E-Book, Deutsch, 224 Seiten, E-Book
Findeisen Vinland – Die Entdeckungsfahrten der Wikinger von Island nach Grönland und Amerika
1. Erstauflage 2013
ISBN: 978-3-86935-188-9
Verlag: Verlag Ludwig
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Erik der Rote, Bjarni Herjulfsson, Leif Eriksson und Thorfinn Karlsefni
E-Book, Deutsch, 224 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-86935-188-9
Verlag: Verlag Ludwig
Format: EPUB
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Prof. Dr. sc. phil. Jörg-Peter Findeisen, geb. 1943, war von 1988 bis 1993 Ordinarius für Geschichte der Neuzeit an der Universität Jena, wirkte dann im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes als Gast- bzw. Honorarprofessor an verschiedenen schwedischen und der Jagellonen-Universität Krakau, lebt und lehrt heute in Trier. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur skandinavischen Geschichte bzw. dem Dreißigjährigen Krieg.
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Eine frühmittelalterliche Handschrift berichtet Weltgeschichte – das »Vinland« Adams von Bremen
Man schrieb das »Jahr des Herrn 1579«, ein merkenswertes Datum für die Geschichtswissenschaft. Gerade hatte der dänische Gelehrte und Historiker Anders Sörensen Vendel eine Handschrift zur frühen Geschichte des Erzbistums Hamburg publiziert. Sie war ihm bei Studien in der Bibliothek des kürzlich mit der Reformation aufgehobenen Zisterzienserklosters Sorö auf Seeland aufgefallen. Als Autor fixierte er den einstigen Kanoniker und Rektor der Bremer Domschule im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts, Adam von Bremen.3 Offenbar entdeckte Vendel bald, welche überraschende Botschaft der Text offenbarte, wahrlich eine spannende Lektüre. Der glückliche Finder konnte dort einiges lesen, was nicht nur ihn irritierte, frühe Kenntnisse über Amerika andeutete.
Jetzt, mehr als fünfhundert Jahre später, war der Konti-nent in Kreisen gebildeter Leser überall in Europa bekannt, hatten die Spanier in der Neuen Welt Azteken und Inkas grausam unterworfen, dehnten ihr Herrschaftsgebiet systematisch aus. Nachdem er ein gutes Menschenalter vorher nahezu unbemerkt im spanischen Valladolid verstorben war, bewunderte man inzwischen wieder allgemein Christoph Kolumbus und dessen Pioniergeist. Auch waren schon mehrere Expeditionen auf der Suche eines nördlicheren »Westweges« nach China an die nordamerikanische Küste gesegelt, Italiener, Franzosen, Engländer und Portugiesen, fischten nicht nur Bretonen seit Langem vor Neufundland. Da musste das Studium der Sorö-Schrift zumindest die übergroße Zahl der Lateinkenner in der Alten Welt mit den Bemerkungen über »Vinland« irgendwo im westlichen Atlantik hinter Grönland grübeln lassen, Verwirrungen bei den Lesern hervorrufen.
Es sollte allerdings noch weitere Jahrhunderte währen, bis 1846 im neunten Band der »Monumenta« eine lateinische Ausgabe Adams in Deutschland erschien. Aber schon vier Jahre später erschloss dann die erste deutschsprachige Übersetzung breiten Schichten deutscher Leser jene Zeilen über die frühe Entdeckung nordamerikanischer Territorien.
Die neueste wissenschaftliche Bearbeitung der »Gesta Hammaburgensis« betont berechtigt, dass Adams Aufzeichnungen »eine erste wissenschaftliche Darstellung der unbekannten Länder und Völker des Nordens« waren, »Beobachtungen … von unbestechlicher Wahrhaftigkeit … wie sie der mittelalterlichen Geschichtsschreibung sonst fremd« seien.4 Ähnlich euphorisch summierten 1995 auch die Autoren des mehrbändigen biographischen Wörterbuchs Adams »reifes, kritisches Werk« als »früheste« Geschichte und »Geographie« des Nordens »und zugleich« der norddeutschen Reichsgeschichte.5
Nannten die Historiker des 19. Jahrhunderts den Bremer Gelehrten zunächst noch vorsichtig einen »deutschen Geschichtsschreiber«, glaubten auch sie dennoch bereits damals einräumen zu müssen, er habe die Geschichte seines Erzstiftes »nach Urkunden, mündlichen Mittheilungen und älteren Quellen« gewissenhaft aufgezeichnet.6 Tatsächlich war Adam von Bremen kein Fabulierer.
Schon kurz nach seiner Berufung zum Schulleiter 1069 beauftragte Erzbischof Adalbert, einer der mächtigsten Männer auf deutschem Boden, den Kleriker mit der Abfassung einer Chronik des relativ jungen Erzstiftes. Der einflussreiche Prälat aus Hochadelskreisen – Erzieher des jugendlichen Königs Heinrich IV. – wünschte den Machtbereich seiner Diözese auf die skandinavischen Bistümer auszudehnen. Er hatte Adam auch an den Hof des damaligen dänischen Königs Sven(d) Estridsen7 gesandt. Wahrscheinlich um 1067/68 gewann der Deutsche das Vertrauen des welterfahrenen dänischen Herrschers, führte offenbar zahlreiche Gespräche mit dem Monarchen über das dänische Reich und dessen Geschichte, »den Zustand der nordischen Missionen«8. Manche Fachhistoriker bezweifeln allerdings, dass der Monarch mit dem wahrscheinlich noch relativ jungen Bremer Kanoniker »aktuelle politische Fragen« diskutierte.9 Eine merkwürdige Wertung – war doch vieles, was beide beredeten, damals wichtige Politik.
Wahrscheinlich plauderte König Sven wirklich gerne mit dem deutschen Mönch. Soviel scheint jedenfalls gewiss: Adam reiste noch des Öfteren an den dänischen Hof, durfte dem Regenten offensichtlich weiterhin Fragen stellen.
Als Erzbischof Adalbert 1073 in Goslar verstarb, sammelte der Domherr vermutlich weiterhin Informationen, hatte mit der Niederschrift noch nicht begonnen, wie die Experten glauben. So widmete er dann dem Nachfolger auf dem erzbischöflichen Stuhl die Arbeiten. Aus seinen Notizen wurde bekannt, dass er am zweiten Buch schrieb, als ihn die Nachricht vom Tode Sven Estridsens am 28. April 1074 erreichte. Auch wissen wir heute, dass Adam jenen Teil des Werkes, das für die Kenntnisse der nordischen Ereignisse so wichtige dritte Buch, schrieb, bevor der slawische Fürst Butue am 8. August 1075 erschlagen wurde.10
Adam hörte natürlich auch manches Phantastische, das moderne Leser lächelnd abwinken lässt. Anderes wiederum wird auch heute noch als historisch wertvoll verstanden. Hier ist nicht der Ort, über Missionsreisen Hamburg-Bremer Geistlicher zu referieren, Adams Wertungen zu den frühen schwedischen Herrschern zu zitieren. Es soll nur die bis heute umfangreichste frühe schriftliche Quelle über die Entdeckung Amerikas durch nordische Seereisende angeführt werden. Gewöhnlich verweisen die meisten Autoren der Vinlandbücher nur in Nebensätzen auf jenes gewichtige Gespräch Adams mit König Sven Estridsen.
Abb. 2. Der norwegische Historiker Axel Anthon Bjørnbo zeichnete Anfang des 20. Jhdts nach den Beschreibungen Adams von Bremen eine »Karte« von Grönland und Vinland.
Der Dänenkönig erzählte ihm, so führte der Domherr an, »viele« Seefahrer hätten im Atlantik »noch eine weitere Insel« nach den Besiedlungen Islands und Grönlands »entdeckt; sie heiße Winland, weil dort wilde Weinstöcke wachsen, die besten Wein bringen«. Dabei gab sich Adam wohl keinerlei Illusionen hin, wie manche seiner Leser auf diese Eröffnungen reagieren würden. Er versicherte jedenfalls sogleich, es handele sich dabei nicht um übertriebene Behauptungen oder irreale »Vermutungen«. Er »entnehme … zuverlässigen dänischen Berichten …, dass dort ohne Aussaat reichlich Getreide wächst«. Doch habe ihm der König erläutert, hinter »dieser Insel« fände man »in diesem Ozean kein bewohnbares Land mehr«, nur ungeheure Eismassen und »Dunkelheit«.11
Dort erzählte der Domherr auch, es gäbe »noch mehrere andere Inseln im Ozean; eine der größten ist Grönland«. Bis zu dieser »soll man von der norwegischen Küste aus wie nach Island in 5–7 Tagen segeln«. Die Menschen auf Grönland »leben ähnlich wie die Isländer«.12
Der Bericht Adams von Bremen sei bis heute die »älteste Nachricht, die wir über das neugefundene Land haben«, betonte auch Schwedens derzeit bekanntester Wikingerexperte Mats G. Larsson kürzlich in einer Publikation über Vinland und die Amerikafahrten der Wikinger. Sie belege, »dass die Entdeckung im letzten Teil des 11. Jahrhunderts noch weiterhin in frischer Erinnerung« gewesen sei.13
Heute ist kaum abzuwägen, was gewichtiger erscheint: Die Kenntnis des Königs Sven Estridsen über dieses Land und seine Besonderheiten14 oder die Selbstverständlichkeit, mit der Dänemarks Herrscher das ihm Vertraute im Gespräch berichtete. Immerhin war der Monarch lange Zeit ein Getriebener. Er kämpfte um sein Königtum, hatte in jenen Jahren anderes zu bedenken, als Berichten über Seereisen isländischer oder norwegischer »Farmänner« in unbekannte Regionen nachzusinnen, zumal die dänischen Interessen vor allem Landstrichen im angelsächsischen England galten. Waren seine Informanten am Königshof im Nachbarland Norwegen zu Hause, hatten dänische Fernhändler solch Wissen aus Island oder Reisen in die neuen Siedlungen auf Grönland heimgebracht? Darüber schwiegen er und sein Zuhörer Adam. Auch scheinen die Namen der Entdecker und ersten Reisenden nicht erwähnt worden zu sein. Wirklich schade – kannte sie der Herrscher nicht? Waren ihm die Seereisen der Wikinger so sehr Alltag, dass er sich mit derart allgemeinen Informationen zufrieden gab oder war auch in seiner Überzeugung das Zeitalter der nordischen Expansionen bereits Vergangenheit? Immerhin sprach Sven Estridsen mit Adam ja noch von »vielen«, die in jenes exotische Land aufgebrochen waren. Da mussten es wohl doch mehr als die uns aus den Sagas bekannten vier oder fünf Expeditionen sein? Sicherlich meinte der deutsche Domherr mit seinem Hinweis auf »Berichte« nicht die Sagas, denen er seine Erkenntnisse »entnommen« hatte. Bedauerlicherweise sind solche frühen schriftlichen Zeugnisse nicht auf uns gekommen.
So viele Fragen, auf die wahrscheinlich keine Antworten mehr zu erwarten sind. Vielleicht täuschen sich jene modernen Experten nicht, die anmerken, der Bremer Domherr habe auch einige offenkundige Urkundenfälschungen in seinem Umfeld nicht erkannt, wurde wohl von dem von ihm bewunderten Adalbert nicht in alle politischen Erwägungen...




