Finckh / Koslowski / Scheible | Inseln | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 226 Seiten

Finckh / Koslowski / Scheible Inseln

Zuflucht, Träume, Einsamkeit
2. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7526-8237-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Zuflucht, Träume, Einsamkeit

E-Book, Deutsch, 226 Seiten

ISBN: 978-3-7526-8237-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Niemand ist eine Insel, jeder ist eine Insel. Flucht und Zuflucht, Freiheit und Gefängnis,Traumziel, Heimat und Isolationsort, von der Weite des Meeres getragen und eng begrenzt - so viele Bilder hat das Thema Insel den Autorinnen und Autoren dieser Anthologie geschenkt, dargestellt als Prosa- oder Lyriktext sowie in Bildern. Ausgewählt wurde es noch ohne Vorahnung, was das Jahr 2020 uns allen mit Corona auferlegen, aber auch eröffnen würde.

Dr. Ruth Finckh ist Lehrbeauftragte der Universität des Dritten Lebensalters in Göttingen. In den Seminaren der promovierten Germanistin wird nicht nur klassische und moderne Literatur gelesen und interpretiert, in der Schreibwerkstatt probieren sich die Studenten auch aus, schreiben gemeinsam an Romanen und verfassen Anthologien.

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Dorneninsel
Hansi Sondermann Karfreitag, 30. März 2018, 6 Uhr. Frühmorgendunkel. Frühlingsfeindlich kalt. Die Luft noch etwas schneedurchwirkt. Nieselregen mit Potenzial zu stärkeren Güssen. Eiserne Lastkähne gleiten über den Wund-See. Zur Dorneninsel hinüber. In den Booten dreißig Personen, schwarzregenschutzgekleidet. Tragen Pechfackeln. Schweigen. Stille. Nur das Klatschen der Ruder und das Ächzen der Riemen. Die „Erinnerungswerkstatt“, eine Initiative zur Erforschung politischer Verbrechen während der Naziherrschaft, vom Bildkünstler Cäsar Hartleeb ins Leben gerufen, hat auch in diesem Jahr Zeit und Art der Überfahrt zur Dorneninsel dem zu erinnernden Ereignis genau angepasst. Am Karfreitag, dem 30. März 1945, ebenfalls um 6 Uhr früh, haben Männer in den furchterregenden Uniformen des Todes in denselben oder ähnlichen Booten 17 jüdische Zwangsarbeiter auf die Dorneninsel gebracht und sie dort ermordet. Das Massaker gehört zu den Endphasenverbrechen Anfang 1945, die an vielen Orten vor allem von der SS begangen wurden. Der 30. März: ein düster böses Datum in der Geschichte der Stadt, deren Bevölkerung erst vor drei Jahren sehr krass – für viele Bewohner sicher unangenehm – aus dem Gedächtnisschlaf geweckt wurde. Niemand von ihnen wusste vorher – angeblich – etwas von dem grausamen Geschehen, das sich auf dem See unweit ihrer Stadt ereignet hatte. Ist doch schon so lange her. Muss man das denn immer wieder aufwärmen? Unruhe verbreiten? Vor allem: Was haben wir denn noch damit zu tun? Henner Kowarcz, ein nach dem Krieg in der Stadt hängengebliebener SS-Rottenführer – von Haus aus Katholik, als SS-Mann aus der Kirche ausgetreten, in den 50er Jahren wieder in ihren Schoß zurück – hat sich vor drei Jahren kurz vor seinem Krebstod in einer lebensspäten Beichte Pater Rupert Vesper SJ gegenüber als Mittäter des grauenerregenden März-Verbrechens geoutet. Vesper hat sehr lange an Kowarcz´ Krankenbett gesessen und ihm beichtvatergeduldig zugehört; wobei er jedoch mehr und mehr zwischen pastoraler Zuwendung und zornerfüllter Abneigung gekämpft hat. Das, was ihm mit atemschwerer Stimme stoßweise stückweise offenbart wurde, hat ihn an den Punkt geführt, dem Beichtenden die Lossprechung zu verweigern. Um das Verbrechen jedoch einem nach seiner Meinung noch immer erforderlichen Strafverfahren zuzuführen, hat er die Absolution davon abhängig gemacht, dass Kowarcz vorher ein detailliertes Schuldbekenntnis vor einem Staatsanwalt abgeben müsse. Da dieses angesichts der Todesnähe des SS-Mannes sehr schnell zu erfolgen hatte, hat Vesper das Verfahren selber in Gang gesetzt; obwohl er nicht wenige Staatsanwälte kannte, die kaum an der juristischen Verfolgung längst verjährter Naziverbrechen interessiert waren; dies oft mit der Überlastung durch aktuelle Strafrechtsfälle begründet. Ein junger, hörbar linksorientierter Anklagevertreter hat sich jedoch sofort mit dem Fall befasst. Und im harten Gegensatz zu vielen SS-Schergen, die über sich und ihre Taten Unwahres erzählt haben, hat Kowarcz im Verhör brutal offen und präzise über das Dorneninsel-Massaker ausgesagt. Die korrekte Vernehmung und die der privaten Beichte folgende eidesstattliche Aussage haben das Karfreitags-Drama vom März 1945 auch öffentlich gemacht. Nach dem Tod des SS-Mannes, kurz danach, wurde das Verfahren jedoch eingestellt. Kowarcz hat nach dem Krieg eine Büroangestellte des Steinbruch- und Straßenbauunternehmens Klacke geheiratet und wurde auch schnell dessen Büroleiter. In diesem Unternehmen wurden in der Nazizeit für den staatsseitig geforderten und geförderten Straßenbau und die dafür erforderlichen Steinbrucharbeiten auch jüdische Häftlinge aus näheren und entfernten KZ-Lagern beschäftigt. Vor allem im Steinbruch mussten diese, von der SS bewacht und brutal angetrieben, oft bis zur totalen Erschöpfung arbeiten und ihr Leben unter antimenschlichen Bedingungen fristen. Klacke wusste um die Situation der jüdischen Zwangsarbeiter, nahm dieses aber – angeblich um gefährliche Widersprüche zu vermeiden, in Wahrheit aber aus egoistischem Interesse – in Kauf; nur wenn die Kräfte der Zwangsarbeiter zu sehr nachließen oder mehrere von ihnen erkrankt ausfielen, was zwangsläufig zu Verzögerungen führte, intervenierte er beim Lager-Kommandanten. Im Gegensatz zu Klacke versorgte seine christlich-human gesinnte Frau die jüdischen Sklaven in ihren Steinbruch-Baracken heimlich mit zusätzlichem Essen und Trinken und auch mit Verbandszeug und einfachen Medikamenten. Das alles jedoch ohne Wissen und auch gegen den Willen ihres Mannes. Viele der anfangs 43 Häftlinge sind an Krankheit, Erschöpfung, auch aufgrund von Misshandlungen gestorben; die Überlebenden mussten oft wegen geringster Vergehen, vor allem wegen nicht erfülltem Soll, stundenlang nackt in der eiskalten Werkhalle ausharren, einige wurden vom SS-Obergruppenführer Hanke, dem krankhaftfanatischen Lagerkommandanten, ausgepeitscht, nicht selten auch aus purer Mordlust wie Wild abgeknallt. So Kowarcz in seiner Aussage. 17 am Ende Übriggebliebene wurden in der berüchtigten März-Nacht 1945 auf der Dorneninsel ermordet, ihre Körper verbrannt und bis zur Unkenntlichkeit zerstört und verscharrt. In der nebligen Frühe der Tage nach Ostern wurde die Massengraberde am Ort des Massakers von Mitarbeitern der Firma Klacke festgestampft und die Stelle mit schweren Steinplatten belegt. Zur totalen Auslöschung der Menschen sollte es keine Grabstelle geben. Der Befehl kam wieder vom SS-Obersturmführer Hanke, dessen Sadismus und Brutalität selbst den SS-harten Kowarcz abgestoßen hatte, wie auch die von ihm als sinnlos verurteilte Liquidation der Juden. So jedenfalls in dessen Bekenntnis. Die Steinplatten wurden schon bald danach durch eine halbmeterdicke Betondecke ersetzt, die auch jetzt noch den gesamten Platz überspannt. Knut Vernow, Stuka-Flieger, seinerzeit wegen seines sturzflugverursachten Asthmas inaktiv, wohnte nicht weit vom Seeufer entfernt. Wegen seiner Luftnot an Schlaflosigkeit leidend, saß er nachts oft am offenen Fenster. Wie er später erzählt hat, hatte er in der Nacht des 30. März 1945 geglaubt, von der Insel her blechzerreißendes Schreien zu hören. Weil dieses schnell wieder verstummt und einem lachenden Grölen gewichen war, hatte er angenommen, dass die Hilferufe spaßeshalber geschehen waren. Auf den Gedanken, dass sich auf der Insel etwas Unheimliches ereignet haben könnte, war er nicht gekommen. Wie er auch hierüber bis zum offen geführten Kowarcz-Prozess geschwiegen hat. Damals drangen keine Hilferufe zum Festland hinüber, sondern nur stumme dumpfe Schreie, die niemand hören konnte, und die auch die Mörder nicht hören wollten, diese deshalb schnell per Kopfschuss erstickten mit grölend lachenden Kommentaren. Sie haben den Tod bereits lebend abgebüßt. So einige der letzten Worte Kowarczs zu der Lebens- und Arbeitssituation der jüdischen Häftlinge. Die Boote legen an der Nordseite der Insel an. Die dunkle Prozession setzt sich in Gang. Ein schmaler kaum ausgetretener Pfad, von dichten Dornenhecken umklammert, führt auf eine Lichtung; die quasi eine Insel auf der Insel bildet. Ein runder Platz, auf dem es jahrzehntelang Sonnenwendfeier und Johannesfeuersprung gab. Wenn der verdammte Kowarcz früher das Maul aufgemacht hätte, wären unsere Johannisnächte nicht auf dieser Platte erfolgt. Wenn ich daran denke, dass wir dabei auf dem Totengrab getanzt und unsere Feuersprünge gemacht haben, zieht sich jetzt noch meine Kopfhaut zusammen! Flüstert Erwin Semmler in sich hinein. Feuerdorn, Rotdorn, Kreuzdorn, Schwarzdorn, Berberitze, Stechpalme, sogar große Dornenbäume, von denen die Insel fast vollständig bedeckt ist und wovon sie ihren Namen hat, sind derart eng ineinander verwachsen, dass es kein Durchkommen gibt, selbst für Igel, auch für einige Vögel nicht. Weshalb die engstehenden Dornenbüsche bei den Johannisnachtfeiern fast so etwas wie „Garanten der Keuschheit“ waren. Obwohl einige Liebestolle auch schon mal schmerzhaft in einem der „Dornröschenbüsche“ hängengeblieben sind. Diese Art Liebesleiderfahrung haben jene Feuersprungmutigen nicht gemacht, von denen die Johannisfeuerzusage baldiger Heirat schnell in die Realität umgesetzt wurde. Wie Hubert Holzhausen, der sich schon nach dem ersten Nachkriegs-Johannis mit Bärbel Provinsky verlobt und sie dann auch schnell geheiratet hat. Darauf haben die beiden der Welt sechs prachtvolle katholische Kinder geschenkt, wie die Orgelpfeifen aneinander. Erinnert Lutz Weber. Jetzt ist der Platz eine Totenstätte. Siebzehn zerbrochene Steinplatten im Kreis. Senkrecht auf der Betonplatte festverankert. Ohne Namen. Nur Nummern. Das Einzige, was Kowarcz von den Toten kannte. Die Prozessionsgruppe verteilt sich rings um die Steinplatte. Rabbi Cohn, von der Jüdischen Gemeinde des...



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