Fink | Die Märchenmühle | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 108 Seiten

Fink Die Märchenmühle

Ein Roman für Kinder
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7568-4967-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Roman für Kinder

E-Book, Deutsch, 108 Seiten

ISBN: 978-3-7568-4967-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zum Unterschied von den anderen Ostblockstaaten genossen die nationalen Minderheiten in Rumänien beachtliche Rechte: Unterricht in der Muttersprache, Zeitungen, Bücher, Theater in der Muttersprache. Das gilt auch für die deutsche Minderheit. Im Dezember 1989, als das kommunistische Regime gestürzt wurde, lebten in Rumänien noch 200000 Deutsche. Schauplatz der vorliegenden Erzählung ist die kleine Stadt Lugosch im Banater Hügelland im Westen Rumäniens. Die Erzählung handelt von Erlebnissen der elfjährigen Paula Stein und ihres zehnjährigen Bruders Kai im Jahr 1983.

Hans Fink (geboren 1942 in Temeschburg/Timisoara, Rumänien) ist ein rumäniendeutscher Journalist und Publizist. Er studierte Germanistik und Rumänistik und arbeitete viele Jahre als Journalist in Bukarest. Seine Themenfelder waren Unterricht und Erziehung.
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II. KAPITEL


Die Schatulle erwacht


Auf einmal war die Mutter krank. Als Paula und Kai fast gleichzeitig von der Schule kamen, denn Kai hatte wieder gebummelt, fanden sie die Mutter in der Wohnung, wie es an ihrem freien Samstag zu sein pflegte. Es war aber nicht Samstag, sondern Dienstag, und die Mutter wirtschaftete nicht in der Küche oder im Badezimmer, sondern lag in zwei Decken gewickelt auf dem Ausziehbett im großen Zimmer und fühlte sich offenbar sehr schlecht.

Die Geschwister standen ratlos da. Sie hatten die Mutter noch nie krank erlebt. Wenn ein Kind krank ist, rufen seine Eltern den Arzt und schreiben auf, was der sagt, dann besorgen und verabreichen sie die Medikamente. Oder sie ziehen das Kind gut an und bringen es in die Poliklinik. Was jedoch soll man tun, wenn ein Erwachsener krank ist? Ja, wenn sie mit dem Vater hätten telefonieren können! Leider befand sich der Vater nicht in der Garage, sondern war auf Dienstreise im Südbanat und mochte frühestens am nächsten Tag eintreffen.

„Soll ich die Kasper-Omi rufen?“ fragte Kai. Die Kasper-Omi wohnte auf der sogenannten deutschen Seite von Lugosch, in der Nähe des Bahnhofs. Kai hätte den verbotenen Weg über die Betonbrücke gewählt.

„Aber nein, bleib nur da, es wird mir schon besser werden.“ Die Mutter murmelte noch etwas Unverständliches über das Mittagessen, dann schlief sie ein. Paula dachte flüchtig daran, Tante Adriana vom vierten Stock zu verständigen, mit der die Mutter täglich plauschte, doch die bestimmte Absage auf Kais Vorschlag hielt sie zurück.

„Ich wärm’ das Mittagessen auf“, sagte Paula schließlich leise. Sie zog die Tür hinter sich zu, um die Mutter nicht zu stören. Kai kramte nachdenklich in seiner Schultasche. Wenn Paula das Essen richtete, verschwand er gewöhnlich mit einem Comics-Heft, und man musste dreimal rufen, bis er sich zum Tisch bequemte. Jetzt hielt er den neuen „Donald“ schon in der Hand, schob ihn aber zurück in die Tasche. Umständlich suchte er die Hefte und Bücher für den nächsten Schultag hervor.

Ihr müsst euch Kai als einen Jungen mit braunen Augen und dunkelblondem Haar vorstellen, das er damals beharrlich rückwärts kämmte, damit es so stehe wie bei seinem Vater – eine Art Igelfrisur. Er war lebhaft, ohne zu krakeelen, und überlegte manchmal, ob er nicht drauf und dran sei, in eine große Dummheit zu schlittern. So hatte ihn nämlich der Vater beraten: erst überlegen – und nachher die Dummheit machen. Kais größte Sorge bestand darin, immer etwas zu finden, womit er seine Geschicklichkeit erproben könne: zeichnen, mit Wasserfarben malen, mit der Laubsäge arbeiten, Papier zu Schiffchen und Flugzeugen falten, Strümpfe stopfen, Strudel füllen, morsen, häkeln oder Blumen pflanzen – er war nicht wählerisch. Vielleicht hatte er diese Unrast von seinem Urgroßvater geerbt.

Aufrichtige Bewunderung äußerte Kai mit dem langgezogenen Wort „Meeensch!“, bei Geringschätzung aber sagte er: „Große Sache!“ Beide Ausdrücke stammten aus der Schule.

Paula müsst ihr euch als ein langbeiniges Mädchen mit kurzen Zöpfen vorstellen. Ihre Augen waren ebenfalls braun und ihre Haare ebenfalls dunkelblond. Darüber hinaus zeigten die Geschwister nicht viel Ähnlichkeit, ja, man konnte den Eindruck haben, sie legten Wert darauf zu beweisen, wie verschieden sie waren.

Um Paula zu ärgern, tippte Kai zuweilen mit dem Finger an die Stirn und rief: „Blöde Gans!“ Um Kai zu ärgern, wischte Paula Berichte über seine Erlebnisse mit einer geringschätzigen Handbewegung fort, dazu bemerkte sie spitz: „Na und?“ Hin und wieder fuhren sie einander regelrecht in die Haare.

Betroffen durch den außergewöhnlichen Vorfall, aßen die Geschwister diesmal gleichzeitig am Küchentisch, ohne zu zanken, wer die Beine bis unter den Stuhl des anderen strecken dürfe.

„Ich hab’ eine Zehn gekriegt“, meldete Paula. „Für Mitarbeit bei Geschichte.“ Sonst ließ sie den Bruder immer raten.

Kai konnte nichts Vergleichbares aufweisen. Seine Kontrollarbeit in Mathe hatte die Lehrerin wegen der Flüchtigkeitsfehler mit einer Sieben bewertet, die ihm vermutlich die Trimesternote verdarb.

„Kannst du sie nicht mehr verbessern?“

„Nur wenn wir noch eine Kontrollarbeit schreiben. Ich hab’ ja schon dreimal geantwortet.“

Nachher stellte Paula in den Kühlschrank, was von Reis und Bratkartoffeln geblieben war, und setzte sich gleich an ihre Hausaufgaben. Kai übernahm widerspruchlos das Tellerabwaschen, dann legte er sich zum Nachmittagsschläfchen ins Bett.

Es war Anfang März, doch die Sonne schien so warm, wie es sonst frühestens im April der Fall war. Nach dem schneearmen Winter herrschte seit Februar so mildes Wetter, dass die Erwachsenen sich große Sorgen machten. Wenn die Obstbäume nun frühzeitig blühten, fielen sie wahrscheinlich einer Kältewelle zum Opfer, denn so ganz ohne Frost würde das Frühjahr nicht abgehen. Bis Ende Mai konnte allerhand passieren. Der Winterweizen teilweise erfroren und das Obst möglicherweise futsch – au wenne.

Die Geschwister hatten es sich längst angewöhnt, zu verstummen und zu schweigen wie Fische, wenn im Rundfunk oder im Fernsehen der Wetterbericht durchgegeben wurde. Diese zwei Minuten waren dem Vater heilig. Als Schofför musste er sich auf Regen und Neuschnee, auf Nebel, Glatteis und Matsch einstellen; er konnte fuchsteufelswild werden über jede Störung. Auch die Mutter hörte immer aufmerksam zu. Ihr war es wichtig zu wissen, ob sie warme Kleider bereitlegen soll, abgesehen davon fuhr sie gern mit dem Rad zur Seidenspinnerei, wo ihr Arbeitsplatz war. Nun wurden die täglichen Sorgen durch das Problem der Landwirtschaft überschattet.

Paula und Kai verstanden bereits recht gut, weshalb die Eltern auf einmal gar so häufig vom Wetter sprachen, auch wenn ihre Gedanken andere Richtungen einschlugen. In diesem Winter hatte man nur ein einziges Mal am Weinberg rodeln können. Während der Vater in anderen Jahren geholfen hatte, Schneemänner und Schneebären zu bauen, reichte der weiße Rohstoff diesmal gerade noch zu einer Schneekatze, die Kai mit seinem Freund Victor in einer Ecke des Schulhofs modellierte. „Warum fällt heuer nicht mehr Schnee?“ fragte Kai. Der Vater blieb ihm die Antwort schuldig. Er wusste es auch nicht.

Als Kai sich gegen fünf Uhr vom Nachmittagsschläfchen aufrappelte, wollte er schon mit Federball und Schläger in den Hof laufen, die Hausaufgaben mochten warten. Dann fiel ihm die Mutter ein. Behutsam öffnete er die Tür zum großen Zimmer. Die Mutter lag noch immer bis über die Ohren in die zwei Decken eingewickelt und rührte sich nicht, doch gerade während Kai die Tür zuzog, seufzte sie leise. Der Laut fuhr dem Jungen durchs Herz. Er legte Federball und Schläger an ihren Platz, wusch im Badezimmer das Gesicht und machte sich ebenfalls an die Hausaufgaben.

„Paula? Glaubst du, dass die Mutti gefährlich krank ist?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht ist sie nur stark erkältet. Was glaubst du?“

„Wenn sie sich morgen Früh nicht besser fühlt, geh’ ich doch zur Kasper-Omi, damit sie einen Arzt ruft, und geh’ erst für neun in die Schule. In der ersten Stunde haben wir Naturkunde, das ist leicht.“

Paula war mit den Hausaufgaben fertig. Sie räumte ihre zwei Tischladen aus und wieder ein. Anschließend begann sie im Spielzeugschrank zu kramen.

„Was machst du dort?“

„Ich mache Ordnung. Die Mutti soll sich freuen, wenn sie aufsteht. Ich hab’s ihr versprochen und versprochen und immer verschoben.“

„Gut, ich will nachher auch Ordnung machen. Wenn du mit deinen Fächern fertig bist, dann ruf mich. Du kannst auch Staub wischen, und ich kehr’ zusammen.“

Mit dem Aufräumen verging die Zeit wie im Fluge. Nach dem Nachtmahl stellte Paula im großen Zimmer ein Glas frisches Wasser auf einen Stuhl neben das Bett, damit die Mutter nicht aufzustehen brauche, falls sie vielleicht Durst hatte, und lüftete ein wenig. Sie versorgte den Wellensittich Polynesia und begoss die Topfblumen, während Kai den Gasherd kontrollierte. Das Kinderzimmer glänzte vor Sauberkeit.

Paula griff eben nach ihrem Nachthemd, als von der Balkontür her eine ihr unbekannte Stimme zu vernehmen war. Das Mädchen ließ vor Schreck das Nachthemd fallen und erstarrte. Auch Kai saß da wie gelähmt. Ihre Herzen klopften bis zum Hals.

Die Stimme erklang in geringer Entfernung und etwas gedämpft wie bei einem, der die Hand vor den Mund hält oder durch eine Scheibe spricht. Stand vielleicht jemand auf dem Balkon? Kai spähte hinaus – dort war niemand. Vom Tonbandgerät kam die Stimme nicht, das hatten die Geschwister ja nicht eingeschaltet. Ihr Wellensittich, ein kleiner grüner Vogel, hielt das Köpfchen unter den Flügel gesteckt und schlief. Auf dem Regal neben dem...



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