bald bereut sie ihre Zusage zutiefst ... Barbara trat von der Straße auf den gepflegten Weg, der zu dem im Hintergrund des Parks liegenden Hause führte. Ihr Herz schlug schneller als sonst, denn es war ihre erste Stellung, die sie antreten würde, falls sie genommen wurde. Vor einer Woche hatte die Anzeige in der Zeitung gestanden. Ein alter Herr suchte »ein Mädchen für alles«, das gebildet war und imstande sein sollte, einen Villenhaushalt zu leiten. Barbara hatte sich beworben und gestern Bescheid bekommen, dass sie sich vorstellen dürfe. Je näher sie der Villa kam, desto unsicherer wurde sie. Sie konnte keine Zeugnisse vorweisen und war noch recht jung für einen verantwortungsvollen Posten. Auf einem Schild an der Haustür stand: Franz Wagner. Eine Klingel befand sich nicht dort. Barbara drückte die Klinke nieder und trat ein. Eine riesige Diele lag vor ihr; an der Wand hing ein Tigerfell. Ein großer Kamin befand sich dem Eingang gegenüber, Holzscheite waren sorgfältig an beiden Seiten aufgeschichtet, und über dem Kamin hing das Bild einer schönen Frau. »Hallo?«, rief sie in die Stille hinein. Keine Antwort. Sie war auf jeden Fall pünktlich. Es war genau elf Uhr. Barbara ging zaghaft ein paar Schritte weiter und klopfte schüchtern an eine der vier Türen, die von der Diele abgingen. Wieder keine Reaktion. »Hallo!«, rief Barbara noch einmal und ging wieder ein paar Schritte in die Diele zurück. Sie hielt den Brief in der Hand und wartete. Plötzlich trat eine weißhaarige Frau mit scharfen, hageren Zügen aus einer Tür und blickte Barbara Gräfenstein streng an. »Wie kommen Sie denn hierher?«, rief sie mit heiserer Stimme. »Wir kaufen nichts! Haben Sie nicht draußen gelesen, dass Betteln und Hausieren hier verboten ist?« »Ich bin bestellt«, stieß Barbara eingeschüchtert hervor. Sie wies den Brief in ihrer Hand vor. Die Frau entriss ihn ihr und hielt ihn nahe vor die Augen. »Der Alte hat Ihnen geschrieben«, murmelte sie für sich. »Was will er von Ihnen?« »Herr Wagner hat mich hergebeten, um mich vorzustellen.« »Als was?« »Das werde ich dir später erzählen«, sagte eine männliche Stimme hinter ihrem Rücken. Die alte Dame schnellte herum. »Ich dachte, du wärest noch in deinem Zimmer, Franz«, stieß sie hervor. »Du solltest doch noch ruhen, mein Lieber.« Der Mann – er mochte etwa siebzig Jahre alt sein – ging auf Barbara Gräfenstein zu. Seine Augen waren tiefblau, jung geblieben in dem alten, zerknitterten Gesicht. Humorvolle Fältchen hatten sich an den Augenrändern eingegraben, ein Zeichen, dass er gern lachte. Barbara hatte auf den ersten Blick Vertrauen zu ihm. »Mein Name ist Barbara Gräfenstein«, stellte sie sich vor. »Sie haben ...« »Ich weiß, Kind. Kommen Sie in mein Arbeitszimmer.« Der alte Herr drückte ihr kräftig die Hand, wandte sich dann um und ging Barbara voran. Amalie Wagner, seine Schwägerin, schaute ihnen mit bitterböser Miene hinterher. »Setzen Sie sich«, forderte der Hausherr Barbara in seinem Arbeitszimmer auf. Das Mädchen setzte sich auf die äußerste Kante des Sessels und schaute ihn mit bangen Augen erwartungsvoll an. Der alte Herr schmunzelte. Er sah, wie schüchtern sie war, und erinnerte sich, dass sie in ihrem Bewerbungsschreiben mitgeteilt hatte, dass es ihre erste Stellung sei. Er war ein guter Menschenkenner, und auf den ersten Blick gefiel Barbara Gräfenstein ihm ungemein gut. Sie war nicht die Erste, die sich bei ihm vorstellte, aber bisher hatten ihm die Mädchen, die sich um den Posten bewarben, nicht gefallen. »Worum es sich bei der ausgeschriebenen Stelle handelt, wissen Sie im Großen und Ganzen. Ich bin ein alter Mann, meine Schwägerin führt den Haushalt, aber auch sie ist nicht mehr die Jüngste und braucht eine Entlastung. Und außerdem möchte ich gern junges Blut um mich haben. Trauen Sie sich zu, den Posten auszufüllen? Es wird nicht ganz leicht sein für einen so jungen Menschen wie Sie, sich in meinem Hause durchzusetzen. Ich habe selbst keine Kinder, aber viele Verwandte.« »Ich würde mir Mühe geben, Ihren Ansprüchen zu genügen, Herr Wagner«, versicherte Barbara. »Erzählen Sie mir etwas von sich, Fräulein Gräfenstein«, forderte der alte Herr sie auf. Sie sei Waise, sagte sie, ihre Eltern seit einem halben Jahr tot. Sie habe bisher bei ihrer Schwester gewohnt, aber nun erwarte diese ein Kind, und die Wohnung sei zu eng. »Ich möchte auch endlich auf eigenen Füßen stehen, Herr Wagner. Leider habe ich keinen Beruf erlernt. Vom Haushalt verstehe ich etwas. Meine Mutter hat mir alles gezeigt, was man wissen muss. Sie meinte immer, ein Mädchen müsse sich im Haushalt auskennen, das sei wichtiger als das meiste andere.« »Eine sehr vernünftige Dame, Ihre Frau Mutter.« Franz Wagner nickte ihr zu. »Bisher lag ich meiner Schwester und meinem Schwager auf der Tasche. Wie Sie wissen, bin ich dreiundzwanzig Jahre alt. Ich möchte so gern eine Stellung haben.« »Dann könnten Sie ja auch hier im Hause wohnen, nicht wahr?«, fragte Franz Wagner. »Es wäre schön. Also, wenn Sie Lust haben, Fräulein Gräfenstein, bekommen Sie den Posten.« »Wirklich?« Barbara sprang glückstrahlend auf und umfasste seine Rechte. »Sie können sich nicht vorstellen, was Ihre Zusage für mich bedeutet, Herr Wagner.« Wie jung sie noch ist, dachte der alte Herr, dem es bei ihrer Freude warm ums Herz wurde. »Ich werde Ihnen gleich Ihr Zimmer zeigen, Fräulein Gräfenstein. Betty, unser Mädchen, kann es in Ordnung bringen.« Der Raum, den er später aufschloss, lag in der ersten Etage. Es war ein wunderschön eingerichtetes Zimmer mit einem großen Fenster und einem hübschen Balkon. Es war wie ein Traum, sogar ein kleines Bad befand sich nebenan. »Herr Wagner, wenn Sie wüssten, wie glücklich ich bin!«, stieß Barbara freudestrahlend hervor. Ein paar Freudentränen traten ihr in die Augen. Das Leben im Hause ihrer Schwester war schwer gewesen. Zwar verstand sie sich gut mit Ute, aber ihr Schwager hatte es als Last empfunden, seine Schwägerin mit durchfüttern zu müssen. Denn so viel verdiente er als Abteilungsleiter in einem Warenhaus auch nicht. Franz Wagner war seit Jahren nicht mehr so zufrieden gewesen wie an diesem Vormittag. Barbaras Freude wirkte ansteckend. »Und wann können Sie Ihren Dienst antreten?« »Wann Sie wollen, Herr Wagner.« »Dann möglichst heute noch. Packen Sie Ihre Sachen, ich werde Ihnen meinen Wagen schicken. Vielleicht können Sie dann heute Abend schon in diesem Zimmer schlafen.« Der Hausherr geleitete Barbara zurück in die Diele. »Ich schicke Ihnen meinen Wagen, sagen wir, um sechzehn Uhr«, setzte Franz Wagner noch hinzu, ehe sie sich an der Tür verabschiedeten. Als er mit Barbara den breiten Flur hinuntergegangen war, hatte er gesehen, dass eine Tür nur angelehnt gewesen war. Er war sicher, dass Amalie ihr Gespräch belauscht hatte. Amalie, dachte Franz bitter. Sie war seine Schwägerin, Witwe, ein Jahr nach dem Tode seiner Frau in die Villa gezogen, und hatte die Leitung des Haushaltes an sich gerissen. Sie glaubte wohl, dass er schon zu alt oder zu dumm war, um zu bemerken, was hier gespielt wurde. Noch werde ich nicht sterben, dachte der alte Herr. Aber es war für ihn bitter zu wissen, dass so viele auf seinen Tod warteten. Pack, dachte Franz. Und wie immer, wenn er an seine Verwandtschaft dachte, stieg das Gesicht eines jungen Mannes vor ihm empor. Er hatte seinen Neffen wie sein eigenes Kind aufgezogen, Kay sollte ihn einmal beerben, und es schien, als habe ihm das Schicksal in ihm einen Ersatz für die eigenen Kinder gegeben. Kays Eltern waren bei einem Autounfall zu Tode gekommen, mit drei Jahren war der Kleine zu ihm ins Haus gekommen, er hatte Vater zu ihm gesagt und zu seiner toten Frau, Mutter. Zwanzig Jahre lang war Kay in seinem Hause wie ein Sohn gewesen. Und dann hatte Franz ihn hinauswerfen...